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Das Steppenross – Kapitel 10

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 10
Ein Fluchtversuch

Endlich kam ein leises, fröhliches Pfeifen über Rubes Lippen, und er richtete zu gleicher Zeit seinen Körper auf. Garey verstand dieses Zeichen und wusste, dass es eine neue Entdeckung zu bedeuten habe.

»Nun, Rube, was gibt es, alter Junge?«, fragte er.

»Wie lang ist dein Lasso, Bill?«, fragte Rube dagegen.

»Zwanzig Ellen, gut gemessen«, antwortete Garey.

»Und das Ihre, junger Bursche?«

»Ungefähr ebenso lang, vielleicht etwas darüber.«

»Gut«, rief Rube mit zufriedener Miene. Wir wollen den Burschen noch das Spiel verderben; ja, ja!«

»Holla, alter Junge! Nicht wahr, du hast einen Plan?«, fragte Garey.

»Gewiss habe ich einen!«

»Nun, da lass ihn hören, Kamerad!«, sagte Garey, als er sah, dass Rube wieder in Schweigen versank. »Es ist nicht viel Zeit, nachzudenken.«

»Zeit genug, Bill! Sei nicht so ungeduldig. Junge, wir haben Zeit genug! Ich will meine alte Stute gegen den Rappen des jungen Burschen wetten, dass wir vor Sonnenaufgang aus der Patsche heraus sind. Wie werden sie fluchen, wenn sie die Stelle leer finden! Haha!«

Der Alte lachte noch ein paar Sekunden so heiter, als ob tausend Meilen in der Runde kein Feind vorhanden sei. Wir zitterten vor Ungeduld, wussten aber, dass unser Kamerad in seiner wunderbaren Laune sei und es nichts nütze, ihn anzutreiben. Als sein Lachen vorüber war, nahm er eine ernste Miene an und schien sich mit der Lösung eines Rätsels zu beschäftigen.

»Zwanzig Ellen von Bill«, murmelte er vor sich selbst, »und zwanzig von dem jungen Burschen und sechzehn von mir, machen im Ganzen gerade sechsundfünfzig Ellen. Davon sind die Knoten abzurechnen, wenngleich wir auch dazu die Zügel haben. Nun hört, Jungen, wie wir davonkommen wollen. Sobald es finster genug ist, müssen wir zuerst dort hinaufklettern. Wir wollen unsere Lassos dort mit hinaufnehmen, die drei zusammenbinden und wenn das nicht ausreicht, noch ein paar Zügel zu Hilfe nehmen. Dann binden wir das Ende des Seils oben auf dem Gipfel an einen Baum und klettern an der anderen Seite hinab, versteht ihr mich? Wenn wir einmal unten auf der Prärie sind, so laufen wir geradezu zu der Ansiedelung. Endlich, wenn wir dort hingekommen sind, nehmen wir ein paar von den jungen Jägern, reiten geraden Weges zu dem Hügel und geben den Gelbhäuten dort eine solche Tracht Prügel, wie sie seit dem Anfang des Krieges noch nicht bekommen haben. Was meint ihr?«

Der Plan versprach allerdings viel. Gelang es uns, ihn im Einzelnen auszuführen, ohne entdeckt zu werden, so konnten wir in wenigen Stunden unseren Durst in klarem Wasser löschen. Diese Hoffnung erfüllte uns mit neuer Kraft und wir setzten alles in Bereitschaft. Einer wachte, während die anderen beiden arbeiteten. Unsere Lassos wurden aneinander geknüpft und die vier Pferde mit Hilfe der vier Zügel mit den Köpfen zusammengebunden und so befestigt, dass sie hinter dem Felsen bleiben mussten. Dann erwarteten wir den Anbruch der Nacht.

Wir waren in peinlicher Ungewissheit, ob die Nacht dunkel werden würde. Da eine Schicht bleifarbiger Wolken den Himmel bedeckte und der Mond nicht vor Mitternacht scheinen konnte, hofften wir, von den Umständen begünstigt zu werden. Rube, welcher sich rühmte, die Zeichen der Witterung ebenso gut zu verstehen wie ein Salzseematrose, betrachtete den Himmel.

»Nun, alter Bursche, was hältst du davon?«, fragte Garey, »wird es dunkel werden?«

»So schwarz wie ein Bär«, antwortete Rube und fügte dann in einem weiteren Gleichnis hinzu: »So schwarz wie das Innere eines alten Büffels auf einer verbrannten Steppe.«

Garey und ich mussten in die Heiterkeit des alten Trappers einstimmen, der herzlich über seinen spaßhaften Einfall lachte.

Rubes Vorhersage erwies sich als richtig, es brach eine finstere Nacht herein. Die bleifarbige Schicht zerteilte sich in schwarze Wolkenhaufen, welche langsam über das Gewölbe des Himmels hinzogen. Es näherte sich ein Sturm, und schon hörte man Tropfen senkrecht auf unsere Sättel herabfallen. Dies alles verursachte uns Freude. In demselben Augenblick jedoch zuckte ein Blitz über den Himmel und erleuchtete die Steppe wie mit tausend Fackeln. Es war nicht jenes bleiche Licht, das man in nördlichen Gegenden sieht, sondern eine glänzende Schlange, welche durch den ganzen Raum fuhr und der Tageshelle gleichkam. In dieser unerwarteten plötzlichen Erscheinung sahen wir ein ernstes Hindernis für unseren Plan. Bald darauf flammte ein zweiter Blitz und erleuchtete die Steppe wie ein Theater. Wir konnten die Truppe mit ihren Waffen und Kleidern, sogar die Knöpfe und Jacken erkennen. Sie boten uns mit ihren gespenstisch erleuchteten Gestalten und den riesenhaft vergrößerten Körpern einen wilden Anblick dar.

Der Blitz war von keinem Donner, weder von einem schnellen Schlag noch von einem fernen Rollen gefolgt. Das darauf folgende Schweigen machte die Szene nur noch furchtbarer.

»Ganz recht!«, murmelte Rube, als er sah, dass die Belagerer noch ihren Platz innehatten. »Wir müssen uns zwischen den Blitzen hinaufschleichen, zuvor aber wollen wir ihnen zeigen, dass wir noch da sind.«

Wir streckten die Gesichter und Büchsen über den Rand des Felsens und erwarteten in dieser Weise einen Blitz. Dieser kam so schnell wie vorhin, und der Feind musste uns bemerkt haben.

Unser Plan war fertig. Garey sollte zuerst hinaufsteigen und das Seil mitnehmen, und wartete nur auf das Verlöschen eines wiederholten Blitzes. Das eine Ende des Lassos wurde um seinen Leib befestigt, sodass es hinter ihm herabhing. Als der Blitz leuchtete, stand er bereit, und als derselbe erlosch, begann er, an dem Felsen aufzusteigen. Oh, wie ersehnt wäre uns eine lange Dunkelheit gewesen!

Mein Herz klopfte gewaltig. Rube beobachtete die Mexikaner, wobei er seinen Kopf so viel wie möglich zeigte. Meine Augen waren auf die Felsenmauer gerichtet, wo ich unseren Kameraden in der tiefen Finsternis vergebens suchte. Ich lauschte und konnte ein leises Krachen an dem Felsen hören, das immer schwächer wurde. Garey kletterte mit seinen Wildschuhen hinauf, das Geräusch war so leise, dass es nur von uns vernommen werden konnte.

Nach fünf Minuten, die mir entsetzlich lang wurden, flammte ein neuer Strahl und ich ließ meinen Blick an der steilen Mauer empor gleiten. Garey befand sich noch immer dort und hatte kaum die Mitte erreicht. Er blieb regungslos, solange der Schein dauerte.

Nach einer langen Dunkelheit folgte ein neuer Blitzstrahl.

Ich betrachtete die Schlucht und erblickte keine menschliche Gestalt mehr, doch sah ich eine dunkle Linie den Felsen vom Rand bis zum Fuß durchschneiden. Es war das Seil, welches Garey mit hinaufgenommen hatte. Er war glücklich auf dem Felsen angekommen.

Nun kam die Reihe an mich, denn Rube wollte durchaus den gefahrvollen Posten behaupten. Ich machte mich mit der Büchse auf dem Rücken bereit, nachdem ich mein wackeres Ross zum Abschied gestreichelt hatte. Beim letzten Schimmer des Blitzes fasste ich das herabhängende Lasso und zog mich hinauf. Ich vertraute dem Seil, denn ich wusste, dass es oben befestigt war oder von Gareys starker Hand gehalten wurde. Das Aussteigen war nicht schwer. Ich kletterte mit Leichtigkeit von einem Absatz zum anderen und hatte den Gipfel des Felsens erklettert, noch ehe das Licht zurückgekehrt war.

Wir legten uns in dem Gebüsch, welches am äußersten Rand wuchs, flach auf die Erde. Ich sah jetzt, dass das Seil an dem Stamm eines Bäumchens befestigt war, und bald bemerkten wir an dem Zucken, dass Rube hinaufzuklettern begann. Nicht lange darauf sahen wir ihn, dann zeigte sich seine magere dunkle Gestalt an dem Rand und endlich taumelte er an uns vorüber in das Gebüsch. In der Dunkelheit schien es mir, als ob sein Kopf kleiner aussähe als gewöhnlich.

Wir wagten noch einen Blick auf die Mexikaner zu werfen. Sie befanden sich noch auf ihrem Posten und konnten nichts von unserem Vornehmen wissen. Rube hatte seine Pelzmütze an den Felsblock angehängt, um sie in den Glauben zu versetzen, dass auch wir noch an unserem Platz wären, und so erklärte sich das seltsame Aussehen des alten Trappers.

Rube holte das Seil herauf und dann schlichen wir uns über den glatten Gipfel, um einen Ort zum Hinuntersteigen zu suchen. Auf der anderen Seite fanden wir, was wir brauchten, einen Baum, der nahe am Rand der Klippe stand. Wir banden das Seil fest um den Stamm.

Es war jedoch noch viel zu tun, ehe wir hinabzusteigen versuchen konnten. Die Klippe musste mehr als hundert Fuß hoch sein. An einem Seil von dieser Länge hinabzugleiten, war ein äußerst schwieriges Unternehmen. Von uns war vielleicht keiner imstande dazu. Der Erste konnte leicht herabgelassen werden, auch der Zweite, der Dritte aber musste an dem Seil hinabgleiten.

Wir hielten uns nicht lange bei diesen Betrachtungen auf. Meine Kameraden fanden bald Rat, wodurch diese Schwierigkeit beseitigt wurde. Sie zogen ihre Messer. Man suchte ein Stämmchen, schnitt dasselbe in kurze Stücke, kerbte diese und knüpfte sie in geringen Zwischenräumen an das Seil. So war unsere Rettungsleiter fertig.

Jetzt brauchten wir uns nur noch zu überzeugen, ob das Seil die nötige Länge habe. Durch die Knoten war es etwas verkürzt worden, doch wurde auch diesem Schaden bald abgeholfen. Wir banden einen Stein an das eine Ende und ließen ihn dann vom Rand hinabfallen. Wir horchten und hörten, dass der Stein dumpf auf den Steppenrasen niederfiel. Das Seil reichte daher an die Erde. Wir zogen es wieder herauf, lösten den Stein und befestigten die Schlinge unter Rubes Arme. Wir hatten ihn gewählt, weil er am leichtesten war und daher die Stärke des Seils am wenigsten in Anspruch nahm. Beim Hinaufsteigen hatten wir freilich dem Seil nur die Hälfte der Last zu tragen gegeben, da unsere Füße entweder auf dem Felsen oder auf den Vorsprüngen ruhten. Sobald Rube die Ebene erreicht hätte, sollte er das Seil prüfen, ehe Garey oder ich hinabzusteigen versuchten. Er sollte nämlich sein eigenes Gewicht durch einen großen Stein vermehren, so dass etwa Gareys Gewicht, des Schwersten von uns beiden, herauskam.

Nach diesen Anordnungen rutschte der alte Trapper schweigend über den Felsenrand, und Garey und ich ließen das Seil langsam nach. Es glitt Fuß für Fuß durch unsere Hände.

Indem wir langsam und vorsichtig nachgaben, trugen wir Sorge, dass kein Ruck entstand, damit der Körper unseres Kameraden nicht zu heftig gegen die Felsen geschwenkt werde.

Wir saßen beide dicht nebeneinander, die Gesichter gegen die Ebene gewandt. Mehr als drei Viertel des Seils hatten wir schon hinabgleiten lassen und freuten uns, dass die Probe bald vorüber sein werde, als plötzlich die Spannung des Seils so schnell nachgab, dass wir beide auf den Rücken fielen.

In demselben Augenblick hörten wir das zerreißende Seil schnappen und vernahmen von unten her einen lauten Schrei.

Wir sprangen auf und zogen unwillkürlich das Seil hinauf. Es trug kein Gewicht mehr, sondern kehrte so leicht wie ein Bindfaden in unsere Hände zurück.

Wir sahen uns fragend an, obgleich wir keiner Erklärung bedurften, denn die Sache lag klar auf der Hand. Das Seil war gerissen und unser Kamerad zu Boden gefallen.

Ohne ein Wort zu sprechen, sanken wir auf die Knie, krochen bis an den Rand des Abgrundes und schauten hinab. Da wir in der Finsternis nichts erkennen konnten, so warteten wir, bis das Licht wiederkehren würde.

Wir horchten mit gespannter Aufmerksamkeit, ob wir ein Stöhnen oder einen Schmerzensschrei hörten. Man vernahm das Geheul des Präriewolfes, aber keine menschliche Stimme. Ein Schrei des Schmerzes wäre uns willkommener gewesen, denn wir hätten daraus vernommen, dass Rube noch am Leben sei. Nein, er war stumm, tot, vielleicht zerschmettert.

Es dauerte nur kurze Zeit, bis der Blitz wieder flammte. Noch vorher vernahmen wir Stimmen, die vom Fuß des Felsens zu uns gelangten. Es waren Stimmen von zwei Personen, aber nicht die des Trappers. Es waren die Stimmen von Mexikanern, die Stimmen unserer Feinde.

Beim Schein des Blitzes sahen wir dieselben. Es waren ihrer zwei, die zu Pferde saßen und sich dicht am Felsen unten auf der Erde bewegten. Wir konnten sie deutlich sehen, aber den Leichnam unseres Kameraden sahen wir nicht. Wir hatten beim andauernden Licht den ganzen Boden überblickt und jeden Gegenstand erkennen können. Rube war, er mochte lebendig oder tot sein, nicht dort.

War er den Mexikanern in die Hände gefallen? Die beiden Männer, welche wir sahen, trugen Lanzen, hatten aber keinen Gefangenen bei sich. Außerdem würde sich Rube, wenn er nicht schwer verwundet war, nicht ohne Widerstand ergeben haben. Wir hatten weder einen Schuss noch einen Schrei gehört.

Bald wurden wir von jeder Unruhe befreit.

Die Reiter fuhren in ihrer Unterhaltung fort, und da die stille Luft ihre Stimmen nach oben gelangen ließ, so konnten wir einen Teil ihres Gespräches verstehen.

»Tausend!«, sprach der eine ungeduldig, »du hast dich geirrt, es war der Präriewolf, den du gehört hast.«

»Ich bin überzeugt, dass es die Stimme eines Mannes war, Capitano.«

»Dann Muss sie von einem der Männer hinter dem Felsen gekommen sein. Hier ist niemand. Doch lass uns nach der anderen Seite des Felsens zurückkehren.«

An den Hufschlägen vernahmen wir, dass sie sich entfernten. Es gereichte uns zum Trost, zu wissen, dass ihnen unser Kamerad nicht in die Hände gefallen war. Ob und in welchem Grad er verletzt war, konnten wir nicht ahnen. Da er von dem Ort verschwunden war, so konnte er keine zu starke Verletzung erlitten haben.

Aber wohin war er gekommen? War er fortgekrochen, und befand er sich noch in der Nähe des Felsens? In diesem Fall konnten sie ihn noch treffen. Es gab weder ein Versteck am Fuß des Felsens noch auf der umliegenden Ebene.

Garey und ich waren über den Ausgang besorgt, umso mehr, da die Mexikaner seinen Schrei gehört hatten.

Wir fassten den Entschluss, die Bewegung der beiden Reiter zu beobachten. Wir folgten ihren Stimmen und knieten wieder über ihnen am äußersten Rand des Hügels. Dort hatten sie Halt gemacht, um den Boden zu untersuchen, und warteten nur auf den Blitz. Wir waren über ihnen in Schussweite und warteten ebenfalls.

»Wir können sie aus dem Sattel holen!«, flüsterte mein Gefährte.

Ich zauderte noch einen Augenblick. Vielleicht bewog mich die Vorsicht dazu, denn ich hoffte jetzt auf eine sichere Befreiung.

In diesem Augenblick strahlte der Blitz. Im gelben Schein zeigten sich die hohen, dunklen Gestalten der Reiter. Sie waren kaum fünfzig Schritte von der Mündung unserer Gewehre entfernt. Wir hätten sie sicher treffen können und ich fühlte mich fast versucht, den Bitten meines Gefährten nachzugeben.

Da bemerkten wir einen Gegenstand, der uns beide veranlasste, die schon halb gerichteten Büchsen zurückzuziehen. Es war der Körper unseres Kameraden Rube. Er lag flach auf der Erde, die Arme weit ausgestreckt und das Gesicht in das Gras geduckt. Von der Höhe aus gesehen, erschien er wie die Haut eines jungen Büffels, die auf dem Rasen zum Trocknen ausgebreitet war. Wir wussten jedoch, dass es der Körper eines in braunes Hirschleder gehüllten Mannes war.

Er lag wie eine riesige Eidechse auf dem Rasen. Solch eine Stellung konnte eine Leiche nicht haben.

Der Zweck dieser Stellung war leicht einzusehen. Als das Licht ringsum flackerte, fühlten wir schmerzliche Besorgnis in unseren Herzen. Der Körper war kaum fünfhundert Schritte entfernt. Obwohl er aber von unserer Stellung aus vollständig sichtbar war, hatten ihn die Reiter unten doch nicht bemerkt. Sobald es wieder dunkel wurde, hörten wir, wie sie nach vorn zurückritten.

Es war ein Glück für sie, dass sie die ausgestreckte Gestalt nicht erblickt hatten, auch ein Glück für Rube, für uns alle!

Wir blieben auf unserem Platz und warteten auf einen weiteren Blitz. Als dieser kam, war das braune Hirschleder nicht mehr zu sehen. Etwas entfernt glaubten wir die nämliche Gestalt in derselben Stellung zu erkennen. Das schimmernde Steppengras ließ sie doch nicht deutlich unterscheiden.

Gewiss wussten wir aber, dass unser Gefährte entkommen war. Zum ersten Mal atmete ich wieder frei auf und hoffte auf ein glückliches Gelingen. Auch mein Kamerad war beruhigt, und es versteht sich von selbst, dass wir mit erleichtertem Herzen und mutigen Schritten über den Felsen zurückkehrten.

Natürlicherweise dachten wir nicht mehr daran, hinabzusteigen. Dies war auch mit dem Stückchen Seil, das übrig geblieben war, unmöglich.

Wir gingen zur Vorderseite zurück, um die Mexikaner im Auge zu behalten und sie möglichst zu hindern, unseren Pferden nahe zu kommen, wenn sie zufällig entdecken sollten, dass wir den Platz hinter dem Felsen verlassen hatten.

Jetzt, wo wir weniger für unsere Person zu fürchten hatten, waren wir umso besorgter für unsere Pferde. Ich wenigstens hatte mich weniger um Moros und des Schimmels Schicksal bekümmert, solange ich für den letzten Augenblick meines Lebens zu fürchten hatte. Da ich nun aber überzeugt war, dieses gefährliche Abenteuer zu bestehen, so machte auch die Zukunft ihre Anrechte wieder geltend, und ich wünschte nicht nur mein eigenes Ross, sondern auch das schöne Geschöpf zu behalten, welches mich in alle diese Gefahren gestürzt hatte.

Sowohl ich als auch mein Begleiter glaubten fest, dass alle Gefahr vorüber sei und wir in wenigen Stunden befreit sein würden. Wir wussten, Rube würde die Niederlassung erreichen und mit einer Anzahl Befreier zurückkehren.

Freilich hatten wir manche Besorgnis. Die Jäger konnten nicht mehr dort, das Heer vielleicht abmarschiert, die Piketts wohl gar zurückgezogen sein. Es war sogar möglich, dass Rube gefangen oder getötet wurde.

Die letzte Voraussetzung machte uns die geringste Unruhe. Wir setzten so großes Vertrauen auf den Trapper, dass wir überzeugt waren, er würde in das amerikanische Lager eindringen; nötigenfalls in das feindliche. Noch so eben hatten wir einen Beweis seiner Geschicklichkeit erhalten. Mochte die Armee vorgerückt sein oder nicht, so musste sie Rube vor dem Morgen erreichen, und wenn er unterwegs ein Pferd hätte stehlen müssen. Er konnte die Jäger bald auffinden und Holingsworth würde selbst ohne Befehl ein halbes Dutzend Jäger hergegeben haben.

Im schlimmsten Fall gab es im Lager genug Herumtreiber, welche zu einem solchen Dienst angeworben werden konnten. Wir hegten keinen Zweifel, dass unser Kamerad mit Hilfe zurückkehren würde.

Die Zeit ließ sich freilich nicht bestimmt voraussagen. Es konnte vor dem anbrechenden Morgen, vielleicht erst am nächsten Tag oder sogar in der folgenden Nacht geschehen. Aber das hatte nichts zu sagen. Wir konnten unsere Festung acht Tage, noch länger, einen Monat gegen hundert Mann halten. So lange unsere Büchsen den Felsen schützten, konnte kein stürmender Haufen heran, kein unternehmender Mann unseren Felsen erklimmen.

Auch fürchteten wir weder Durst noch Hunger. Denn das Glück war uns günstig, und selbst auf diesem einsamen Gipfel fanden wir die Mittel, unsere Bedürfnisse zu befriedigen.

Als wir über den flachen Gipfel gingen, stießen wir auf riesige Igelkakteen, welche wie Ameisenhaufen oder wie riesige Bienenstöcke auf der Erde wuchsen, hoch gewölbt, fast zehn Fuß im Durchmesser. Garey zog das Messer, schnitt die stachlige Schale heraus, höhlte die Spitze aus und vertiefte die weichere, saftige Masse. Nach Verlauf einer Minute hatten wir an dieser Pflanzenquelle der Wüste unseren Durst gestillt.

Ebenso leicht stillten wir den Hunger. Wie ich vermutet hatte, waren die Bäume mit hellgrünem Laub, die ich aus der Ebene gesehen hatte, Nussfichten, von welchen es in Amerika mehrere Arten gibt, deren Zapfen essbare Samenkörner enthalten. Wir sammelten ein paar Hände voll davon und stillten unseren Hunger.

Mit solchem Proviant für die Gegenwart und solchen Hoffnungen für die Zukunft hatten wir die ohnmächtige Wut unserer Feinde nicht länger zu fürchten. Wir legten uns am Ende der Schlucht nieder, um die ferneren Unternehmungen unserer Gegner zu beobachten und unsere Pferde vor ihrem Angriff zu schützen. Als der Blitz erschien, sahen wir sie noch immer auf der Wache. Vor jedem Posten hielt ein unberittener Mann, während ein Kamerad in dem Zwischenraum auf- und abging. Diese Maßregel war schlau getroffen, dass wir in der Dunkelheit nicht an ihnen vorüberschleichen sollten.

Das Blitzen nahm allmählich ab, und die Zwischenräume zwischen den einzelnen Lichtern wurden immer länger.

Während einer dieser Zwischenzeiten hörten wir den Schall von entfernten Hufschlägen. Es war das Traben von Pferden auf harter Ebene. Der Steppenbewohner unterscheidet leicht den Hufschlag eines belasteten von dem eines ledigen Pferdes. Mein Begleiter erklärte sogleich, die Pferde würden geritten.

Die Mexikaner hatten gleichzeitig mit uns dieselbe Bemerkung gemacht, und zwei von ihnen ritten fort, um zu kundschaften. Dies konnten wir nur hören, denn sechs Fuß von unseren Gesichtern ließ sich in der Dunkelheit kein Gegenstand erkennen.

Obwohl das Geräusch aus bedeutender Entfernung kam, merkten wir doch, dass die Reiter sich dem Felsen näherten. Dieser Vorsatz gab uns noch keinen Anlass zu Hoffnungen. Rube konnte den Flecken noch nicht erreicht haben.

Die neuen Ankömmlinge waren El Zorro und feine Gefährten, die zurückkehrten. Sie kamen heran und begrüßten laut die Mexikaner, während sich die Pferde der beiden Trupps wie alte Bekannte anwieherten.

In diesem Augenblick zeigte sich wieder ein schimmernder Blitz, und wir gewahrten zu unserem Erstaunen nicht allein El Zorro, sondern eine Verstärkung von dreißig Mann. Dies hatten wir aus dem Traben so vieler Hufe vorher gefürchtet.

Diese feindliche Verstärkung ließ uns nicht ohne Unruhe. Jedenfalls würden sie nicht zaudern, die Festung hinter dem Felsen anzugreifen. Sie mussten wenigstens unsere Pferde einfangen. Es waren ihrer fünfzig Mann, und der Trupp, den Rube mitbrachte, konnte für eine solche Macht zu klein sein.

Ein Teil unserer Besorgnisse wurde wieder gehoben. Wir sahen zu unserem Erstaunen, dass vorläufig kein Angriff beabsichtigt wurde. Sie erhöhten die Stärke ihrer Schildwachen und trafen andere Anordnungen zur Fortsetzung der Belagerung. Sie machten es mit uns so, wie die Jäger, die den grauen Bären, den Löwen und den Tiger nicht in ihrem eigenen Lager anzugreifen wagen. Sie fürchteten, dass unsere Büchsen und Revolver eine große Verheerung anrichten würden und wollten uns lieber aushungern. Anders ließ sich wenigstens ihre Absicht nicht erklären.

Nachdem die Mitternachtsstunde vorüber war, hörten die Blitze, welche zuletzt nur in langen Zwischenräumen geleuchtet hatten, gänzlich auf. Ihr unbeständiger Schein wurde von einem dauernden, sanften Licht ersetzt, denn der aufgehende Mond stieg am östlichen Himmel empor. Noch immer schwebten Massen von Wolken am Himmel und zogen langsam über das Gewölbe hin. Doch war das Firmament durch die Zwischenräume zu erblicken. In der blauen Tiefe oder durch die nebeligen Ränder der Wolken zeigten sich die Venus und andere vereinzelte Sterne und Sternbilder. Die Scheibe des Mondes schien hell und zeichnete sich scharf an den dunkeln Wolken ab. Ihre Strahlen übergossen die Steppe, dass das Gras wie bereift aussah.

Kein Nebel war zu sehen. Der Blitz hatte die Luft von den Gasen gereinigt, gekühlt und durchsichtig gemacht. Obgleich der Mond in abnehmendem Licht war, überblickte man doch die Ebene wie eine silberne Fläche nach allen Seiten bis zum Horizont und konnte jeden Gegenstand unterscheiden. Wenn jedoch einzelne schwarze Wolken am Himmel dahinzogen, verursachten sie Zwischenräume, während welcher die Steppe in tiefe Dunkelheit gehüllt war.

Bis jetzt war ich mit Garey am Ende der flachen Schlucht geblieben, in welcher wir den Gipfel erklettert hatten. Hinter uns stand der Mond, und die Mexikaner befanden sich auf der westlichen Seite des Felsens. Der Hügel warf seinen Schatten weit auf die Ebene hinaus, und an dem klar gezeichneten Rand sahen wir die Reihe der nebeneinander aufgestellten Schildwachen. Da wir in dem niedrigen Gesträuch knieten, konnten wir von ihnen nicht gesehen werden, während wir den ganzen plaudernden, rauchenden und singenden Trupp deutlich erblickten.

Nachdem wir sie eine Zeitlang still beobachtet hatten, verließ mich Garey, um den Gipfel zu umgehen und die östliche Seite zu untersuchen. Nach jener Richtung lag die Ansiedlung, und wir konnten, wenn das Pikett noch dort stand, die Reiter bald erwarten. Meine Jäger würden gewiss nicht gezögert haben, wenn sie zu einem solchen Zweck gerufen wurden, und wären unter Rubes Anführung bald im Rücken des Hügels erschienen.

Garey war kaum eine Minute von mir fort, als ein dunkler Gegenstand draußen auf der Ebene meine Blicke auf sich lenkte. Ich glaubte die Gestalt eines Mannes zu sehen. Sie lag flach auf der Erde, gerade wie vorhin der alte Rube. Sie war sicher sechzig Schritte von dem Felsen entfernt und hinter der Linie der Mexikaner, so dass ich sie nicht deutlich sehen konnte. Darauf beschattete eine über die Mondscheibe ziehende Wolke die Ebene und machte den dunklen Gegenstand vollends unsichtbar.

Ich richtete das Auge noch immer auf die Stelle, auf die Rück-kehr des Lichts wartend. Als die Wolke vorüber war, befand sich der Gegenstand nicht mehr an dem früheren Ort, sondern in derselben Stellung wie vorhin, näher bei den Reitern. Er war kaum zwanzig Schritte von der mexikanischen Linie entfernt. Ein Büschel hohen Grases verbarg ihn jedoch vor den Augen der Mexikaner, denn keiner von ihnen gab durch ein Zeichen zu erkennen, dass er ihn bemerkt habe. Ich in meiner hohen Stellung konnte ihn dessen ungeachtet doch sehen. Ich überzeugte mich deutlich, dass es der Körper eines Mannes, und zwar eines nackten Mannes sei, denn er glänzte im Mondschein. Bis jetzt hatte ich gefürchtet, dass es Rube sein könne. Ich wünschte durchaus nicht, dass sich Rube bei seiner Rückkehr auf diese Weise zeige. Er konnte doch nicht allein zurückkommen. Und weshalb sollte er den Spion spielen, da er doch die Stellung unseres Feindes genau kannte? Diese Erscheinung setzte mich daher in Verlegenheit und Zweifel. Der Gedanke jedoch beruhigte mich, dass der nackte Körper nicht Rube sein konnte. Die Haut war von dunklerer Farbe als die des alten Trappers. Rubes Hautfarbe war zwar durch Sonne, Schmutz, Schießpulver, Fett und den Rauch des Steppenfeuers in Kupferbraun verwandelt, wie die eines echten Indianers. Aber ich wusste, dass er sein Hirschleder nie ablegte.

Eine Wolke warf wieder ihren Schatten und ich sah nichts von der liegenden Gestalt. Als der Mond schien, war sie hinter dem Grasbüschel verschwunden. Ich durchforschte den nächstliegenden Boden, ohne sie mehr zu sehen. Weiter hinaus aber sah ich die Gesielt eines vorwärts gebeugten Menschen vorübergleiten. Ich folgte ihr mit den Blicken, bis sie in der Ferne verschwand.

Während ich noch aufmerksam in dieser Richtung blickte, bemerkte ich plötzlich mehrere, ja viele Gesielten, die sich am Rand der Prärie abzeichneten.

»Es ist doch Rube und dies sind dort die Jäger!«, dachte ich.

Ich blickte mit der äußersten Anstrengung hin. Es waren ohne Zweifel Reiter. Aber zu meinem Erstaunen bemerkte ich, dass sie nicht dicht beieinander ritten, sondern in einer langen Linie wie die Glieder einer riesigen Kette. Auf diese Art ritten meine Jäger niemals, ausgenommen in engen Schlachten oder auf Waldwegen.

Jetzt kam mir ein neuer Gedanke, ich hatte zu wiederholten Malen in meinem Leben ein gleiches beunruhigendes Schauspiel gesehen. Diese einfache Linie war mir bekannt, es war eine Bande indianischer Krieger auf dem Kriegspfad, auf dem nächtlichen Marsch.

So war auch das Benehmen des Spions erklärt, es war ein Kundschafter der Indianer. Der Trupp, zu welchem er gehörte, wollte diesem Felsen sich nähern, vielleicht, nur um dort zu lagern. Er war auf Kundschaft vorausgeschickt worden.

Ich konnte nicht erraten, welchen Bericht er überbringen würde. Die Reiter hielten an, um die Rückkehr des Boten zu erwarten. Sie waren so weit entfernt, dass die Mexikaner sie nicht sehen konnten. Einige Augenblicke später entschwanden sie auch meinen Augen auf der dunklen Steppe.

Ich beschloss, wieder den Mondschein abzuwarten, ehe ich mich mit Garey bespräche.

Es dauerte eine Viertelstunde, ehe die Wolke verschwand. Dann sah ich zu meiner Verwunderung eine Anzahl Pferde ohne Reiter auf der Steppe, kaum eine halbe Meile vom Felsen entfernt. Es war kein Reiter zu sehen, und, wie es schien, war es eine Herde wilder Pferde, die während der Dunkelheit herangaloppiert war und jetzt ohne Regung still stand.

Ich richtete meinen Blick auf die ferne Steppe, aber die dunklen Reiter waren nicht mehr zu erblicken, sie mussten außerhalb meiner Sichtweite davongeritten sein.

Eben wollte ich meinen Kameraden aufsuchen und ihm das Geschehene mitteilen, als ich ihn neben mir erblickte. Er war nur den Gipfel herumgegangen, ohne etwas zu bemerken und kehrte nun zurück, um zu erfahren, ob die Mexikaner sich noch immer ruhig verhielten.

»Ho!«, rief er, als er die Pferde erblickte. »Was ist das? Eine Herde wilder Pferde? Es ist wunderbar, dass die Mexikaner sie nicht sehen.«

Gareys Worte wurden durch ein wildes Geheul unterbrochen, welches sich von der mexikanischen Linie hören ließ. Im nächsten Augenblick sahen wir den ganzen Trupp in den Sattel springen und sich in Bewegung setzen.

Wir glaubten anfänglich, dass sie die Herde wilder Pferde entdeckt hätten und aus diesem Grund plötzlich aufgebrochen seien. Zu unserem Erstaunen aber sahen wir, dass wir selbst sie in

Aufregung versetzt hatten, anstatt sich gegen die Ebene zu kehren, ritten die Mexikaner dicht an den Felsen und schossen unter wildem Schrei ihre Karabiner gegen uns los. Unter den Übrigen konnten wir die große Flinte El Zorros erkennen und hörten seine Bleikugel dicht an unserem Ohr vorüberzischen.

Anfangs war es uns rätselhaft, wie sie uns entdeckt hatten. Der Mond war aber höher am Himmel aufgestiegen und der Schatten, den der Hügel warf, allmählich kürzer geworden. Indem wir auf die Pferde hinausblickten, waren wir unvorsichtigerweise stehen geblieben, so dass der Schatten unserer Gestalten auf der Ebene sichtbar geworden war. Unsere Feinde brauchten dann nur aufzublicken, um unseren Standpunkt zu erkennen.

Wir knieten sogleich in dem Gebüsch nieder und ergriffen unsere Büchsen. Durch unser unerwartetes Erscheinen auf dem Felsen hatten unsere Feinde vorläufig ihre gewohnte Vorsicht verloren, und mehrere von ihnen näherten sich auf Schussweite. Es mochten auch einige von den letzten Ankömmlingen sein. In der Dunkelheit konnten wir ihre Gestalten nicht erkennen, aber die eine, welche auf einem Schimmel saß, lenkte die Kugel des Trappers auf sich.

Er zielte und ich hörte das scharfe Knacken. Einen Augenblick später hörte ich ein dumpfes Stöhnen von unten und sah den Schimmel im Mondschein hinausgaloppieren, ohne dass ein Reiter auf seinem Rücken saß.

Abermals zog eine Wolke über den Mond und verhüllte die Ebene unseren Blicken. Eben als Garey lud, ließ sich in der Dunkelheit ein Schrei vernehmen. Er hielt inne und lauschte. Der Ruf wiederholte sich und zwar in dem wilden Ton, welcher nur der Kehle des Indianers eigen ist. Es war unbedingt das Geschrei der indianischen Krieger.

»Es ist der Kriegsruf der Comanchen!«, rief Garey, nachdem er gehorcht hatte. »Hurra! Es ist der Kriegsruf der Comanchen. Die Indianer kommen über sie!«

Während des Geschreis hörten wir das schnelle Traben von Pferden, unter deren schweren Tritten die Erde zu beben schien.

Die Hufschläge näherten sich. Die Indianer griffen die Mexikaner an.

Als der Mond hinter einer Wolke hervortrat, konnten wir nicht länger zweifeln. Auf jedem der wilden Pferde saß ein Indianer, dessen vom Mondschein beleuchteter Körper einen furchterregenden Anblick darbot.

Die Mexikaner saßen jetzt alle im Sattel und zeigten dem unerwarteten Feind die Front, jedoch nicht mit großer Entschlossenheit. Garey behauptete, sie würden dem Angriff nicht standhalten, und er hatte recht.

Als die Wilden sich der mexikanischen Linie auf kaum hundert Schritte genähert hatten, machten sie plötzlich Halt. Dieser Halt dauerte nur einen Augenblick, gerade hinreichend, um die Stellung ihrer Feinde zu erkennen und einen Hagel von Pfeilen abzusenden. Dann flogen sie, die langen Speere schwingend, mit wildem Geheul vorwärts.

Die Guerilleros nahmen sich nur Zeit, ihre Karabiner abzufeuern, aber nicht wieder zu laden. Die meisten von ihnen warfen ihre Gewehre weg, nachdem sie dieselben abgeschossen hatten und machten sich auf die Flucht. Der ganze Trupp kehrte dem Feind den Rücken, setzte die Pferde in Galopp und eilte in schleunigster Flucht um den Felsen herum.

Die Indianer folgten ihnen jedoch schnell mit teuflischem Geheul. Sie wurden noch wütender, da ihnen der verhasste Feind entrinnen wollte. Letzterer war durch uns gewarnt worden. Im anderen Fall hätten die Indianer sie überfallen, als sie außer dem Sattel waren. Dann würde ihr Schicksal ein anderes gewesen sein. Im Sattel und zur Flucht bereit, konnten die meisten von ihnen entrinnen.

Als wir sahen, welche Richtung die Verfolgung nahm, eilten wir nach jener Seite der Felsens hin.

Vom Rand aus konnten wir beide Parteien deutlich erkennen, als sie am Fuß des Hügels vorüberkamen. Beide ritten in einzelnen Gruppen, die hintersten der Mexikaner kaum dreihundert Schritte von den vordersten der Verfolger entfernt. Die Indianer stießen noch immer ihren Kriegsruf aus, während die Mexikaner schweigend, totenstill vor Schrecken, davonritten.

Plötzlich verkündete ein Schrei eines der Mexikaner, ein kurzes, verzweiflungsvolles Zeichen, eine neue Gefahr. Im nächsten Augenblick hielt der ganze Trupp an.

Wir forschten mit Augen und Ohren nach der Veranlassung dieses außerordentlichen Verfahrens. Von der anderen Seite, in einer Entfernung von kaum dreihundert Schritten, galoppierte ein Trupp Reiter heran. Sie wurden gerade vom Monde beschienen, wir konnten ihre Waffen blitzen sehen und ihre lauten Stimmen hören. Die Hufe ihrer Pferde erschollen auf der Steppe und wir erkannten das schwere Traben des amerikanischen Pferdes. Das dumpfe Hurra, welches weder Mexikaner noch Indianer ausrufen, gab uns noch größere Gewissheit.

»Hurra! Die Jäger!«, rief Garey, indem er den Ruf aus voller Kehle erwiderte.

Vom Anblick dieses neuen Feindes betäubt, hatten die Mexikaner einen Augenblick still gehalten, in dem Glauben, es sei ein zweiter Indianertrupp. Der Halt dauerte nur kurze Zeit. Vom schwachen Licht begünstigt, bogen sie links ab und flüchteten in die offene Ebene hinaus.

Als die Indianer sie eine andere Richtung einschlagen sahen, suchten sie ihnen in einer schrägen Linie zuvorzukommen. Aber die herankommenden Jäger machten eine ähnliche Bewegung und die Wilden und Amerikaner ritten jetzt in einem Winkel aufeinander los.

Die Finsternis vergrößerte sich jetzt, denn der Mond, der ein paar Minuten lang schwach geschienen hatte, wurde plötzlich von einer Wolke völlig verdunkelt. Wir konnten nichts mehr vom Kampf sehen, aber wir hörten die feindlichen Trupps zusammenstoßen. Wir vernahmen das Kriegsgeschrei der Indianer, vereinigt mit den Rufen der Jäger. Wir hörten das Krachen der Büchsen und den Knall der Revolver, das Klirren der Säbelklingen, den Klang zerbrochenen Stahls, das Wiehern der Pferde, dumpfes Siegesgeschrei und schmerzliches Stöhnen der Gefallenen.

Mit ängstlichem Herzen und gespannten Nerven standen wir auf dem Felsen, den furchtbaren Tönen lauschend.

Es dauerte nicht lange. Der Kampf war bald vorüber. Als der Mond schien, erblickten wir ausgestreckte Gestalten von Menschen und Pferden auf der Erde liegen.

Fern im Süden sahen wir einen dunklen Flecken am Rande der Steppe verschwinden. Es waren die feigen Mexikaner. Im Westen galoppierten einzelne Reiter oder zerstreute Gruppen davon. Das Triumphgeschrei, welches vom Kampfplatz zu uns heraufdrang, verkündete jedoch, dass die Jäger Herren des Schlachtfeldes geblieben waren.

»Wo bist du, Bill?«, rief eine Stimme am Fuße des Felsens, welche wir beide erkannten.

»Hier bin ich«, antwortete Garey.

»Nun, ich glaube, wir haben es den Indianern gut gegeben, aber die Gelbhäute sind davongekommen.«

Der Kampf hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert. Das ganze Gefecht glich einem Mondscheintraum, durch das Zwischenspiel in der Dunkelheit unterbrochen. Die Bewegung der Personen, die sich daran beteiligten, war so schnell gewesen, dass nach dem ersten Feuer keine Büchse wieder geladen wurde. Die Mexikaner mussten bei dem indianischen Kriegsruf ihre Gewehre verloren haben, denn der Boden war mit Karabinern und Lanzen wie gesät. Unter der Beute befand sich auch El Zorros große Flinte.

Trotzdem war doch das Gefecht sowohl für die Mexikaner als auch für die Indianer verhängnisvoll gewesen. Fünf von den Mexikanern waren umgekommen, und eine doppelte Zahl von Indianern lag ebenfalls leblos auf der Ebene. Die Mexikaner lagen am Fuß des Felsens, wo sie bei dem ersten Feuer der Jäger gefallen waren. Die Indianer befanden sich weiter hinaus auf der Ebene und waren von aufeinanderfolgenden Revolverschüssen gefallen. Sie mochten vielleicht von dieser Waffe gehört, vielleicht auch einen Revolver zuweilen in der Hand eines Trappers oder Reisenden gesehen haben. Es war aber das erste Mal, dass sie mit einem Trupp Männer zusammentrafen, welche von einer so furchtbaren Waffe

ernsten Gebrauch machten. Aber auch die Jäger hatten den Kampfplatz nicht ohne Schaden verlassen. Zwei waren, von Speeren der Comanchen durchbohrt, tot aus dem Sattel gestürzt. Mehr als ein Dutzend hatten schwere Pfeilwunden erhalten.

Während Quackenboß den Felsen erkletterte, besprach ich mit Garey die seltsamen Ereignisse, welche wir beobachtet hatten. Von unten her erhielten wir außerdem noch mancherlei Erklärungen. Wie uns der Kriegsruf bereits gelehrt hatte, waren die Indianer eine Bande Comanchen. An diese Stelle waren sie durch bloßen Zufall gelangt. Es war ein Kriegertrupp auf der Kriegsfährte, mit der Absicht, eine reiche mexikanische Stadt auf der anderen Seite des Rio Grande, etwa zwanzig Meilen von der Niederlassung, zu plündern. Ihre Kundschafter hatten die Reiter am Felsen entdeckt und als Mexikaner erkannt. Diese Feinde sieht der stolze Comanche mit der größten Verachtung an. Aber die mexikanischen Pferde mit den silberbeschlagenen Sätteln, die bunten Decken aus feinem Tuch, die mit silbernen Knöpfen besetzten Beinkleider, die übrigen Kleidungsstücke und Waffen waren in seinen Augen nicht so verächtlich. Der Angriff wurde daher gemacht, um diese Dinge zu erbeuten, obgleich der alte Hass gegen das spanische Geschlecht und das Verlangen, sich für das ihnen zugefügte Unrecht zu rächen, die Indianer schon überdies zu einem feindlichen Angriff veranlassen konnte. Wir erfuhren dies alles von einem verwundeten Krieger, der sich bei genauer Untersuchung als ein ehemaliger mexikanischer Gefangener zu erkennen gab.

Das Übrige ließ sich noch leichter erklären. Rube hatte, wie wir voraussetzten, die Niederlassung glücklich erreicht und, nachdem er seine Geschichte erzählt hatte, waren fünfzig Jäger, Holingsworth an der Spitze, schnell zu dem Felsen geritten. Rube hatte sie mit seiner gewöhnlichen Klugheit geführt. Sie waren ebenso wie die Indianer während der Dunkelheit geritten, aber in entgegengesetzter Richtung herangekommen. Um die Mexikaner zu überraschen, hatten sie den Hügel zwischen sich und ihren Feinden behalten. So hatten sie sich bis auf die nötige Entfernung zu einem Angriff genähert, als sie den Kriegsruf der Wilden hörten und die fliehende Bande trafen. Die Voraussetzung, dass alle, welche von dort kamen, Feinde sein müssten, führte sie auf die herankommenden Reiter. Sie galoppierten dann weiter und standen den bemalten Indianern in der Ebene gegenüber. Die Überraschung, welche dies unerwartete Zusammentreffen sowohl bei den Jägern als auch bei den Indianern veranlasste, begünstigte die feigen Guerilleros. Während des kurzen Halts und des darauf folgenden Kampfgewühls galoppierten sie davon und entgingen der Verfolgung.

Wären die Jäger nicht gekommen, so würden die Indianer uns jedenfalls von unseren Feinden befreit haben. Ich wäre mit meinem Gefährten unentdeckt geblieben, aber wir würden unsere kostbaren Pferde verloren haben. Jetzt schwangen wir uns bald in den Sattel und ritten, von jeder Gefahr befreit, der Niederlassung zu.

Wheatley ritt an meiner Seite. Holingsworth blieb mit einem Trupp zurück, um die Beute aufzulesen und unsere unglücklichen Kameraden zu bestatten. Ehe wir fortritten, wandte ich mich um und betrachtete einen Augenblick den Kampfplatz. Holingsworth stand auf der Ebene. Dann ging er zwischen den Leichen der fünf Mexikaner umher und drehte sie nacheinander nur, dass der Mond ihre bleichen Gesichter beschien. Er bewegte sich so seltsam und ernst, dass man glauben konnte, er wolle einen gefallenen Freund aufsuchen oder er sei ein umherstreifender Räuber, der die Leichen plündern wollte. Es war keins von beiden der Fall. Er suchte einen Feind. Er fand ihn nicht. Nachdem er die Gesichtszüge der fünf Männer betrachtet hatte, wandte er sich gleichgültig von dem Ort ab.

»Was gibt’s Neues, Wheatley?«, fragte ich.

»Neuigkeiten, Captain? Großartige Neuigkeiten. Es heißt, wir könnten Mexiko auf dieser Linie nicht erreichen und sollten daher alle abberufen und in einem Hafen weiter unten am Meerbusen, ich glaube in Veracruz, eingeschifft werden.«

»Ah! Das ist wahrlich eine großartige Neuigkeit. Was sagt man von mir?«, fragte ich.

»Von Ihnen, Captain? Was glauben Sie denn, das man von Ihnen sagen sollte?«

»Ist nicht in meiner Abwesenheit von mir gesprochen worden?«

»Nein, wenigstens nicht im Hauptquartier, denn dort hat man Sie gar nicht vermisst.«

»Das ist eine gute Nachricht.«

»Holingsworth und ich glaubten, Ihnen keinen besseren Dienst zu leisten, als wenn wir die Sache verschwiegen, bis wir die Überzeugung hätten, dass Sie wirklich tot wären. Wir hatten noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, denn der Mexikaner, welcher Sie geführt hatte, brachte die Nachricht zurück, es seien Ihnen zwei Trapper nachgegangen. Aus seiner Beschreibung erkannte ich den alten seltsamen Burschen Rube und war überzeugt, dass er imstande sein würde, Sie zu finden, wenn noch etwas von Ihnen übrig wäre.«

»Sie haben wohl gehandelt, mein Freund, und ich danke Ihnen dafür! Durch Ihre Vorsicht wird mir viel Unangenehmes erspart werden. Gibt es sonst noch Neuigkeiten?«

»Nein«, sagte Wheatley, wenigstens keine, die der Rede wert wären. Doch etwas«, fuhr er nach einer Pause fort. »Sie erinnern sich der schurkischen Viehhirten, die sich im Dorf umhertrieben, als wir ankamen? Nun, sie sind alle so plötzlich verschwunden, dass auch nicht einmal ein Fettflecken von ihnen übrig geblieben ist. Man kann durch die ganze Ansiedlung gehen, ohne einen Mexikaner anzutreffen, ausgenommen Frauen und Greise. Der Alkalde, den ich fragte, wohin sie gegangen seien, schüttelte nur den Kopf. Sie sind natürlicherweise zu einer Guerrillabande gestoßen, und es sollte mich sehr wundern, wenn sie sich nicht in dem Trupp befänden, den wir eben verjagt haben. Ganz gewiss! Holingsworth hat, wie ich gesehen habe, die fünf Toten untersucht und er wird uns sagen können, ob er einen alten Bekannten darunter gefunden hat.«

Ich wusste mehr über die Sache als Wheatley und gab ihm über die Mexikaner und ihren Anführer die nötige Erklärung.

»Das dachte ich mir wohl! Rafael Ijurra! Jetzt wundert es mich nicht, dass Holingsworth sich so schnell zum Aufbruch bereit machte und den Hügel nicht schnell genug erreichen konnte. Ei, wie töricht sind wir gewesen, dass wir die Burschen davonkommen ließen! Wir hätten jeden einzelnen von ihnen gleich an Ort und Stelle aufhängen sollen. Ja, das hätten wir tun sollen!«

Wir ritten einige Minuten schweigend weiter. Ich stand zwanzig Mal im Begriff, zu fragen, hoffte aber, Wheatley würde es mir selber mitteilen. Da er jedoch ein peinliches Stillschweigen beobachtete, forschte ich ihn endlich mit gleichgültiger Miene aus, indem ich fragte, ob uns niemand aus dem Lager auf dem Posten besucht hätte?

»Keine Seele«, antwortete er, wieder in Gedanken versinkend.

»Ist gar kein Besuch dagewesen? Hat niemand nach mir gefragt?«

»Nein«, antwortete er. »Doch halt! – Ja! Man hat nach Ihnen gefragt«, setzte er mit eigentümlichem Lächeln hinzu.

»Und wer?«, fragte ich, scheinbar in gleichgültigem Ton.

»Das kann ich gerade nicht sagen«, entgegnete der Lieutenant in heiterem Ton. Aber man scheint sich gewaltig um Sie beunruhigt zu haben. Ein mexikanischer Bursche ist unzählige Male hin- und hergelaufen. Er war offenbar von jemandem geschickt worden, aber er war verschwiegen und wollte nicht sagen, wer ihn schicke und was er wolle. Er fragte nur, ob Sie zurückgekehrt wären und schien immer sehr niedergeschlagen, wenn man es verneinte. Er kam und ging immer auf dem Weg, der zu der Hazienda führt. Wir hätten den Burschen als Spion festnehmen können«, fuhr Wheatley in spöttischem Ton fort, »aber wir glaubten, er sei von einem Ihrer Freunde geschickt worden.«

Mein Lieutenant Schloss mit besonderem Nachdruck und ich konnte im Mondschein ein Lächeln auf seinem Gesicht sehen. Ich war nicht in der Stimmung, dies übel zu nehmen. Mein Kamerad

hätte sich in diesem Augenblick jede Freiheit nehmen können. Ich ritt in dem festen Bewusstsein zurück, dass ich von Isolina nicht vergessen sei.

Nach kurzer Zeit erblickten meine Augen die vergoldete Wetterfahne der kleinen Kapelle. Darunter zeigten sich, mild vom Mondlicht beleuchtet, die weißen Mauern der Hazienda.