Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Freibeuter – Das unterbrochene Hoffest

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 11

Einige Tage darauf fand die Vorstellung des Brautpaars bei Hofe statt. Eine zahlreiche Versammlung schmückte die Hallen und Säle des königlichen Schlosses. Der König wollte in der Pflegetochter des Vizestatthalters von Norwegen ihn selber ehren, ebenso die Königin ihre Hofdame, und so kam es, dass beide Herrscherhäuser Dänemarks sich ereiferten, diesen Tag mit Glanz zu erfüllen. Die Zeremonie war vorüber, und Palmerston versuchte aufzuatmen. Er glaubte damit die Last, die ihm die Brust schwer bedrückte, abwälzen zu können. Aber er vermochte es nicht, vielmehr wurde das dumpfe Bangen seiner Seele zu quälender Angst.

Der König stand in der Mitte mehrerer Hofherren, der Kronprinz in der Nähe. Der Erstere winkte Palmerston heran und sagte: »Haben Ew. Lordschaft nicht Lust, Ihre Kräfte unserem Staat zuzuwenden, und vielleicht – da Sie, wie wir vernommen haben, schon Soldat in Diensten Ihres Vaterlandes waren, – dänische Uniform zu tragen?«

»Die Gnade Ew. Majestät würde mich hoch beglücken«, versetzte der Angeredete ehrerbietig, »wenn nicht eine sehr geschwächte Gesundheit mich nötigte, mich auf die Stille des Landlebens zu beschränken.«

»Ew. Lordschaft befürchten vielleicht, als dänischer Soldat gegen eine Sache fechten zu müssen, die den Interessen Ihrer Person zuwider ist?«

»Ich wüsste nicht, welche Interessen meine Person haben könnte, die ich nicht willig und mit Freuden den Interessen Ew. Majestät und höchstdero Staaten aufopferte, an welche mich die Bande der Liebe und Freundschaft, der gegenseitigen Achtung und Zuneigung schon lange binden, an welche mich die heiligen Bande des Blutes bald binden werden. Dänemark ist mein zweites Vaterland geworden. Das werde ich nie vergessen.«

»Ihre Sprache ist schön, Mylord. Doch wissen wir ja alle und Sie haben es nie geleugnet, dass Sie ein eifriger Anhänger der Stuartischen Partei sind und als Jacobit Ihr Vaterland meiden. Wir wissen, dass Sie den Prätendenten auf seinem abenteuerlichen Zug nach Schottland folgten und erst, nachdem er dort geschlagen worden war, betraten Sie die dänische Küste.«

»Dies alles verhält sich so, wie Ew. Majestät sagen. Doch schließt meine alte Anhänglichkeit an das Haus Stuart in England nicht die Treue aus, die ich dem König Dänemarks in meinem neuen Vaterland zolle.«

»Wie aber dann«, sagte der König lächelnd, »wenn die romantischen Hoffnungen des sogenannten Prätendenten auch nur zum Teil in Erfüllung gingen, wenn unser nachbarlicher Abenteurer, der schon einmal den rechtmäßigen König von Polen vertrieb und einen Parvenü, der ihm zu gefallen gewusst hatte, auf den polnischen Thron setzte, dieses quasi Königs halber blutige Kriege führte, der, um seine abgeschmackten Pläne durchzusetzen, sich selbst mit dem Erbfeind der Christenheit verband, der toll genug ist, die halbe Welt zusammenzurütteln und dann, dem lieben Herrgott selbst ins Handwerk pfuschend, wieder Ordnung herstellen will. Wenn unser Nachbar Karl, der sich gern den nordischen Löwen titulieren lässt, seinen Plan durchzusetzen gedenkt, der uns aus den abgefangenen Papieren des Grafen Görz klar geworden ist, nämlich sich mit Russland zur Wiedereinsetzung des Prätendenten zu verbinden, den englischen König, unseren vielgeliebten Bruder Georg zu verjagen, was würdet Ihr tun, da wir uns offen für die unbestreitbaren Rechte des Hauses Hannover erklären und zu seiner Erhaltung das Schwert ziehen würden?«

»Ich würde ruhig auf meinem Besitztum bleiben, weil, wie ich Ew. Majestät schon untertänigst bemerkte, meine geschwächte Gesundheit mir nicht erlaubt, mich auf die eine oder auf die andere Seite zu stellen, obgleich ich Ew. Majestät offenherzig bekenne, dass mir die Rechte des Hauses Hannover auf den englischen Thron nie recht einleuchten werden.«

»Die Gerüchte, die über dieses sogenannten Prätendenten Geburt und Herkommen im Umschwung gewesen sind, können Ihnen nicht unbekannt sein, und wenn Sie auch zu jung sind, um sich zu erinnern, wie der größte Teil des englischen Volkes an der Rechtmäßigkeit seiner Geburt zweifelte, so sind diese Stimmen doch späterhin keineswegs so ganz verstummt, dass nicht etwas davon zu Ihren Ohren gedrungen sein sollte.«

»Ich erinnere mich des etwas einmal gehört zu haben«, versetzte Palmerston mit nicht zu verbergender Verlegenheit, »doch schien mir die Sache zu märchenhaft – sie kam vielleicht ganz entstellt zu meinen Ohren, dass ich gar nicht darauf reflektierte. Was können mächtige Feinde nicht alles ersinnen und bewerkstelligen!«

»Dies ist hier nicht der Fall, Mylord. Sie können auf mein königliches Wort versichert sein, dieser sogenannte Prätendent ist nichts weiter als der Sohn eines ehrlichen Müllers, der so gut war, dem lieben König Jacob aus einer großen Verlegenheit zu helfen.«

»Eure Majestät Wort darf keinen Zweifel in mir aufkommen lassen«, sagte der Lord in großer Bewegung. »Doch sollte die edle Königin Maria in einen solchen Betrug eingewilligt haben?«

»Sie war gezwungen. Und können sie leugnen, dass die verwitwete Königin durchaus keine Liebe und Anhänglichkeit an diesen Prätendenten zeigt? Sie wohnt in St. Germain, er in Bar. Sie kommen nicht zusammen. Die unglückliche Mutter sollte nicht nach ihrem einzigen Kind verlangen? Und so ist’s stets gewesen. Die königliche Mutter schweigt aus Klugheit. Ihr Herz hängt nicht mehr an irdischen Dingen, es fliegt ihrem geschiedenen Gatten und Sohn nach.«

»Also hat sie doch einen Sohn«, bemerkte Palmerston und trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

»Es war gerade in dem höchst kritischen Zeitpunkt, dass König Jacob die Krone auf seinem Haupt wanken fühlte, als man ihm die Botschaft hinterbrachte, die Königin sei gesegneten Leibes. Da blühte seine ganze Zuversicht in der Hoffnung auf einen Prinzen wieder auf. Ein Thronerbe, so schloss er, werde ihm die Krone erhalten und das Volk beruhigen. Aber die Königin wurde von einer zu frühen Geburt überrascht. Ein Prinz war’s, doch so schwächlich, dass man jeden Augenblick seinen Tod erwarten musste. Der Leibarzt und die Wehmutter boten alles auf, dies wichtige Kind zu erhalten, der König war außer sich. Er hatte die Gewährschaft seiner Krone in den Händen. Der Gedanke, sie sich wieder entrissen zu sehen, war ihm unerträglich. Da gab ihm die Furcht vor einem leicht einzutretenden unglücklichen Ereignis den verzweifelten Gedanken ein, sich in Vorsorge ein Knäblein zu verschaffen. Die Frau eines in der Nähe wohnenden Müllers hatte kurz vorher ein solches geboren, der König gab viel Geld dafür. Das Kind wurde gebracht, und der Prinz verschwand. Man hat später sogar einige Male behauptet, dieser rechtmäßige Erbe des Namens Stuart und der Ansprüche auf die großbritannische Krone sei damals nicht gestorben, und der König sei nur durch seinen schnellen Tod abgehalten worden, ihn anzuerkennen, doch ist das wohl nur eine Fabel. Der König hätte ja später die Kinder wieder vertauschen können.«

»Vielleicht hielt ihn die fortdauernde Kränklichkeit des wahren Prinzen davon ab, und wenn er es später hätte tun wollen, als die Verstandeskräfte beider Kinder schon gereift waren, so hätte der König gar leicht als Betrüger seines Volkes entlarvt werden können.« Diese Worte sagte Palmerston mit auffallender Hast.

»Die Geschichte scheint Ihnen so gut wie uns selbst bekannt zu sein«, sagte der König verwundert.

»Ich nahm nur den möglichen Fall an.«

Nun nahm der Kronprinz, der herangetreten war und die Erzählung des Königs mit angehört hatte, das Wort und sagte höhnisch: »Ew. Majestät kann versichert sein, dass Mylord von dieser wunderlichen Geschichte mehr weiß, als irgendein anderer Mensch wissen kann.«

Diese Worte bereiteten Palmerston eine solche Bestürzung, dass ihm die Sinne zu vergehen drohten.

»Wie versteht Ew. Hoheit das?«, fragte der König seinen Sohn. Die Blicke der umstehenden Hofherren hingen erwartungsvoll am spöttisch verzogenen Mund des Thronerben, und es hatten sich viele versammelt.

»Lord Palmerston oder Herr Joseph Flaxmann, wie er sich auch nennt, oder wie sich dieser Mann sonst noch nennen mag, ist mit den geheimen Künsten, als da sind: Zauberei, Hexerei, Wahrsagerei, Kuriererei durch Sympathie und was dergleichen Teufeleien mehr sind, vertraut. Ew. Majestät weiß gar nicht, welch einen brauchbaren Mann sie für die dänischen Staaten geworben hat.«

»Ich … weiß … nicht …«, stammelte Palmerston vernichtet.

»Ihr wisst nicht? Wohlan, so sollt Ihr hören, was ich weiß!«, rief der Kronprinz. »Ich weiß, dass Ihr Euch in Hamburg als ein liederlicher Geselle in schlechten Kneipen herumgetrieben, Euer Geld verspielt, durch böse Künste Euch anderes verschafft, Euch zum dänischen Soldaten habt werben lassen, dann das Schiff, auf welchem Ihr mit anderen Rekruten nach Kopenhagen übergesetzt werden solltet, einem schwedischen Kaper in die Hände gespielt habt. Ich weiß, dass Ihr in Stockholm den Kammerdiener einer reichen Engländerin umgebracht und die Dame selbst durch einen Pistolenschuss lebensgefährlich verwundet habt. Ich weiß, dass Ihr Euch durch Magie aus dem Gefängnis befreit, dass Ihr das Herz des schwedischen Königs durch gottlose Mittel betört und ihm gelobt habt, nach Dänemark zu gehen, Euch hier durch Heirat einzunisten, hier den Spion zu machen und Dänemark an Schweden zu verraten. Ich weiß ferner, dass Ihr in Holland im Gefolge des Grafen Görz gewesen und mit ihm in der Staatskarosse gefahren seid. Ich weiß, dass Ihr mit Russland zu Dänemarks Verderben in Verbindung steht. Ich weiß, dass Ihr Boten an den Schwedenkönig absendet und empfangt. Ich weiß, dass Ihr als ein Bettler in Jütland todkrank angekommen und in der Nacht in einer Schänke gestorben seid. Man hat Eure Leiche fortgetragen, um sie am anderen Morgen zu begraben, da ist sie verschwunden. Und hier seid Ihr wieder als englischer Lord aufgetreten. Das weiß ich, und Euer Aussehen bestätigt die Wahrheit.«

Der ganze Hof hatte sich während der heftigen Rede des Kronprinzen herbeigedrängt, bei den letzten Worten desselben stob aber alles auseinander, die Frauen mit einem Entsetzensschrei, fürchtend, der Engländer möchte ein Gespenst sein. Und wirklich konnte des Lords erdfahle Farbe, sein erloschenes Auge und sein Zusammensinken die Gespensterfurcht der entsetzten Hofdamen entschuldigen.

Alles rannte durcheinander.

»Schafft mir dies Ungeheuer aus den Augen!«, rief der König und entfernte sich eilig.

Palmerston stürzte besinnungslos auf den Boden, Christine eilte schreiend herbei, aber alles, was Leben hatte, floh wie vor der Pest. In wenigen Augenblicken waren die Säle leer und nur einzelne Diener liefen mit scheuen Schritten vorüber. Da lag der Unglückliche in starrer Ohnmacht und kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn, während die verzweifelte Liebe Tränen der Angst und des Mitleids über ihn weinte. Die arme Braut wusste selbst nicht, wie lange sie in dieser Lage zugebracht hatte, als die Tür aufging und Friederike ernst und festen Schrittes hereintrat.

»Du Sohn des Unglücks«, sprach sie feierlich, »dir wäre besser, du wärst im ersten Bad gestorben. Was sollst du auch unter diesen Menschen? Die Lüge hat dich gesäugt, das Mistrauen dich genährt, die Falschheit dich erzogen. Nun zeigen sie sich in ihrer wahren Natur und geißeln dein Herz mit Dornen. Doch kommt, Ihr zwei gedrangsalten Menschen an meine Brust, voll Mitgefühl für Euch, voll Hass gegen jene!« Und sie nahm den Ohnmächtigen auf, als wäre er ein schlafendes Kind und trug ihn aus dem königlichen Palast. Christine folgte in halber Bewusstlosigkeit. Draußen standen Diener mit einer Sänfte. Palmerston wurde hineingehoben und in sein Gartenhaus gebracht, um welches der Frühling all seinen Schmuck gelegt hatte. Aber der bleiche Jüngling sah nichts von der Herrlichkeit. Er war zwar zu sich selbst gekommen, aber die Stimme der Natur hatte ihre Gewalt über ihn verloren. Er sah nicht die Kränze, die die allliebende Mutter ihm zum Trost und zur Entschädigung entgegenhielt. Er fühlte nichts von den sanften Gefühlen, die der Mai gewährt. Seine Seele gehörte den Mächten, die Hass und Verderben brüten.