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Der Welt-Detektiv Band 6

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John Tanner – Das Leben eines Jägers 26

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Herr Henry hatte sich etwa zehn Jahre lang in Pembina als Handelsmann aufgehalten. Sein Nachfolger war ein Herr Mackenzie, der aber nur eine kurze Zeit blieb, worauf Herr Wells kam, dem die Indianer den Beinamen Gah-se-moan (das Schiff) gaben, denn er war sehr dick und rund. Dieser Mann legte am Ufer des Red River, dicht bei der Mündung des Assiniboine River, ein Festungswerk an, das sehr wohl imstande war, eine Belagerung auszuhalten. Die Hudsonbay-Compagnie hatte damals keine Posten in jener Gegend, und die Indianer sahen bald ein, wie vorteilhaft für sie die Eifersucht und Konkurrenz beider Pelzhandelsgesellschaften gewesen war.

Zu Beginn des Winters rief Herr Wells uns alle zusammen, gab den Indianern zehn Gallonen Rum nebst etwas Tabak und tat ihnen zu wissen, dass er keinem etwas borgen würde, und wäre es auch nur der Wert einer Nadel. Wer ihm Pelzwerk bringe, der würde Absatz finden und solle dafür alles bekommen, was ihm während der kalten Jahreszeit notwendig wäre. Ich war damals, als er den Indianern diese Eröffnung machte, nicht zugegen. Als sie mich davon in Kenntnis setzten, wollten sie mir meinen Anteil an jenen Geschenken zukommen lassen. Ich mochte aber nichts davon und tadelte meine Gefährten, dass sie sich so erbärmlich benommen hatten und solche Bedingungen eingegangen wären.

Seit einer langen Reihe von Jahren war es üblich gewesen, dass die Handelsleute ihnen, sobald die Blätter abgefallen waren, einen Kredit gaben. Da sie einen solchen nun nicht erhielten, so fehlte es ihnen an allem, an Kleidungsstücken und Schießbedarf. Einige hatten sogar weder Gewehr noch fallen. Wie konnten nun diese Leute, ohne wie bisher von den Handelsleuten unter die Arme gegriffen zu werden, mit ihren Familien leben? Der strenge Winter stand vor der Tür. Einige Tage darauf ging ich zu Herrn Wells, sagte ihm, ich sei arm, hätte ganz allein eine zahlreiche Familie zu ernähren und würde ohne Zweifel viel zu leiden haben, ja vielleicht ein Opfer des Todes werden, wenn er mir nicht so viel Kredit gäbe, wie ich bisher um diese Jahreszeit immer erhalten hätte.

Er aber hörte meine Vorstellungen gar nicht an und rief barsch, ich möchte mich von ihm fortpacken. Da legte ich acht jener silbernen Biber, welche die Frauen als Putz und Schmuck zu tragen pflegen, vor ihm auf den Tisch hin. Sie hatten mich im vorigen Jahr viel gekostet. Davon bot ich ihm einen zum Tausch an, oder wenn er das nicht wollte, so möchte er sie alle als Pfand zurückbehalten, bis ich imstande wäre, ihm Pelzwerk zu bringen. Er nahm die wertvollen Sachen, warf sie mir ins Gesicht und sagte, ich sollte nie wieder einen Fuß über seine Schwelle setzen. Die strenge Kälte war damals noch nicht eingebrochen. Also ging ich unverzüglich auf die Jagd, und schoss mehrere Moosetiere, deren Häute von meiner Frau so zubereitet wurden, dass wir uns Winterkleider daraus machen konnten, denn auf die Decken und Wollzeugs, an welche uns die Handelsleute gewöhnt hatten, musste ich wohl verzichten.

Ich war auf der Jagd fortwährend erfolgreich und vernahm endlich mitten im Winter, dass Herr Hanie, Agent der Hudsonsbay-Compagnie in Pembina angekommen sei. Ich machte mich unverzüglich auf, um ihn zu besuchen, und er gab mir soviel Kredit, wie ich nur verlangte. Ich nahm diesen für einen Wert von 70 Pelzen und begab mich darauf an den Muskrat River, wo ich bis zum Frühling jagte und eine große Anzahl an Mardern, Bibern, Ottern sowie anderen Tieren fing.

Im Frühjahr ließ ich Herrn Hanie durch einige Indianer sagen, ich hätte eine hinlängliche Menge von Pelzwerk beisammen und würde ihm an der Mündung des Assiniboine River meine Schuld abtragen. Als ich mich dort einfand, war er noch nicht da. Ich blieb aber, um auf ihn zu warten, und zwar dem Kontor des Herrn Wells gerade gegenüber. Ein alter Franzose bot mir Obdach in seinem Haus. Ich ging dorthin und legte alles Pelzwerk auf der mir angewiesenen Schlafstelle nieder. Als Herr Wells erfuhr, dass ich anwesend war, schickte er dreimal nach mir und ließ mir sagen, er wolle mich gern sprechen. Endlich gab ich den Vorstellungen seines Schwagers nach und setzte mit diesem über den Fluss.

Herr Wells schien sehr zufrieden, dass ich ihn besuchte, behandelte mich mit ausnehmender Höflichkeit und bot mir Wein sowie vieles andere an, das er zu geben imstande war. Ich hatte aber kaum ein wenig Tabak genommen, da sah ich seine Franzosen mit meinem Pelzwerk ankommen. Sie legten es in meiner Gegenwart in Herrn Wells Schlafzimmer nieder, und dieser steckte darauf den Schlüssel in die Tasche. In demselben Augenblick ließen auch seine Höflichkeit und sein zuvorkommendes Wesen nach. Anfangs sagte ich kein Wort, war aber sehr betroffen, weil es mir schwer aufs Herz fiel, dass ich nun dem Herrn Hanie meine Schuld nicht würde entrichten können. Auch ärgerte es mich sehr, dass ich mich ohne meine Zustimmung und mit Gewalt meines Eigentums beraubt sah. Ich ging jetzt rund um das Haus und benutzte eine günstige Gelegenheit, um mich in die Schlafkammer zu schleichen, während Herr Wells etwas aus einem Koffer hervorholte. Erst sagte er, ich sollte hinausgehen, und wollte mich darauf aus der Tür werfen. Ich war aber zu stark für ihn. Als nun die Sachen einmal soweit gediehen waren, nahm ich keinen Anstand, mich meiner Ballen zu bemächtigen. Er riss sie mir weg, ich packte sie wieder, und als während dieses Hin- und Herzerrens die Stricke auseinandergingen, fielen die Pelze auseinander. Während ich sie zusammenraffte, ergriff er eine Pistole, lud sie und richtete diese gegen meine Brust. Ich stand einige Augenblicke bewegungslos da, denn ich war fest überzeugt, dass er in seiner äußersten Wut mich erschießen würde. Da aber packte ich ihn am Handgelenk, wandte die Waffe zur Seite, zog ein großes Messer aus meinem Gürtel und hielt es in der Rechten, während ich ihn mit der Linken festhielt. Als er sich so ganz unvermutet in meiner Gewalt sah, rief er erst seine Frau, darauf seinen Dolmetscher herbei, und sagte, sie sollten mich aus dem Haus werfen.

Der Dolmetscher entgegnete ihm aber: »Das können Sie eben so gut wie ich.«

Auch einige Franzosen, welche bei diesem Zank gegenwärtig waren, verweigerten ihm ihre Unterstützung. Da er nun endlich sah, dass er mich weder einschüchtern noch meiner habhaft werden konnte, so nahm er noch einmal zu gütlichen Mitteln seine Zuflucht. Er wolle mit mir teilen, und dann könnte ich ja die Hälfte meines Pelzwerks den Agenten der Hudsonsbay-Compagnie überlassen.

»Du hast immer zur Nordwest-Compagnie gehört. Weshalb willst du uns jetzt verlassen, und zur Hudsonsbay-Compagnie gehen?«

Darauf fing er an die Häute zu zählen und teilte sie in zwei Haufen.

Ich sagte aber, das wäre alles ganz überflüssig, denn ich sei fest entschlossen, ihm nicht eine Einzige zu lassen. »Ich bin während des letzten Blätterabfalles zu dir gekommen«, sagte ich ihm. »Als ich hungrig war, und mir alles fehlte, da hast du mich wie einen Hund von deiner Tür weggestoßen. Den Schießbedarf, womit ich diese Tiere dort erlegt habe, gab mir Herr Hanie auf Kredit, und ihm gehören die Felle. Wäre dem aber auch nicht so, dann würde ich dir doch nicht ein Einziges ablassen. Du bist ein elender Mensch, hast nicht soviel Mut wie ein Kind. Wenn du auch nur ein Weiberherz hättest, so würdest du deine Pistole nicht gegen mich gerichtet haben, ohne abzudrücken. Mein Leben stand in deiner Gewalt. Nichts hinderte dich, es mir zu nehmen, nicht einmal die Furcht vor meinen Freunden, denn du weißt wohl, dass ich ein Fremdling unter den Indianern bin, und niemand sich erheben würde, um für meinen Tod Rache zu nehmen. Du hättest meinen Leichnam wie den Körper eines Hundes in den Strom werfen können, und niemand hätte von dir Rechenschaft verlangt. Aber es fehlte dir der Mut dazu.«

Er fragte, ob ich nicht ein Messer in der Hand hielte. Und ich wies ihm deren zwei, ein kleines und ein großes. Dabei sagte ich, er sollte sich wohl hüten, dass er mich nicht reizen solle, Gebrauch davon zu machen. Endlich, des Streites müde, setzte er sich in dem großen Gemach, mir gerade gegenüber, hin. Es war ein beträchtlicher Raum zwischen uns beiden, aber dennoch hörte ich deutlich sein Herz klopfen, so aufgeregt war er. Er blieb eine Weile sitzen, und trat dann vor die Tür, um draußen etwas auf- und abzugehen. Ich nahm mein Pelzwerk. Der Dolmetscher war mir beim Zusammenbinden desselben behilflich. Ich lud es auf meine Schultern und ging gerade auf Herrn Wells zu. Darauf legte ich alles in mein Kanu und fuhr über den Strom, um mich zu der Wohnung des alten Franzosen zu begeben.

Am anderen Morgen schien Herr Wells eines Besseren beraten zu sein und verzichtete auf alle heftigen Maßregeln. Er schickte nämlich seinen Dolmetscher herüber und ließ mir sein Pferd anbieten, wenn ich das Geschehene vergessen wolle. Das Pferd war sehr gut und wertvoll.

»Sag ihm nur«, gab ich dem Dolmetscher zur Antwort, »dass er nichts ist als ein Kind, welches auch an ein und demselben Tag Streit anfängt und ihn wieder vergisst. Er soll aber sehen, dass ich nicht seines Gleichen bin. Ich habe selbst ein Pferd und werde mein Pelzwerk mitnehmen, will es auch nie vergessen, dass er seine Pistole gegen meine Brust richtete und doch nicht den Mut hatte, auf mich zu schießen.«

Am anderen Morgen kam ein Diener der Nordwest-Compagnie vom Kontor am Moose River und machte sich, wie ich wenigstens vermute, gegen Herrn Wells anheischig, mir mein Pelzwerk abzunehmen. Der Handelsmann bemühte sich vergeblich, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.

Um Mittag sah der alte Franzose zur Tür hinaus und sprach zu mir: »Mein Freund, ich glaube, du wirst dein Pelzwerk doch wohl noch einbüßen. Ich sehe vier gut bewaffnete Männer hierher kommen. Sie nähern sich, meiner Ansicht nach, nicht in freundschaftlicher Absicht. «

Da nahm ich meine Felle, legte sie mitten ins Zimmer und setzte mich, eine Biberfalle in der Hand haltend, auf die Ballen. Der Diener trat, von drei jungen Männern begleitet, ins Gemach und forderte mir mein Pelzwerk ab.

»Was für ein Recht hast du, mir es abzuverlangen?«, fragte ich.

»Du bist mir etwas schuldig«, gab er zur Antwort.

»Wann habe ich etwas von der Nordwest-Compagnie geborgt, ohne mich zur bestimmten Zeit meiner Schuld zu entledigen?«

»Es sind jetzt zehn Jahre her«, fuhr er fort, »da hat dein Bruder Wa-me-gon-a-biew von mir Vorschüsse erhalten, aber nur zehn Häute zurückgezahlt. Das Übrige ist er mir noch schuldig, und du wirst es mir hoffentlich jetzt entrichten.«

»Sehr wohl«, antwortete ich, »Deinem Verlangen soll Genüge geleistet werden. Aber dann wirst auch du deinerseits mir die vierzig Ballen Biberfelle bezahlen, welche wir dir zum großen Trageplatze schickten. Dein Empfangsschein ist, wie du sehr wohl dich erinnern wirst, am Ke-nu-kau-nesche-wap-boant, als meine Hütte in Flammen aufging, zu Asche geworden, und du hast für jene 160 Biberfelle niemals, weder mir noch irgendeinem meiner Verwandten etwas dafür gegeben. Nicht einmal so viel, wie eine Stecknadel wert ist.«

Als er sah, dass dies alles nicht anschlug, und selbst zugestehen musste, dass meine Forderung gerecht war, wollte er, ebenso wie Herr Wells am Abend vorher, seine Zuflucht zur Gewalt nehmen. Damit kam er aber auch nicht weit und kehrte ins Fort zurück, ohne von mir auch nur ein Marderfell erhalten zu haben.

Damals erhielt ich bestimmte Nachricht, dass es noch eine Weile dauern könnte, bevor Herr Hanie ankäme. Daher ging ich zurr Morte Riviere, um ihn zu erwarten, und tötete 400 Moschusratten. Endlich fand er sich ein, um mich und noch einen Indianer zu sehen, und erzählte mir, dass er am hellen Mittag, unter lautem Gesang, den alle seine Ruderer anstimmten, vor dem Kontor des Herrn Wells vorüber, zur Mündung des Assiniboine River gefahren sei. Herr Wells hatte ihn mit seinen Leuten, die stark bewaffnet waren, verfolgt. Da hatte sich Herr Hanie ans Land setzen lassen, und war, während die übrigen Leute im Kanu sitzen blieben, auf eine etwa fünfzig Schritte vom Ufer entfernt liegende Prärie gegangen. Herr Wells war ihm mit mehreren bewaffneten Leuten dorthin gefolgt. Herr Hanie hatte ihm aber geraten, ihm nicht allzu nahe zu kommen, und so behielt die ganze Sache mit einem Zank ihr Bewenden.

Nun erzählte ich ihm meinerseits, wie es mir gegangen war, bezahlte, was ich ihm schuldete, verhandelte auch mein übriges Pelzwerk an ihn und erhielt, als wir einig waren, obendrein noch einige wertvolle Geschenke, unter denen sich eine sehr gute Flinte befand. Kurze Zeit nach der Abreise des Herrn Hanie ruderte ich den Red River aufwärts, und begegnete Herrn Wells. Es fehlte ihm an frischem Wildbret, und er fragte, ob ich ihm keines ablassen könnte. Wenn ich etwas gehabt hätte, so würde ich es ihm gegeben haben. Er glaubte aber, ich schlüge ihm seine Forderung aus Böswilligkeit ab. Später schickte er mir sein Pferd, obschon ich in weiter Entfernung von ihm lebte. Ein anderes Mal sandte er es mir nach Pembina. Ich weigerte mich aber stets, es anzunehmen. Dadurch ließ er sich indessen nicht irremachen, und ich hörte, dass er fortwährend sagte, das Pferd gehöre mir. Drei Jahre später, als er gestorben war, versicherten mir die Handelsleute, ich hätte völliges Recht, dieses Pferd zu nehmen. Ich wollte das aber nicht, und so wurde es einem alten Franzosen überlassen. Nach dem Tod des Herrn Wells fing ich wieder an, mit der Nordwest-Compagnie zu handeln, was ich während seiner Lebtage nicht mehr getan hatte. Hätte er nach mir geschossen und mich sogar gefährlich verwundet, so hätte ich ihm das nicht so übel genommen, als dass er seine Pistole auf mich anlegte und doch feige genug war, nicht abzudrücken.