Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare

Archive

Folgt uns auch auf

Der Welt-Detektiv Nr. 6 – 3. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 6
Der Bettler-Millionär
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

3. Kapitel

Ein gefährlicher Augenblick

Jonny Buston war mit seinem Herrn und Meister gar nicht zufrieden. Offenherzig, wie er war, hielt er auch nicht im Geringsten mit dem Grund seiner Ver­stimmung zurück und erklärte seinem Meister, dass er es wenig schön fände, dass er – Sherlock Holmes – so schnell sein Vorhaben vergessen habe.

Der Weltdetektiv, den Jonnys Zorn amüsierte, sag­te harmlos: »Welches denn, mein Junge?«

»Aber Mr. Holmes!«, rief Jonny außer sich, »denken Sie denn gar nicht mehr an Nortley, den verdammten Halsabschneider, dem wir das Handwerk legen woll­ten?«

»O doch«, erwiderte Sherlock Holmes vergnügt und leerte bedächtig die Tasse Kaffee, womit er das Frühstück beschloss. »Ich denke sogar nur noch an diesen Halunken. Was sagst du jetzt?«

Jonny Buston sagte eine Weile gar nichts, sondern blickte den Weltdetektiv verständnislos an. Dann kam er sich wohl gefoppt vor, denn er warf trotzig die Lippe auf und meinte: »Sie brauchen sich gar nicht über mich lustig zu machen, Mr. Holmes. Ich weiß recht gut, hinter wem Sie schon wieder her sind!«

»Wirklich?«, fragte Sherlock Holmes und lachte. »Na, hinter wem denn?«

»Hinter den Rauschgifthändlern!«

»Erraten!«

»Und Nortley lacht sich ins Fäustchen!«

»Aber wahrscheinlich nicht mehr lange«, erwider­te Sherlock Holmes und wurde wieder ernst, »denn ich weiß – aber halt, du warst ja selbst dabei, wie ich hinter Nortleys neues Geschäft kam!«

»Ich?«, murmelte Jonny und machte ein langes Ge­sicht. »Ich weiß von nichts.«

»Dann hast du schlecht aufgepasst, mein Junge. Als wir Frau Poolys Haus durchsuchten, fand ich in einer unverschlossenen Kassette neun Schachteln Streichhölzer. Da man Streichhölzer größtenteils nicht so sicher aufzubewahren pflegt, erschien mir der Fund merkwürdig. Ich untersuchte die Schachteln näher und entdeckte, dass sie zwar mit Streichhölzern gefüllt waren, aber unten am Bo­den je ein zusammengekniffenes Papierbeutelchen aufwiesen. Du kennst doch die Art, wie beispiels­weise Apotheker Papier falten, in dem sie Pulver ve­rabreichen. Genau so sahen jene Papierbeutelchen aus, und in jedem befand sich, wie ich bald feststel­len konnte, das gefährlichste aller Rauschgifte: Ko­kain! Dieses Gift wird wie Schnupfpulver durch die Na­se eingesogen. Es belebt den Körper ungemein. Die Augen glänzen und der Mund wird trocken, dann lässt die Wirkung des Giftes nach. Die Menschen fallen wieder zusammen und sind matt und müde wie zuvor. Die so dahinvegetierenden haben nur einen Gedanken: sich so bald wie möglich wie­der in den Besitz neuen Kokains zu setzen. Sie den­ken ja nicht daran, dass das Kokain den Körper nach und nach zugrunde richtet, weshalb dieses berau­schende Gift auch nur von Ärzten verordnet werden darf. Sie zahlen für ihre Gier nach dem ersehnten Pulver jeden verlangten Preis. Da sie es aber nicht vom Arzt oder Apotheker bekommen können, wen­den sie sich an jene Dunkelmänner, die das Kokain heimlich ins Land schmuggeln und genauso heimlich vertreiben. Das ist ein gutes Geschäft, wenn auch ein sehr ge­fährliches, denn da der Handel mit Kokain verboten ist, werden Personen, die dabei angetroffen werden, hart bestraft. Ich fand also die Pulver im Haus der Frau Pooly. Ich bin überzeugt, sie selbst hat keine Ahnung, was die Schachteln enthielten. Ihr Mann wird sie aus London mitgebracht haben, wo er sich, wie ich sogleich vermutete, durch Kokainhandel ernährte. Die Hilfsschwester hatte uns von dem Mann er­zählt, da er wohl in London verunglückt und verstor­ben sei. Nun, wir haben ja in der Zwischenzeit erfah­ren, wie dieses Unglück in Wirklichkeit aussah. Ich fand aber im Haus Frau Poolys noch etwas: einen Brief der Nortleys Unterschrift trug, in dem er aufgefordert wurde, umgehend nach London zu kommen, um einen neu eingetroffenen Posten Holz zu übernehmen. Verstehst du den tieferen Sinn dieser an sich so harmlosen Worte, Jonny?«

Jonny nickte erregt.

»Siehst du«, sprach Sherlock Holmes, »so kam ich hinter Nortleys neues Geschäft! Dem Wucherer ge­nügen die hohen Zinsen nicht mehr, die er seinen Opfern abnimmt. Er will noch mehr, noch schneller neue Millionen scheffeln – und hat sich auf den Ko­kainhandel geworfen! Noch habe ich für diese Be­hauptung keine vollgültigen Beweise, aber ich für meinen Teil zweifle nicht daran, dass Nortley – o, ich müsste Nortley nicht kennen – den Rauschgift­handel im Großen betreibt und – siehe Fred Pooly – Vertraute an der Hand hat, die das Zeug an den Mann bringen!«

Mit langen Schritten durchmaß Sherlock Holmes das Zimmer.

»Und er war es auch«, fuhr er fort, »der durch ge­schickte Leute den Sack mit den Streichholzschach­teln aus dem Krankenhaus stehlen ließ! Der Bursche ist eben raffiniert. Er fürchtete, die Schachteln könn­ten vielleicht eines Tages doch näher untersucht werden – und dabei wäre dann der Schwindel mit den Kokainpulvern herausgekommen. So beugte er vor und brachte die Schachteln wieder an sich. Ja«, bestätigte Sherlock Holmes mit einem Nicken, »es ist ein starkes Stück, aber du erkennst daran, dass wir es mit einem Geg­ner zu tun bekommen, der seine Sache gut versteht. Du hast dich heute Morgen gewundert, dass ich die halbe Nacht unterwegs war. Nun kann ich es dir ja sagen. Ich habe mich als Einbrecher betätigen wol­len. Es reizte mich, mir einmal Nortleys prunkvolle Villa von innen anzusehen. Aber es war unmöglich, an das inmitten eines großen Gartens liegende Haus heranzukommen. Nortley schützt sich nicht nur durch sieben oder acht mächtige Bluthunde vor nächtlichen Eindringlingen, sondern auch durch raf­finiert angelegte Starkstromleitungen. Auf diese Weise kommt man also nicht in die Höhle des Lö­wen. Da ich aber unbedingt einen Einblick in Nortleys Privatleben gewinnen muss, werden wir heute Nach­mittag versuchen, auf eine andere Art in die Villa zu gelangen.«

 

*

 

Und wirklich, es gelang! Gegen zwei Uhr nachmit­tags erschienen vor Nortleys Gartentor sechs Tele­grafenarbeiter, die dem herbeieilenden Diener er­klärten, die über die Villa führenden Telefonleitun­gen nachsehen zu müssen.

Der Bedienstet zögerte. Anscheinend schien er Anweisung zu haben, keinen Menschen einzulassen. Dann mochte er einsehen, dass hier eine Ausnahme gemacht werden musst. Nur einen Einwand brachte er noch kurz hervor, sich auszuweisen. Sie trugen Lichtbilder bei sich, die vom Telegrafenamt abge­stempelt waren. So öffnete der Diener das Tor und ließ die sechs Männer ein. Sherlock Holmes und Jonny Buston befanden sich unter ihnen. Es hatte nur einer kurzen Bitte des Weltdetektivs auf dem Te­legrafenamt bedurft, um ihm die Ausweise und die Leute zu Verfügung zu stellen.

Nun trugen er wie auch Jonny die Tracht der Ar­beiter. Während sie durch den wohlgepflegten Gar­ten schritten, war von den Bluthunden nichts zu se­hen. Wahrscheinlich ließ Nortley die Tiere nur wäh­rend der Dunkelheit frei auf dem Grundstück herum­laufen. Sherlock Holmes heutiger Besuch galt ledig­lich dem Zweck, sich in der Villa zu orientieren. Er war überzeugt, dass Nortley in seinem Arbeitszim­mer Korrespondenzen aufbewahrte, die Aufschluss über die dunklen Geschäfte des Millionärs gaben. Diese in die Hand zu bekommen, war oberstes Ge­bot. Es galt also, die Augen tüchtig aufzuhalten.

Bald hantierten die Männer auf dem Dach, aber Sherlock Holmes nahm die erstbeste Gelegenheit wahr, sich davonzuschleichen. Lautlos huschte er die Treppe herab, bis er das erste Stockwerk erreichte. Nortley schien wenig Personal zu beschäftigen, denn nur ab und zu vernahm er die Schritte eines Hausan­gestellten. Dann verbarg er sich stets rechtzeitig, um nicht gesehen zu werden. Dann würde er eben erklären, auch die Innenanlage des Telefons nachsehen zu müssen. Aber besser war es, ungesehen einen kleinen Erkundungsspaziergang durch die Villa zu machen.

Er huschte durch eine Flut von Zimmern, die durchweg prunkvoll ausgestattet waren, aber keiner­lei Besonderheiten aufwiesen. Bis er plötzlich, über die Schwelle eines neuen Raumes tretend, einen lei­sen Pfiff ausstieß: Das Arbeitszimmer des Wucherers lag vor ihm! Lauschend ließ er einige Augenblicke verstreichen, um erst dann, als alles ruhig blieb, den Raum ganz zu betreten.

Von der Einrichtung fesselten zwei Gegenstände seine größte Aufmerksamkeit: der breite Diplomat, der quer vor dem Fenster stand, und ein schwerer Tresor, der eine Ecke des Zimmers mit seiner ganzen Breite ausfüllte. Natürlich war er verschlossen. Auch von den Schreibtischtüren ließ sich keine aufziehen.

Sherlock Holmes glitt auf leisen Sohlen zur Tür und lauschte auf den Gang hinaus. Nichts regte sich. Teufel! Keine Gelegenheit konnte günstiger sein als diese! Gewiss, es war tollkühn, am hellen Tag Nortleys Schreibtisch zu durchsuchen, aber wer konnte wissen, ob sich ihm so bald wieder eine derartige Chance bot.

Der Weltdetektiv blickte zur Tür. Eine Entdeckung konnte nur erfolgen, wenn zufällig einer der Be­diensteten das Zimmer betrat. Ach was! Frisch ge­wagt, ist halb gewonnen! Er eilte zum Schreibtisch zurück und öffnete mithilfe seines Universalschlüs­sels blitzschnell einen Teil der Fächer und Türen. Stöße von Mappen, Schriftstücken und Geschäftsbü­chern grüßten ihn.

Sie sämtlich auf die peinlichste Weise zu kontrol­lieren, hätte viele Stunden in Anspruch genommen. Darauf konnte er sich aber nicht einlassen. Im Übri­gen zweifelte er auch daran, dass Nortley wichtige

Dinge so sorglos aufbewahrte. Für diese hatte er gewiss ein Geheimfach angelegt, wenn er sie nicht gar im Tresor unter Verschluss hielt. So suchte er fieberhaft nach einem Geheimfach.

Und wirklich entdecke er nach kurzem Suche einen raffiniert angebrachten Mechanismus. Aber ehe er dazu kam, ihn in Bewegung zu setzen, erscholl von unten das Geräusch eines surrenden Automobilmotors. Mit drei Sprüngen war Sherlock Holmes am Fenster und spähte mit durch die geschlossenen Gardinen hinab.

Eine Verwünschung entglitt seinen Lippen, als er Nortley erkannte, der soeben seinem Kraftwagen entstieg. Und noch etwas sah er: Jonny und die ande­ren Telegrafenarbeiter, die just die Villa verließen und von einem Bediensteten begleitet, dem Ausgang zustrebten. Tod und Teufel! War denn Jonny ver­rückt geworden? Hatte man nicht ausdrücklich ver­abredet, dass die Arbeiter erst dann die Villa verlas­sen sollten, wenn er – Sherlock Holmes – sich wie­der zu ihnen gesellt hatte? Was, um alles in der Welt, konn­te Jonny Veranlassung gegeben haben, dieser Abma­chung zuwiderzuhandeln?

Der Weltdetektiv starrte in den Hof hinab. Unten stand Nortley und blickte den sich entfernenden Tele­grafenarbeitern mit verkniffener Miene nach. Er wartete, bis sich das Gartentor hinter den Männern geschlossen hatte, und betrat erst dann das Haus. Sherlock Holmes eilte zum Schreibtisch zurück. Er kochte vor Zorn. Da lag der Mechanismus vom Ge­heimfach vor ihm! Nur die Hand brauchte er auszu­strecken, um das Fach aufspringen zu lassen! Um­sonst! Jeden Augenblick konnte Nortley herein­kommen! So schnell er vermochte, räumte der Welt­detektiv die Mappen und Bücher in die Fächer zurück und schloss wieder ab. Da erklang auch schon drau­ßen der feste Schritt des Hausherrn. Hell and devils! Nun wurde es brenzlig! Durch die Seitentür zu ent­kommen, war es zu spät, denn Nortley konnte jeden Augenblick hereintreten. Blieb also nur hinter der Portiere. Mit einigen schnellen Schritten erreichte er das Versteck. Die Tür tat sich auf und fiel wieder ins Schloss. Schritte auf dem Teppich. Ein krächzendes Räuspern.

Fortsetzung folgt …