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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 5 – 4. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 5
Das Rätsel am Michigan-See
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

4. Kapitel

Ein unheimliches Erlebnis

Stockfinster war die Nacht. Ein dunkler Schatten glitt lautlos über das Wasser des Michigan-Sees.

Ein Boot war es, in dem drei Männer saßen: Hol­mes mit seinen Gehilfen Jonny Buston und Archie Graham. Kennedy hatte im Hotel bleiben müssen, um eventuell einlaufende Nachrichten in Empfang zu nehmen.

Die Ruder waren mit Lumpen umwickelt, sodass das Geräusch des ins Wasser tauchenden Holzes bis zur Unhörbarkeit herabsank. Diese Vorsichtsmaßre­gel hatte Holmes für notwendig erachtet, da man es mit Gegnern zu tun hatte, die gewiss alles andere, nur keine Neulinge auf kriminellem Gebiet waren.

Auf dem Landweg an die Villa heranzukommen, hielt Holmes für wenig zweckmäßig. Die Hunde im Garten gaben ihm zu denken. Sie liefen wahrschein­lich nachts frei im Garten herum. Dieser Weg über das Wasser bot jedoch mancherlei Chancen, aber auch Überraschungen, wie sie bald feststellen soll­ten. Nach halbstündigem Rudern, während dessen zwischen den Männern kein Laut gewechselt wor­den war, näherte man sich dem Ziel. Die Nacht war zu finster, um die Villa erkennen zu können, doch zweifelte Holmes keinen Augenblick daran, sich auf dem rechten Weg zu befinden. Das Blink­feuer von Santa Crow und der Kompass, den er auf den Knien hielt und dessen Radiumnadeln deutlich in der Dunkelheit aufleuchteten, waren untrügliche Wegweiser.

Schon wollte Holmes den Rudernden ein Zeichen geben, die Ruder beizulegen, als plötzlich ein son­derbarer Laut über das Wasser schallte. Es klang, als ob … da … schon wieder! Menschen sprachen! Sie raunten nur, aber da Wasser der beste Schallträ­ger ist, war es den Männern im Boot möglich, deut­lich die Organe zweier Menschen zu unterscheiden.

Kurze Zeit nur allerdings, dann war es wieder still wie zuvor, aber die seltsame Entdeckung genügte doch, eine tiefe Falte auf des Weltdetektivs Stirn zu zaubern. Wo kamen die Laute her? Vom Land? Unmöglich, dazu war man zu weit vom Ufer ent­fernt! Die Männer, deren Stimmen für kurze Zeit deutlich hörbar gewesen waren, befanden sich dem­nach ebenfalls auf dem Wasser! In einem Boot wahrscheinlich … einem Boot, das ohne Lichter fuhr und dessen Ruder ebenfalls mit Lappen umwickelt sein mussten, denn die Laute von menschlichen Lippen waren das Einzige, was man vernom­men hatte! Die drei im Boot lauschten angespannt. Da! Wieder ein krächzender Ton – und dann deut­lich die Worte: »Kein Signal heute. Verfl… Wirtschaft …«

Das andere, was diesem Ausruf folgte, ging un­ter in einem unverständlichen Gemurmel. Holmes versuchte vergebens, das Dunkel mit seinem Bli­cken zu durchdringen. Nur das eine gelang ihm fest­zustellen: Jenes Boot nahm denselben Kurs – den Kurs auf die Villa Charles Morgans!

Mit einem solchen Ereignis hatte Sherlock Holmes allerdings nicht gerechnet. Deswegen war er aber nun nicht minder gespannt, was es mit dieser Ge­schichte für eine Bewandtnis hatte. Die Worte Kein Signal heute! verriet ja schließlich deutlich genug, dass die Männer da drüben sonst ein Signal vorgefunden hatten, also diesen Weg über den dunk­len See heute nicht zum ersten Mal machten.

Eine Viertelstunde später tauchten die Lichter der Villa Morgan aus dem Dunkel der Nacht auf. Drei Zimmer waren hell erleuchtet. Nun war es auch möglich, die Umrisse des anderen Bootes zu erken­nen. Es war ein breites, altmodisches Fahrzeug, das einen beträchtlichen Tiefgang zu haben schien.

Die nächsten Minuten brachten für Holmes und seine Leute interessante Momente. Das fremde Boot steuerte den Bootssteg an, taute fest und lag nun da wie ein großer, schwarzer Fisch. Gleich darauf er­scholl das Winseln der Hunde. Sie kannten also die nächtlichen Besucher und schlugen nicht Lärm. Der eine der Männer, eine wahre Herkulesgestalt, ging über den Steg an Land und verschwand im Dunkel. Dann hallten ein paar gedämpfte Stimmen herüber.

Das Licht in der Villa erlosch. Dafür leuchtete plötz­lich seitwärts, wahrscheinlich in einem von Büschen halb verdeckten Schuppen – oder war es die Gara­ge? – eine elektrische Birne auf.

Es zuckte Holmes in allen Gliedern, an Land zu schwimmen, um zu sehen, was in jenem Gebäude vorging. Wenn er dann doch auf dieses Unterneh­men verzichtete, geschah dies nur aus Gründen der Klugheit.

Seine Vorsicht sollte belohnt werden. Fünfzehn Minuten mochten nämlich vergangen sein, als plötz­lich das Knirschen eines Wagens oder Karrens er­scholl. So deutlich trug der laue Wind das Geräusch herüber, dass Holmes förmlich die Räder des kleinen Fahrzeugs im Kies des Gartenweges versinken sah. Wirklich hob sich bald am Bootssteg die Silhouette eines vierrädrigen Plattenwagens ab, von dem ein schweres, längliches Etwas, das wie eine große Kis­te aussah und sehr schwer zu sein schien, herabge­hoben wurde. Sherlock Holmes zählte nun fünf Personen mit derjenigen, die im Boot verblieben war, nun aber ebenfalls an Land ging, um sich an dem Transport der Kiste vom Wagen ins Boot zu beteiligen.

Alles Weitere spielte sich in kürzester Zeit ab. Die Männer flüsterten miteinander, ohne dass allerdings etwas von ihren Gesprächen zu verstehen gewesen wäre, und trennten sich dann. Jene zwei bestiegen wieder das Boot, die anderen drei standen noch eine Weile am Ufer und sahen der Abfahrt zu, um dann wieder der Villa zu verschwinden. Der Spürtrieb unseres Detektivs war bis zur Siedehitze gestiegen.

Was bedeutete dieser geheimnisvolle Besuch? Was schaffte man dort aus dem Haus? Hatten die Halunken bereits so viel Verdacht geschöpft, dass sie sich nicht mehr sicher fühlten und beiseiteschafften, was nur noch irgendwie beiseite zu schaf­fen war, ehe die Polizei eingriff?

Er musste es wissen! Aber wie? Dem Boot folgen zu wollen, wäre Torheit gewesen. Über kurz oder lang verschwand es in der Dunkelheit, ohne dass in dieser Finsternis auch nur ein Schimmer einer Mög­lichkeit bestanden hätte, es wieder zu Gesicht zu bekommen. Nein, etwas anderes musste geschehen, wenn man klar, restlos klar, sehen wollte, was es mit der seltsamen Fracht und den Menschen, die sie beförderten, für eine Bewandtnis hatte.

Holmes war entschlossen. Er warf Rock und Weste ab, entledigte sich seines Schuhwerks und überreichte Jonny Uhr und Brieftasche.

Seine Begleiter wussten sofort, was der Meister beabsichtigte. Ihn von seinem an Tollkühnheit gren­zenden Plan zurückzuhalten, wäre Wahnsinn gewe­sen. Ein Holmes ließ sich von nichts und nieman­dem zurückhalten. So machten sie erst gar nicht den Versuch, seinen Entschluss aufzuhalten, sondern beschränkten sich nur darauf, ihm warnende, be­schwörende Blicke zuzuwerfen. Umsonst. Holmes machte ein paar Zeichen. Sie verstanden: Zurück­kehren sollten sie und im Hotel seine Wiederkehr erwarten.

Das war das Letzte, was sie von ihm sahen, denn im nächsten Augenblick hatte er sich schon über Bord geschwungen, um lautlos ins Wasser des Mi­chigan-Sees zu gleiten. Er war ein fabelhafter Schwimmer. Nur ab und zu an die Wasseroberfläche kommend, um sich zu orientieren und seinen Lun­gen frische Luft zuzuführen, legte er den größte Teil des Zwischenraums, der zwischen dem seinen und dem Boot der anderen lag, tauchend zurück.

Bis er erreichte, was er wollte … bis kaum vier Meter entfernt plötzlich das geheimnisvolle Fahr­zeug vor ihm auftauchte, so nahe, dass er fast eines der lappenumwickelten Ruder hätte mit seinen Hän­den ergreifen können. Nun erst war es ihm auch möglich, den Insassen nähere Aufmerksamkeit zu schenken. Beide trugen dicke Joppen und ruderte schweigend, mit den Paddeln steuernd. Sherlock Holmes verstand es, sich geschickt an das Boot her­anzumachen, den vorderen Rand zu packen und sich mitziehen zu lassen.

Lange hielt er es aber in dieser untätigen Lage nicht aus, zumal die zwei Männer nach wie vor in Schweigen verharrten. So zog er sich vorsichtig em­por und warf einen Blick in das Innere des Fahrzeuges.

Das Erste, was er sah, waren die breiten Rücken der Ruderer. Dann aber fiel sein Blick auf die Fracht, die Kiste, die inmitten des Bootes lag. Es war ein Sarg! Sherlock Holmes fühlte, wie sich ein Ausruf der Überraschung auf seine Lippen drän­gen wollte. Blitzschnell ließ er sich zurückfallen. Damned, das hatte er nicht erwartet. Ein Sarg! Ein Sarg, der sich im Schuppen der Villa Morgan be­funden hatte! Wen schaffte man von dort fort? Und wer waren die Männer, die einen so grausigen Transport mit einer Selbstverständlichkeit bewerk­stelligten, die allein schon Entsetzen einflößte?

Nicht mehr lange sollte Holmes’ Ungewissheit auf die Folter gespannt werden. Er merkte plötzlich, wie das Boot scharf Kurs auf das Land zu nahm.

und ließ sich deshalb ab, um in angemessener Ent­fernung nebenherzuschwimmen.

Hatte er jedoch angenommen, an Land würden wiederum Helfer der Unbekannten stehen, so täuschte er sich. Niemand kam aus der Dunkelheit zum Vorschein, als sich der Kiel des Bootes in den schlammigen Grund bohrte. Just kam der Mond ein wenig hinter dichter Wolkenwand hervor. Er be­leuchtete eine Szenerie, die schwachen Nerven kaum zuträglich gewesen wäre.

Sherlock Holmes jedoch konnten selbst die Kreu­ze des Friedhofs, die er vor sich sah, nicht in die Flucht schlagen. Geduldig wartete er, bis die Män­ner, die an Land gegangen waren, mit einem Karren ähnlichen Kalibers, wie derjenige Morgans, wieder­kehrten, den Sarg ächzend und stöhnend darauf lu­den und davonfuhren. Nicht weit, denn bald ver­stummte das Rollen der Räder. Eine Tür quietschte. Dann wurde es still.

Unter diesen Umständen zögerte Sherlock Holmes nicht länger, ebenfalls an Land zu gehen. Er fror, und das Wasser troff ihm in Strömen vom Körper, aber es störte ihn nicht weiter. Er wartete, bis die Männer den Schuppen, in den sie den Sarg ge­schleppt hatten, verließen und fortgingen, um sich dann augenblicklich heranzuschleichen. Die Tür war verschlossen und außerdem mit einem festen Vorhängeschloss versehen. Dafür fand sich aber an der Rückwand eine morsche Sparre, die sich, wenn auch mit vieler Mühe, zurückbiegen ließ und ihm so Zutritt verschaffte. Überdies hatte er insofern Glück, als das Mondlicht durch diese Öffnung fiel und ihn so mit Leichtigkeit den Sarg finden ließ, der inmit­ten des sonst kahlen Raumes stand.

Er hatte geglaubt, ihn verschraubt anzutreffen, erkannte aber nun, dass der Sargdeckel nur lose aufgelegt war. Furchtlos schob er ihn beiseite. Er musste wissen, wen man hierhergeschleppt hatte. Ein leises Grauen packte ihn, aber er überwand die Schwäche. Mehr und mehr schob er den Deckel zurück. Da geschah etwas Unerwartetes. Gedämpfte Fußtritte näherten sich dem Schuppen. Zum Teufel, kehren die beiden unheimlichen Gesellen noch ein­mal zurück? War sein Beginnen doch nicht unbe­merkt geblieben? Blitzschnell zerrte er den Deckel in seine ursprüngliche Lage zurück, doch ehe es dazu kam, das Weite zu suchen, erklang das metal­lene Schnappen des Vorhängeschlosses.

Im nämlichen Augenblick wurde auch schon die Tür geöffnet.

»Lächerlich«, erscholl eine raue Stimme. »Du wirst den Schlüssel drüben bei Morgan verloren haben!«

»Nein«, gab eine andere zurück, »das Ding ist mir aus der Tasche gefallen, als wir die Kiste da nieder­setzten. Komm nur …« Jäh brach er ab. Er hatte den Fremden im Schuppen entdeckt. Jetzt bemerkte auch sein Begleiter die dunkle Gestalt. Ein wilder Fluch brach von seinen Lippen. Was dann geschah, was das Werk gezählter Augenblicke.

Ehe die Burschen dazu kamen, ihre Schießeisen hervorzuziehen, durchschnitt Sherlock Holmes seh­niger Körper die Luft und warf sich auf die Über­raschten. Hageldicht sausten seine Faustschläge nie­der. Aber nur der eine der so unerwartet Zurückge­kehrten brach ächzend und seine Besinnung verlierend zusammen und regte sich nicht mehr. Der andere dagegen schien einen Schädel aus Eisen zu besitzen. Ja, es gelang ihm sogar, Sherlock Holmes zurückzustoßen.

Der Weltdetektiv stürzte sich zwar sofort wieder auf den Schurken, aber die winzige Zeitspanne ge­nügte diesem doch, blitzschnell ein Messer aus dem Stiefelschaft zu reißen. Gleich sein erster Stich ver­letzte Sherlock Holmes leicht am Arm, ein Um­stand, der des unerschrockenen Kriminalisten Wut nur noch verdoppelte. Mit ungestümer Kraft warf er sich auf den Messerhelden und umspannte blitz­schnell dessen muskulöses Handgelenk.

»Lass das Messer los!«, keuchte er. »Oder ich bre­che dir die Hand!«

Aber der Verbrecher dachte nicht daran, seinen Widerstand aufzugeben. Aufbrüllend versuchte er alles, die wie von einem Schraubstock umspannte Hand wieder freizubekommen. Aber seine Anstren­gungen waren umsonst. Sherlock Holmes Fäuste hielten fest, was sie einmal gepackt hatten. Erst als dem Burschen die Augen fast aus den Höhlen traten, ließ er mit einem wilden Schmerzensschrei das Messer fallen, das Sherlock Holmes sofort mit ei­nem kräftigen Fußtritt in den äußersten Winkel des Schuppens beförderte, wo es keinen Schaden mehr anrichten konnte. Dann hob sich seine Faust, um, blitzschnell niedersausend, auf dem Schädel seines Gegners zu landen. Sprühende Sterne tanzten vor den Augen des Getroffenen. Seine massige Gestalt geriet ins Schwanken, taumelte hin und her und brach zusammen. Eine tiefe Ohnmacht nahm seine Sinne gefangen.

Aufatmend reckte sich Sherlock Holmes empor. Er konnte von Glück sprechen, dass er aus diesem ungleichen Kampf nur mit einer leichten Verletzung hervorgegangen war, denn wenn die Wunde am Arm auch heftig blutete, so hatte das Messer doch nicht bis auf die Knochen vordringen können. Er zog ei­nem der Ohnmächtigen die Jacke aus und zerriss sie in einzelne Streifen, mit denen er die Verbrecher fesselte. Dann eilte er an den See, wusch die Wunde aus und verband sie mit dem Taschentuch. For­schend glitt sein Blick umher, aber sein jäh aufge­tauchter Verdacht, dass sich vielleicht noch weitere Komplizen der Halunken in der Nähe aufhielten, bestätigten sich nicht.

Totenstille herrschte rings umher, und wenn etwas der Szenerie ein unheimliches Gepränge verlieh, so nur das Mondlicht, das bleich und fahl über die Gräber und Kreuze des Friedhofs huschte.

Unter diesen Umständen zögerte Sherlock Holmes nicht, so schnell wie möglich in den Schuppen zu­rückzukehren, um sich über den Inhalt des Sarges zu informieren. Als er den Raum betrat, bemerkte er, dass die am Boden Liegenden das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt hatten. Mit leisen Schritten trat er an den Sarg heran, brannte er doch darauf, zu wissen, was man hierher verschleppt hatte. Mit zu­sammengepressten Zähnen schob er aufs Neue den schweren Deckel beiseite. Langsam wich er zurück, bis er die Sicht völlig freigab. Sherlock Holmes Miene wurde undurchdringlich. Was würde er sehen müssen? Kaum hatte er aber einen Blick in das Inne­re des unheimlichen Behältnisses geworfen, als in leises Lachen ausbrach. Das also war der Inhalt des Sarges! Das also! In diesem Augenblick fielen die letzten Schleier des Geheimnisses, das bisher noch die Villa am Michigan-See in ein mystisches Dunkel getaucht hatte!

In diesem Augenblick wusste Sherlock Holmes, was es mit dem Haus und seinen Bewohnern, mit Fergusson und diesen Männern hier, die nächtlicher Weise mit lappenumwickelten Rudern über den Michigan fuhren, für eine Bewandtnis hatte!

Charles Morgan und seine Komplizen waren ent­larvt – nun galt es, sie zu überrumpeln, um sie der rächenden Justiz zu überantworten!

Fortsetzung folgt …