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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 4 – 1. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 4
Der König der Brillanten-Marder
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin
1. Kapitel

Ein kühner Raub bei Sube & Co.

Zwei elegante Herren betraten das Juwelierge­schäft von Sune & Co., das zu den größeren Londons zählte, und ließen sich kostbare Zigarettenetuis zei­gen. Es war um die Mittagszeit, und neben den so­eben Erschienenen befanden sich nur noch drei ande­re Kunden in dem mit vornehmer Eleganz ausgestat­teten großen Verkaufsraum.

Jedenfalls hatte es den Anschein, als seien es Kun­den, denn sie verhandelten teils mit dem Verkaufs­personal, teils gingen sie umher und besichtigten die Auslagen. In Wirklichkeit waren diese drei Personen – zwei Herren und eine Dame – aber keine Kunden, sondern Detektive, die im ständigen Dienst der Fir­ma Sune & Co. standen und deren Aufgabe es war, die Millionenwerte, die in Gestalt von Brillanten, Perlen und anderen Schmuckgegenständen hinter dem Glas der Verkaufstische und Vitrinen blitzten und glänzten, zu bewachen, denn leider war es früher oft geschehen, dass geschickte Taschendiebe wert­volle Stücke entwendet hatten. Seit Sune & Co. aber die Detektive beschäftigte, hatte sich kein solcher Vorfall wieder ereignet, denn die Geheimbeamten waren ungemein tüchtig und mit allen Tricks, die Schwindler anzuwenden pflegten, vertraut.

Sobald ein Kunde den Verkaufsraum betrat, ließen sie ihn nicht mehr aus den Augen. Überdies passten auch die drei Verkäufer scharf auf, sodass es Taschendieben unmöglich gemacht worden war, auf Raub auszugehen.

Die beiden eleganten Herren, die soeben das Lokal betreten hatten, und nun die Zigarettenetuis betrachte­ten, die ihnen Mr. Sune persönlich vorlegte, waren den Detektiven völlig unbekannt, was sie zu doppel­ter Aufmerksamkeit veranlasste. Freilich sahen die Kunden ganz und gar nicht wie Betrüger aus, aber Vorsicht war immer am Platz.

Bald stellte sich heraus, dass nur der Größere der beiden Herren ein Etui zu kaufen gedachte, und dass der andere, der sich in seiner Begleitung befand, nur aus Interesse mitgekommen war. Dieser, der bedeu­tend kleiner als der Interessent für das Zigarettenetui war, nahm bald auf einem Sessel in der Nähe des Ladentisches Platz und sah gelangweilt umher.

Dann erhob er sich und schlenderte, während der andere immer noch in der Wahl des Zigarettenetuis schwankte, im Verkaufsraum umher, um auf einmal vor einer inmitten des Raumes aufgestellten Vitrine stehen zu bleiben, deren Inhalt ihn zu interessieren schien. Zwölf Augen folgten jeder seiner Bewegun­gen. Aber es geschah nichts. Der Herr betrachtete sich nur die wunderschönen Ringe und mit Brillanten be­setzten Krawattennadeln, die in der Vitrine auf ver­schiedenen übereinander angebrachten Tabletts aus­gelegt waren, um sich dann umzuwenden. Deswegen ließ aber die Aufmerksamkeit der heimlichen Beobachter nicht nach. Unentwegt behielten die drei De­tektive und die drei Verkäufer den Fremden im Au­ge, während Mr. Sune sich vergeblich bemühte, die Wünsche des größeren Herrn, der noch immer am Ladentisch stand und dem keines der ihm gezeigten Etuis gefallen wollte, zu erfüllen.

»Nein«, sagte dieser schließlich, »bemühen Sie sich bitte nicht weiter. Ich sehe, Sie führen nicht das Etui, das ich kaufen möchte.«

Mr. Sune war ein zu höflicher Geschäftsmann, als dass er seinen Unmut gezeigt hätte. Er bedauerte, dem Herrn nicht dienen zu können, und geleitete ihn, wie auch seinen kleineren Begleiter, der sich von der Vitrine her inzwischen dem Ladentisch genähert hatte, zur Ausgangstür.

Grüßend verließen die beiden Herren das Verkaufs­lokal und betraten die Straße. In diesem Augenblick erscholl ein Schrei. Einer der Detektive hatte ihn ausgestoßen. Er stand vor der Vitrine – derselben, in deren Nähe sich der Kleinere der beiden Fremden aufgehalten hatte – und starrte erregt auf die Auslagen. Erbleichend stürzte Mr. Sune herbei, während von allen Seiten die anderen Angestellten herankamen. Auf den ersten Block erkannten alle, was geschehen war. Im Inneren der Vitrine hatten sich fünf Tabletts mit Schmucksachen befunden. Vier waren noch an Ort und Stelle. Das fünfte aber war verschwunden und mit ihm sämtliche Brillanten und Perlen, die sich auf ihm befunden hatten.

»Tod und Teufel!«, schrie der entgeisterte Juwelier. »Was bedeutet das …?« Er fühlte seine Knie zittern. Fünftausend Pfund waren die Schmucksachen wert, die hier so plötzlich und auf so rätselhafte Weise verschwunden waren! Fünftausend Pfund – hunderttau­send Mark!

Dann aber kam ihm blitzartig die Erkenntnis. Er jagte zur Ladentür und stürzte hinaus, denn allzu weit konnten die Fremden noch nicht gekommen sein. Aber in der Tür wurde er aufgehalten. Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann war es, mit dem er zusammenstieß … ein Mann, der just im Beg­riff gestanden hatte, den Verkaufsraum zu betreten. Sune stieß ein paar Worte der Entschuldigung her­vor, ließ den Kunden eintreten und hetzte weiter. Wie er jedoch seine Blicke über das Menschen- und Wagengewühl schweifen ließ, sah er ein, dass den frechen Dieben selbst der Vorsprung einer Minute genügt hätte, unaufgehalten zu entkommen.

So blieb nur eins: die Polizei oder, was vielleicht noch aussichtsreicher war, Sherlock Holmes, den berühmten Kriminalisten, um Hilfe anzurufen.

Mit blassen Mienen kehrte Sune in das Geschäft zurück. Der erlittene Verlust vermochte zwar das Fundament seiner Firma nicht zu erschüttern, doch war angesichts der Tatsache, dass die Geschäfte in letzter Zeit ohnehin schlecht gingen, die Einbuße von fünftausend Pfund Sterling ein empfindlicher Schlag. Drinnen stand der große, breitschultrige Herr und ließ seine Augen prüfend über die erregten Gesichter des Personals gleiten. Plötzlich wandte er sich an den Juwelier und sagte: »Verzeihen Sie, Mr. Sune, aber ich weiß nicht, hier scheint irgendetwas vorgegan­gen zu sein. Oder täusche ich mich? Im Übrigen – pardon, dass ich mich Ihnen noch nicht bekannt machte: Sherlock Holmes ist mein Name!«

»Mr. Holmes?«, rief Sune, außer sich vor Freude. »Wahrhaftig, jetzt erkenne ich Sie! Ach, ich habe ja schon tausendmal Ihr Bild in den Zeitungen gesehen! Wie kann ich dem Zufall je danken, dass er just Sie in dieser Stunde zu mir führt!«

»Meine Vermutung trifft also zu?«

»Leider nur zu gut!«, erwiderte der erregte Ge­schäftsinhaber und berichtete, den weltberühmten Detektiv zur Vitrine führend, von den beiden Fremden, die anscheinend nur erschienen waren, um nach einem sorgfältig ausgedachten Plan den Raub auszuführen.

»Es muss sich um ganz gewiefte Diebe handeln«, stieß er hervor. »Keiner meiner sechs Angestellten«, er wies auf die verlegen herumschauenden Detektive und Verkäufer, »hat auch nur das Geringste be­merkt. Fraglos muss sich der eine der Gauner mit dem Rücken an die Vitrine gelehnt und unbemerkt die Glasklappe geöffnet haben, sodass er das Tablett herausziehen und in seinem Mantel verschwinden lassen konnte. Es ist wahrhaftig noch als Glück im Unglück zu bezeichnen«, schloss er mit einem schmerzlichen Lächeln, »dass nicht auch noch dieses Geschmeide geraubt wurde!« Dabei deutete er auf einen wundervollen Schmuck, der im Schimmer der elektrischen Birnen feenhaft schimmerte und dessen Wert mit siebentausend Pfund Sterling gewiss nicht zu niedrig geschätzt war.

Der Besucher nickte.

»Wirklich«, bestätigte er. »ein prachtvolles Stück!« Dann blickte er nachdenklich vor sich hin. Als er den Blick wieder hob, umspielte ein leises Lächeln seine schmalen Lippen.

»Wir werden die Diebe früher haben, als die zu hoffen wagen. Mr. Sune. Ich müsste mich nämlich sehr irren, wenn mir diese Arbeit da«, er wies auf die leeren, seidenen Etuis, »nicht bekannt wäre! Ich habe die Burschen schon einmal, vor sechs Jahren etwa, in Frisco erwischt und ihnen zu längerem Auf­enthalt im Gefängnis verholfen.«

Ein Hoffnungsstrahl blitzte aus Mr. Sunes Augen.

»Ja«, fuhr der Besucher fort, »so exakt und sauber arbeiten nur die Brüder Wroblewski, die schon seit längerer Zeit die Staaten unsicher machen. Aber dar­über werden wir uns bald Gewissheit verschafft ha­ben. Ich fahre sogleich zu Scotland Yard, wo ich einige Polizeifotos von den Burschen zu erhalten gedenke. Erwarten Sie mich, bitte, in einer Stunde.«

Sune war überglücklich, als er aber für die schnel­le Hilfe seinen Dank abstatten wollte, wehrte der De­tektiv ab. Noch einmal unterzog er die Vitrine einer genauen Besichtigung, um sich dann zu entfernen.

Genau anderthalb Stunden später erschien Mr. Sune totenbleich und vor Aufregung am ganzen Körper zitternd in der in der Surrey Street gelegenen Wohnung des weltbekannten Kriminalisten. Sicht­lich erstaunt trat ihm Sherlock Holmes entgegen und fragte nach seinen Wünschen.

Sune verzerrte das Gesicht. Es schien, als wolle er lächeln, aber es wurde eine Grimasse daraus.

»Sie … Sie haben sich gewiss einen … einen Scherz mit mir gemacht. Mr. Holmes!«, stieß er abgerissen hervor. »Ich habe … habe vergebens auf … auf Ihre Rückkehr gewartet …«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach ihr der Detektiv ruhig. »Sie scheinen sehr aufgeregt zu sein und …«

»Aufgeregt?«, keuchte Sune. »Aufgeregt? Nein, ich bin vor lauter Aufregung schon kein Mensch mehr!« Fast flehend streckte er dem Kriminalisten die Hände entgegen, als er fortfuhr: »Treiben Sie nicht ein Spiel mit mir. Mr. Holmes! Bitte, geben Sie mir sogleich das Halsgeschmeide wieder heraus!«

Des Weltdetektivs Miene blieb undurchdringlich wie zuvor. Nur in seinen klugen, stahlgrauen Augen zuckte für Sekunden eine heiße Flamme auf. Dann frage er: »Von welchem Halsgeschmeide sprechen Sie?«

»Von dem, was Sie heimlich – und wohl nur, um Ihre Geschicklichkeit zu zeigen, der Vitrine entnahmen, als Sie vor anderthalb Stunden bei mir waren!«

»Hm«, nickte Sherlock Holmes, »so also liegt der Fall. Und auf welchen Betrag schätzen Sie den Wert dieses Schmucks?«

»Auf siebentausend Pfund Sterling!«

»Eine verteu­felt große Summe«, gab der Kriminalist zurück. »Umso mehr tut es mir leid, Mr. Sune. Ihnen eine bedau­erliche Mitteilung machen zu müssen: Wenn Sie er­klären, ich sei vor anderthalb Stunden in Ihrem Ge­schäft gewesen, so stimmt das nicht. Vor anderthalb Stunden saß ich in der Badewanne und las die Mit­tagsausgabe der Standard Times. Verhält sich aber der Fall wirklich so, wie Sie mir erzählten, so sind Sie, Mr. Sune – nehmen sie die Nachricht mit Fas­sung entgegen – einem unverschämten Hochstapler­trio zum Opfer gefallen!«

Sune starrte den Sprecher mit stierem Blick an. Glühende Sonnen und funkelnde Sterne sprühten vor seinen Augen.

»Betrogen!«, stammelte er nur noch, während sich alles rings im Kreis um ihn drehte.

Fortsetzung folgt …