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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 3 – 2. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 3
Die Menschenfalle in Brooklyn
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin
2. Kapitel

Der Gift-Professor

Ehe der Morgen graute, empfing Sherlock Hol­mes die Bestätigung seiner Vermutung, dass die Un­bekannte das Opfer eines tückischen Verbrechens geworden war. Professor Malmedy hatte Wort gehal­ten. Die unter seiner Leitung durchgeführte Ob­duktion der Leiche ergab, dass die Unglückliche ei­nem bekannten indischen Gift erlegen war. Dieses Gift konnte nach zwei Seiten hin furchtbare Wirkun­gen hervorrufen: In geringer Menge dem menschli­chen Organismus eingeimpft, erzeugte es eine Hirn­lähmung, hatte also geistige Umnachtung zur Folge. In größerer Menge eingespritzt, zog es neben der gänzlichen Zerstörung des Hirns auch noch den Tod innerhalb von zwei Stunden nach sich.

Die Todesursache im Fall der Unbekannten un­terlag nunmehr keinerlei Zweifel. Auf Grund dieser Indizien zögerte der Weltdetektiv nicht, das von der Toten aufgenommene Bild augenblicklich dem Poli­zeifunkdienst zu übergeben, der es sogleich auf alle amerikanischen Sender übertrug. Die New Yorker Zeitungen brachten das Bild der Toten sogar schon in der Morgenausgabe.

Es musste mit dem Teufel zugehen, wenn man nicht in kurzer Zeit über die Identität der Unbekann­ten Klarheit besaß.

Gegen zehn Uhr vormittags kam bereits aus Wa­shington die Meldung, die Tote scheine mit einer gewissen Evelyne Shawler identisch zu sein, die in Washington, 28 Marlbourough Street gewohnt habe, jedoch seit drei Wochen von ihrer Mutter, einer Witwe, vermisst werde.

»All right!«, erwiderte der Detektiv und rief seinen jungen Gehilfen herbei, um ihm die notwendigen Instruktionen zu erteilen.

Noch in derselben Stunde bestieg Jonny Buston den Schnellzug nach Washington, beglückt, endlich wieder einmal selbständig dem Meister dienen zu können.

Währenddessen blieb Sherlock Holmes nicht mü­ßig. Seit er von Professor Malmedy jene Auskunft über das indische Gift erhalten hatte, durchwühlte er wahre Stöße von Akten und Zeitungen, bis er fand, was er suchte: eine Zeitung, in der ein Artikel Pro­fessor Rodgers Giftpraxis rot angestrichen war.

Das Blatt war nahezu achtzehn Jahre alt und stellte eine Ausgabe der englischen Times dar, aber Sher­lock Holmes entsann sich des Falles sehr genau, ob­wohl er ihn nicht persönlich bearbeitet hatte. Jener Rodger hatte seinerzeit in London gelebt und dort jahrelang als angesehener Arzt seine Praxis ausgeübt, bis man durch einen Zufall dahinterkam, dass man es in der Person dieses Mannes mit einem Verbre­cher schlimmster Sorte zu tun hatte. Ein Zufall deckte sein satanisches Treiben auf.

Ein junger Lord, der soeben das unermesslich rei­che Erbe seines verstorbenen Bruders angetreten hatte, wurde plötzlich geisteskrank und als unheilbar einer Anstalt zugeführt. Dadurch gelangte der jünge­re Bruder als nächstberechtigter Erbe in den Besitz des riesigen Vermögens.

Diese Geschichte kam einem Londoner Polizeibe­amter nicht ganz geheuer vor. Er ging ihr auf den Grund und stellte einwandfrei fest, dass der jüngere Bruder an den Professor Rodger mit dem Ersuchen herangetreten war, den Erben – also den älteren Bru­der – auf irgendeine Weise kaltzustellen.

Der Professor ging gegen Zahlung eines enorm hohen Honorars darauf ein und missbrauchte seinen Posten als Hausarzt insofern, dass der dem Älteren eine Einspritzung mit jenem indischen Gift machte, die eine sofortige geistige Umnachtung des Unglück­lichen nach sich zog.

Bei der Durchsuchung, die im Haus des verbre­cherischen Arztes nach dessen Verhaftung vorge­nommen wurde, stellte sich dann heraus, dass der Mann seit Jahren gegen hohe Bezahlung in ähnlichen Fällen die gleiche Giftpraxis ausgeübt hatte. Mit der Todesstrafe für Rodger hatte der damals ungeheures Aufsehen erregende Prozess ein Ende genommen. Seit jener Zeit hatte die Kriminalgeschichte kein wei­teres Verbrechen zu verzeichnen, in dem das furcht­bare Gift eine Rolle gespielt hätte.

Bis nun, nach fast achtzehn Jahren, ein neuer Fall eintrat, der mittels des gleichen Giftes ein Opfer for­derte. Wer war der Mensch, der es verstanden hatte, sich in den Besitz dieses grausigen Mittels zu brin­gen? Seine Zusammensetzung war ein Geheimnis, dass nur wenigen Gelehrten bekannt war und die überdies eifrig darüber wachten, dass es nicht in un­rechte Hände geriet.

Es war nahezu unmöglich, dass Verbrecher sich unbemerkt jenes Giftgeheimnisses bemächtigen konnten! Und dennoch! Hier in New York lebte eine Bestie in Menschengestalt, die es verstand, sich des furchtbaren Giftes zu bedienen! Eveline Shawler war ihr erstes Opfer.

Wirklich das erste?

Sherlock Holmes erschauerte plötzlich. Wie nun, wenn jener Unhold schon seit geraumer Zeit sein Wesen in New York trieb? Dass es nur ein Zufall war, wenn man erst jetzt Kenntnis davon erhielt?

»Entsetzlicher Gedanke!«, murmelte Sherlock Holmes. Fest entschlossen, nicht eher zu ruhen, als bis er restlose Klarheit geschaffen hatte, begab er sich zur Detektiv-Zentrale.

Inspektor Wimberton überschüttete ihn mit einer wahren Flut von Vorwürfen, als er bei ihm erschien. Wimberton war immer noch bitter gekränkt, dass Holmes gestern Abend so sang- und klanglos und ausgerechnet auch noch während seiner Rede ver­schwunden war.

»Es scheint«, schloss er seine Gardinenpredigt, »dass Sie es darauf anlegen, mir selbst au­ßerdienstlich eine Streich nach anderen zu spielen.«

»Das bilden Sie sich wieder einmal ein«, merkte der berühmte Detektiv mit einem Lächeln an.

»Nein«, protestierte Wimberton missmutig, »das bil­de ich mir nicht ein. Der Kuckuck mag wissen, was in Wirklichkeit hinter Ihrem gestrigen Verschwinden steckte!«

»Etwas sehr tragisches«, erwiderte Holmes und wurde ernst. »Aus den Zeitungen haben Sie ja nicht viel entnehmen können, weil die Blätter ausnahmslos falsch von mir über den wahren Sachverhalt unter­richtet wurden. Es ist nicht nötig, dass gewisse Leute gleich wissen, was los ist.«

»Das geht auf mich, wie?«

»Nein, das geht auf einen Schurken, den un­schädlich zu machen ich fest entschlossen bin.«

Und er berichtete, was sich ereignet hatte.

»The devil!«, murmelte der Inspektor, als Holmes endete.

»Das ist allerdings mehr, als ich erwartet habe. Und nun? Was wollen Sie nun tun?«

»Das hängt ganz von den Auskünften ab, die ich von Ihnen erhalten werde. Ich werde nämlich die Vermutung nicht los, dass zwischen den Giftverbre­chen, die sich vor achtzehn Jahren in London ereig­neten, und dem hier, dem ich jetzt auf die Spur ge­kommen bin, irgendein Zusammenhang besteht. Nicht in der Form etwa, dass der Londoner Täter der­selbe wäre wie dieser hier. Nein, nein. Rodger wurde ja damals hingerichtet. Aber es wäre nicht ausge­schlossen, dass Rodger seinerzeit Mithilfe, Mitwis­ser hatte, die das Geheimnis des indischen Giftes kennen und heute noch unter den Lebenden weilen.

Das Gift ist so unbekannt, so schwer herstellbar, dass mir der Gedanke, ganz wildfremde Menschen könnten sich in den Besitz des Geheimnisses gesetzt haben, überaus unwahrscheinlich ist. Vielleicht er­weist sich meine Kombination als falsch. Nun gut, dann habe ich mich eben verrechnet.

Jedenfalls möchte ich aber auf keinen Fall ver­säumen, mich über den Kreis der Persönlichkeiten zu informieren, die seinerseits mit dem Londoner Professor in Verkehr standen.«

Inspektor Wimberton nickte.

»Wir haben seinerzeit mit Erlaubnis der engli­schen Regierung Kopien der Akten anfertigen las­sen«, erklärte er, »weil der Fall auch uns als ameri­kanische Polizeibehörde interessierte. Ich werde sogleich persönlich die betreffenden Stücke aus dem Geheimarchiv heraussuchen. Entschuldigen Sie mich bitte für ein paar Minuten.«

Als er nach einer Viertelstunde wiederkam, zeigte sein Gesicht eine leise Röte.

»Sie haben eine verflixt gute Nase, Mr. Holmes«, stieß er hervor, »das muss Ihnen selbst der Neid las­sen!«

Der Weltdetektiv erhob sich.

»Haben Sie etwas gefunden, was uns ein Finger­zeig sein könnte?«

»Vielleicht mehr, als Sie zu hoffen wagten«, gab Wimberton zurück und warf die Akten auf den Tisch, dass eine riesige Staubwolke emporstob.

»Yes«, fuhr er fort. »Professor Rodger wurde unter Einziehung seiner Patente und seines Vermögens zum Tode durch den Strang verurteilt. Aber das Ur­teil wurde nicht vollstreckt, sondern Monate später durch einen Gnadenakt in eine Zuchthausstrafe auf Lebenszeit umgewandelt.«

Sherlock Holmes’ Gestalt straffte sich.

»Und?«, rief er. »Und? Ich sehe Ihnen an, dass dies nicht alles ist, was Sie mir zu sagen haben!«

Wimberton nickte.

»Stimmt. Die Akten weisen noch einen Nachtrag auf, der nun bald sieben Jahre alt ist. Es heißt da kurz und bündig, dass Ephraim Jones Rodger gelegentlich einer Brandkatastrophe gemeinsam mit drei anderen Gefangenen aus dem Zuchthaus entwich und bislang nicht wieder ergriffen werden konnte.«

»By Jove!«, murmelte Sherlock Holmes.

Dann sank er leise auf den Sessel zurück und starr­te schweigend vor sich nieder.

Fortsetzung folgt …