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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 2 – 5. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 2
Die schwarze Schlange
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin
5. Kapitel

Das Ende der Schwarzen Schlange

Als er wieder zu sich kam, sah er den nachtschwar­zen Himmel über sich. Eine ganze Weile lag er un­beweglich. Von irgendwoher schlug festes Stimmen­gemurmel an sein Ohr. Rechts und links streifte ihn regennasses Gestrüpp. Man schien ihn von der Land­straße fort und auf das Feld geschleppt zu haben. Als er versuchte, sich zu bewegen, merkte er, dass man seinen Körper mit Stricken umwunden hatte.

Auf einmal hatte er das Gefühl, als streiche eine Hand über seine Füße dahin. Regungslos verharrte er, um unter halb geschlossenen Lidern zu beobach­ten, was das bedeutete. Da! Schon wieder! Deutlich empfand er, wie jemand seine Fußfesseln zu lösen bestrebt war.

»Jonny«, flüsterte er. Jäh fuhr die Hand zurück. Dafür fühlte er plötzlich den Atem eines Menschen dicht neben seinem Kopf.

»Still!« lispelte eine Stimme, in der Sherlock Hol­mes sofort die seines Helfers erkannte. »Die Halunken stehen am Bahndamm und warten nur auf den Express. Man will Sie gebunden auf die Schienen werfen. Ich habe alles gehört und auch vorhin alles mitangesehen. Aber es war bereits zu spät. Ich konn­te nicht mehr helfen. Ich folgte den Männern, die mit Sir Douglas ge­flüstert hatten, über die Landstraße bis zum Bahn­übergang. Dort drehten sie die Schranke herunter – und dann kamen Sie bereits im Wagen. Alles ging so schnell. Jetzt durchschneide ich aber die Fesseln. Die Bande soll nicht triumphieren: Sie gehören alle zu den Brüdern von der Schwarzen Schlange. Sir Douglas ha sich mit ihnen vereinigt. Er will Alleinbesitzer der Carinpoolschen Millio­nen werden. Autchin musste die unglückliche Gattin Lord Archibalds vergiften. Als Nächster soll der Lord selbst beseitigt werden. Von Autchin, der nach der Tat nicht weiter mitmachen und ins Ausland reisen wollte, fürchtete man Verrat, und darum wollte man ihn beseitigen. Von Duck, der nach dem Anschlag verletzt zur Bande zurückkehrte, erfuhr man, dass Sie plötzlich im Spiel waren. Das veranlasste Sir Doug­las, sofort zum Schloss zu fahren. Er wollte die Plünderung des Sarges selbst entdecken, um die Spur von sich auf andere zu lenken. In Wirklichkeit gehört er selbst zu den Räubern …«

»Das alles weiß ich längst!«, flüsterte Sherlock Hol­mes und konnte sich trotz der gefährlichen Situation eines Lächelns nicht enthalten. »Und nun aufgepasst. Du wirst meine Fesseln so weit lösen, dass ich zu gegebener Zeit daraus entschlüpfen kann. Die Bande will mich vor den Express werfen. Allright, das Ver­gnügen sei den Halunken gegönnt. Sie sollen ruhig glauben, die Räder hätten mich zermalmt. Umso größere Augen werden sie machen, wenn … Jonny, gib Acht, was ich dir jetzt sage. Die Bande wird mit dem Auto fortfahren. Du wirst sie aber, ehe sie London erreicht haben, aufhalten. Verstehst du mich?«

Und er flüsterte leise, während Jonnys Hände sich eifrig mit den Stricken beschäftigten.

»Ihnen jetzt das Handwerk zu legen, ist leider un­möglich«, schloss er leise. »Die Burschen werden mich vollkommen ausgeplündert haben. Ich habe also keinerlei Waffe. Und du?«

»Vier Schuss habe ich im Browning.«

»Da haben wir es. Wir stehen vier Mann gegenüber, jeder Einzelne ist schwer bewaffnet. Wir würden Selbstmord begehen, wenn wir augenblicklich den Kampf wagten. Also, tue, wie ich dir gesagt habe.«

Inzwischen hatte Jonny sein Werk beendet. Den Stricken war nicht anzusehen, dass sie gelockert worden waren, und doch war Sherlock Holmes im­stande, sich binnen einer Minute ihrer zu entledigen, wenn der richtige Augenblick dazu gekommen war.

»Wenn es dir gelingt«, flüsterte Sherlock Holmes, »die Bande eine Stunde aufzuhalten, wird alles in Ordnung sein!«

Jonnys Augen blitzten.

»Sie sollen mit mir zufrieden sein. Mr. Holmes!« Gleich darauf schreckte er zusammen. »Hören Sie es? Das Dröhnen? By love – es ist der Express!«

Die Stimmen auf dem Bahndamm wurden erregter. »Fort!«, stieß Sherlock Holmes hervor.

Wie ein Schemen verschwand Jonny im Dunkel der Nacht. Da kamen auch schon ein paar dunkle Gestalten durch die Finsternis herangestolpert. Gleich darauf zuckte eine Taschenlampe auf. Der Schein fuhr den Gefesselten über das Gesicht und glitt den Körper entlang.

Dann erscholl ein durchdringendes Brummen, und eine tiefe Stimme sagte: »Harry hat gut zugeschlagen. Er rührt sich noch immer nicht!«

»Hinauf auf die Schienen mit dem Spürhund!«, keuchte ein anderer. Es war der Chauffeur. »Dalli – wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Und dann fort!«

Sherlock Holmes fühlte sich emporgerissen und fortgeschleppt. Er machte sich schwer, lag wie ein Toter in ihren Armen. Die Banditen hatten ihre Mü­he, den reglosen Körper an die gewünschte Stelle zu befördern.

Schon tauchten in der Ferne die Lichter der Loko­motive auf, die zusehends näherkamen. Mit grimmen Humor stellte Sherlock Holmes fest, wie sich die Burschen bemühten, seinen Körper so auf die Schienen zu legen, dass – wenn die Räder wirklich über ihn hinweggingen – nichts, buchstäblich gar nichts von ihm übrig bleiben musste.

Dann flüchteten sie. Wahrhaftig nicht zu früh, denn die glühenden Augen würden bereits bis auf wenige hundert Meter herangekommen. Funken stoben aus dem Schornstein der heranbrausenden Lokomotive, ein Zeichen, dass die Männer dort oben mit dem Feuern des Kessels beschäftigt waren und der Stre­cke für den Augenblick wenig Aufmerksamkeit schenkten.

Näher und näher brauste das Unheil heran. Zwei­hundert Meter … hundertfünfzig … hundert … Die Schienen dröhnten und zitterten.

Aber, zum Teufel, warum rollte sich Sherlock Hol­mes nicht zur Seite?

Hatte ihn die Erregung der Sinne beraubt? Nein, nicht das war es, aber nun, da er versuche, sich zur Seite zu werfen, musste er entdecken, dass ihn die Banditen mit dem einen Ende des Strickes an die Schienen angebunden hatten. Das Stampfen des Ex­press übertönte den Ruf des Entsetzen, der von des Kriminalisten Lippen brach. Fünfzig Meter noch … vierzig … dreißig …

Da bäumte sich Sherlock Holmes Körper in gigan­tischer Kraft auf. Der Strick knirschte. Aber er riss nicht. Dennoch hatte er sich etwas gelockert. So viel, dass sich der Welt-Detektiv mit voller Wucht zu Sei­te werfen konnte, ohne jedoch imstande zu sein, den festgebundenen Fuß, der sich jedoch außerhalb der Räder befand, fortziehen zu können. Da brauste auch schon die Lokomotive heran, den Strick wie einen Zwirnsfaden zerschneidend.

Und Sherlock Holmes rollte den Damm hinab, während der Express donnernd vorüberbrauste …

Als der Express in der Ferne verschwand, rasten die Verbrecher bereits im Kraftwagen über die Landstraße dahin. London entgegen. So eifrig wie jetzt hatten sie es auch beim Besteigen des Wagens ge­habt und so war ihnen die Tatsache, dass sich im Augenblick der Abfahrt eine dunkle Gestalt auf den rückwärtigen Gepäckhalter geschwungen hatte, ent­gangen.

Wie hätten sie auch ahnen können, dass ihr Treiben die ganze Zeit einen Zeugen gehabt hatte! Jonny Huston verlor keine Sekunde den Auftrag aus den Augen, der ihm übertragen worden war. Sein aufgeklapptes Taschenmesser tat gute Arbeit. Der blanke Stahl wurde von seiner Hand kräftig auf den Mantel des linken Hinterrades gepresst, bis es den ge­wünschten lauten Knall gab, der das Platzen des Reifens ankündigte. Im Nu verringerte das Automo­bil seine Geschwindigkeit. Ehe es stand, hatte Jonny es aber bereits verlassen und betrachtete sich nun vom Chausseegraben aus die Wut der Insassen, die annahmen, der Reifen sei durch Glasscherben beschädigt worden.

Einen Ersatzreifen führte man nicht mit sich. Mit der Reparatur würde geraume Zeit verstreichen. Wenn Sherlock Holmes sich nun beeilte, dann …

Jonny Bustons Herz klopfte schneller vor banger Erwartung. Im Laufschritt war Sherlock Holmes zum Schloss geeilt. Die Strecke, für die der Kraftwagen vorhin zehn Minuten benötigt hatten,

verschlang nun deren zweiundzwanzig. Aber was schadete das? Im dunklen Feldweg stand der wartende Acht-Zylinder.

Der Chauffeur riss Mund und Ohren auf, als ihn Sherlock Holmes mit wenigen Worten verständigte, aber er war Mann genug, sofort zu handeln. Zuerst ging es ins Schloss zurück.

Sir Douglas glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als plötzlich Sherlock Holmes zur Tür hereinkam.

»Mr. Holmes!«, stieß er hervor. »Sie … sind … noch … hier …?«

»O nein«, erwiderte der Welt-Detektiv trocken, »ich bin wieder hier. Auf den Schienen war es mir zu ungemütlich. Sir. Es zog zu sehr. Und darum …«

Doug­las Carinpool wurde leichenblass.

»Was … was sprechen Sie da für seltsame Worte!«, keuchte er. »Ich verstehe … verstehe nicht, was …«

»Warum spielen Sie immer noch Komödie?«, rief Sherlock Holmes kopfschüttelnd. »Glauben Sie, ich wüsste nicht längst, was hier für ein Spiel gespielt wurde? Ihre Komplizen sind bereits verhaftet und …«

Weiter kam er nicht, denn Douglas machte einen wilden Satz zur Tür hin. Ehe er sie aber erreichte, fühlte er Sherlock Holmes nervige Faust im Genick. Irgendetwas Metallenes wirbelte durch die Luft – und dann klirrten auch schon die Handschellen an Sir Douglas’ Gelenken.

Drei Minuten später jagte der Kraftwagen den Weg zurück, den er gekommen war. In toller Fahrt flog er da­hin. Als es über die Schienen ging, konnte sich Sher­lock Holmes eines grimmigen Lächelns nicht erweh­ren.

»Da!«, sagte er und wies hinaus. »Hier erwarteten mich vorhin die von Ihnen gedungenen Mörder!«

Douglas’ Augen waren glasig. Aber er antwortete nicht. Nicht, weil er nicht konnte. Sherlock Holmes hatte es aus bestimmten Gründen für richtig befun­den, seinem Gefangenen einen leichten Knebel in den Mund zu schieben.

Nach weiterer etwa halbstündiger Fahrt fuhr der Chauffeur leicht zusammen. Er hatte im Licht der Scheinwerfer einen haltenden Kraftwagen erblickt.

Zwei Männer standen mitten auf der Straße und winkten lebhaft.

»Die Burschen halten uns für harmlose Automobi­listen und werden unsere Hilfe erbitten«, murmelte Sherlock Holmes, um dann mit einem leisen Auflachen fortzufahren:« Die Panne, die Jonny ihnen ver­schafft hat, scheint nicht von Pappe zu sein!«

Dann flüsterte er noch ein paar rasche Worte mit dem Chauffeur. »Sie halten – und ich entwische links aus dem Wagen – alles andere findet sich von selbst. Haben Sie den Revolver zur Hand?«

»Ja. Mister Holmes.«

»Allright. Ich nehme den, welchen ich bei Douglas fand. Also, nun aufgepasst!«

Der Wagen verminderte seine Geschwindigkeit. Vier Meter vor dem anderen stand er still. Zwei der Banditen liefen herbei. Zwei andere hockten am Straßenrand und mühten sich ab, den Reifen zu fli­cken, ohne dass das Werk anscheinend große Fort­schritte machte.

Geräuschlos und ungesehen verließ Sherlock Hol­mes auf der anderen Seite den Wagen, schlich hinten um ihn herum und belauschte von hier, wie die Bur­schen wirklich um einen Ersatzreifen baten.

»Das trifft sich gut«, sprach Sherlock Holmes’ Chauffeur, »ich komme eben aus Howton und habe vier neue Mäntel geholt. Drinnen im Fond liegen sie.«

Erfreut öffnete einer der Burschen den Wagen­schlag, griff hinein und fühlte drinnen eine mensch­liche Gestalt. Unwillkürlich prallte er zurück.

Da stand auch schon der Zweite neben ihm. Wollte ebenfalls den ersehnten Reifen aus dem Wagen neh­men. In diesem Augenblick durchschnitt die dunkle Gestalt eines Mannes die Luft, warf sich mit einem mächtigen Satz auf die beiden an der Wagentür ste­henden Verbrecher und stieß diese mit dem Köpfen zusammen, dass es krachte. Zwei blitzschnell fol­gende Faustschläge taten ihr Übriges. Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzten sie besinnungslos zu Boden.

Die Szene war nicht unbemerkt geblieben. Die beiden am Straßengraben ließen den Reifen im Stich und sprangen mit wilden Flüchen auf die Füße. Ehe sie aber dazu kamen, die Schießeisen zu ziehen, fuhr ihnen von hinten Jonny wie der leibhaftige Gottsei­beiuns auf das Fell. Die darauffolgende Panik führte zum gewünschten Ende. Sherlock Holmes sprang mit drei, vier Sätzen heran – und seiner drohenden Re­volvermündung wagten sie keinen Widerstand ent­gegenzusetzen.

Ihr panischer Schrecken nahm aber Formen des Grauens an, als sie erkannten, dass der Mann vor ihnen stand, den sie zermalmt auf den Schienen wähnten.

Kaum drei Minuten später war die ganze Bande gefesselt, dass sie kein Glied mehr rühren konnte.

»So«, meinte Sherlock Holmes, »und nun noch Scot­land Yard!«

Das Londoner Polizeipräsidium wurde nach ein­stündiger Fahrt erreicht. Wie Sherlock Holmes er­wartet hatte, traf er Inspektor Burd, der Nachdienst hatte, in seinem Büro an. Burd war rosigster Stim­mung.

»Der Teufel mag wissen, was Sie noch zu so später Stunde zu mir führt«, meinte er, »aber das will ich Ihnen schnell sagen: Wenn Sie glauben, Autchin sei Mitglied der Schwarzen Schlange, dann befinden Sie sich auf dem Holzweg. Der Mann hat mit der Bande nichts weiter zu tun, als dass er das Pech hat­te, von ihnen überfallen zu werden!«

»Meinen Sie?« Sherlock Holmes lächelte. »Nun, Sie werden, schätze ich, binnen zehn Minuten ande­rer Meinung sein. Ich habe Ihnen da nämlich eine kleine Musterkollektion von garantiert echten Schlangenbrüdern mitgebracht. Wenn Sie gestatten, führe ich ihnen die Sammlung sogleich vor …«

Und zur Tür herein marschierten, von stämmigen Policemen flankiert, die Herren von der Schwarzen Schlange«

»Hell and devils!«, fluchte der Inspektor. »Was soll das?«

»Sie werden es gleich erfahren!«, erwiderte Sher­lock Holmes und begann zu berichten.

Je länger er sprach, so stiller wurde Burd, und als er schließlich zum Ende kam, wusste Burd nichts ande­res zu tun, als den berühmten Kriminalisten in stummer Bewunderung die Hand hinzustrecken, die dieser fröhlich ergriff und schüttelte.

Als am anderen Morgen sämtliche Zeitungen Sherlock Holmes’ Abenteuer mit den Brüdern von der Schwarzen Schlange schilderten und das Verbrechen des jungen Carinpool in spaltenlangen Artikeln besprachen, gab es in London nur eine Mei­nung: die der Bewunderung für den Kriminalisten. Sherlock Holmes aber wehrte wie immer den Dank ab – und wenn er aus dem Lob, das man ihm von allen Seiten zollte, etwas entnahm, so nur das eine: den besten Willen, weiterzukämpfen gegen das Ver­brechertum, weiterzukämpfen gegen das Schlechte dieser Welt!

Der dritte Band betitelt sich:

Die Menschenfalle in Brooklyn