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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Welt-Detektiv Nr. 2 – 2. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 2
Die schwarze Schlange
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin
2. Kapitel

Ein dunkles Geheimnis

Da in diesem Zimmer das elektrische Licht noch brannte, sah Sherlock Holmes sogleich, was sich ereignet hatte. Das Glas einer Standuhr war zersplit­tert. Ein Stuhl lag umgestürzt auf dem Teppich.

Dicht daneben, zwischen Uhr und Schreibtisch, hockte mit vornüber geneigtem Oberkörper ein Mann. Die linke Hand umkrampfte das Bein des niedergestürzten Stuhles, die andere den Schaft eines Brownings. Als Jonny hereinkam, kniete Sherlock Holmes bereits neben dem Mann, der wohl kein anderer war als Dr. Bate Autchin, der Bewohner des Hauses.

Holmes wandte kurz den Kopf. »Sieh zu, dass du die Wasserleitung findest, Jonny«, knurrte er. »und eine Schüssel. Verbandzeug habe ich selbst bei mir.«

Überraschend schnell war Jonny mit dem Gewünsch­ten zur Stelle.

»Glatter Durchschuss«, murmelte Sherlock Holmes, der den Verletzten die Oberkleidung aufgeschnitten hatte.

Böse Sache. Die Lunge muss durchbohrt sein. Aber, wer weiß, es gibt Leute, die so was überstehen. Dann sprach er kein Wort mehr und wandte nur dem blei­chen Mann seine Aufmerksamkeit zu. Mit geübter Hand wusch er die Wunde und legte mit der uner­schütterlichen Ruhe eines Arztes den Verband an.

Indessen hatte sich Buston im Raum umgesehen. Das Zimmer machte trotz seiner eleganten Einrich­tung einen unbewohnten Eindruck. Dr. Autchin schien sich hier recht wenig aufzuhalten. Von einer weit aufgerissenen Schublade abgesehen, in der un­befugte Hände gewühlt zu haben schienen, ließ nichts auf irgendeinen Raub schließen. Im Übrigen entsann sich Jonny auch, dass zwischen den Detona­tionen der Schüsse und dem Erscheinen Duck und Greanters nur ein Zeitraum von höchstens zwei Mi­nuten lag, sodass eigentlich auch aus diesem Grund keine Suche nach versteckten Wertsachen oder der­gleichen stattgefunden haben könnte.

Um einen gewöhnlichen Raubüberfall konnte es sich also kaum handeln. Auch sonst war Jonny dank der durch seinen großen Meister erworbenen Kennt­nisse imstande, sich ein ungefähres Bild über das Vorkommnis zu machen. An der Art, wie der Stuhl auf dem Teppich lag, erkannte er, dass Dr. Autchin am Schreibtisch gesessen und dort geschrieben hatte, als die Schlangenbrüder erschienen.

Dies wiederum sprach dafür, dass Duck und Greanter nicht an der Haustür geklingelt, sondern das Haus selbständig betreten hatten, sei es nun, dass sie Schlüssel zur Tür besaßen oder aber den Dietrich benutzten. Womit sich der Arzt beschäftigte, ehe er den gewiss unerwünschten Besuch empfing, war un­schwer festzustellen.

Aufgeschlagene Kursbücher verrieten in Gemein­schaft mit einem Blatt Papier, auf dem einige An­schlüsse notiert waren, dass Autchin vor einer Reise gestanden hatte, die scheinbar der aufgeschlagenen Route nach zu urteilen, über den Kanal nach Paris und von hier aus nach der Riviera gehen sollte. Schließlich stellte Jonny auch noch fest, der Sherlock Holmes Behauptung, auch der Überfallene habe geschossen, zu recht bestand. Die Kammern des Brownings, die Autchin in der verkrampften Hand gehalten hatte, waren bis auf einen voll gefüllt.

Noch als Jonny die Waffe nachdenklich in der Hand wog, begann hinter ihm der Verletzte zu sprechen.

Die ersten Worte vermochte er nicht mehr zu ver­nehmen.

»Die Gruft … Duck, fort … ihr Höllenbrut … fort von der Gruft … der …«

Was dann noch folgt, blieb wieder unverständlich. Dann schwieg der Verwundet völlig.

Sherlock Holmes erhob sich mit undurchdringli­cher Miene aus seiner knienden Stellung.

»Dort steht ein Telefon«, sagte Jonny, »soll ich …«

»Nein, geh hinunter zu Greanter und gib Acht auf ihn«, erwiderte Holmes. »Ich werde selbst Arzt und Polizei verständigen.«

Damit schritt er auf den Apparat zu, der auf dem Schreibtisch stand, aber ehe er ihn erreicht hatte, fuhr er leicht zusammen. Grell und schrill schlug die Tele­fonglocke an. Kein Muskel zuckte in des großen Kriminalisten Antlitz, als der den Hörer von der Ga­bel nahm und sagte:

»Hier Dr. Autchin. Jemand dort?«

»Ja, das Fernamt. Sie meldeten vor einer halben Stunde ein Gespräch nach Pine-Garden Nr. 36 an.«

»Jawohl, natürlich«, bestätigte Sherlock Holmes.

»Kann ich sprechen?«

»Leider nicht. Der Teilnehmer meldet sich nicht. Anscheinend ist die Leitung plötzlich gestört, denn vor 40 Minuten führte der Teilnehmer noch ein län­geres Gespräch mit London. Das Telefonamt Pine-Garden kann die Leitung aber nicht mehr untersu­chen, weil der Teilnehmer weit vom Ort wohnt. Es wäre aber nicht ausgeschlossen, dass der Sturm die Leitung irgendwie beschädigt hat. Jedenfalls tut es mir leid, Sie heute nicht mehr verbinden zu können.«

»Verbindlichen Dank für die Auskunft«, erwiderte der Welt-Detektiv.

Einen Augenblick stand er unschlüssig. Dann blät­terte er eifrig im Telefonbuch, aber ehe er gefunden hatte, was er suchte, wandte er ich an Jonny, der eben wieder mit zufriedener Miene zur Tür herein­kam, und rief ihm zu: »Dalli, rufe unseren Freund Shildress an. Er soll uns sofort einen Wagen herschicken. Wir müssen noch heute zum Schloss Carinpool.«

»Carinpool?«, murmelte Jonny betroffen. Der Na­me war ihm geläufig. Erst heute Mittag hatte die Ti­mes einen langen Artikel über die Trauerfeierlich­keiten auf dem Schloss gebracht. Die Gattin des Lords war vor einigen Tagen gestorben und heute Vormittag beigesetzt worden.

Ungläubig starrte er den Meister an und murmelte noch einmal: »Nach Carinpool?«

Aber Sherlock Holmes gab keine Antwort. Er schlug die Seite auf, auf der die Teilnehmer des Be­zirkes von Pine-Garden angeführt waren, und stieß einen zufriedenen Pfiff aus. als er seine Vermutung bestätigt fand, dass der Anschluss Nr. 36 Schloss Caringpool gehörte.

Währenddessen hatte sich Jonny des Auftrags ent­ledigt. Nun wandte er sich wieder an Holmes, der schweigend, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab schritt, und sagte: »Shildress schickt sei­nen schwersten Acht-Zylinder, Mr. Holmes.«

»Gut, und was macht Greanter?«

»Er liegt noch auf demselben Fleck.«

»Immer noch ohnmächtig?«

»Im Gegenteil. Er knirscht mit den Zähnen und rollt mit den Augen wie ein Tiger im Fangeisen.«

»Hol den Burschen herauf. Aber mache ihn recht nachdrücklich auf deine Knallmaschine aufmerksam. Wette, er wird dir gehorchen wie ein geprügelter Köter.«

Jonny eilte hinaus.

Sherlock Holmes trat nochmals zum Telefon und verständigte Scotland Yard sowie einen in der Nähe wohnenden Arzt.

Als er sich wieder zur Tür wandte, kam just Grean­ter, von Jonny mit dem Browning in Schach gehal­ten, herein. Greanter war zwar der Fußfesseln ledig, hatte aber immer noch Handschellen an den Handge­lenken. Sein Blick war unverschämt, seine Haltung trotzig. Die Wut, einem Todfeind in die Hände ge­laufen zu sein, war ihm deutlich anzumerken.

Sherlock Holmes maß ihm mit kalten Augen.

»Schätze, wir stehen uns nicht das erste Mal ge­genüber«, sagte er.

»Hol’s der Teufel, sind auch einer von jenen, die es nicht lassen können, das Knallen. Da liegt Autchin. Er ist nicht tot. Sie werden alt, Greanter. Sie können nicht mehr schießen.« Er machte eine kurze Pause, und starrte den Mann fest an. Dann sagte er kurz: »Nun, haben Sie mir gar nichts zu erzählen?«

Greanters verbissene Miene sagte genug. Sherlock Holmes zuckte die Achseln.

»Dann lassen Sie es nur bleiben. Autchin wird ge­sund werden und selbst erzählen.«

Da fuhr Greanters Kopf hoch. Hass sprühte in sei­nen grünen Katzenaugen.

»Nichts wird er erzählen! Kein Wörtchen wird er sagen!«

»Glauben Sie?«, meinte Holmes plötzlich. »Und wenn es wirklich so wäre: Bilden Sie sich ein, dass deswegen das Verbrechen auf Schloss Carinpool unentdeckt bleiben würde?«

Wie von einem Peitschenhieb getroffen, wich Greanter zurück. Staunen. Schreck. Entsetzen. Furcht – das alles malte sich blitzschnell hintereinander auf seinen verworfenen Zügen. Er zitterte, und sein Atem ging stoßweise.

Jonny war der Szene in sprachloser Verwunderung gefolgt. Er begriff nicht, wie Sherlock Holmes darauf kam, ein angeblich in Caringpool begangenes Verbrechen mit diesen Dingen hier in direkten Zu­sammenhang zu bringen. Und doch verriet ihm das verstörte Wesen Greanters, dass Holmes Gedanken­gang richtig sein müsste.

Keinen Augenblick hatte Sherlock Holmes das Mitglied der Brüder der Schwarzen Schlange aus den Augen gelassen. Nun verschränkte er die Arme über der Brust und sagte: »Autchin schoss und traf Duck. Wer aber schoss auf Auchin? Sie natürlich!«

Greanters Gesichtsfarbe wurde aschgrau.

»Nein«, schrie er. »Duck feuerte zuerst!«

»Interessant«, konstatierte der Detektiv, »dann ist Duck also weniger schuldig als Sie.«

Greanter starrte ihn verständnislos an.

»Ja, ja«, meinte Holmes, »weil der erste Schuss daneben ging und die Standuhr demolierte. Das also war Ducks Werk. Dann schossen Sie als Zweiter. Sie geben es zu. Und Sie streckten Autchin nieder.«

Greanter stieß einen Fluch aus.

»Sie sind ein Teufel!«, zischte er.

Ein eigenartiges Lächeln umspielte die Lippen des weltberühmten Detektivs, als er entgegnete: »Genau dasselbe haben Sie mir schon einmal ge­sagt. Damals, sieben Jahre mögen es her sein, als ich Sie beim Bankeinbruch am Mattson Square festna­gelte. Dachte wirklich, Sie ließen endlich die Finger von heißen Sachen, ganz besonders von solchen, die von der Schwarzen Schlange inszeniert waren. Wie lange gehören Sie eigentlich schon zu der Bande?«

Greanter zuckte erneut zusammen. Offenbar er­schütterte ihn die Tatsache tief, dass Holmes von Dingen Kenntnis besaß, die er als sein Geheimnis betrachtet hatte. Aber er schwieg, presste die Lippen fester zusammen denn je.

»So, so«, sprach Sherlock Holmes, »spielen also den stummen Mann. Nun gut. Aber vielleicht sagen Sie mir dann, wie lange Autchin mit zur Bande ge­hörte?«

Er nickte plötzlich, als er Greanters neu aufflam­mendes Entsetzen erkannte.

»Ja«, fügte er hinzu. »ich weiß, dass Autchin Mit­glied der Brüder von der schwarzen Schlange ist. Weiß überhaupt noch eine ganze Menge, lieber Freund, und mehr wahrscheinlich, als Ihnen lieb sein wird.«

Das Erscheinen des Arztes unterbrach die inhalts­schwere Konversation. Greanter wurde ins Neben­zimmer gebracht und wieder völlig gefesselt. Nicht viel später hielt der erwartete Acht-Zylinder, ein prachtvoller, hundertpferdiger Kraftwagen mit fast lautlos arbeitendem Motor, vor dem Haus, und drei Minuten darauf fegte der Sportzweisitzer Burds, des Inspektors von Scotland Yard, heran.

Burd machte große Augen, als Sherlock Holmes sich bald darauf zum Fortgehen anschickte. Er ver­suchte, ihn zu halten, aber es war umsonst. Holmes übergab ihm das aufgesetzte Protokoll und entfernte sich dann, von Jonny auf dem Fuß gefolgt. Unten bestiegen sie den leise brummenden Kraftwagen, um wenige Augenblicke später bereits mit achtzig Kilo­meter Stundengeschwindigkeit durch die beginnende Nacht ihrem Ziel, Schloss Carinpool entgegenzuja­gen.

Fortsetzung folgt …