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Shane Flannigan 3 – Auf Abwegen

Shane Flannigan 3
Auf Abwegen

Die Frau des Zimmermanns unterhielt sich mit der Tochter des Ladenbesitzers über die neuesten Ereignisse in Coldwater, während sie ihren Einkauf bezahlte. Mehr oder weniger Frauenklatsch, der Shane Flannigan nicht interessierte.

»Shane, würdest du mir helfen, eine Kiste hereinzutragen?«, säuselte Elizabeth Owens, als sich Mrs. Spence anschickte, zu gehen.

»Natürlich.« Er nickte Mrs. Spence zu, die den Laden verließ.

Betsy, wie Elizabeth allgemein genannt wurde, bat Shane ihr zu folgen. Er begleitete sie durch die Hintertür nach draußen. Sie zeigte zum Anbau, der als Lagerraum genutzt wurde, und ging voraus.

»Ich bin froh, dass du wieder hier bist, Shane«, flüsterte Betsy und zog die Tür halb zu.

»Wo ist die Kiste, die ich rein tragen soll?« Die Situation behagte Shane nicht.

»Gefalle ich dir nicht?« Sie trat näher und legte ihre Hand auf seine Brust.

Shane machte einen Schritt rückwärts. Er hatte sie als pausbäckiges Mädchen in Erinnerung, dessen blondes Kringelhaar ständig zerzaust war. Nun war sie eine junge Frau. Sie war hübsch, aber für ihn trotzdem uninteressant. Zum einen war sie zu jung. Sie musste so an die 17 Jahre sein. Zum anderen gefielen ihm keine mädchenhaft aussehenden Frauen. Ihr lieblich reizendes Gesicht weckte sicher in so manchem Mann den Beschützerinstinkt. Shane suchte eine Frau, auf die er sich verlassen konnte. Dass sie sich an ihn heranmachte wie eine aus Lillys Bordell, fand er widerlich. Eine Hure war das eine, eine anständige Frau das andere. Er hatte nichts gegen Huren. Sie machten es alle aus einer schlimmen Lebenssituation heraus.

Als er zur Tür wollte, stellte sie sich ihm entgegen.

»Hast du Angst vor mir, Shane?«, fragte sie glucksend.

»Du bist eine hübsche Frau, Betsy. Doch wenn es hier keine Arbeit für mich gibt, sollte ich besser gehen.«

»Bleib, Shane. Es gibt wenige gutaussehende Männer wie dich.« Sie lächelte. »Du bist anders als die anderen. Aber du solltest öfters lachen, das macht dein kantiges Gesicht weicher.«

»Ich bin nicht anders. Aber ich nutze die Situation nicht aus.«

»Deshalb bist du anders.«

Er schüttelte den Kopf. Es war zu wenig Platz, um in großem Bogen an ihr vorbeizugehen. Am besten, er verschwand hier ganz schnell, bevor die Situation eskalierte. Er wollte sich an ihr vorbeidrängen.

»Sorry, du willst es nicht anders«, sagte sie mit einem mitleidigen Lächeln auf den Lippen. Sie zerzauste mit beiden Händen ihr Haar, fuhr mit ihren Fingernägeln über die rechte Wange. Bevor Shane reagieren konnte, zerrte sie wie wild an ihrem Kleid, bis der Stoff mit einem hässlichen Geräusch am Kragen riss. Plötzlich schrie sie, als wolle sie jemand ermorden und lief hinaus.

»Betsy, bitte beruhige dich«, rief Shane ihr hinterher. Er fluchte leise. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

Betsy lief hysterisch schreiend ins Haus. Bald darauf hörte er Betsys Vater brüllen. Shane hielt es für besser, um die Hausecke nach vorne zu laufen. Gleich darauf hörte er hinter dem Laden Robert Owens toben. Wie ein Verrückter stürmte er um die Hausecke und warf sich brüllend auf Shane, als er ihn erkannte. Owens war an sich ein gutmütiger Kerl, doch davon war momentan nichts wahrzunehmen.

»Du verfluchter Bastard, ich bring dich um.« Seine Stimme überschlug sich fast, als er Shane angriff.

Owens, der gewohnt war, schwere Waren zu tragen, hatte Kraft. Zum Glück war ihm Shane ebenbürtig, denn Owens drosch wie ein Berserker auf ihn ein, während er unartikulierte Laute von sich gab. Immer mehr Menschen versammelten sich um die beiden Kämpfer und mutmaßten um den Auslöser des Kampfes. Irgendwann kam der Sheriff vorbei und gab Befehl, die beiden Raufbolde zu trennen. Drei Männer hielten den tobenden Owens.

»Ich schlag dem Schwein den Schädel ein«, kreischte er und wollte sich aus den Griffen der Männer losreißen.

»Halt’s Maul. Was ist hier los?«, polterte Alan Chambers.

»Mein Kind, mein armes Kind«, nuschelte Owens mit geschwollenen Lippen. »Er hat meinem Mädchen Gewalt angetan. Dafür bring ich ihn um.«

Alan bekam große Augen. »Wer? Shane?«

»Ja, dieses Schwein.« Owens versuchte sich losreißen, doch die Männer hielten ihn fest im Griff.

»Ab in mein Office. Dort unterhalten wir uns. Ihr schert euch nach Hause. Hier gibt es nichts zu sehen«, rief Chambers in die Menge. »Ich brenn dir eine auf den Pelz, wenn du verrücktspielst«, knurrte er Owens an. Er deutete Shane vor ihm herzugehen, der wie Owens etliche Schrammen erhalten hatte.

»Setzt euch.« Alan nahm in seinem Stuhl Platz.

»Ich will mich nicht setzen. Er soll hängen, oder ich knall ihn über den Haufen.« Owens stand in gebückter Haltung, so, als wolle er sich erneut auf Shane stürzen.

Alan sprang um den Tisch herum, knallte Owens seine Hand auf die Schulter und drückte ihn in den Stuhl. »Du redest dann, wenn du gefragt wirst. Langsam reicht es mir«, zischte Alan.

Wenn Owens nicht ganz bescheuert war, dann tat er nun besser, wie von Alan befohlen. Shane kannte diesen Ausdruck in Alans Gesicht. Er war kurz davor zu explodieren. Und dann kam man ihm besser nicht in die Quere. Owens schien den Ausdruck ebenso zu kennen, denn widerspruchslos setze er sich.

Alan bat Shane zu erzählen. Als Shane zu der Stelle kam, wo sich Betsy an ihn heranmachte und sich das Kleid selbst zerriss, sprang Owens brüllend auf. Er warf sich auf Shane und riss ihn samt Stuhl um. Alan zerrte Owens von Shane herunter und knallte dem Ladenbesitzer die Faust aufs Kinn.

»Wenn du in einer Minute noch hier bist, dann sperr ich dich ein.«

»Was ist mit diesem Schwein? Lässt du ihn laufen?« Owens stöhnte.

»Ich sperr ihn ein und du verschwindest. Die Minute ist um.«

Zuerst sah es so aus, als wolle Owens sich wieder auf Shane stürzen, doch dann wankte er aus dem Office.

»Alan deutete auf den Stuhl und starrte eine Weile schweigend vor sich hin. »Ich glaub dir, doch das wird dir nichts nutzen.«

»Ich weiß. Hätte ich das geahnt, wäre ich doch nie mit ihr nach hinten gegangen. Ich wollte lediglich hilfsbereit sein.«

»Du bist in ernsten Schwierigkeiten. Lass ich dich laufen, knallt dich Owens ab, kommt es zu einer Gerichtsverhandlung …«

Alan musste nicht weitersprechen. Shane wusste, dass er in diesem Spiel verdammt schlechte Karten hatte. »Du kennst sie besser als ich. Lässt sie es soweit kommen, einen Unschuldigen hängen zu lassen, nur um ihrer gekränkten Eitelkeit wegen?«

»Für Robert Owens ist seine Tochter eine Heilige. Doch das ist sie nicht. Ich hab Augen und Ohren. Zieht sie ihre Anschuldigung zurück, steht sie vor der ganzen Stadt als Lügnerin da.«

Damit war alles gesagt. Beide wussten, was es bedeutete. »Ich muss dich erst mal einsperren. Ich werde alles versuchen, um dir zu helfen. Ich rede ihr ins Gewissen.« Alan erhob sich, Shane tat es ihm gleich. Er nahm seinen Revolvergurt ab, hängte ihn an einen Haken an der Wand und ging nach nebenan in eine der zwei Zellen.

Als Alan abschloss, fragte Shane: »Du hast mich nicht gefragt, ob ich es gewesen bin?«

Alan neigte seinen Kopf zur Seite. »Ich halte mich für einen guten Menschenkenner.« Bevor er hinausging, drehte er sich nochmal um. »Bevor ich dich unschuldig hänge, lass ich dich laufen, darauf kannst du wetten.«

»Gib Jake Bescheid«, bat Shane.

 

Abends, als es schon dunkelte, kam sein Vormann Jake Morris ins Office. Hinter ihm traten drei seiner Cowboys ein. Männer, auf die er sich absolut verlassen konnte, Asher Whitten, Therence Meyers und Zep Turney.

»Hast du vor, Schwierigkeiten zu machen, Jake?«, fragte der Sheriff statt einer Begrüßung.

»Nein.«

Bei der Arbeit auf den Weiden trug kein Cowboy einen Revolver. Nun trugen alle vier ihre Revolvergurte umgeschnallt und jeder hatte ein gutes Gewehr in der Hand. Kein altes Armeegewehr wie viele Cowboys, sondern eine Winchester. Diese vier waren Horacio Fosters Gilde gewesen, die für ihren Boss auf dem Schwanz des Teufels durch die Hölle geritten wären. Wie es aussah, würden sie es auch für Shane tun.

Alan Chambers beging nicht den Fehler, die Männer zu unterschätzen. »Macht keinen Blödsinn, Jungs«, bat Alan mit leiser Stimme. Er spürte förmlich die knisternde Spannung, die in der Luft lag und jederzeit explodieren konnte.

Die Tür zum Office wurde aufgerissen. Wilbur Hershey, der Hilfssheriff stürmte herein.

»Im Golden Nugget hetzt Owens die Leute auf.«

Der Mann überragte die Männer im Raum um einen Kopf und war so dürr, dass es keine Kleidung gab, die ihm richtig passte. Die Hosenbeine waren eine Spur zu kurz.

Jeder der Anwesenden wusste, was das bedeutete.

»Verteilt euch draußen«, befahl Jake seinen Männern.

»Halt«, bellte der Sheriff mit harter Stimme. »Wenn ihr eigenmächtig handelt, könnt ihr eurem Boss Gesellschaft leisten. Los, hebt die rechte Hand und sprecht mir nach.«

»Lass den Scheiß«, knurrte Asher. Der kleine gedrungene Mann galt als ruhig, solange man ihn nicht reizte. Angeblich floss Indianerblut durch seine Adern, und mit dem Messer sollte er ein Ass sein. Alan hatte ihn noch nie in Aktion gesehen und wollte es auch gar nicht.

»Maul halten«, ordnete Alan an. »Ihr schwört, im Namen des Gesetzes zu handeln.« Er kramte in seiner Schreibtischlade und holte unter einem Stapel Steckbriefe einen Stern hervor. »Ich hab nur den einen.«

Zep Turney fing den Stern auf, den Alan ihnen zuwarf. »Bleibt ein Zacken als Reserve, wenn wir ihn teilen«, witzelte er.

Zep war der Witzbold der Truppe. Er sah gut aus mit seinem gewellten, schwarzen Haar und war bei den Frauen sehr beliebt. So manches Herz hatte er schon gebrochen. »Wie sieht’s aus Sheriff, hab ich mit dem Blechding mehr Chancen bei den Frauen?« Zep grinste jungenhaft und hielt sich den Stern probeweise an sein Hemd.

Alan zuckte gleichmütig die Schultern.

»Wer will ihn?« Zep warf den Stern in die Luft. Asher schnappte danach und steckte ihn sich unter seine Lederweste an sein Hemd.

»Ihr schießt nur auf meinen ausdrücklichen Befehl, und dann auch nur in die Luft«, rief ihnen der Sheriff nach, als sie die Tür öffneten.

Jake stellte sein Gewehr an die Wand und legte seinen Revolver auf den Tisch. Ein kurzer fragender Blick zu Alan, dann ging er nach nebenan.

Shane lag auf der Pritsche in der Zelle.

»Sieht fast gemütlich aus«, sagte Jake als Begrüßung.

Shanes Grinsen fiel kläglich aus. Mit wenigen Worten schilderte er die Vorkommnisse.

»Sheriff«, brüllte Jake.

»Bin nicht taub. Was willst du?«

»Hast du die kleine Schlampe schon übers Knie gelegt?«, wollte Jake wissen.

»Ihr Vater ließ mich nicht zu ihr. Sie sei zu stark mitgenommen, wie er meinte.«

»Und jetzt? Du weißt genau, wenn sie bei der Aussage bleibt, ist es aus mit Shane.« Jake hieb mit der Faust gegen die Gitterstäbe.

»Sheriff, es geht los.« Wilbur schaute herein, als Alan antworten wollte.

Alan und Jake liefen nach vorne. Draußen hörten sie Tumult, ein Schuss krachte. Alan angelte nach seinem Gewehr, lud es durch und ging hinaus. An der Spitze der Menschenmenge erkannte er Robert Owens.

»Was soll das? Geht nach Haus!«

»Wir wissen alle, dass du mit Flannigan befreundet bist«, lallte Owens mit schwerer Zunge. »Wir erledigen den Bastard jetzt gleich.«

In seiner Hand trug er einen Strick. Die Meute war genug aufgepeitscht, um Shane zu lynchen. Owens stand auf unsicheren Beinen und wankte mal in die eine, mal in die andere Richtung.

»Willst du uns aufhalten, Sheriff? Wir sind zu viele.«

»Sechs Gewehre sind auf euch gerichtet.«

Das Klicken repetierender Gewehrhähne klang durch die Nacht. Alan gab einen Schuss aus seinem Gewehr ab. Eine Staubfontäne stob vor Owens hoch. Er sprang erschrocken rückwärts, stolperte dabei über seine eigenen Füße und landete in den Armen des Mannes hinter ihm.

»Schert euch nach Hause«, befahl Alan. Wie zufällig zielte er mit dem Gewehr auf Bauchhöhe der Männer. »Los, verschwindet.«

Langsam setzte sich die Gruppe in Bewegung und zerstreute sich. Auch wenn sie einiges an Alkohol getrunken hatte, war ihr Gehirn nicht so vernebelt, dass es komplett aussetzte. Den meisten war bewusst, dass es besser war, nach Hause zu ihren Familien zu gehen. Einige blieben in sicherer Entfernung stehen, schauten zum Gefängnis, hinter dem sie Shane Flannigan wussten, und diskutierten.

Alan glaubte nicht, dass diese Nacht noch etwas geschehen würde, aber zur Sicherheit teilte er Zep und Terence als Wache ein.

»Hol doch mal den Sohn vom Mietstallbesitzer«, bat er Wilbur im Office.

Wenige Minuten später erschien der Hilfssheriff, die Hand fest um den Arm des Gesuchten gekrallt. »Das Bürschchen wollte nicht so recht«, schnarrte er.

»Sheriff, was soll das?«, ereiferte sich Mike Winters. Die Augen des schlaksigen Achtzehnjährigen schielten nervös von einem zu anderen.

»Ich glaube, du hast mir noch nicht die ganze Wahrheit gesagt.« Der Sheriff drückte Winters in den Stuhl vor seinem Schreibtisch und blieb hinter ihm stehen.

»Ich weiß von nichts, Sheriff. Wirklich nicht.«

Alan ging um den Tisch und setzte sich. »Owens wird möglicherweise keine Freude haben, wenn er erfährt, dass du es heimlich mit seiner Tochter im Heu treibst.«

Winters sprang erschrocken auf. Er suchte nach Worten, gab aber nur japsende Geräusche von sich. Wilbur hieb ihm beide Hände auf die Schultern und drückte ihn nieder.

»Also, was ist?«, fragte Alan energisch.

»Das ist Vergangenheit«, flüsterte der Bursche.

»Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.« Der Sheriff beugte sich vor. »Rede.«

»Als der Spieler hier ankam und sie umgarnte, wollte sie von mir nichts mehr wissen. Betsy träumt von einem Leben in einer großen Stadt im Osten. Sie dachte, er nimmt sie mit«, erzählte er gepresst. »Ein eingebildeter Schnösel. Ich hab ihr gesagt, dass der nichts taugt und ihr nur Lügen auftischt. Aber sie meinte, ich sei nur neidisch.«

Der Sheriff überlegte. »Vor einigen Wochen habe ich einen Spieler wegen Falschspiels aus der Stadt gejagt. Doch was hat das mit Shane zu tun? Morgen rede ich mit der Kleinen, ob Owens will oder nicht.«

 

Der Weg zu Owens wurde dem Sheriff abgenommen, denn in aller Frühe kam Betsy Owens in sein Office und verlangte mit Shane zu sprechen.

Shane war überrascht, sie zu sehen. »Bist du zur Vernunft gekommen, Betsy?«

»Ich mache dir ein Angebot, Shane. Ich ziehe meine Anschuldigung zurück, dafür heiratest du mich.«

Er sprang von der Pritsche auf. Ihre Miene blieb ausdruckslos. Sie scherzte nicht.

»Bist du verrückt?«

»Nein. Ich erwarte ein Kind und brauche einen Ehemann.«

Der Sheriff, der hinter der Tür gelauscht hatte, stürmte herein. »Deshalb die Lüge. Ich kenn dich schon sehr lange Betsy, doch dass du deswegen das Leben eines Mannes zerstörst, hätte ich nicht von dir gedacht.« Er war drauf und dran sich auf das Luder zu stürzen und sie zu verprügeln.

Betsy drehte sich schwungvoll um. »Sie sind doch an allem schuld.« Ihre Stimme war eine Mischung aus Verzweiflung und Zorn. »Hätten Sie ihn nicht aus der Stadt gejagt, wäre das hier alles nicht geschehen.«

Sie deutet auf Shane. »Sie sind schuld, dass ich noch immer hier bin. Wir wollten in eine große Stadt reisen, doch Jimmys Geld wurde gestohlen, und Sie haben ihn weggejagt. Ich wollte mit ihm gehen, doch er sagte, er müsse zuerst zu Geld kommen.« Sie war den Tränen nahe.

»Das hat dir der Strolch erzählt? Der hatte gar kein Geld. Falsch hat er gespielt, der Kerl. Deshalb hab ich ihn aus der Stadt gejagt.«

»Sie lügen«, antwortete Betsy aufgebracht. Er hat mir erzählt, wie es wirklich war. Sie sind schuld, dass der Vater meines Kindes weg ist.«

Alan lenkte ein, da er einsah, dass er Betsy von ihrem Glauben nicht abbringen konnte. »Er weiß also nicht, dass er Vater wird?«

Betsy schüttelte den Kopf. »Denken Sie, es würde mir Spaß machen, auf einer Kuhfarm draußen im Nirgendwo zu leben? Zu heiraten ist die einzige Möglichkeit, um von der Gesellschaft nicht ausgegrenzt zu werden.«

»Geh nach Hause, wir reden später miteinander«, beschwichtigte Alan.

 

***

 

Jake Morris und Asher Whitten führten Ersatzpferde mit sich. Sie gönnten sich nur kurze Pausen, denn zu dringend war ihr Auftrag. Die Zeit war ihr Gegner, den Alan Chambers konnte nicht allzu lange warten, um den Richter kommen zu lassen. Kam es zur Gerichtsverhandlung, würde Shane zum Tode verurteilt werden, oder er heiratete Betsy Owens. Natürlich würde er sich für das zweite entscheiden, auch wenn er davon absolut nicht begeistert war.

Nach fünf Tagen war ihre Suche noch immer erfolglos. Ob die Richtung, die sie einschlugen, richtig war, wussten sie nicht. Der Mann konnte überall sein. Wahrscheinlich hielt er sich in größeren Städten auf, doch dort war auch die Konkurrenz größer. Staubig und müde trafen sie in Canon City ein. Eine Goldgräberstadt war für Spieler, Abenteurer und Leute, die es nicht so genau mit ehrlicher Arbeit nahmen, ein Eldorado. Die Beschreibung vom Sheriff passte auf viele Männer, doch es gab sicher nicht viele, denen der Daumen an der rechten Hand fehlte. Vielleicht war er auf diese Weise einmal für Falschspiel bestraft worden.

In Canon City war der Teufel los. Frachtwagen wirbelten Staubwolken vom ausgetrockneten Boden auf, Männer rüsteten sich mit entsprechendem Werkzeug aus und liefen hinaus zu den Goldfeldern. Jeder hoffte auf das große Glück.

Jake und Asher klapperten alle Saloons, Trinkhallen und Zeltbuden ab, in denen getrunken und gespielt wurde. Niemand kannte den Mann oder wollte ihn kennen. Enttäuscht gingen sie an einem Zeltrestaurant vorbei und beobachteten einen jungen Mann, der sein Essen bezahlte. Asher, der Augen wie ein Adler hatte, riss Jake zurück und deutete auf den Mann. Der Daumen an seiner rechten Hand fehlte ihm.

»Mister, bist du Jimmy Blunt?«, fragte Jake.

»Was geht das dich an?«, fauchte der Mann.

»Uns ist es an und für sich egal, aber ich kenne da eine kleine Blonde, die dir nachtrauert.«

»Das kommt vor.« Der Mann grinste.

Er sah recht passabel aus, wie Jake fand. »Erinnerst du dich an Betsy in Coldwater?«

»Was soll das?«, fragte der Mann lauernd.

»Sie erwartet dich.«

»Ihr spinnt doch. Schert euch zum Teufel.«

Jake und Asher nahmen ihn in die Mitte und zerrten ihn mit sich. »Begleitest du uns freiwillig oder sollen wir dich überreden?«, fragte Asher freundlich.

»Einen Teufel werde ich tun.« Jimmy Blunt versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien und trat um sich. Dass er Asher dabei empfindlich am Schienbein traf, war ein Fehler, wie er in der nächsten Minute schmerzvoll erfuhr. Ashers Fäuste prügelten auf ihn ein. Blunt hatte nicht viel Erfahrung im Faustkampf. Er hatte damit zu tun, sich zu decken, Hiebe konnte er keine austeilen. War Asher einmal in Fahrt, war es schwierig, ihn zu bremsen. Jake riss Blunt weg und bekam einen Faustschlag in die Magengrube, der für Blunt gedacht war.

Langsam besann sich Asher. »Hör zu, Blunt«, knurrte er. »Wir haben keine Zeit uns lange aufzuhalten. Wie wir dich zurückbringen, liegt an dir. Dass wir dich zurückbringen, ist sicher. Du wirst die Kleine heiraten, denn sie kriegt ein Kind von dir.«

»Ihr spinnt doch.« Blunts Atem ging stoßweise. Ashers Fäuste hatten ihm schmerzvoll zugesetzt. »Weshalb sollte ich heiraten? Was geht euch das an?«

»Ganz einfach«, erklärte Jake. »Entweder muss unser Boss die Kleine heiraten oder er landet am Galgen. Er will weder das eine noch das andere.«

Blunt schnaufte, richtete sich plötzlich auf und sprang wie ein wild gewordenes Pferd los. Im Gegensatz zu Jake und Asher war er ein guter Läufer. Zudem waren die hochhakigen Stiefel der Cowboys beim Laufen hinderlich. Fluchend rannten sie hinter ihm her. Blunt sah über die Schulter und prallte gegen einen Mann.

»Aufhalten«, rief Jake, »aufhalten.«

Als Jake und Asher schnaufend bei den beiden ankamen, sahen sie den Sheriffstern des Mannes, der Blunt festhielt.

»Danke«, presste Asher hervor und schob seine Lederweste beiseite, sodass der Stern sichtbar wurde.

»Asher Whitten, Hilfssheriff von Coldwater«, stellte er sich vor. »Sheriff, der Kerl hat die Schwester dieses Mannes mit ihrem Baby sitzen gelassen.« Er deutet auf Jake. »Er muss sich der Verantwortung stellen«, log er.

»Nehmt das Schwein mit«, sagte der Sheriff im Weggehen. »Ich hab Wichtigeres zu tun.« Er lief in die Richtung, aus der Schüsse klangen.

 

***

 

Lärm drang ihnen entgegen, als sie am Ende ihrer Kräfte in Coldwater eintrafen. Tage und Nächte waren sie fast ohne Pause durchgeritten. Sie wussten nicht, wie viel Zeit ihnen blieb, ihren Boss zu retten. Als sie die Menschentraube vor dem Saloon sahen, wussten sie, dass es eilte. Asher sprang vom Pferd, noch bevor es stehen blieb. Er hieb seine Fäuste nach allen Seiten, um durch die Menge in den Saloon zu kommen. »Lasst mich durch, lasst mich durch«, brüllte er mit rauer Stimme. Mit geröteten Augen versuchte er die Situation zu erkennen.

Der eine musste der Richter sein, der Sheriff und sein Gehilfe waren anwesend und so viele Leute, dass der Raum fast platzte. Shane, mit einem Gesichtsausdruck, als ginge er zum Galgen, und Betsy standen vor dem Pater.

»Mein Sohn, dies ist eine heilige Zeremonie«, erklärte der Pater freundlich. Zuerst wurde er in dieses sündige Haus zitiert und dann wurde er auch noch unterbrochen.

»Seid ihr schon fertig? Ich habe was dagegen, die beiden können nicht heiraten.« Asher drehte sich um. »Jake, wo zum Teufel bleibt ihr?«, brüllte er.

Jake zerrte Blunt durch die Menge. »Wenn du das hier vermasselst, bring ich dich um. Ich werde dich finden, wo du dich auch versteckst«, murmelte er so leise, dass es nur Blunt verstehen konnte.

Blunt hatte einige Schrammen im Gesicht und sah ziemlich mitgenommen aus. Er hatte ein paar Mal zu fliehen versucht. Mit Nachdruck hatten sie ihm zu verstehen gegeben, was sie von ihm erwarteten.

»Jimmy!« Betsy lief auf ihn zu. »Was haben sie mit dir gemacht, Darling?«

Jake kam ihm mit einer Antwort zuvor. »Er stürzte vom Pferd, und wir haben ihm geholfen, damit er zu seiner eigenen Hochzeit nicht zu spät kommt.«

In Betsys Augen erklomm ein Leuchten.

Shane sah man die Erleichterung deutlich an. Die Leute redeten durcheinander. Zuerst waren sie um ein spannendes Gerichtsverfahren gebracht worden, nicht zu reden von der nicht stattfindenden Hängepartie. Dann sollte der Mann die Frau heiraten, der er angeblich Gewalt angetan hatte. Und nun kam ein anderer, der die Braut heiraten wollte.

»Ruhe, Ruhe«, brüllte der Richter.

Der Sheriff fiel in das Gebrülle mit ein. Nach und nach beruhigten sich die Gemüter in der Hoffnung, doch noch etwas Spanendes zu erleben.

»Miss Owens, fassen wir zusammen«, befahl der Richter mit strenger Stimme. »Die Anschuldigung gegen Shane Flannigan nehmen Sie zurück, denn es war ein Missverständnis. Soweit waren wir schon. Wollen sie ihn nun heiraten, oder nicht?«

»Nein, Euer Ehren«, sagte sie respektvoll. »Diesen Mann möchte ich heiraten.« Sie wies mit dem Kinn auf Blunt neben ihr.

»Wollen Sie das auch, junger Mann?«, fragte der Richter.

Blunt nickte zögernd.

 

Am nächsten Tag, nach einem tränenreichen Abschied zwischen Betsy und ihrer Mutter, reiste das frisch vermählte Paar mit der Postkutsche ab. Robert Owens, der die ganze Geschichte kannte, entschuldigte sich beschämt bei Shane.

Gesprächsstoff gab es in Coldwater für die nächsten Wochen genug, bis andere Vorfälle die alten verblassen ließen.