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Paraforce Band 51

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Das Bettel-Ei

Eugenie Rosenberger

Das Bettel-Ei

Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten zusammen in einem Schloss, das zwischen weiten Gärten in der Mitte ihres Reiches lag. Die Königin war eine sehr kluge Frau. Sie sagte wenig, aber es hieß, dass der König nie etwas gegen ihren Willen täte und dabei wohl beraten wäre. Sie besaß nämlich einen goldenen Zaubervogel, den ihr eine Waldfee, die ihre Pate war, geschenkt hatte. Dieses Vögelchen war so künstlich, dass es sich von einem lebenden nur dadurch unterschied, dass es nichts zu essen brauchte. Das Wunderbarste an ihm aber war, dass es in seinem Gesang jederzeit die Stimmung der Königin wiedergab und von jedem, der es wollte, im ganzen Schloss gehört werden konnte, so zart und sanft auch sein Stimmchen erklang. War die Königin ruhig und fröhlich, so hörte man ein leises zufriedenes Zwitschern, bedrückte sie aber etwas, so konnte der Gesang des goldenen Vogels so klagend und beängstigend werden, dass der König unwillkürlich alles tat, um aus dem Weg zu räumen, was seine Frau beunruhigen konnte. So erreichten sie in Friede und Einigkeit ein hohes Alter.

Als nun der König sein Ende herannahen fühlte, rief er seinen einzigen Sohn zu sich und sprach: »Versprich mir eins, damit ich sicher weiß, dass du glücklich sein wirst und ich ruhig sterben kann. Nimm keine Frau, die nicht wie deine Mutter einen Herzvogel hat. Was hilft dir die Schönheit einer Königin, wenn sie kein richtiges Herz hat, und wie willst du das Herz erkennen, wenn du keine Stimme hörst, die es dir kundtut? Darauf gib mir die Hand.«

Das tat der Sohn nach kurzem Zögern, und der alte König starb in Frieden.

Der Prinz erbte nun das Reich und begann zu regieren. Doch war er nicht freudigen Mutes, wie sonst junge Fürsten zu sein pflegen, sondern ging immer mit ernstem und manchmal mit finsterem Gesicht umher.

»Mein Sohn«, sprach die alte Königin, »sage mir, was bedrückt dich?«

»Ich habe meinen guten Vater verloren«, antwortete er, »wie sollte ich nicht um ihm trauern? Und in meinem Reich muss ich überall nach dem Rechten sehen, da bleibt mir zu Fröhlichkeit und Kurzweil keine Zeit wie in früheren Tagen.«

So sprach der junge König. Aber es war etwas ganz anderes, das Tag und Nacht an seiner Seele nagte.

Ihm lag ein Mädchen im Sinn, das schönste und sittsamste im Land, aber armer Leute Kind. Es wurde das Goldchen genannt, denn sein wundervolles Haar glänzte weithin wie fein gesponnenes Gold. Schon längst hatte er sich vorgenommen, es einst heimzuführen und zu seiner Gemahlin zu machen, denn er hatte gedacht: Wenn ich einmal König bin, kann ich tun, was ich will. Nun schied sie das Wort, das er seinem Vater hatte geben müssen, auf ewig voneinander, denn wenn es schon für eine Prinzessin kaum möglich erschien, sich einen Zaubervogel zu verschaffen, wie sollte ein armes Mädchen aus dem Volk zu einem solchen gelangen!

So ging er von Tag zu Tag betrübter umher und dachte: »Was nützt es mir nun, dass ich König bin? Mir kann doch niemand helfen.«

Aber auch die alte Königin war schweren Herzens und sann Tag und Nacht darüber nach, wie das Gemüt des jungen Königs zu erheitern sein möchte.

»Lieber Sohn«, sagte sie eines Tages, »ich bin alt und des Lebens satt und sehne mich in die Gruft zu deinem Vater. Du hast weder Bruder noch Schwester, und wenn ich sterbe, hast du niemand, der dir nahe steht. Deshalb sieh dich nach einer Gemahlin um, denn ich möchte dir dabei noch mit Rat und Tat zur Seite stehen.«

»Das fordere nicht von mir, liebe Mutter«, sagte der junge König, »denn auf seinem Totenbett habe ich meinem Vater versprechen müssen, nie eine Frau zu nehmen, die nicht gleich dir einen Herzvogel besäße.«

Die alte Königin erschrak, denn sie wusste nur zu gut, dass es keinen anderen solchen Vogel mehr auf der Welt gäbe. Nachdem sie die Sache lange überlegt hatte, beschloss sie, sich bei ihrer Pate, der Waldfee, Rat zu holen, was sie nur sehr selten und in sehr ernsten Fällen zu tun wagte. Sie fuhr deshalb in den Wald, in dem die weise Frau wohnte, hieß ihren Wagen und ihr Gefolge warten und begab sich allein an einen tiefen, dunklen Weiher unter uralten, weit verzweigten Bäumen.

Dort rief sie mit leiser Stimme dreimal den Namen der Waldfrau und sagte den Spruch, der die Waldgeister herbeiruft. Ein Windstoß fuhr pfeifend durch die Wipfel, das Wasser wirbelte hoch auf, und die Waldfee trat aus den Zweigen einer mächtigen Eibe hervor.

»Ach, meine Tochter«, sagte sie beim Anblick der Königin bekümmert, »wie bist du alt geworden! Wie weiß ist dein Haar, und wie gehst du gebückt! Wie schnell geht es doch mit euch Menschen! Euer Wachsen, Blühen und Welken dünkt mich nicht länger denn ein Sommertag!«

»Ja«, sagte die Königin, »und wie ist diese kurze Spanne Zeit manchmal so schwer und traurig! Und wenn für uns selbst alles vorbei ist, sorgt man sich noch bis zum letzten Atemzug um seine Kinder.« Und sie schüttete ihr Herz aus.

Die Waldfrau schwieg lange. »Da ist schwer raten«, sagte sie. »Zweimal können wir den gleichen Zauber nicht anwenden, sonst verliert er die Kraft. Indessen lässt sich vielleicht doch eine Art und Weise finden, um deinen Zweck zu erreichen.«

Sie besprachen sich lange und eingehend, und die Königin fuhr getröstet nach Hause.

Am nächsten Tage erließ sie Einladungen an die schönsten und angesehensten Prinzessinnen der Umgegend und hieß die Herolde sagen, der junge König habe zwar noch keine Wahl getroffen, doch hoffe sie, die bevorstehende Lustbarkeit mit einer fröhlichen Hochzeit beschließen zu können. Hocherfreut sagten die Fürsten und Herzöge der benachbarten Länder für ihre Töchter zu.

Es waren neun Prinzessinnen, die geladen waren, und an dem bestimmten Tag erklang beständig Musik und Trommelwirbel, womit die anfahrenden Wagen schon am Stadttor empfangen wurden. Die vornehmste Prinzessin erschien zuerst. Es war die stolze Prinzessin Ockreutina, in einem goldenen Wagen, gezogen von sechs prächtigen Rappen mit goldenem Zaumzeug und roten Federbüschen.

Dann kam die Prinzessin Rosetta, die aussah wie ihr Name, auch waren Pferde und Wagen über und über mit frischen Rosen bekränzt. Die letzte und jüngste Prinzessin war fast noch ein Kind, mit einem runden, fröhlichen Gesichtchen. Sie saß auf hellblauen, seidenen Kissen in einem niedlichen silbernen Wagen mit vier milchweißen Pferdchen, alles mit Vergissmeinnicht-Sträußen besteckt und verziert.

Der junge König begrüßte jede Prinzessin am Fuß der Schlosstreppe, reichte ihr den Arm und geleitete sie in den Spiegelsaal, wo die alte Königin ihre Gäste empfing. Als sie alle versammelt waren, begann die alte Königin: »Ich freue mich, euch bei uns zu sehen, ihr schönen Kinder! Eure lieben Eltern werden euch wohl gesagt haben, dass es mein Wunsch ist, dieses Fest mit einer fröhlichen Hochzeit zu beschließen, denn mein Sohn, der König, ist ja noch unvermählt. Da er sich indessen nicht entschließen kann, unter so vielen anmutigen und liebenswürdigen Fräulein eins zu bevorzugen, so habe ich meine Pate, die Waldfee, um ihren Rat gebeten. Sie hat versprochen, derjenigen, die am besten für ihn passe, einen ebensolchen Wundervogel zu schenken, wie sie mir zu meiner Hochzeit gegeben hat. Dazu müsst ihr euch jedoch einer kleinen Probe unterwerfen. Es muss nämlich jede von euch allein in ein Haus gehen, und zwar jede in ein anderes, und um ein Ei bitten. Ihr dürft es nicht bezahlen, auch nichts dafür geben, noch etwas dafür versprechen. Das Ei müsst ihr hierher in diesen Saal bringen. Ihr seht, es sind ringsherum zehn große Spiegel. Diese Spiegel sind Türen, und jede führt in ein besonderes Zimmer, das ich so bequem und behaglich habe herrichten lassen, wie es sich für so vornehme Prinzessinnen geziemt. In jedes dieser Gemächer muss sich dann eine von euch auf drei Tage zurückziehen und das Ei ausbrüten, und diejenige, in deren Ei sich dann der Zaubervogel findet, wird Königin. Während dieser drei Tage aber wird niemand zu euch gelassen werden und um euch sein als meine eigene alte Kammerfrau.«

Die Prinzessinnen schienen vor Schrecken und Scham zu verstummen, nur die Jüngste sagte mit Tränen in den Augen: »Ich weiß aber gar nicht, wie das gemacht wird! Gebrütet habe ich noch niemals, und wenn ich mich auf das Ei setzen soll, geht es gewiss entzwei und verdirbt mir mein neues blausamtenes Mäntelein.«

»So soll es auch nicht sein«, sagte die Königin. »Jede von euch erhält ein feines, seidenes Gewebe, das schlingt ihr um den Hals, legt das Ei hinein und wärmt es am Busen. So wird es wohl gehen. Ich verlasse euch nun auf eine Weile, und wenn ich zurückkomme, erklärt ihr mir, ob ihr die Bedingung annehmen wollt oder nicht!«

Sobald die Königin den Saal verlassen hatte, sahen sich die Prinzessinnen missmutig an.

»Das ist doch eine starke Zumutung«, sagte die Prinzessin Ockreutina. »Warum lässt sie nicht jemand kommen, der sich auf solche Sachen versteht, eine Bäuerin oder einen Koch mindestens, um die Eier auszubrüten?«

»Und warum kann man nicht wenigstens einen Kammerherrn mitnehmen, um in das fremde Haus zu gehen? Man weiß ja gar nicht, wie man solche Leute anreden muss«, sagte eine der anderen Prinzessinnen.

»Ich habe nicht übel Lust, den Wagen vorfahren zu lassen und nach Hause zurückzukehren«, sagte wieder die Prinzessin Ockreutina.

»Ich auch!«, sagten noch einige Stimmen.

»Geht nur!« rief eine der Prinzessinnen, die ein lustiges Stupsnäschen hatte. »Desto besser für uns, die wir dableiben!«

»Ich weiß, was ich tue«, sagte die Prinzessin Rosetta, »ich gebe der Kammerfrau etwas, dass sie mein Ei für mich trägt. Es kommt doch nur darauf an, dass das Ei gebrütet wird. Wer es tut, kann der Königin einerlei sein.«

»O bitte, meine Gute, so geht das nicht!«, sagte die Prinzessin Ockreutina. »Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Neun Eier auf einmal kann die Kammerfrau nicht am Busen tragen, und wenn wir unsere Eier selbst brüten, wird dir wohl auch keine Perle aus dem Krönchen fallen.«

So sprachen die Prinzessinnen hin und her, aber jeder stand doch heimlich der schöne, junge König vor Augen, das prachtvolle Schloss und der Wundervogel, den sie doch alle gern gehabt hätten. Als die Königin zurückkam, erklärten sich die Prinzessinnen sämtlich zur Probe bereit.

Nachdem sie sich zu dem wichtigen Werk mit Wein und Früchten und anderen guten Dingen gestärkt hatten, wurden sie auf den Marktplatz geführt, das Gefolge begab sich in das Schloss zurück und die Prinzessinnen blieben allein. Etwas betreten und ängstlich standen sie dicht beieinander und überlegten bei sich, in welches Haus sie gehen wollten.

»Ach was«, rief die Prinzessin Ockreutina, »was kann da sein! Ich sage gleich, wer ich bin und werde das Ei schon bekommen!« Damit schritt sie auf das nächste Haus zu, ging durch den Flur und öffnete ein Zimmer. Dort saßen drei alte Damen. Eine häkelte an einem wollenen Rock, eine strickte an einem dicken Strumpf, die Dritte hatte eine runde Brille auf ihrer langen Nase und setzte einen blauen Flicken auf eine grüne Hose. Sie sahen sehr erstaunt in die Höhe, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde, ein hochgewachsenes, kostbar gekleidetes Fräulein hereintrat und gebieterisch sagte: »Ich bin die Prinzessin Ockreutina und bitte um ein Ei!«

»Um was?«, fragten die drei Alten, die ihren Ohren nicht trauten.

»Ich bitte um ein Ei«, sagte die Prinzessin laut und bestimmt.

»Was will sie?«, fragte die Alte mit dem Flicken, die schlecht hörte.

»Ein Ei!«, wiederholte die eine und fügte leise noch etwas hinzu.

»Nicht bei Sinnen!«, rief die taube Alte erschrocken. »Geschwind, gebt ihr, was sie will!« Und eine der beiden anderen stand auf, öffnete einen Wandschrank, nahm ein Ei heraus und gab es der Prinzessin, die vergnügt damit fortging. Nicht zwei Minuten waren verflossen, seit sie das Haus betreten hatte und triumphierend mit dem Ei zurückkam.

»Sehr ihr!«, rief sie. »Man braucht nur zu sagen, wer man ist und was man will! Weiter ist nichts nötig. Das Betteln ist wirklich kinderleicht!«

Das machte nun auch den Übrigen Mut. Eine nach der anderen wählte ein Haus, ging hinein und kam, die eine in kürzerer, die andere in längerer Zeit mit heißen Backen und verlegenem Gesicht, aber doch immer mit einem Ei zurück. Nur der vorletzten Prinzessin wollte es nicht glücken. Hochrot kam sie aus dem Haus, in das sie zuerst gegangen war, mit leerer Hand wieder. Auch im zweiten erging es ihr nicht besser. Beim dritten Versuch hatte sie allerdings das Ei, aber sie weinte bitterlich.

»Niemals bettle ich wieder«, schluchzte sie, »niemals! Und wenn ich nach Hause komme, bitte ich meine Mutter, dass jeder Bettelmann, der auf das Schloss kommt, gleich alles bekommt, was er haben will. Ach, es ist schrecklich, betteln zu müssen, ganz schrecklich!«

Hierüber bekam die kleinste Prinzessin einen solchen Schreck, dass sie nicht gehen mochte, bis ihr die anderen sagten: »Wir haben es alle getan, und du musst es nun auch!«

Da ging sie zwar, aber wenn sie an einer Tür stand, entfiel ihr der Mut, und sie sah ein anderes Haus, von dem sie meinte, dass dort vielleicht noch freundlichere Leute wohnen möchten, und ging darauf zu.

So war sie die ganze Straße hinuntergegangen bis an eine Ecke. Da sah sie ein kleines, ärmliches Häuschen, das ganz abseits in einem kleinen Grasgarten lag. Und in dem Gärtchen stand ein schönes Mädchen und band eben eine weiße Ziege an den Zaun. Das Mädchen war wunderlieblich von Gesicht und Art, und das Haar glänzte ihm wie gesponnenes Gold, denn es war niemand anders als das Goldchen, das der junge König im Herzen trug. Die kleine Prinzessin in ihrer Angst achtete jedoch nicht darauf, sondern schritt auf das Häuschen zu, denn sie dachte: Die Leute, die dort wohnen, sind gewiss arm und betteln zuweilen selbst. Die werden mir gern ein Ei geben.

Sie klopfte an und eine raue Stimme rief: »Herein!«, dass die kleine Prinzessin zusammenfuhr und nur langsam wagte, die Tür zu öffnen. Da saß eine Familie um den Tisch, Vater, Mutter und Kinder, jedes mit einem Stück Schwarzbrot. Alle löffelten aus einer großen Schüssel saure Milch. Sie hielten erstaunt inne, als die kleine Prinzessin erschien, und das Goldchen sah zum Fenster hinein, denn es wollte auch hören, was die feine Fremde bei ihnen wolle.

»Guten Tag, liebe Leute«, sagte die Prinzessin schüchtern, »wollt Ihr wohl so gut sein und mir ein Ei geben?«

»Was?«, fragten der Mann und die Frau aus einem Munde.

»Ach bitte, ich möchte ein Ei«, sagte die kleine Prinzessin ängstlich.

»Bekommt Ihr denn im Schloss nicht genug, dass Ihr noch auswärts nach Essen suchen müsst?«, fragte der Mann.

»O ja, aber ich muss ein Ei haben«, sagte die Prinzessin.

»Sie hat vielleicht Hunger«, sagte das Goldchen vom Fenster her.

»So gib ihr ein Stück Brot, Mutter«, sagte der Mann.

»Ich bin nicht hungrig, ich möchte nur ein Ei«, sagte die kleine Prinzessin.

»Ich verkaufe jetzt keine Eier«, sagte die Frau. »Wenn Gäste im Schloss sind, trage ich sie alle in die Hofküche zum Herrn Unterküchenmeister.«

»Ich will auch kein Ei kaufen, ich will es nur geschenkt«, sagte die Prinzessin.

»Da schlag doch Gott den Düwel tot!«, fuhr der Mann auf. »Kommt das Frätzchen hier herein, hinten und vorn ganz bestickt mit Klunkern und Flunkern und hängt überall voll Gold und Perlen und Karfunkeln, und wie all der Firlefanz heißt, und verlangt von unsereinem, der kaum das liebe Leben hat, noch Eier!«

»Nur ein einziges! Ach bitte, gebt es mir doch!«, sagte die Prinzessin und zwei große Tränen rollten ihr über das Gesicht. Sie sah das Zeichen nicht, das ihr das Goldchen machte, indem es vom Fenster verschwand, denn auf Winke zu achten, hatte die kleine Prinzessin nicht gelernt. Der Mann war indessen nicht so böse, wie er schien. Als er die Prinzessin weinen sah, sagte er zu seiner Frau: »Meinetwegen gib ihr eins, und dann mag sie sich trollen.«

Die Frau suchte aus einem Korb, der hinter ihr an der Wand hing, ein Ei heraus und reichte es der Prinzessin, die glückselig lächelte.

»Ich danke Euch auch vielmals«, sagte sie und eilte so schnell die Straße wieder hinauf, dass sie bei den übrigen Prinzessinnen ankam, ehe das Goldchen sie einholen konnte, das mit einem Ei in der Hand hinter ihr hergelaufen war.

»Hier«, sagte es, noch ganz außer Atem, »hier ist ein Ei! Die Nachbarin wollte es mir durchaus nicht geben, denn es ist das erste von ihrem weißen Huhn – darum ist es so klein – aber ich bat so lange, bis sie es mir ließ.«

»Ich danke, ich habe schon eins«, sagte die kleine Prinzessin.

»So, die Eier hätten wir nun«, sagte eine der anderen, »aber wie bringen wir sie ins Schloss? Das ist die Frage.«

»Vielleicht können wir sie selbst tragen«, meinte die Prinzessin mit dem Stupsnäschen, »schwer sind sie ja nicht.«

»Wir haben sie erbettelt, und brüten müssen wir sie auch noch. Dass wir sie obendrein selbst tragen sollen, kann niemand von uns verlangen«, sagte die Prinzessin Ockreutina.

»Ich könnte sie vielleicht in meine Schürze nehmen«, sagte das Goldchen schüchtern.

»Ja, das geht«, meinten einige der Prinzessinnen.

»Nein, das geht nicht«, sagte die Prinzessin Ockreutina. »Wie sollen wir denn die Eier brüten, wenn sie das Bauernmädchen vorher in der Schürze gehabt hat?«

»Das schadet nichts. Sie müssen doch alle vorher warm abgeseift und mit wohlriechendem Wasser begossen werden«, sagte die Prinzessin Rosetta.

Daraufhin legten sie alle ihre Eier behutsam in die Schürze, die das Goldchen aufhielt, und gingen dem Schloss zu, wo schon lange neun Hofdamen und neun Kammerherren unten an der Treppe standen, um sie in den Spiegelsaal zurück zu geleiten.

»Nun, liebe Kinder, habt ihr die Eier?«, fragte die Königin.

»Jawohl, Majestät«, antworteten die Prinzessinnen, und jede nahm ein Ei aus der Schürze.

»Hier ist noch eins«, sagte das Goldchen, indem es das kleine Ei, das zurückgeblieben war, in die Höhe hielt.

»Wie kommt denn das Goldchen hierher?«, fragte die Königin, denn sie kannte natürlich auch das schönste Mädchen in ihrem Reich, wenn auch nur vom Ansehen. Die Prinzessinnen erklärten, wie es gekommen wäre, und die Königin sagte nach einigem Nachdenken: »Wir dürfen von dem, was die Fee bestimmt hat, nicht abgehen. Jedes junge Mädchen, das mir heute ein Ei bringt, soll es hier drei Tage lang brüten. Folglich bleibt auch das Goldchen hier, wohnt in dem zehnten Gemach und brütet mit euch.«

Das Goldchen wurde vor Freude rot, als es begriff, dass es im Schloss bleiben dürfe. Es bemerkte die unfreundlichen Blicke nicht, die die Prinzessinnen ihm zuwarfen. Da es glaubte, es solle ihnen beim Brüten behilflich sein, so sagte es ganz zutraulich: »Das ist nicht schwer. Als der Iltis uns die Glucke und die Küchelchen totgebissen hatte, habe ich das letzte Ei, das im Nest zurückblieb, in meinem Halstuch getragen, und es kam ganz gut aus.«

Also blieb das Goldchen mit den Prinzessinnen im Schloss.

Da nun die drei Tage um waren, wurde der Thronsaal herrlich hergerichtet. Der ganze Hofstaat versammelte sich, die Königin nahm auf dem Thron Platz, und der junge König stellte sich ihr zur Rechten. Die Prinzessinnen traten in feierlichem Zug herein und verneigten sich tief vor der Königin, die ihnen einige Worte des Dankes sagte. »Und nun«, schloss sie, »wollen wir die Eier prüfen. Prinzessin Ockreutina, wollt Ihr den Anfang machen?«

In dem weiten Saal wurde es so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören, als die Prinzessin langsam ihr Ei aufbrach, und alle sahen etwas zwischen ihren Fingern glänzen. Ungeduldig warf sie die Schalen zu Boden, und zum Vorschein kam – eine kleine Pfauenfeder, ganz aus Edelsteinen, wunderfein und funkelnd, aber der goldene Vogel war es nicht. Die Prinzessin Rosetta zog eine kostbare Rose aus ihrem Ei, mit Staubfäden aus Diamanten und kleinen, spitzen Dornen aus Rubin. So fand jede Prinzessin ein Schmuckstück, das Bezug auf sie hatte, der Vogel aber war keiner zuteil geworden. Zuletzt öffnete die kleinste Prinzessin ihr Ei und stieß einen Ruf des Entzückens aus, und es entstand eine große Bewegung im Saal. Alles drängte vorwärts, denn man dachte nicht anders, als sie habe den Wundervogel in Händen. Es war aber nur ein kleiner, glänzender Schmetterling, der ganz natürlich auf dem Händchen der Prinzessin seine Flügel und Fühler bewegte. Der junge König, der schon ganz blass geworden war, schöpfte wieder Atem.

So blieb nur noch das eine Ei übrig, welches das Goldchen in der Hand hielt. Plötzlich hörte man ein sanftes Piepen. Aus dem aufbrechenden Ei erhob sich ein Vögelchen und flog dem Goldchen auf die Schulter. Es war schneeweiß und schillerte bei jeder Bewegung in den zartesten Farben. Schnäbelchen und Füßchen waren rosenrot, ebenso ein Schöpfchen, das es wie eine kleine Krone auf dem Köpfchen trug, und die Augen glänzten ihm wie schwarze Diamanten. Es zog langsam und unsicher einige leise Töne, als traue es sich noch nicht, sein Stimmchen frei erschallen zu lassen.

Das Goldchen stand da, wie mit Blut übergossen, zitternd vor Glück und Freude, und wagte nicht, die Augen aufzuschlagen.

Der junge König aber trat mit leuchtenden Augen auf das Goldchen zu und fasste seine Hand.

»Gesegnet sei die weise Waldfrau, die mir ins Herz gesehen hat!«, rief er mit froher Stimme.

»Dich habe ich geliebt, seit wir als Kinder im Wald miteinander spielten! Jahr um Jahr bin ich an eurem Häuschen vorübergeritten, nur um dich zu sehen und zu grüßen! Ja, Dank sei der gütigen Fee, die mir so wunderbar das Glück meines Lebens beschert hat!«

Die alte Königin umarmte das Goldchen als ihre liebe Tochter, und die kleine Prinzessin kam und küsste es. Da wünschten ihr auch die übrigen Prinzessinnen Glück, obwohl sie etwas sauersüß dabei aussahen. Der ganze Saal erscholl von Jubel und Hochrufen. Dann führte die Königin das Goldchen in ihr Gemach, damit ihm die königlichen Kleider angelegt würden, und der junge König hieß ihre Eltern und Geschwister herbeiholen.

Darauf wandte er sich an die Prinzessinnen und bat sie, die Hochzeit als Brautjungfern zu verschönen. Sie nahmen es gern an, denn sie konnten kaum erwarten, sich mit ihrem neuen Kleinod zu schmücken. Nur die hochmütige Ockreutina wandte sich ab, ohne ein Wort zu sagen, winkte ihrem Gefolge und schritt mit erhobenen Haupt aus dem Saal und die große Freitreppe hinunter, stieg in ihren goldenen Wagen und jagte, so schnell die sechs Rappen nur laufen konnten, durch das Stadttor und zum Reich hinaus, während hinter ihr alle Glocken läuteten, die Kanonen donnerten, die Fahnen aufgezogen und Blumen gestreut wurden. Alles Volk lief und jauchzte, denn die Hochzeit wurde sogleich mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert.