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Der Wetterbusch

Ludwig Grimm

Der Wetterbusch

Hoch im Gebirge droben, wo die Tannenbäume wachsen und die Flüsse entspringen, lag ein stilles, grünes Tal, die Kerbe geheißen. Fleißige Leute hatten hier dem Wald ein paar Acker Feld und Wiesenland abgewonnen, der rauschende Bach trieb das große, schwarze Rad einer Sägemühle, und bis tief in den Wald hinein konnte man den singenden Ton der Säge hören, die lange Bretter aus den mächtigen Tannenbäumen schnitt.

Am oberen Ende des Wiesengrundes lag unter dem Schatten der hohen Waldbäume ein kleines Haus. Dichtes Moos wuchs auf dem strohgedeckten Dach und quoll auch zwischen den Fugen des niedrigen Schornsteins weich und dunkelgrün hervor. Im Garten vor dem Häuschen aber erhoben sich schlanke Blütenstängel aus dichtem Blättergrün, und auch hinter den kleinen, viereckigen Fenstern drängte sich Blume an Blume. Denn hier wohnte mit Frau und Kind ein pflanzenkundiger Mann, der Wurzelgräber Peter Latz. Im Frühjahr und Sommer ging der Wurzelpeter mit Frau Gertraud und seinem Knaben Hans an jedem Morgen weit auf die Berge, um heilkräftige Wurzeln und Blätter, die bunten Blüten und wohl auch die zierlichen Samen der Waldgewächse zu suchen und zu sammeln. Andere Arzneipflanzen zog er im Garten und in den Blumentöpfen. So konnte er im Herbst, wo die ersten Fröste durch den Wald und die schlimmen Krankheiten in die Städte ziehen, mit großen Bündeln getrockneter Heilkräuter aus dem Kerbtal hinab ins Unterland wandern. Dort verkaufte er seine Vorräte für ein gutes Stück Geld.

Seit sein Sohn Hans größer und verständiger geworden war, nahm er auch diesen mit auf solche Wanderfahrten. Fröhlich sang der frische Bursche neben ihm, munter blickten die großen Knabenaugen auf das Tun und Treiben der Menschen, und wenn es nichts zu singen und zu schauen gab, dann lauschte Hans den Geschichten, die der Vater von allerlei Waldkräutern und Waldgeistern zu erzählen wusste. Hans wurde ein kluges Kind dabei.

Als die beiden aber wieder einmal, aufwärts wandernd, in die Heimat zurückkehrten, fanden sie dort viele fremde Leute vor. Ein reicher Mann hatte sich in der Kerbe ein Haus gebaut, die Sägemühle wurde erweitert, der Wald sollte ringsum abgeschlagen werden, und schon waren die fremden, braunen Arbeiter daran, talaufwärts eine Straße zu bauen, auf der sie das Holz hinabfahren wollten. Frau Gertraud klagte bitter, wie wild und wüst die neuen Nachbarn seien. Roh und hart wären sie gegen Menschen und Tiere, man könne kaum bleiben vor ihrem Fluchen und Drohen. Namentlich Haus und Garten des Wurzelpeters sei ihnen im Wege. Denn sie mussten einen ziemlichen Bogen drum herum machen. Ach, Frau Gertraud schlug sich die Schürze über den Kopf und weinte und schluchzte. Davon wurde freilich die Sache nicht besser.

Der Wurzelpeter merkte bald selber, dass er böse Nachbarschaft bekommen hatte. Zuerst zwar hatte der neue Schneidemüller ihm viel Geld geboten, wenn er ihm seine Hütte, wie es der Fremde nannte, verkaufte. Als aber Peter nicht in den Handel gewilligt, hatte der reiche Holzhändler ihm höhnisch zugerufen, noch mit dem Bettelsack solle der Wurzelpeter davonziehen. Und wie der Alte den Vater, so höhnte und schimpfte sein Sohn Heino den armen Hans, wo er dessen irgend ansichtig wurde. Ein Glück, dass Hans flinker war als der ungeschlachte Heino, der ihm gern eins ausgewischt hätte!

Weil der schöne Kerbenwald schon zum guten Teil abgeholzt war, musste der Pflanzensucher in diesem Jahre weiter als sonst auf die Berge hinauf. Um die Mittagszeit bereitete dann Frau Gertraud über flackerndem Holzfeuer die Mahlzeit mitten im Wald. Das Holz hatte ihr Hans vorher zusammengesucht. Und schön und friedlich war dieses Beisammensein im stillen Walde, durch den im Sonnenstrahl ein würziger Harzduft zog. Eines Tages waren die drei bis zum höchsten Gebirgskamm hinaufgedrungen. Dort waren die Tannen und Kiefern im steinigen Boden nicht recht gediehen. Nur Knieholz gab es, und das hatte sich vor den häufigen Stürmen tief und dicht an die Geröllsteine der Halde geschmiegt. Aber Johannisblumen und Enzian wuchsen recht stark und üppig zwischen dem Gestein. Hans hatte schon ein tüchtiges Bündel zusammen. Aber immer tiefer zwängte er sich in das Gebüsch hinein.

Da sah er plötzlich ein seltsames Gebilde vor seinen Füßen. Von fünf oder sechs Fichten hatten sich die Äste dicht über dem Erdboden innig durcheinander gestreckt und geschoben. Nadeln waren nicht mehr daran zu sehen, aber die einzelnen Zweige waren so vielfach miteinander verwachsen, dass sie ein ganz festes, dichtes Geflecht bildeten, so groß wie ein Kuchendeckel.

»Ein Wetterbusch!«, rief Hans erstaunt. Vorsichtig trat er näher. Ganz gewiss! Hier hatte er das seltsame Gewächs vor sich, wie es ihm der Vater einmal beschrieben. Zackigen Blitzen gleich schienen die kahlen, rötlichen Zweige durcheinander zu fahren, die Augen taten einem weh, wenn man lange in das Gewirr schaute.

Hans wusste, dass der Wetterbusch die Blitze anzieht, und dass man ihn deshalb nicht mit nach Hause nehmen darf. Aber ansehen wollte er das Ding doch recht genau. Darum legte er sich auf dem Boden, der mit abgefallenen Fichtennadeln dicht bedeckt war, und betrachtete nun den Wetterbusch von allen Seiten.

Da hörte er auf einmal neben seinem Ohr ein feines Stimmchen. Hans strengte die Augen an. Sieh, unter dem Wetterbusch stand ein Männlein – kleiner als ein Finger. Das hatte ihn beim Namen gerufen. War das ein Elf oder ein Kobold? Das Männlein ließ ihn nicht lange in Ungewissheit.

»Kommst du endlich einmal in unsere Nähe?«, rief es. »Ich wollte schon lange gern mit dir reden.«

»Warum bist du dann nicht zu mir gekommen?«, antwortete Hans.

»Das ist eine lange Geschichte«, meinte das Geschöpfchen bedenklich. »Aber wenn du noch ein Weilchen zuhören willst, sollst du alles erfahren. Komm steck den Kopf noch ein wenig näher an den Wetterbusch heran.«

Hans rekelte sich auf den dürren Fichtennadeln so nahe heran, dass er mit dem Gesicht dicht neben das Männlein kam. Das aber nahm aus einer Tasche einen durchsichtigen, gelben Stein, reichte ihm den Knaben und sprach: »Nimm zuvor diesen Topas, er schützt dich vor bösen Ränken, solange du ihn trägst.«

Der Knabe nahm den funkelnden Stein mit gespitzten Fingern entgegen, hielt ihn ein Weilchen gegen das Licht und bedankte sich freundlich für das glänzende Spielzeug. Aber das Männlein meinte, er solle ja gut Acht haben auf den Stein. Vielleicht sei ihm dessen Wunderkraft einmal recht nötig.

Hans versprach Achtsamkeit, und nun begann das seltsame kleine Wesen von Neuem: »Du weißt von deinem Vater mancherlei über die Nixen und Feen des Waldes, von dem wilden Jäger, der mit dem wüsten Heer durch die Lüfte stürmt, von den Kobolden, die in der Tiefe der Berge wohnen. Aber von den Alraunen hat er dir wohl nichts erzählt. Denn von uns weiß fast kein Mensch mehr heutzutage.«

Das Männlein seufzte. »Für alle anderen gibt es eine Zeit in der Nacht oder am Tage, bei Mondlicht oder ganz kurz vor Sonnenaufgang, wo sie sich aus ihren Verstecken hervorwagen können. Aber uns droht dann jedes Mal der Tod, wenn wir uns nur ein wenig hervorwagen. Vor uralter Zeit, als noch kein Menschenfuß diese Wälder betreten hatte, lebten wir harmlos und heiter in der weiten Wildnis. Als aber dann die ersten Leute am Bach heraufkamen, Hütten bauten und Gärten anlegten, da entstand ein Zwiespalt unter den bisherigen Waldbewohnern. Die Kobolde und Nixen, vor allem aber der wilde Jäger, wollten die Eindringlinge vernichten, damit der Urwald nicht das Eigentum der Menschen würde. Wir Alraunen dagegen wollten nichts wissen von Gewalt und Mord, warnten die Menschen und halfen ihnen aus. Seitdem hassen uns alle Geister des wilden Waldes. Die Menschen aber haben uns auch im Stich gelassen, sie schlagen uns die schützenden Bäume über dem Kopf weg, wüsten in jedes Dickicht hinein, stöbern mit ihren Hunden jeden stillen Winkel durch. Und wo einmal die Blitze hinleuchten können, dahin sieht auch unser schlimmster Feind, der wilde Jäger. Keinen Freund haben wir mehr, bloß allerhand Verfolger. In Wald und Wiese, in Luft und Licht werden wir gejagt und gehetzt, gehöhnt und gestört. Und wir waren immer so still und schafften so freudig an Blumen und Wurzeln!«

Das Alraunenmännchen sah ganz bekümmert aus. Und wie Hans seine Klagen anhörte, da rollten ihm selber zwei dicke Tränen die Wangen herab. Das Männlein aber fing die hellen Tropfen auf. Sie wurden in seinen Händen zu Edelsteinen, ganz ähnlich dem Topas, den Hans vorher empfangen hatte.

»Sieh,« fuhr der Alraune fort, »es gibt ja noch einzelne gute Menschen, die Mitleid mit unserer Not haben. Ihr Erbarmen ist mehr wert als köstliche Edelsteine. Denn mitleidige Menschen können uns helfen. Willst du es nicht auch tun?«

»Ach, ja gern!«, sagte der Knabe. »Aber wie soll ich das machen?«

»Du wirst es hören!«, meinte das Männlein freundlich. »Zunächst musst du unser Schirmdach hier in Sicherheit bringen, ehe es die Holzhauer aus eurem Tal bloßlegen.«

Hans erschrak ein wenig. »Der Vater sagt, der Blitz schlüge in das Haus, darein man solchen Wetterbusch trägt.«

»Da hat er gar nicht so unrecht«, meinte das Alraunenmännlein eifrig. »Wenn der wilde Jäger das krause Geflecht sieht, das wir im dunkelsten Waldesdickicht zusammengeflochten haben, so schleudert er seinen Speer danach. Das nennen die Menschen dann Wetterschlag. Aber es braucht ja kein böser Geist zu sehen, wenn du den Wetterbusch fortnimmst. Zur der Zeit, wo die Kirchenglocken den Mittag einläuten, ist kein Kobold und auch der wilde Jäger nicht im Freien. Denn sie können das Läuten nicht leiden. Um solche Zeit musst du unser Schutzdach fortnehmen. Die Äste, die es halten, werden sich selber ablösen. Trage es dann unter die großen dichten Tannen neben deines Vaters Haus in den dunklen Winkel, wo die grünen Brombeerhecken den Boden überziehen. Nicht Mensch, nicht Waldgeist wird den Wetterbusch dort finden. Willst du uns helfen?«

Freudig sagte Hans zu. Freilich, den Eltern mochte er nichts verraten; die hätten sich doch vielleicht gefürchtet vor des wilden Jägers Zorn. Darum wartete er bis zum nächsten Sonntag, wo die Eltern drunten im Kirchdorf waren. Da ging er schon vormittags hinauf zum Wald, wartete, bis die Glocken erklangen, und stürmte dann, den Wetterbusch auf beiden Armen tragend, dem väterlichen Garten zu.

Aber er sollte nicht ungefährdet hinkommen. Auf den langen Stämmen, die neben der neuen Straße lagen, hatte ihm des Schneidemüllers Heino aufgelauert.

»Hab ich dich endlich einmal, du Betteljunge!«, schrie er den erschrockenen Hans an und erhob gegen ihn einen mächtigen Prügel.

Hans war zu Tode erschrocken. Aber er ließ den Wetterbusch nicht fallen. Er hielt ihn nur wie schützend vor sein Gesicht.

Krach, klang es da auf einmal. War es der schützende Topas, den er trug, war es ein anderer Zauber, der ihn behütete, oder hatte Heino in der Eile einen wurmstichigen Ast genommen – der furchtbare Knüppel zerbrach, noch ehe er Hans getroffen hatte. Heino aber, der so etwas nicht vermutet hatte, kam aus dem Gleichgewicht, stürzte auf die Baumstämme, die dicht am Straßenraine aufgestapelt waren, und kollerte samt diesen die Böschung hinunter, bis der ungeschlachte Bursche und das Holz, das ihn übel zugerichtet hatte, im Bach lagen. Fluchend und prustend arbeitete sich Heino wieder empor. Hans aber war inzwischen längst daheim angelangt und hatte den Wetterbusch im Garten versteckt, ehe noch das Mittagsläuten in den Bergen verklungen war.

Von dieser Zeit an brachte Hans halbe Tage im Garten zu. Dort hielt er Zwiesprache mit den Alraunen, die einer nach dem anderen unter das zauberhafte Wetterdach einzogen. Und wenn die Männlein ihm nicht gerade erzählten, so schaute er ihrem wunderbaren Arbeiten und Schaffen zu. Wo ein Keim nicht durch die harte Erde konnte, da wälzten sie das Steinchen über der harten Spitze fort. Von den Knospen nahmen sie die Hüllblättchen ab, dass sich die Blüten umso freier entfalten konnten. In die Blumenkelche trugen die Alraunen jeden Morgen glänzende Tautröpfchen und über Nacht putzten und säuberten sie jedes Blatt am Strauch, jeden Halm im Gras. Und das alles ging so zierlich und flink, dass man kaum so schnell sehen konnte, wie die niedlichen Geschöpfe sich regten.

Bald hatte sich Hans gewöhnt, mit den Alraunen im fröhlichen Wetteifer den Garten zu bestellen. Arbeiteten die zierlichen Wesen flinker, so kam ihm die größere Kraft zustatten. Und erstaunlich war es, wie prächtig bald der Kräutergarten des Wurzelpeters aussah.

Es war auch gut, dass nun so viel Arzneipflanzen so dicht am Haus gediehen. Denn im Wald draußen, wo das stille Schaffen der Alraune fehlte, wuchs wenig mehr. Seit vor den Holzfällern die Tannen und Fichten gesunken waren, unter denen sich früher die Alraunen versteckt hatten, fanden auch die roten Fingerhutblumen und die weißen Liliengewächse nicht mehr den gewohnten Schatten. Auf dem ausgedörrten Boden verkümmerte der blaue Eisenhut und der schöne, weiß und goldene Steinbrech, selbst die Moosbeeren am Bach hatten nicht mehr den Wohlgeschmack wie in der Zeit, da über ihnen noch der Hochwald rauschte. Dazu kam, dass die Gewitter jetzt viel schlimmer als früher auftraten. Der wilde Jäger mochte wütend sein, dass ihm die Alraunen entschlüpft waren, die dort gehaust hatten, wo nun der dichte Wald gefallen war. Immer wieder heulte und fauchte das wilde Heer durch die Lüfte, schmetterten die Donnerkeile fürchterlich ins Erdreich. Und mächtige Regengüsse rissen tiefe Furchen in das Land, wühlten die Steine heraus und bedeckten die tiefer gelegenen Wiesengründe mit dem Geröll – und es wurde weite Wüstung, wo vor Kurzem noch der herrlichste Wald gestanden hatte.

Auch der neue Sägemüller, der mit seinen Leuten an allem schuld war, merkte zu seinem Schaden, wie sich die Umstände geändert hatten. Der Kerbebach floss nicht mehr so gleichmäßig wie früher. Heute zerriss die plötzlich anschwellende Flut das Mühlenwehr, und nach wenigen Tagen schon war das Wasser so tief gesunken, dass es nicht eins der vielen Räder treiben konnte, die nun zur Mühle gehörten. Dann musste gefeiert werden, und die Mühlburschen verübten, zusammen mit dem bösen Heino, viel Mutwillen im ganzen Land.

Stets aber blieb das Haus des Wurzelpeters unangefochten. Niemand wusste, dass der Topas, den Hans auf der Brust trug, alles Übel fern hielt. Kein Mensch ahnte auch, dass es die Mithilfe der Alraunen war, welche die Kräuter so üppig im Garten gedeihen, den Saft so heilkräftig werden ließ. Immer mehr lernte Hans von seinen kleinen Helfern. Schon wusste er besser als der Vater, welche geheimen Gaben manche Pflanze hatte, wann der Beinwell gegraben und der Mohn geritzt werden musste. Weil er sah, wie die Alraunen Saft und Kraft mischten, tat er bald selbständig die Würze des Waldes zusammen, presste Blüten aus, kochte Wurzeln und füllte in Büchsen und Flaschen, was er dabei erhielt. So brauchte er samt dem Vater nicht mehr mächtige Bündel auf die Herbstfahrt mitzunehmen, und doch waren die Tränklein und Salben kräftiger als früher eine ganze Tracht getrockneter Blumen.

Weiter als sonst zogen nun der Wurzelpeter und sein ziemlich erwachsener Sohn ins Unterland. Bis in die Hauptstadt des Kaisers waren sie endlich gekommen, und noch überall hatten sie freundliche Aufnahme gefunden. In der großen Stadt gab es viel zu sehen und ließen sich die mitgebrachten Vorräte für ein gut Stück Geld verkaufen. Ach, in den stolzen Häusern, an den vornehmen Straßen wohnten gar so viel Leute, denen Krankheit in Brust und Herz saß, deren Lebenskräfte sich vor der Zeit verzehrten. Der Kaiser selber, so hieß es, wäre nicht mehr gesund. Die viele Sorge um sein großes Reich habe ihm alle Freude am Leben genommen, seine Wangen seien bleich geworden, und vor innerer Unruhe könne er nirgends mehr lange bleiben. Es sei ein schleichendes Fieber über ihn gekommen, sagten die Leute in der großen Stadt, und wenn sich das nicht heilen lasse, müsse er sterben, obwohl er noch gar nicht sehr alt war.

Der Wurzelpeter hätte dem Kaiser gern ein Mittel für das schleichende Fieber angeboten, wenn er sich nur hineingetraut hätte in den großen Kaiserpalast, wo die vielen Lakaien und Geheimräte in glänzenden Uniformen standen und gar so stolz und streng um sich blickten. Aber der gute Kaiser tat ihm doch von Herzen leid.

Die trüben Gedanken vergingen indessen dem Peter und seinem Sohn schnell, als sie endlich wieder in die Heimat zurückwanderten. Immer höher strebten sie dem lieben Bergland zu, schon schritten sie wieder zwischen grünen Nadelwäldern hin, auf die der Frost nun weiße Sternchen geblasen hatte. Die Luft war klar und frei. Hans fing an, aus voller Brust in den stillen Frost hinein zu singen. Wie er so die helle Stimme erklingen ließ, trat plötzlich von einem Seitenwege her ein Forstmann im grünen Kleid auf ihn zu.

»Wie kannst du hier so laut singen,« sprach er ernsthaft, »wo drüben in dem kleinen Jagdschloss der Kaiser in schwerem Fieber liegt!«

Hans erschrak. Aber er sagte doch, dass er gar nicht gewusst habe, dass ihm der Kaiser so nahe sei. In der Hauptstadt hätte er wohl von des Kaisers Krankheit gehört, der Vater und er selber hätten auch gern dem guten Herren ein Heilmittel gebracht, aber sie hätten Scheu vor den vielen vornehmen Leuten gehabt.

Der Forstmann sah den Sänger aufmerksam an. »Glaubst du wirklich, Heilmittel gegen das schleichende Fieber zu kennen?«

»Gewiss, Herr!« sagte Hans voll Eifer. »Im Wald draußen, auf den Bergen, wo die gesunde Luft weht, wo der Regen und der Tau reiner ist als im Unterland, wachsen tausend Blumen voll wunderbarer Kräfte. Und oft helfen die Pflanzensäfte, wo man es kaum gehofft hatte. Könnte der Kaiser nicht eins meiner Tränklein versuchen?«

»Frag ihn selber«, sagte der Forstmann freundlich. »Kommt mit mir!«, winkte er dann beiden zu.

So kamen der Wurzelpeter und sein Sohn Hans in das Jagdschlösschen, wo der Kaiser in seinem Krankenbett lag.

Und nun war es seltsam, wie bald sich der Kaiser in der Behandlung der beiden wohler fühlte als lange vorher. Den munteren Hans, der ihm jedes Tränklein bereiten musste, gewann er deshalb lieber als alle anderen, die bisher an ihm herumkuriert hatten. Er überhäufte ihn mit Geschenken und Ehren und wollte ihn gar nicht mehr von sich lassen.

Aber Hans sagte dem Kaiser, dass er wieder ins Gebirge ziehen müsse, sobald der Frühling käme. Gerade dann seien die wirksamsten Kräuter zu finden; dann erst solle wohl mit Gottes Hilfe der Kaiser völlig gesund werden. Oder ob der Kaiser nicht lieber gleich einmal mitkommen wolle.

Das konnte der Kaiser nun freilich nicht, aber er sandte den Hans und dessen Vater in einem besonders schönen Wagen zum Kerbetal, damit sie recht behaglich fahren konnten und doch recht bald wieder bei ihm wären.

In der Kerbe hatten es die Leute schon durch Frau Gertraud erfahren, wie der Wurzelpeter, vor allem aber sein Sohn Hans, beim Kaiser in große Gnade gekommen wäre. Als aber die vergoldete Karosse ins Tal hinaufgefahren kam, da wussten sich die Bewohner vor Staunen nicht zu fassen. Hans und Peter waren mit einem Mal die angesehensten Leute in der ganzen Gegend. Um den Schneidemüller aber und den wilden Heino mochte kein Mensch mehr Aufhebens machen. Mit verbissenen Gesichtern hielten sich die auch abseits.

Aber die Wut gegen Hans, der ihm früher nur ein Betteljunge geschienen, nagte im Herzen Heinos umso grimmiger fort. Er sah täglich aus der Ferne, wie Hans im Garten Knospen und Blüten pflückte, wie er dort und da Wurzeln grub; Heino dachte wohl, dass alle diese Arbeit den einst so verachteten Kräutersucher immer berühmter machen werde. Da beschloss er bei sich, den Garten, der so reichen Segen brachte, zu zerstören.

Bald kam die Gelegenheit. Hans war aufs Neue zum Kaiser gefahren. Peter Latz und Frau Gertraud, angetan mit schönen Gewändern, waren auf ein paar Tage mitgekommen, weil sie manches für ihr Hauswesen einkaufen wollten. So stand das Häuschen des Wurzelgräbers leer.

Eine trübe, dunstige Nacht war angebrochen, als Heino über den niederen Gartenzaun stieg. Vom Gebirgskamm her zuckte zuweilen ein Wetterleuchten. Das zeigte dem wüsten Burschen den Weg. Und er fing an, mit beiden Händen zu raufen und zu brechen zwischen den bunten Beeten. Er riss eine Latte vom Zaun und zerwühlte damit die reiche, braune Erde, darin so viel Schönes und Heilsames gewachsen war. Er begann niederzutreten, mit den Füßen fortzustoßen, was ihn irgend in den Weg kam. Immer drohender rollte der Donner. Nun stieß der Fuß des wilden Heino an den Wetterbusch, über den sich noch immer Ranken vom Brombeergebüsch hinwegspannen. Aber der rohe Bursche war nun einmal am Zuge. In blinder Wut zerrte er an den verschlungenen Zweigen – der Wetterbusch, das Schutzdach der friedlichen Alraunen, lag bloß ….

Und im selben Augenblick knatterte, brauste und dröhnte die wilde Jagd heran. Ein Heulen und Sausen, ein Wimmern und Pfeifen ging durch Luft und Land, wie es im Kerbetal noch nie erklungen war. Blitze zuckten im blauen Licht. Der Erste von allen hatte den wilden Heino niedergeschmettert; dann entzündete sich das Häuschen des Wurzelgräbers; die hohen Tannen daneben, das Waldstück, dessen Schatten so lieblich über der Wiese gelagert hatte, das ganze Kerbetal bot in wenigen Augenblicken den Anblick einer grauenhaften Verwüstung. Und dann kamen Regengüsse niedergeprasselt, aus allen Rinnsalen rauschte das Wasser stromweise nieder – furchtbar schwoll der sonst so friedliche Bach. Er riss auch die Mühle mit allem, was dazu gehörte, hinweg.

In derselben Nacht aber fühlte sich der Kaiser von den Arzneien, die ihm Hans, sein junger Leibarzt, gereicht hatte, wunderbar erquickt. Ganz früh am Morgen ließ er den Sohn des Wurzelgräbers zu sich kommen. Er gab ihm den schönsten Ring von seinem Finger und sprach: »Lieber Hans, du hast mir meine Gesundheit wiedergegeben. In deinen jungen Jahren hast du bereits fertiggebracht, was die gelehrtesten alten Ärzte nicht konnten. Dir muss wohl der liebe Gott besondere Gnade verliehen haben. Ich möchte dir aber auch gern meinen Dank bezeigen. Darum bitte dir aus, was dir so recht am Herzen liegt.«

Da kniete Hans vor dem Kaiser nieder und sagte: »Ich bin von Kind auf im Wald gewesen und habe dort all die guten, freundlichen Geschöpfe kennen gelernt, die drin hausen. Da hat es mir oft weh getan, wenn ich sah, wie die Menschen die Wälder vernichteten und alle guten Geister, die drin walten, vertreiben. Wenn der Kaiser befehlen wollte, dass für jeden abgehauenen Baum ein neuer gepflanzt würde, dann gäbe es mehr Glück, mehr Frieden, mehr Gesundheit im ganzen Reich. Lasst mich bitten für den Wald und seine Bewohner!«

Da lächelte der Kaiser freundlich, denn aus dem Wald war ihm ja auch Glück und Gesundheit gekommen, und tat alles, wie Hans ihn gebeten hatte.

Also wurde in der Kerbe und ringsumher neues Gehölz angepflanzt. Die Alraunen wohnen heute wieder auf weiten, von Tannen umhegten Gebieten. Hans aber wandert durch die stillen Wälder, wo die heilenden Gewächse für allerlei Krankheiten erblühen und hält Zwiesprache mit den guten Geistern, die im Wald wohnen.