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Ein Schelmenmärchen

Eugen Bergmann

Ein Schelmenmärchen

Vor Zeiten lebte einmal ein junger, derber Bauer, der keinen größeren Herzenswunsch hatte, als ein Kavalier zu werden und eine Prinzessin zur Frau zu bekommen. Wenn er seine Schweine zum Verkauf in die Stadt trieb und dabei in Samt und Seide gekleidete Herren sah, wie sie hoch zu Ross oder in prächtigen Fuhrwerken stolz an ihm vorüberritten und vorüberfuhren, fraß ihm der Neid fast das Herz ab, und er dachte hin und her, auf welche Weise er es ihnen wohl gleichtun könne. Aber er war arm, hatte nur ein kleines Häuschen mit wenig Ackerland. Zur Ausführung seiner törichten Wünsche war nicht die geringste Aussicht vorhanden. Bis in seine Träume hinein verfolgte ihn dieses Verlangen, oft sah er sich selber mit Federhut und Spitzenkragen am Hof des Königs einherstolzieren. Da gab es morgens ein übles Erwachen, wenn solch schöne Bilder in eitel Nebel und Dunst zerflossen. Dann ging er tagsüber einher wie einer, dem der Hagel sein Weizenfeld zerschlagen hatte, schnauzte jeden an, der ihm in den Weg kam, und zermarterte sein armes Hirn mit Gedanken, wie er wohl zu dem nötigen Geld kommen könne. War dies doch das Einzige, was ihm, seiner Ansicht nach, dazu fehlte, einer der feinsten Kavaliere zu werden. Seine Nachbarn, denen er manchmal sein Herz auszuschütten pflegte, wollten sich über sein närrisches Sehnen totlachen, spotteten über ihn, wo sie konnten, und sagten mit Lachen: »Wenn der Esel die Laute schlägt, ist er noch lange kein Künstler.«

Aber das half alles nichts.

Als er nun eines Tages wieder mürrisch und verdrossen hinter seinem Pflug einherging und der schönen Gotteswelt auch nicht den geringsten Blick schenkte, hörte er plötzlich, wie die Pflugschar mit Klirren an einen Gegenstand stieß. Da er sich fluchend bückte, um den vermaledeiten Stein aus dem Wege zu räumen, gewahrte er einen angerosteten, großen, eisernen Topf im Erdreich. Der war so schwer, dass er ihn kaum heben konnte. Als er den Deckel lüftete, da – wer beschreibt seinen freudigen Schreck – fiel ihm die Pfeife aus dem Mund und die Beine begannen ihm zu zittern. Bis an den Rand war der Topf mit Dukaten gefüllt, die so neu und blank aussahen, als kämen sie eben aus des Kaisers Schatzkammer.

Bald jedoch erholte sich das Bäuerlein, dass sich so unvermutet vor das Ziel seiner Herzenswünsche gestellt sah, schlug einen Purzelbaum vor Vergnügen und brachte dann seinen Schatz in sicheren Gewahrsam.

Anderen Tages füllte er sich die Taschen mit den blinkenden Goldfüchsen und ging in die Stadt, wo er sich gleich den vornehmsten Laden aussuchte.

»Hallo, Herr Kaufmann«, schrie er, »nun rückt mal heraus mit dem Feinsten, was Ihr habt und was zum Anzug eines vornehmen Kavaliers gehört! Nichts soll mir zu teuer sein, und das Beste werde ich gerade gut genug finden.« Dabei warf er eine Handvoll Dukaten auf den Tisch, damit der Kaufmann gleich wisse, woran er sei, und nicht am Ende denke, es mit einem Aufschneider und Hungerleider zu tun zu haben.

Nun wurde herbeigeschleppt, was es nur Kostbares gab: Seidenzeug aus Lyon, Spitzen aus Brabant, Samtgewebe aus Persien und tausenderlei andere Dinge, wie sie sich nur ein vollendeter Galan wünschen kann. Der Kaufmann, der sich auf seine Leute verstand, merkte bald, was die Glocke geschlagen hatte, war mit seinem Rat hilfreich zur Hand, und bald waren Anzüge ausgewählt, deren sich kein König zu schämen brauchte. Wie sich unser Bauer nun in dem großen Pfeilerspiegel neu ausstaffiert betrachtete, wollte er kaum glauben. Es blicke ihm aus dem Glas derselbe Mensch entgegen, der gestern noch hinter dem Pflug hergegangen war; so stattlich präsentierte er sich in dem violetten Samtwams mit den Goldstickereien und dem Hut mit dem wallenden Federbusch.

»Bei allen Heiligen«, sagte der schlaue Kaufmann voll erheuchelter Bewunderung, »wenn Ihr nicht einem Prinzen von Geblüt gleichsteht, will ich mich hängen lassen. Eine Fürstin muss mindestens Eure Frau werden.«

Der Bauer blinzelte ihn wohlgelaunt von der Seite an und entgegnete mit überlegenen Lächeln: »Ein bisschen höher hinauf, guter Freund, würde mir besser zu Gesicht stehen.«

»Freilich, freilich«, beeilte sich der Handelsmann zu antworten, »unsere Königstochter wäre Euer gerade würdig. Aber …«

»Aber? Was soll es mit dem Aber?«, forschte der neugebackene Kavalier misstrauisch. »Einen feineren und reicheren Gemahl findet sie eben nicht. Habt Ihr mir nicht selbst vor wenigen Minuten versichert, ein solch kostbarer Zobel, wie er meinen Mantel ziert, sei nicht einmal im Besitz des Königs?«

»Das stimmt schon werter Herr, und doch.« Hier kraulte sich der Kaufmann vor Verlegenheit hinter den Ohren. »Ich weiß nicht, wie ich es gleich sagen soll … seht … nun, Ihr wisst doch: Mit den Kavalieren ist es wie mit den Blumen, je kostbarer, je seltener einer ist, desto feiner ist der Duft, der ihn umgibt. Nun hat unsere Prinzessin eine so feine Nase, dass sie es sofort herausriecht, mit wem sie es zu tun hat, und einem Herzog von einem Grafen auf zehn Schritt unterscheidet. Der Bauerngeruch aber sei ihr ganz besonders zuwider, erzählt man. Sie wittere ihn schon aus der Ferne und sei hochmütig wie eine echte Prinzessin.«

»Was Ihr sagt!«, hob das Bäuerlein etwas kleinlaut an. »Lässt sich dagegen nichts tun? Gibt es kein Mittel, keine Arznei, sich von diesem bösen Duft zu befreien?«

»O, gewiss.« Der Kaufmann lächelte geheimnisvoll. »Man braucht nur Doktor Artabatus in der Stadt Mellesund aufzusuchen. Der repariert es!«

Da verließ ihn mit einem Dank für die gütige Auskunft der Bauer, kaufte sich einen starkknochigen Gaul, füllte sich abermals alle Taschen mit Dukaten, erfragte sich die Lage der Stadt Mellesund und machte sich auf den Weg zu Doktor Artabatus.

Nachdem er drei Tage und drei Nächte geritten war, erreichte er die gesuchte Stadt, deren Türme und Zinnen ihm schon von Weitem in der aufgehenden Sonne entgegenfunkelten. Er ließ sich von einem Knaben bis an das Haus des Doktors Artabatus führen, denn dessen Name war bekannt bei Alt und Jung, und bat um Einlass.

Vor einem Herdfeuer stehend, auf dem soeben ein neues Lebenselixier brodelte, empfing ihn der berühmte Mann. Mit seinen düsteren Augen sah er ihn eine Weile forschend an, als wollte er bis auf den Grund seiner Seele lesen. Da das Bäuerlein sein Anliegen in schön klingenden Redensarten vorzubringen suchte, unterbrach er ihn barsch und sagte ohne Federlesen: »Spar deine Worte. Nur ein Stümper hört die Leidensgeschichte seines Patienten. Ich weiß, was dir fehlt. Du möchtest aus einem Bauern ein Kavalier werden. Versteh es auch, denn so taugst du freilich noch nicht dazu. Gemacht kann es werden, aber die Sache kostet Geld.«

Der Bauer schüttete, ohne ein Wort zu sagen, den Inhalt seiner Taschen auf den Tisch.

Als der gelehrte Herr das gleißende Häuflein vor sich sah, nickte er befriedigt, strich es ein und sprach: »Das langt, und merke nun auf, was ich dir sage. Ihr Bauern habt ein dickflüssig, ungesunde Blut, das träge seines Weges rollt und deshalb zu allen feinen Gedanken, zierlichen Redensarten, liebenswürdigen Manieren, wie sie in Schlössern und auf Edelhöfen zu Hause sind, gänzlich ungeeignet ist. Auch fehlt die Würze, die Süße, der Duft. Du musst deshalb in einer süßen Tunke umgekocht werden. Die wohl zubereitete Flüssigkeit muss durch die Poren deiner Haut dringen und eine völlige Änderung deiner Säfte herbeiführen. Die Kur ist, von der Hand eines Meisters geleitet, ohne Gefahr. Halte dich bereit, ich rüste dir sogleich das Nötige.«

Er rief nach seinen Handlangern, ließ einen riesengroßen Kessel über den Kochherd seiner Studierstube stellen. Wohlgesiegelte Flaschen, Töpfe, Kruken mit Inschriften in chinesischen Lettern sowie seltsam verschnürte Packen, von denen Einzelne mit einem Totenkopf beklebt waren, wurden hereingebracht.

Dann entließ er seine Heilgehilfen und ging an die Zubereitung des wunderkräftigen Wassers.

»Dies hier ist Honig vom Berge Hymettos in Griechenland«, sagte er und schüttete den Inhalt eines großen Topfes in den Kessel. »Das gibt die Süße und ist das Fundament, auf dem sich alles gründet und aufbaut. Dies hier sind Lakritzstänglein; dies Süßholz, geraspelt, so der Zunge eine liebliche Gelenkigkeit zu anmutiger Rede verleihen; hier Fenchel, Anis und Ambra, die dem Geist Kraft und Zartheit mitteilen; hier Gewürznägel, Zimt und Rohrzucker, die den Gelenken zierliche Bewegungen geben, und die Büchse dort, gestempelt mit dem Siegel des Kaisers von China, enthält das Köstlichste, die Krone des Ganzen: Zibet, Moschus und Lavendel. Das, in der richtigen Mischung, erteilt dir den Duft des Kavaliers und vertreibt jeglichen Bauerngeruch auf ewige Zeiten.«

Dem Bäuerlein wirbelte bei all den fremden Namen der Kopf. Staunend schaute er den Hantierungen des Weisen zu, während ein bläulicher Dampf dem Kessel entstieg und das Gemach mit allen Wohlgerüchen Arabiens erfüllte.

Endlich war alles bereitet, wie es sich gehörte, und Doktor Artabatus befahl dem Bauern, die Gewänder abzulegen und in den Kessel zu steigen. Ins Feuer aber warf er noch ein paar mächtige Scheite, dass die Funken wie kleine Sterne in die Höhe stoben.

»So«, sagte er, »jetzt bleibst du so lange darin sitzen, bis du es merkst, wie dich die Süße langsam durchdringt, wie sie die Blutbahn hinaufsteigt, und so lange du die Hitze vertragen kannst. Merk auf: Je länger, je besser; denn bleibt auch nur etwas der alten, bösen Bauernsäfte zurück, so gerät die Süße in Gärung, wird herb und ranzig, und die Kur bleibt ohne gewünschten Erfolg.«

Pustend und schwitzend saß der angehende Kavalier in der Flüssigkeit, die mit jeder Sekunde heißer und heißer wurde. Er japste nach Luft, wenn ihn die Dämpfe umqualmten, ihm beißend in Auge und Nase fuhren, ihm den Atem raubten, und wähnte nicht anders, als dass sein letztes Stündlein geschlagen habe.

»Halte aus«, tröstete der Arzt, »halte aus. Es kämpfen jetzt die Geister der Heilkräfte mit den unreinen Geistern, so dir im Geblüt sitzen. Es kämpft die Süße mit dem Sauren; jetzt rückt Zibet vor, jetzt schwingt Ambra das Schwert, und dort naht Lavendel und bringt uns den Sieg.«

Endlich, da es dem Bauern schien, er habe seinen letzten Atemzug getan, winkte Artabatus mit feierlicher Miene: »Es ist genug.«

Halb tot entstieg er der süßen Wundertunke und schwor bei sich, diese Kur zum zweiten Male nie mehr über sich ergehen zu lassen. Doch schon in Bälde erholte er sich, die Kräfte kehrten schnell zurück, und schmunzelnd schaute der Meister auf sein gelungenes Werk.

»Kehre heim, mein Sohn. Artabatus hat sich ein neues Lorbeerreis in seinen Ehrenkranz geflochten. Seit Langem ist kein vollendeterer Kavalier aus seiner Werkstatt hervorgegangen!«

Fröhlich verließ der Bauer das Haus, erstand sich gleich ein edles arabisches Ross, rüstete es stattlich aus mit purpurnen Schabracken und goldenen Steigbügeln und ritt aus den Toren der Stadt Mellesund den kürzesten Weg in raschem Trab der Königsburg zu.

Als er nun vor dem Portal des herrlichen Schlosses hielt, eilten ihm geschäftige Diener entgegen. Der eine hielt ihm die Bügel, der zweite breitete kostbare Teppiche vor seine Füße, und der dritte führte ihn die Treppe hinauf in den Thronsaal, wo soeben der König und seine Tochter Hof hielten; denn man glaubte nicht anders, als das zu den vielen Prinzen und Königssöhnen, die sich um die Hand der Prinzessin Murmula bewarben, ein neuer hinzugekommen sei.

Da saß nun unter rotsamtenen Baldachin auf seinem Thron der König mit Zepter und Reichsapfel in den Händen und neben ihm die Prinzessin Murmula. Ach, war die schön! In ihren schwarzen Haaren glänzten Diamanten und Perlen, und ihr Gewand war mit silbernen Sternlein bestickt, die funkelten wie die Sterne am blauen Nachthimmel. Weil sie aber so hochmütig war und das Näschen immer steil in die Luft trug, musste Tag und Nacht ein Mohr einen Schirm über sie halten, damit es ihr nicht in die Nase regne. Nur ein ganz klein wenig zog sie den Schnabel und schnupperte nach rechts und nach links, als der fremde Kavalier vor sie hintrat – doch roch sie nichts, weil Meister Artabatus seine Sache verstanden hatte.

In zierlichen, wohlgesetzten Worten – denn die Lakritzstängel und das geraspelte Süßholz taten ihre Wirkung – trug nun der Bauer sein Anliegen vor; wie er weit her sei, wie er von der Schönheit der Prinzessin gehört und nur noch den einen Wunsch habe, sie als sein ehelich Gemahl in die Arme zu schließen.

Nicht ungern begann die Schöne seiner Rede zu lauschen, denn er sah gar stattlich aus, hatte Saft und Kraft in sich und überragte manch blasses Prinzlein um Haupteslänge. Ja, aber nun geschah etwas Unvorhergesehenes; ein Jucken kam dem Bauernsohn an, und ehe er sich dessen versah, kratzte er sich, kräftig und tüchtig, wie er es daheim gewohnt war.

Da schnellte das Näschen der Prinzessin Murmula wieder blitzschnell in die Luft.

»Päh«, sagte sie, »Bauer bleibt Bauer!« Hochmütiger denn je schaute sie zur Seite und hatte auch nicht einen Blick mehr für den Erkannten. Dem aber war zumute, als hätte man einen Kübel eiskalten Wassers über ihm ausgeschüttet; denn ihm wäre nie auch im Traum nur der Einfall gekommen, man kratze sich an Königshöfen nicht, wenn man irgendwo ein Jucken oder Stechen verspüre.

Kleinlaut schlich er aus dem Saal, von hundert spöttischen und schadenfrohen Augen begleitet. Still ritt er davon, seinem Pferd dem Weg überlassend, Verzweiflung im Herzen. Wohl tausend Male verwünschte er im Geist den Doktor Artabatus und wusste nicht aus noch ein, denn das stand fest in ihm, dass er sterben müsse, wenn er Prinzessin Murmula nicht erwerben könne.

Er ritt und ritt fünf Tage und fünf Nächte und kam endlich in die Stadt Berrefast.

Wie er nun so in Gedanken die Hauptstraße hinabtrabte, weder auf die Paläste zur Rechten und Linken noch auf die Menschen, die die Bürgersteige füllten, ein Blick warf, sah er plötzlich ein Gefährt mit sechs schneeweißen, rotgezäumten Mauleseln bespannt ihm entgegenkommen. In dem Wagen saß ein Mann mit langem, weißen Bart. Sein schwarzer Talar war mit seltsam geheimnisvollen Zeichen besetzt. Da die Menge ihn gewahrte, entstand ein großer Auflauf, Mützen flogen in die Höhe, Tücher wurden geschwenkt und aus tausend Kehlen erscholl der begeisterte Ruf: »Heil dem Magister Perpendiculus, dem Stolz von Berrefast!«

Unser Betrübter erwachte aus seinem Geträume und fragte den erstbesten: »Sagt an, guter Freund, was hat es mit diesem Magister Perpendiculus auf sich?«

»Ei«, entgegnete der und maß ihn ein wenig verächtlich, »Ihr seid wohl vom Mond gefallen, dass Ihr nichts vom dem wisst, was der ganzen Welt bekannt ist? Meister Perpendiculus ist der weiseste Arzt der Erde, und Berrefast ist stolz darauf, ihn zu besitzen. Es ist keine Krankheit des Leibes und der Seele, die seiner Kunst widerstände. Man erzählt, dass Geister ihm gehorchen, dass er Tote erwecke und schon manchen Strohkopf mit Weisheit gefüllt habe. Seht jenes Haus dort mit den sechs erzenen Säulen und dem Tor aus schwarzem Onyx. Das ist der Wohnsitz des Magisters Perpendiculus. Habt Ihr was, so Euch das Herz bedrückt, vertraut es ihm an, er schafft Rat.«

Eine kleine Weile nachher klopfte das Bäuerlein an die Onyxpforte, die einen dumpfen Klang gab, und begehrte von dem Mohren, der ihm öffnete, zu dem Magister geführt zu werden.

 In einem fremdartig ausstaffierten Gemach, durch dessen bunte Scheiben das Tageslicht nur spärlich und gedämpft hereinquoll, saß der weise Meister vor einem Pergamentband, auf dessen roten Blättern in Goldschrift Mittel gegen jegliches Gebrechen geschrieben standen, und blickte erst auf, als der, so seines Rates und seiner Hilfe bedurfte, vor ihm stand.

Niedergeschlagen berichtete der verunglückte Kavalier, wie sich alles zugetragen hatte, wie trotz der süßen Abkochung des Doktors Artabatus die Prinzessin den Bauerngeruch gespürt, und wie er sich ein Leid antun müsse, wenn Magister Perpendiculus keinen Ausweg ersinne.

Als der den Namen »Artabatus« gehört hatte, war ein verächtliches Lächeln über sein Gesicht gegangen. Nun hob er an: »Eure Sache steht so schlimm nicht, zumal Euch Euer guter Stern vor die richtige Schmiede geführt hat. Fern sei es von mir, auch nur ein nachteiliges Wort über die Kunst meines Kollegen zu sagen, denn das ist unter uns Ärzten nicht Brauch. Allein das eine kann ich nicht verhehlen: Seine Methode ist gänzlich veraltet. Wer heutzutage noch sein Vertrauen auf die Mischung verschiedener Stoffe setzt, ist ein Esel. Seit den Zeiten meines Lehrers, des großen Paracelsus, hat man für die Heilweise des Hippokrates, der Artabatus blind ergeben ist, nur noch ein mitleidiges Lachen. Sauer müsst Ihr gekocht werden, sauer, lieber Freund! Eine wohltuende Säure muss Eurem übergesunden Bauernblut zugeführt werden ohne jeglichen Zusatz, ohne jegliches Gewürz. Seht: Fürsten, Königen, Kaisern hat diese meine Hand zur Ader gelassen, und es ist mir noch kein Tröpfchen Kavaliersblut vorgekommen, das nicht säuerlich gedunstet hätte. Freilich – die rechte Säure muss es sein, daran liegt es, darin besteht das Geheimnis. Und ein erklecklich Sümmchen werdet Ihr hergeben müssen, aber – für was ist was!«

Der Bauer schüttete ohne Weiteres den Inhalt sämtlicher Taschen in ein Mäßchen, das ihm der Magister vorhielt und in dem er sein Honorar einzuheimsen pflegte. Perpendiculus rüttelte es ordentlich fest. Da es bis an den Rand gefüllt war, sprach er: »Es fehlt wohl noch um eines Strohhalms Breite an dem Üblichen. Ich will es aber auch dafür tun, da mein Herz nicht am Gewinn hängt.«

Dann führte er seinen Patienten in ein kellerartiges Gelass, wo unter einem geräumigen, silbernen Kessel eine blaue Flamme kochte, hieß ihn, sich in das darin befindliche Wasser setzen und zog aus dem faltigen Gewand ein Kristallgläslein, in dem eine helle Flüssigkeit blinkte, und goss nur wenige Tropfen in den Kessel. Alsbald fing das Wasser an sich zu kräuseln und Blasen zu werfen. Ein saurer Dunst stieg aus ihm auf, während der Magister mit einem Blasebalg das Feuer zu hellerem Glühen anzutreiben begann.

»Auf der höchsten Spitze des Himalaja wächst in einer Felsenspalte das Kraut«, sagte er, »mit dem der Vogel Phönix sein Nest auszufüttern pflegt. Aus diesem Kraut wird vermöge kunstreicher Destillation diese Säure, so Euch nottut, gewonnen.«

Der arme Schelm im Wasser aber fing an, ganz entsetzliche Gesichter zu schneiden, denn prickelnd und ätzend fühlte er die Säure in die Adern dringen, der Atem wurde ihm fast genommen, und das Wasser erhitzte sich blitzschnell und schäumte fast über den Rand des Behälters.

Je ärger er aber stöhnte und litt, desto vergnüglicher wurde der große Meister.

»Vortrefflich, vortrefflich!«, jubelte er und schlug sich mit der Hand an die Seite. »Die Kur schlägt an! Spürt Ihr es, wie all das böse Gewürz, die lächerliche Süßigkeit meines Genossen Euch in blauen Wolken verlässt und wirbelnd zum Schornstein hinausfährt? Merkt Ihr es, wie die Krallen der Säure sich in die Zibetkatze schlagen und wie sie die letzte Spur des Ambra vernichten?«

»Lasst es genug sein, Perle der Wissenschaft!«, jammerte der im silbernen Kessel. »Ich glaube, es genügt … Ein bös Brausen hab ich in den Ohren, Feuerfunken tanzen mir vor den Augen und alle Gedanken mischen sich mir zu wirrem Knäuel … ich überstehe die Kur nicht, einen Entseelten fischt Ihr aus Eurer Brühe!«

Doch der Magister drückte ihn mit dem goldenen Schaumlöffel, der ihm wie ein Schwert zur Seite hing, noch tiefer in die Flüssigkeit, häufte ihm den weißen Schaum übers Haupt, sodass er kein Glied rühren konnte und seine Seele den Heiligen befahl. Dann hob er ihn mit einem Ruck aus der Säure, und es dauerte nicht lange, da kehrten die Lebensgeister des Armen in doppelter Frische wieder. Neue Kraft durchglühte ihn. Als Magister Perpendiculus ihm nun einen Silberspiegel vorhielt, musste er zugeben, die Kur habe angeschlagen, das Mittel seinen Zweck erreicht; so vornehm sah er aus, als reichte er mit seinen Ahnen bis in die graueste Zeit zurück!

Da sich das Onyxtor wieder hinter ihm schloss, ritt er spornstreichs heim, füllte sich alle Taschen abermals mit blanken Goldstücken, warb ein stattliches Gefolge, das ihn an den Königshof begleiten sollte, und machte sich von Neuem auf, um die Hand der Prinzessin Murmula zu werben.

Und es war wieder wie das erste Mal. Als er vor dem Portal des Schlosses hielt, eilten ihm die Diener entgegen: Der Erste hielt ihm den Bügel, der Zweite breitete Teppiche unter seine Füße und der Dritte geleitete ihn die marmornen Treppen hinauf. Untereinander aber flüsterten sie: »Das ist sicher der erwartete Prinz aus Mauretanien, dem die sieben goldenen Schlösser gehören und dessen Schatzkammern bis an die Decke mit Kostbarkeiten gefüllt sind.«

Im Thronsaal warteten schon viele Prinzen und Königssöhne aus nah und fern auf das Erscheinen der Prinzessin. Die standen zu beiden Seiten des Thrones, auf dass die Königstochter sich den Schönsten erwähle, und zu den stattlichsten gehörte auch der Bauer. Endlich ertönten Fanfaren und Trompeten, die Doppelvorhänge einer Tür wurden zurückgeschlagen, und in glanzvollem Zuge nahte der König und neben ihm die Prinzessin. Die aber war heute noch tausendmal schöner als das erste Mal. In ihren schwarzen Haaren trug sie eine funkelnde Krone, und ihr weißes Kleid war mit Rosen bestickt, aus deren Kelchen die herrlichsten Diamanten blitzten. Nur das Näschen trug sie so hoch wie immer, doch sie schnupperte nicht einmal; denn Magister Perpendiculus hatte selbst das letzte Stäubchen jenes Geruchs, der ihr so zuwider war, in seiner Säure getötet.

Der Bauer aber dachte bei sich: Wenn ich dich heute nicht gewinne, du holdseligste der Sterblichen, so wäre es mir besser, nicht auf der Welt zu sein.

Vor der Prinzessin hüpfte in munteren Sprüngen ihr Windspiel, lief von einem zum anderen, ließ sich von diesem glätten und jenem, und setzte sich endlich dicht vor den Bauer. Wie der aber den Hund sah, fiel ihm seine Jugend ein. Da war es sein liebstes Vergnügen gewesen, den Katzen in den Schwanz zu kneifen, und wenn sie dann miauend und fauchend davongefahren waren, hatte er sich den Magen gehalten vor Lachen. An keinem Hund aber war er vorübergegangen, ohne ihm auf den Schwanz zu treten, und hatte immer seine helle Freude daran gehabt, wenn sie heulend das Weite suchten. Und wie er so darüber sann und sann, vergaß er Königskind und Hofburg, Glanz und Umgebung, hob langsam den Fuß und trat dem königlichen Hund nachdrücklich auf den Schwanz. Das Hündchen, so böser Handlung ungewohnt, hob ein Gequieke an, als hätte es sich auf heißes Eisen gesetzt, kniff den Schwanz ein und raste davon wie vor dem Leibhaftigen, fuhr dem Oberhofmeister zwischen die Beine, dass er schier zu Fall kam, und erfüllte den ganzen Saal mit seinem Geheul.

Da richtete sich das Näschen der Prinzessin Murmula fast kerzengerade in die Höhe, und sie sprach, dass es durch den ganzen Raum klang: »Päh … Bauer bleibt Bauer – Koch ihn süß oder sauer!«

Sie winkte einem Königsohn und reichte ihm die Hand hin, zum Zeichen, dass sie ihn zum Gemahl erwähle.

Wie ein Donnerschlag jedoch traf ihre Rede den zum zweiten Mal Erkannten. Ehe noch jemand recht zur Besinnung kam, hatte er den Saal verlassen, riss sein Pferd aus dem Stall. Der Hufschlag seines Rosses klang laut und dröhnend, da er über die Zugbrücke in wildem Rasen fortjagte. Viele Tage ritt er kreuz und quer durch die Welt, ohne selbst zu wissen, wohin. Sein edles Ross, solcher Anstrengung ungewohnt, wurde lahm und steif. Endlich, da es nicht weiterkonnte, stieg er ab, überließ es auf einer fetten, grünen Wiese seinem Schicksal und ging nun zu Fuß weiter, Bitternis, Groll und Verzweiflung im Herzen. Manchen Tag noch wanderte er auf staubigen Straßen dahin, bis ihn der Zufall in seine eigene Heimat führte. Als er in einen Forst kam, hinter dem nur eine Tagereise entfernt seine Hütte lag, lagerte er sich neben einem Quell, um Gesicht und Hände mit dem kühlenden Nass zu netzen.

Lange Zeit saß er da in trüben Gedenken seines beklagenswerten Geschicks, als ein runzeliges Mütterlein des Weges kam, das im Wald nach Pilzen gesucht hatte.

»Gott zum Gruß schmucker Knabe«, redete sie ihn an, »was schaust du so drein, als stünde keine Sonne am Himmel, als sänge kein Vöglein im Walde? Solch sauertöpfisches Wesen kleidet kein Geschöpf Gottes.« Und das Mütterchen setzte sich zu ihm.

Da fasste er sich ein Herz, weil ihm so sterbensübel zumute war und er keine Seele hatte, der er sein unseliges Geschick berichten konnte. Er erzählte der Alten haarklein, was sich alles mit ihm zugetragen hatte.

Da er geendet hatte, lächelte das Mütterchen und sprach: »Ein Einfaltspinsel bist du, durch deine dicke Schwarte sei all das Süße und Saure gegangen, was dir die klugen Doktoren vorgefabelt haben? Nichts kann aus dem Menschen kommen, so es nicht in ihm ist. Ein freundliches Herz, dazu unmerkliche Leitung, zarte und feine Zurechtweisung in Kindertagen, wie sie eine liebende Mutter dem eigenen Blut zukommen lässt – das verleiht einem jene schöne Farbe herkömmlicher guter Sitte, die den Menschen zum Kavalier macht. Ein Tölpel bleibt ein Tölpel in jedem Stand!« Damit erhob sie sich, nickte ihm zu und humpelte von dannen. Dem Bäuerlein war zumute, als hätte der Himmel selber ihn getröstet. Eilends schritt er weiter und froh klopfte ihm das Herz, als er sein heimatliches Dach bei sinkender Sonne erreichte.

Auf dem Boden seines eisernen Kessels fand sich noch gerade eine Handvoll Dukaten, die dazu ausreichten, ein neues Leben zu beginnen. Das geschah, und zufrieden sitzt er noch heutigentags dort, wo er saß, als wir diese Geschichte begannen.

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