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Slatermans Westernkurier 05/2020

Auf ein Wort, Stranger, kennst du noch die schwarze Mary?

Eine Zeitlang, so schien es jedenfalls, war der Westen der ideale Ort für eine Frau, um sich selbst zu verwirklichen. Fast alle Berichte, die den Frauen im Osten zu Ohren kamen, schilderten die Siedlungen im Grenzland als zwanglos, hilfsbereit, tolerant und erstaunlich frei. Die Menschen des Westens wurden, und das völlig zu Recht, als ausgeprägte Individualisten geschildert, was darauf schließen ließ, dass sie keinem Neuankömmling, selbst einer Frau nicht, das begehrte Recht verweigern würden, in Frieden das zu tun, was ihm gefiel. Die Folge war, dass der Westen ein wahres Heer nonkonformistischer Frauen anzog.

Außenseiterinnen, Einzelgängerinnen, Abenteuerinnen, Exzentrikerinnen.

Mary Fields, der diese Kolumne gewidmet ist, war eine von ihnen.

Sicherlich gab es berühmtere Frauen, Lillie Hitchcock Colt zum Beispiel, die in Irland geborene Nellie Cashman oder Martha Maxwell, der einzige weibliche Naturforscher und Präparator ihrer Zeit, aber sie waren alle mit irdischen Vorteilen wie Schönheit oder Vermögen gesegnet.

Mary nicht, sie war schwarz und wurde als Sklave geboren.

 

*

 

Mary Fields, auch unter den Namen Stagecoach Mary oder Black Mary bekannt, kam am 15. März 1832 im Hickmann County in Tennessee als Sklave zur Welt, was sie mehr als 33 Jahre lang blieb, bis am 18. Dezember 1865 durch das Dreizehnte Amendment zur Verfassung die Sklaverei abgeschafft wurde.

Danach arbeitete sie jahrelang im Haushalt von Richter Edmund Dunne. Als dessen Frau Josephine 1883 starb, kam sie samt den fünf Kindern der Familie zu deren Tante Mutter Mary Amadeus, die in Toledo, Ohio, ein katholisches Ursulinenkloster leitete.

1884 sandte die Kirche Mutter Mary nach Montana in die westlich des kleinen Städtchens Cascade gelegene St. Peter Mission, wo sie eine Schule für junge Indianermädchen leiten sollte. Mary Fields erhielt die Aufgabe, Fracht zu befördern und bei schweren Arbeiten zu helfen, was nicht verwunderte, denn schließlich war sie zu diesem Zeitpunkt etwa 1,80 Meter groß und etwas über 90 Kilo schwer.

Hier, in der rauen Männerwelt des Goldgräberstaates Montana, schüttelte diese auf sich selbst vertrauende Frau ihr altes Leben endgültig ab und zwang ihre Mitmenschen, sie zu ihren eigenen unkonventionellen Bedingungen zu akzeptieren.

Die schwarze Mary wurde zum lebenden Beweis, dass eine Frau alles fertigbringen konnte, was auch ein Mann fertigbrachte.

Sie beherrschte den Umgang mit einem Frachtwagengespann genauso wie das Schießen mit Gewehr und Revolver und scheute sich auch nicht, ihre Fäuste einzusetzen.

Mit ihrer dicken Zigarre zwischen den Lippen, einem Krug Whisky neben sich und sowohl mit Gewehr als auch Revolver bewaffnet, machte sie zunächst auf die Einwohnerschaft von Cascade alles andere als einen guten Eindruck.

Schulkinder blickten scheu der »bösen Frau« nach, wenn sie mit ihrem Frachtwagen zum Bahnhof fuhr. Mary nahm keine Notiz von den Blicken und tat nur ihre Arbeit, die mehr als einmal darin bestand, acht Pferde zu lenken, die zwei hintereinander gespannte Lastkarren zogen. Ihre Fahrten waren nicht nur mühsam, sondern auch riskant.

Als sie im Winter eines Abends von Cascade aus zur Mission zurückfuhr, fielen Wölfe den Wagen an, sodass die Pferde durchgingen, den Wagen umwarfen und Mary samt der Ladung zu Boden geschleudert wurde. Die nächsten Stunden, bis endlich Hilfe eintraf, verbrachte sie damit, die Raubtiere mit ihrem Gewehr in Schach zu halten.

Trotz Whisky, Colt und Zigarre war Mary keinesfalls eine unfreundliche Frau, im Gegenteil, nur wer ihr dumm kam, hatte nichts zu lachen.

Als sie einmal ein Lohnarbeiter von der St. Peter Mission beleidigte, war sie erst zufrieden, als der Mann einwilligte, die Sache mit dem Gewehr zu bereinigen. Die Schüsse des Mannes verfehlten ihr Ziel, während Mary hingegen ihre Kugeln so knapp neben ihn setzte, dass er vor lauter Schreck davonlief.

Bei der Schießerei nahm niemand Schaden, abgesehen von der Geduld des Bischofs von St. Helena, der Mary danach wutentbrannt an die Luft setzte.

 

*

 

Eine Frau wie Mary Fields ließ sich aber von solchen Störfeuern nicht aus der Ruhe bringen.

Sie verließ die Mission, zog in die Stadt und eröffnete dort unter tatkräftiger Mithilfe von Mutter Mary Amadeus ein kleines Restaurant.

Doch es dauerte nicht lange, dann war sie pleite.

Schuld daran war ihr Wesen, als ehemalige Sklavin war sie selbst zu oft hungrig gewesen, um einem armen Schlucker, der in ihr Restaurant kam, eine warme Mahlzeit zu verweigern. Ihr Pech war nur, das diese Spezies gegenüber der zahlenden Kundschaft in der Überzahl war.

Aber sie musste nicht lange darben, denn inzwischen hatte sie durch ihre Großherzigkeit und unkonventionelle Lebensweise ihre Nachbarn für sich eingenommen und war durch ihre Taten im ganzen Territorium zu so etwas wie einer Berühmtheit geworden.

Anno 1892 bekam sie dadurch eine Anstellung als Kutscher des Postwesens der Vereinigten Staaten, wo sie sich als flinker Kurier erwies, der sich selbst durch Überschwemmungen, Wölfe, Banditen oder Schneestürme nicht aufhalten ließ.

Stagecoach Mary, wie man sie daraufhin nannte, wurde so die zweite Frau in den gesamten Vereinigten Staaten, die eine Postkutsche lenkte, und gleichzeitig die erste Frau, die das Privileg erhielt, in den Saloons von Cascade zu trinken.

Eine große Ehre, denn zu dieser Zeit hatten Frauen normalerweise keinen Zugang zu den Saloons. Wie angesehen Mary Fields in Montana wirklich war, lässt sich vielleicht daran festmachen, dass die öffentlichen Schulen zu ihren Ehren an ihrem Geburtstag schlossen, hin und wieder sogar zweimal im Jahr, weil sie das Datum nicht genau kannten.

Als sie in den Siebzigern war und allmählich zu alt, um eine Postkutsche zu lenken, betrieb sie eine Wäscherei.

So kam es, dass sie zwischen zwei Waschgängen immer wieder in den Saloons anzutreffen war, um mit den Männern dort ein Glas zu trinken, manchmal auch zwei oder drei.

Sie konnte, wie manche Einwohner von Cascade zu berichten wussten, deutlich mehr als so mancher Mann vertragen.

Mary Fields starb am 5. Dezember 1914 in Cascade, Montana.

Andere Berichte behaupten, dass sie bereits 1914 im Hospital von Great Falls verstarb und erst später in Cascade begraben wurde.

Wie dem auch sei, ihr Name kennt heute noch jedes Kind in Montana.

Zu Recht, wie ich meine.

In diesem Sinne

Euer Slaterman

Quellenhinweis:

  • Time Life Books Inc. 1978, Der Wilde Westen, Die Frauen
  • Aus dem Englischen übertragen von Ursula Maria Mössner
  • www.history.com

2 Antworten auf Slatermans Westernkurier 05/2020