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Schinderhannes – Erstes Kapitel

Leben und Taten des berüchtigten Johann Bückler, genannt Schinderhannes
Für Jung und Alt zur Lehre und Warnung aufs Neue geschrieben von W. Fr. Wüst, Reutlingen 1870
Druck und Verlag von Fleischhauer & Spohn

Erstes Kapitel

Die Knaben- und ersten Jugendjahre des Schinderhannes

Im Jahre 1779, während Hannikel, der Konstanzer Hans und viele andere Gauner im südlichen Teil Deutschlands, in den Schwarzwaldgegenden und bis in die Schweiz hinein ihr schändliches Gewerbe trieben, wurde Johann Bückler, genannt Schinderhannes, auf dem rechten Rheinufer geboren, und zwar zu Mühlen bei Rastetten im Nassauischen. Sowohl sein Vater als auch sein Großvater waren Abdecker (Wasen- oder Kleemeister). Da aber jener keine Freude mehr an seinem Geschäft, sondern große Lust zu reisen hatte, so entschloss er sich mit Weib und Kind nach Polen auszuwandern. Das war ein weiter Weg, besonders für den erst vierjährigen Hans. Die Reisemittel gingen gar bald aus; die Familie legte sich auf das Betteln und kam so mühsam bis nach Mähren. Dem Alten war die Reiselust nun vergangen und ließ sich zu Olmütz von den Kaiserlichen anwerben. Aber auch das Soldatenleben gefiel ihm nicht in die Länge. Darum ergriff er die Flucht und erreichte glücklich die preußische Grenze, wo er Frau und Sohn wiederfand und als kaiserlicher Ausreißer einen Pass erhielt. Die Sehnsucht nach der Heimat erwachte in ihm und er trat alsbald die Rückreise an. Doch zog er nicht in seinen früheren Wohnort, wahrscheinlich weil er sich schämte, wiederzukommen, sondern begab sich über den Rhein hinüber in seinen Geburtsort Merzweilen auf dem Hunsrück. Aber auch da tat er nicht lange gut, sondern kam in verschiedenen Dörfern auf dem linken Rheinufer herum, wo er als Tagelöhner arbeitete. So ein Zug wird ihn freilich nicht viel gekostet haben, weil seine Habseligkeiten bald eingepackt waren; aber viel Rutschen macht eben doch böse Hosen. Bückler brachte sich kümmerlich durch und konnte keinen Sparpfennig zurücklegen.

Der kleine Hans kam nicht viel in die Schule und blieb deshalb hinter seinen Mitschülern zurück, ungeachtet er gute Anlagen zeigte und alles leicht auffasste. Das beständige Wandern seiner Eltern war für den Knaben in mehrfacher Beziehung nachteilig. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass er als einziges Söhnlein oft allzu sehr gehätschelt und seinem Willen in manchen Fällen nachgegeben wurde, wo die Rute der Zucht am Platz gewesen wäre. Die Eltern dachten aus allzu großer, also falscher Liebe nicht an das schöne Sprüchlein: Hast du Kinder, so ziehe sie und beuge ihren Hals von Jugend auf; auch nicht an das andere: Welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er. So wuchs der Knabe wie ein wilder Stamm auf, dem das wohltätige Messer des Gärtners fehlt, um ihn zu einem fruchtbaren Baum zu machen.

Hans wurde in seinem vierzehnten Jahr konfirmiert und tat nun mit seinem Vater Lohnarbeiten. Als er 16 Jahre alt war, schickte ein Wirt in Veitsroth in der Kurpfalz ihn und einen anderen Burschen seines Alters mit vier französischen Talern in ein benachbartes Städtchen, um für das Geld Branntwein zu kaufen. Beide kehrten in einem Wirtshaus ein und ließen sich Essen und Trinken vorsetzen. Das schmeckte herrlich; eine zweite Portion wurde verlangt. Nun reichte aber das zur Zehrung erhaltene Geld nicht mehr. Was tun? Ein Taler wurde herausgenommen und die Zeche bezahlt. Aber nun fehlte es an Geld zum Einkauf des Branntweins. In ihrem Leichtsinn hatten die Burschen nicht bedacht, dass es so kommen müsse, wenn sie sich nicht mit einem einfachen Essen begnügten, sondern ihrer Genusssucht und Naschhaftigkeit sich hingäben. Reue nach der Tat ist viel zu spat.

Ohne den Branntwein wollten sie nicht zum Wirt zurückkehren und wussten sich jetzt nicht anders zu helfen, als mit dem Rest des Geldes davonzulaufen. Und so war diese leichtsinnige Veruntreuung der erste Grund zum verwerflichen Leben des Schinderhannes.

Beide Jünglinge gingen nun ganz verstört umher. Einen Plan, was sie nun anfangen, treiben und wie sie sich durch die Welt bringen wollten, hatten sie sich nicht gemacht. Vor der Hand litten sie nun zwar noch keine Not, das veruntreute Geld war noch nicht durchgebracht, doch wurde desselben immer weniger. Not bricht Eisen. Die herumschwärmenden Burschen mussten bald, wenn sie nicht Hunger leiden wollten, um den Taglohn arbeiten. Die Kräfte dazu fehlten ihnen nicht, wohl aber öfters die Gelegenheit oder die Lust, und Müßiggang ist aller Laster Anfang.

Wer nicht schon in der zarten Kindheit an eine regelmäßige und nützliche Tätigkeit gewöhnt wurde, der wird auch in den späteren Jahren nicht gern, sondern nur gezwungen arbeiten. Hierin verfehlen es gar viele Eltern in der Erziehung ihrer Kinder. Da hatten auch die Eltern des Johannes Bückler gefehlt. Der Trieb zur Tätigkeit, der bei allen Kindern vorherrschend ist, war von ihnen nicht recht geleitet worden. Er war ein lebhafter Knabe, von der Natur mit herrlichen Anlagen des Geistes und Herzens ausgestattet.

Aber was nützt der trefflichste Boden in deinem Garten oder Acker, wenn du ihn nicht bebaust und keinen guten Samen hineinsäst? Das Unkraut wird da wuchern und jede schöne Pflanze ersticken, welche aufkeimt und wachsen will.

Mochten die beiden Burschen nun nicht arbeiten oder fehlte ihnen die Gelegenheit dazu, so brachten sie sich durch Betteln fort. Sie suchten elende Schenken und Hütten auf, wo das Übernachten sie wenig kostete. Da trafen sie häufig liederliches Gesindel an, von dem sie nichts Gutes lernten, wohl aber, wie man sich einen leichten Erwerb verschaffen und gute Tage haben könne. Das schlug bei ihnen ein. Sie machten einen Versuch, aus einem Stall, der leicht zu öffnen war, ein Pferd zu stehlen. Es gelang. Auch fanden sie bald einen schlechten Menschen, der ihnen das gestohlene Pferd um einen geringen Preis abkaufte. Zur Ehre des Johannes Bückler muss übrigens gesagt werden, dass dieser Diebstahl ihm viel Herzensangst machte und sein gesunder Verstand ihm die Folgen eines solchen Lebens recht klar vor Augen stellte. Hierzu kam noch der Gedanke an seine Eltern und an die von ihnen empfangenen guten Lehren und Ermahnungen, sodass er sich nun fest vornahm, nicht mehr zu stehlen, sondern sein Brot durch Arbeit ehrlich zu verdienen. Vielleicht hatte er in der Schule den schönen Spruch gelernt und erinnerte sich nun wieder an denselben: Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit den Händen etwas Gutes. Hätte er nur diese Ermahnung stets in seinem Herzen bewegt!

Lange sann er hin und her, was er nun beginnen wolle. Endlich fiel ihm das ehemalige Gewerbe seines Vaters ein und sein Entschluss war gefasst.

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