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Mordmonomanie und Anthropophagie der Waldenser

Mordmonomanie und Anthropophagie der Waldenser
Aus: Der Wahnsinn in den vier letzten Jahrhunderten. Nach dem Französischen des Calmeil. Bearbeitet von Dr. Rudolf Leubuscher. Halle. 1848

Bald nach Jeanne d’Arc glaubte man im Waldenserland eine Menschenklasse zu entdecken, welche die Teufel anbetete und sich von menschlichem Fleisch nährte.

Besonders in der Umgebung von Bern und Lausanne sollten die Zauberer hausen. Sie aßen ihre eignen Kinder, und dreizehn Opfer sollten innerhalb einer kurzen Zeit verschwunden und von ihnen verschlungen worden sein.

Petrus, Richter in Boltingen, und ein Inquisitor ließen Hunderte von Unglücklichen um dieser Gerüchte willen auf die Tortur spannen und in den Flammen umkommen.

Ganze Familien verließen von Schreck erfüllt jene Orte, um anderswo eine Zufluchtsstätte zu finden, aber der Fanatismus und der Tod folgten ihnen auf dem Fuß.

Die Frage, die uns zunächst beschäftigen muss, ist die, ob es unter den Waldensern wirklich Wahnsinnige gegeben habe, welche mit dem Teufel zu verkehren glaubten. Wir finden nicht bloß im Zeugnis der Inquisitoren, sondern in den eigenen Geständnissen der Angeklagten eine bejahende Antwort.

Eine Frau, die in Bern hingerichtet wurde, gestand: »Wir lauern besonders auf die noch nicht getauften Kinder, aber auch auf die getauften, besonders wenn sie vom Zeichen des Kreuzes nicht behütet sind, und töten sie, wenn sie in ihrer Wiege oder an der Seite ihrer Eltern liegen, durch unsere Worte und Zeremonien, sodass man glaubt, sie seien erstickt oder von selbst gestorben. Dann rauben wir sie heimlich aus der Erde und kochen sie, bis nach Abscheidung der Knochen das ganze Fleisch flüssig und trinkbar wird. Von den festeren Teilen machen wir eine zauberische Salbe zu Künsten und Verwandlungen. Die flüssigeren Säfte aber füllen wir in Flaschen, und wenn ein Neuling wenige Tropfen davon getrunken hat, so hat er Anteil an unserem Wissen.«

Ein junger Mann, der in Bern mit seiner Frau zusammen in den Kerker geworfen wurde, erklärte, dass er alles gestehen wolle, wenn ihm Vergebung vor seinem Tod zuteil werden könnte. Er habe seinen Glauben, die Taufe und die ganze Kirche abgeschworen, sich vor dem Teufel gebeugt. Durch den Trunk aus dem Saft vom Fleisch der Kinder sei er in die Geheimnisse der Zauberei eingeweiht worden.

Mit Ergebung stieg er auf den Scheiterhaufen und zeigte Reue bis zum Tod, aber seine Frau gestand nicht und überhäufte noch auf dem Scheiterhaufen ihre Richter mit Verwünschungen.

Stadelein gestand, er habe in einem Haus einer Frau ihr Kind sieben mal im Uterus getötet, sodass sie immer abortierte, und ebenso beim Vieh in demselben Haus und zwar dadurch, dass er eine Schlange unter die Schwelle des Hauses gelegt habe. Die Schlange wurde zwar nicht gefunden, weil sie vielleicht in Staub verwandelt war, aber als man einen Teil der Erde von dort fortgenommen, hatte kehrte die Fruchtbarkeit bei der Frau und dem Vieh wieder.

Dass solche Bekenntnisse das Produkt des Wahnsinns sind, darauf kam damals niemand. Der Glaube an Anthropophagen geht durch die ganze Zeit des Hexenwahns. Eine große Menge von denen, die sich Bekenner und Anbeter des Teufels nannten, rühmte sich, Kinder verschlungen und von ihrem Fleisch gelebt zu haben. Wie wenig gehört aber dazu, dass ein verschüchtertes, von Angst und Schrecken erfülltes Gemüt sich selber der scheußlichen Verbrechen anklagt und in der Steigerung der Selbstanklage eine Art Genügen findet? Wir finden im Irrenhaus eine Menge Beweise, dass gerade die schuldlosesten und reinsten Gemüter in melancholischem Wahnsinn am meisten erfinderisch sind, Verbrechen auszudenken und zu übertreiben. Es ist aber natürlich auch in jener Zeit, wie in der heutigen vorgekommen, dass Wahnsinnige derartige Verbrechen wirklich verübt haben. So hackte 1578 Barbe Doré, die Frau eines Arbeitsmannes aus der Gegend von Soissons, ihrem eignen Kind und dem Kind der Nachbarin mit einer Sense den Kopf ab und erklärte vor Gericht, der Teufel sei ihr unter der Gestalt eines schwarzen Mannes erschienen und habe sie zu diesem doppelten Verbrechen angetrieben.

Ungefähr um dieselbe Zeit wurde in Mailand eine Frau gerädert, die ein Kind erdrosselt und aufgegessen hatte. Ein Dämon hatte ihr versprochen, nach einem solchen Opfer würde sie zeitlebens glücklich sein. In Bern dagegen war kein Einziger wirklich auf der Tat ertappt worden, weshalb die Theologen behaupteten, die Teufel machten ihre Zauberer unsichtbar.

Die Entstehung des Glaubens, dass die Zauberer Anthropophagen seien, ist weit ins Altertum zurückzuverfolgen.

Nach einer alten rabbinischen Tradition war Adam zuerst mit Lilith, einer Zauberin verheiratet, welche die Mutter der Teufel war. Sie widersetzte sich dem Willen ihres Mannes trotz der Befehle, die ihr Gott durch seine Kugel schickte, und entfloh eines Tages durch die Lüfte. In der Folge wurde Lilith das Schreckbild der Juden. Wenn eine große Zahl von Kindern von einer epidemischen Krankheit hingerafft wurde, so sagte das Volk, und die Ältesten der Synagogen wiederholten es: Lilith schwebt als luftiges Gespenst über ihnen und tötet sie. Um das Unglück zu verhüten, schrieben die Neuentbundenen auf die innere Wand der Mauer die Namen der drei Engel, welche die Kindheit beschützen. Außerhalb des Hauses schrieb man die Namen Adam und Eva auf, und etwas weiter entfernt an der Mauer: Lilith, weiche von hinnen. Nach und nach wurde der Name Lilith den jüdischen Frauen gegeben, die im Ruf standen, mit Zauberern Umgang zu haben. Man verband mit diesem Namen die Bezeichnung der Zerstörung, der Neigung zum Mord. Man stellte solche Weiber mit nacktem Busen dar. Sie besänftigten das Geschrei der Kinder, indem sie ihnen die Brust gaben, und dann erstickten sie sie in der Stille der Nacht.

Die Geschichte von Lilith ist mit einigen Veränderungen unter den verschiedensten Völkern der Erde wiederzufinden. Bei den Griechen galt Lamia, eine Tochter Neptuns, dafür, die zuerst in einem Anfall eifersüchtiger Wut das Kind einer Nebenbuhlerin getötet hatte. Es gab verschiedene Arten von Lamien. Die einen töteten die Säuglinge, andere lebten truppweise in den Wüsten und verschlangen die Unbesonnenen, die sich von der Schönheit ihres Busens locken ließen. Andere mästeten schöne Jünglinge in den Wüsten, um sie später zu verschlingen. Bei den Römern ging die Sage, dass die alt und schwach gewordenen Zauberinnen in Eulen verwandelt würden (Strix). Man schrieb diesem Vogel das Gelüste zu, sich von den Leichnamen zu nähren, dass er in der Dunkelheit zu den kleinen Kindern flöge, um ihr Blut zu saugen. Die alten Weiber hätten dasselbe Gelüste, um sich zu verjüngen. In den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt schrieben die Heiden den Christen Verbrechen dieser Art zu. In ihren heimlichen Versammlungen, besonders in der Weihnachtszeit, sollten sie Kinder schlachten und ihr Blut trinken. Die ersten Inquisitoren nahmen diese im Volk fortgeerbten Fiktionen als Wahrheit auf. Zauberer oder Teufelsanbeter waren ihnen zugleich Mörder. Sie nannten sie Lamien, striges oder Lästrigonen mit Bezug auf die alten Menschenfresser von Kampanien. Was aber die Richter glaubten, der verhältnismäßig aufgeklärtere Teil der Nation, davon musste das Volk noch vielmehr überzeugt sein. Und wenn sich die Unglücklichen selber solcher Taten beschuldigten, so war es nur der Ausdruck einer allgemeinen feststehenden Überzeugung.

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