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Der Alte vom Berge – Kapitel 1

C. F. Fröhlich
Der Alte vom Berge
Oder: Taten und Schicksale des tapferen Templers Hogo von Maltitz und seiner geliebten Mirza
Ein Gemälde aus den Zeiten der Kreuzzüge
Nordhausen, bei Ernst Friedrich Fürst, 1828

Wenn ich so einsam am Fenster stehe,
da wachen tausend Bilder in mir auf,
die längst das raue Leben mir entführte.
Des Herzens erster Traum kommt mir zurück
und die Erinnerung zieht mit ihren Freuden
im klaren Reihentanz an mir vorüber.
Theodor Körner

I.

In voller Ordenskleidung stand der junge Tempelherr Hugo von Maltiz nahe am Kapitelsaal und starrte verdrießlich an den düsteren Horizont. Die Stille des Grabes, welche rings umher herrschte, wurde nur zuweilen durch laute Stimmen im Kapitelsaal unterbrochen. Mitternacht war schon vorüber, als die Tür aufflog und der ehrwürdige Großmeister in Begleitung der Marschälle, Pannerer, Komture und des Drapiers heraustrat. Zwei dienende Brüder erleuchteten mit Fackeln die dunkle Nacht.

Kopfschüttelnd begab sich Hugo nun auch zu seiner Zelle, indem er aus tiefer Brust seufzte: »Wo werde ich noch Ruhe finden?« Schon wollte er sich wieder seinen schwermütigen Betrachtungen überlassen, da störten ihn rasche männliche Tritte. Ein dienender Bruder trat gleich darauf in seine Zelle und brachte ihm den Befehl, sogleich beim Großmeister zu erscheinen.

Das sorgenschwere Haupt in die hohle Hand gestützt, saß an einem kostbaren Marmortisch der Großmeister und schien den Eintretenden nicht zu bemerken. Hugo machte sich endlich durch ein Geräusch bemerkbar, worauf der Großmeister mit folgenden Worten ihn anredete.

»Schon in vielen Gefechten war ich Zeuge Eurer Tapferkeit, aber daß Ihr Tapferkeit mit List zu verbinden wißt, habe ich erst im letzten Gefecht bemerkt. Euch, Ritter Hugo von Maltiz habe ich zu einem zwar schwierigen und gefährlichen Unternehmen ausersehen, doch ist es auch zum Heil der ganzen Christenheit, wenn es gelingt.«

»Hochwürdiger«, fiel Hugo rasch ein, »glaubt es mir, ich brenne vor Begierde meinen Brüdern des Morgenlandes nützlich zu werden, und … sollte ich bei dem Unternehmen mein Leben verlieren, so gebe ich es freudig dahin, denn mein Herr und Erlöser starb ja auch hier. Ein echter Templer darf den Tod nicht scheuen.«

»Ganz recht«, meinte der Großmeister, »ein echter Templer darf den Tod nicht scheuen, aber leider haben jetzt viele das Herz nur auf der Zunge. Der Stifter des Ordens, Hugo von Payens, mit sieben anderen Rittern, verrichtete in den Jahren 1118 bis 1133 mehr Taten, als jetzt hundert Ritter, denn schon fängt der Orden an auszuarten, ohne daß ich es verhindern kann. Doch wieder zu meinem Auftrag an Euch zu kommen. Die Sarazenen werden durch unsere Ruhe jetzt wieder täglich dreister und unternehmen sogar bis an die Mauern unserer heiligen Stadt Streifzüge. Dieses Unwesen sollt Ihr verhindern. Ein Mann nämlich, der Alte vom Berge genannt, begeistert durch seine lügenhaften Reden seine Glaubensgenossen so sehr, dass sie freudig sich dem Tod opfern. Ja, erst gestern trieb ein solcher Fantast zehn christliche Streiter in die Flucht. Dieser Alte vom Berge wird uns also gefährlicher als der Sultan mit seinem Heer. Aus sicherer Quelle weiß ich auch, dass der Alte die christlichen Kinder stehlen, sie in der Religion des falschen Propheten unterrichten läßt, und dann im Kampf gegen uns führt. Der Alte hat seinen Hauptsitz im Land der Drusen auf dem Libanon. Begebt Euch daher dahin, sucht den Alten auf und stoßt ihn nieder.«

»Einen Meuchelmord soll ich begehen?«, fragte Hugo.

»Belegt eine so schwierige Tat nicht mit dem Namen Meuchelmord«, rief heftig der Großmeister.

Etwas keck erwiderte der feurige Jüngling: »Wenn eine solche Tat den Namen Meuchelmord nicht verdient, so kann man einen Räuber, der gewaltsam in ein Haus einbricht, wo mehrere Männer sind, wovon er einen oder alle ermordet, auch keinen Meuchelmörder nennen. Jeder brave Ritter wird mir Recht geben.«

Immer röter wurde das Gesicht des Großmeisters. »Bei Gott und allen Heiligen«, polterte er, »ein Jüngling will mich belehren! So weit herunter ist die Würde eines Großmeisters gesunken? Also auch Ihr, Ritter Hugo, vermehrt die Zahl derer, die den Orden beschimpfen? Unsere Hauptregel heißt: Gehorsam gegen Vorgesetzte, und Ihr belegt eine so hochherzige Tat mit dem Namen Meuchelmord, die Ihr aus Feigheit nicht zu unternehmen wagt?«

»Ich kenne Feigheit im Gefecht nicht«, fiel Hugo rasch ein, »Ihr selbst, Hochwürdigster, nanntet mich erst vor wenigen Minuten einen tapferen Streiter.«

»Leider habe ich mich in Euch getäuscht«, erwiderte jener, »denn im Gefecht streitet Ihr, weil es sein muss.«

»Verzeiht. Tat ich dies auch, als ich mit dreißig Brüdern den Feind im Rücken angriff?«

Der Großmeister schwieg ein Weilchen, dann trat er ganz dicht vor den Jüngling und donnerte ihn mit den Worten an: »Wisst Ihr auch, dass ich Euch einmauern lassen kann?«

»Ich weiß es«, entgegnete Hugo, »doch baue ich ganz auf Eure Güte und Nachsicht.

Auch habe ich mich nicht geweigert, Euren Auftrag zu vollziehen, sondern nur über das Wort Meuchelmord entstand der Streit. Wenn mir daher der Ordenskaplan die Absolution erteilt, so will ich, wenn es auch wider meine Begriffe ist, zum Heil der Christenheit den Alten vom Berge aufsuchen und ermorden.«

»Der Ordenskaplan wird Euch allerdings die Absolution erteilen«, meinte der Hochwürdige und fuhr dann recht vertraulich fort: »Die Gefühle, welche Euch beseelen, sind nicht ganz zu tadeln, doch muss sie ein Templer nach Ablegung seines Gelübdes unterdrücken. Glaubt mir, auch ich muss oft gegen meine Gefühle handeln, doch muss es sein, sonst verlieren wir in einem Jahr alle unsere Besitzungen im gelobten Land. Seid vorsichtig in Eurem Unternehmen und der Herr wird mit Euch sein.«

»Ich hoffe, das Unternehmen zu Eurer Zufriedenheit auszuführen«, seufzte Hugo, und entfernte sich auf einen Wink des Gebieters.

Verdrießlich warf sich Hugo auf sein Lager. »Ich wurde Templer«, rief er aus, »um mehr zu sein als Mensch, und bin weniger geworden. Im Statut des Ordens heißt es zwar: Kein Templer darf bei Todesstrafe einen Unbewaffneten töten, doch hat der Großmeister oder in dessen Abwesenheit das Kapitel das Recht, die Erlaubnis zu erteilen.« Pläne in die Zukunft verscheuchten den Schlaf von seinem Lager. Er sprang auf, kleidete sich an und wollte den Tempelhof verlassen. Die aufgestellten Wachen wiesen ihn zurück.

»Bin ich doch wirklich wie ein Gefangener, seitdem ich im Orden bin«, sprach er halblaut und wollte wieder zu seiner Zelle, bis es zu tagen anfinge.

Aber ein Ritter klopfte ihm vertraulich auf die Schulter, indem er sagte: »Ohne Ordnung kann ein Orden nicht bestehen.«

Hugo erkannte in ihm seinen Freund Hunfred von Gassert, welcher die Posten kontrollierte. Auf seinen Befehl wurde das Tor geöffnet und die doppelten Zugbrücken herabgelassen. Düster entfernte sich Hugo und schlenderte durch einige Straßen Jerusalems.

Plötzlich trat ein kleiner Mann ihm in den Weg und sagte warnend: »Geht nicht nach dem Libanon!«

Hugo starrte die Gestalt verwundert an, aber als er danach greifen wollte, war sie verschwunden.

In Osten dämmerte der junge Tag, als er die Kirche des heiligen Grabes erreichte.

Fast besinnungslos, ein Ball seiner aufgeregten Gefühle trat er ein. Seine Fußtritte hallten im weiten Tempel wider, und Altäre und Säulen bildeten noch Riesengespenster. Lange starrte er auf die Gräber der ersten Könige von Jerusalem, dann seufzte er aus tiefer Brust: »Armer Gottfried, ein elender Stein ist also der Lohn deiner großen Taten, während deinem schwachen Bruder Balduin, der zwei Gemahlinnen hatte, mit denen er sein Leben vertändelte, ein so herrliches und schönes Denkmal errichtet ist.«

Heiße und innige Gebete beruhigten ihn etwas. Die Kirche füllte sich mit Betenden.

Die Morgensonne bedeckte mit Purpur das Grab des Erlösers. In Hugos Seele wurde es Licht.

»Ein schöner Morgen verklärt die Gräber«, sprach er, »die Schattengestalten fliehen und Licht bleibt ewig Licht.« Gestärkt verließ er das Heiligtum und begab sich zum Ordenskaplan.

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