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Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern – 29. Blatt

Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern
von Johann Heinrich Ramberg, mit Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Verlag C. B. Griesbach. Gera. 1871

Eulenspiegel kommt bei einem Dorfschuster in Arbeit.

ach dem nun Eulenspiegel das Pferd gut beschlagen be­kommen hatte für sein Wahrsagen, setzte er sich darauf und ritt von Wismar weg. Er versuchte nun hier und da seine Narrenspossen zu zeigen, allein man wollte ihm nichts dafür geben, und er musste sein Pferd wieder verkaufen. Als dieses Geld verzehrt war, und er kein Mittel wusste, wodurch er Brot erhielt, kam er im Mecklenburgischen in ein Dorf und sah vor einem Fenster neue Schuhe stehen. Da ihm nun selbst Schuhe fehlten, denn die er anhatte, waren entzwei, so dachte er: Das Umherlaufen bringt wenig ein, du sollst dich deshalb für einen Schuhknecht ausgeben, so bekommst du Brot.

Eulenspiegel ging in das Haus und fragte den Schuster, ob er einem geschickten Knecht Arbeit geben könne. Dieser, der viele Arbeit hatte, nahm Eulenspiegel an.

Kurz darauf musste der Meister nach Wismar auf den Markt und sagte am Abend vorher zu Eulenspiegel: »Ich gehe morgen zu Markte, und du kannst unterdessen zuschneiden.«

Da fragte Eulenspiegel den Meister, was für Formen er denn haben wollte.

Der Meister sagte im Scherz: »Schneide große und kleine, wie sie der Hirt zum Dorf hinaustreibt.«

Am anderen Morgen, wie der Meister schon fort war, machte sich Eulenspiegel über das Leder her und schnitt Ochsen, Kühe, Kälber, Schafe und Schweine daraus zu.

Da der Meister desselben Tages wieder nach Hause kam, und sah, was sein Knecht geschnitten hatte, wurde er sehr zornig und sprach: »Knecht! Was hast du gemacht? Bist du rasend? Wozu dient nun diese Schnitzelei?«

Eulenspiegel antwortete: »Lieber Meister, ich habe getan, was Ihr mir geheißen habt.«

Der Meister sprach: »Habe ich dir Schlingel geheißen, das Leder zu zerschneiden?«

Eulenspiegel antwortete: »Meister, warum seid Ihr doch so zornig! Sagtet Ihr nicht zu mir, ich sollte zuschneiden groß und klein, wie sie der Hirt zum Dorf hinaustriebe? Und das habe ich nun getan.«

Der Meister sagte: »Ich wollte damit nur sagen, dass große und kleine Schuhe davon werden sollten, und zwar für Menschen, und nicht für das Vieh.«

Eulenspiegel antwortete: »Meister, hättet Ihr mir das gesagt, so hätte ich es gern getan. Da ihr aber sagtet, wie sie der Hirt zum Dorfe hinaustreibt, so fiel mir’s auch nicht ein, an etwas anderes als an das liebe Vieh zu denken.«

Wie nun Eulenspiegel den Meister überführt hatte, dass er selbst schuld daran wäre, dass das Leder zerschnitten sei, so vertrugen sie sich wieder, und Eulenspiegel gelobte, er wolle in Zukunft alles machen, wie er’s ihm befehle.

Nun schnitt der Meister wieder neue Schuhe zu und zwar ver­schiedene Sorten, große und kleine, gab sie Eulenspiegel zum Nähen und sprach: »Nun nimm und nähe sie, die großen wie die kleinen, alle durcheinander.«

Und Eulenspiegel sagte: »Ich will es machen, wie Ihr es haben wollt.«

Der Meister dachte: Nun will ich doch den närrischen Kerl belauern, und ging nicht gleich, wie sonst seine Gewohnheit war, aus; denn er ging gern spazieren oder saß in Wirtshäusern und ließ es zu Hause gehen, wie es wollte. Wie der Meister nun auf seinen Gesellen achtete, sieht er, dass derselbe große und kleine Schuhe zusammennähte, und er sprach zu ihm: »Du bist mir der rechte Knecht, du tust alles, was ich dir sage.«

Eulenspiegel antwortete: »Wenn man tut, was einem ge­sagt wird, so wird man nicht geschlagen. Ihr habt mir’s also geheißen.«

»Ja«, sagte der Meister, »meine Worte waren aber nicht so zu verstehen, sondern du solltest große und kleine Schuhe machen, jede Sorte aber besonders. Du ver­stehst ja alles verkehrt!« In dieser Verdrießlichkeit nahm ihm der Meister die zugeschnittenen Schuhe weg, gab ihm ganze Haut und sagte: »Hier hast du anderes Leder, dies schneide über einen Leisten.«

Der Meister ging darauf nach seiner Gewohnheit aus. Als er ungefähr eine Stunde weg war, dachte er erst darüber nach, was er seinem Knecht geheißen hatte, und lief eilig nach Hause. Indem er in die Stube trat, sah er, dass Eulenspiegel saß, und das Leder über den kleinsten Leisten, ja sogar in Riemen und Schnitzeln zerschnitt. Im größten Zorn rief er aus: »Knecht! Bist du denn ganz verrückt? Was soll man mit der Stückelei machen? Können daraus Schuhe werden?«

Eulenspiegel antwortete: »Habt Ihr mir’s doch geheißen! Ihr wisst ja, dass ich gern tue, was mir geheißen wird; und nun ist’s doch nicht recht?«

»O, du Bösewicht!«, rief der Meister, »nun hast du wieder alles Leder zerschnitten! Was fange ich nun an?«

Eulen­spiegel antwortete: »Habt Euch nur nicht gar so übel, der Gerber hat ja mehr Leder, als ihr braucht! Und je mehr Leder Ihr zerschneidet, desto lieber ist es dem Gerber, denn er bittet ja auch um’s tägliche Brot.«

Der Meister sagte: »Du Schlingel fragst nichts danach, wenn ich auch als Be­trüger davonlaufen müsste. Du sollst mir das Leder be­zahlen!«

»Gilt«, sagte Eulenspiegel, »wer die Schuhe zerreißt, bezahle das Leder.« Er stand auf, legte den Leisten zur Seite, ging zur Tür hinaus und sagte: »Wenn ich nicht wieder­komme, so bin ich doch da gewesen.«

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