Marshal Crown – Band 20
Der Tag war nass und kalt. Dicke, bleigraue Wolken hingen seit dem Morgengrauen tief über dem Land und ein unangenehmer Nordwestwind trieb ständig dünne Regenschleier auf die Palisaden von Fort Bascom zu. Die Frachtwagenstraße, die von Norden her auf den Stützpunkt zuführte, war längst aufgeweicht und von unzähligen Fahrrillen, Pfützen und Schlammlöchern durchzogen.
Corporal Steve Bannon lehnte vor dem Eingang zur Waffenkammer und hatte sich seinen Armeehut tief ins Gesicht gezogen. Ein hagerer, großer Mann, mit einem schmalen Gesicht, das fast gänzlich von einem dunklen Backenbart bedeckt war.
Er stand schon seit dem Morgengrauen hier und seither regnete es. Nicht übermäßig stark, aber doch so stetig und gleichmäßig, dass Bannon inzwischen trotz seines Mantels nass bis auf das Unterzeug war.
Missmutig sah der Corporal dabei zu, wie das Wasser überall von den Wachtürmen, den Dächern der Mannschaftsbaracken und den Offiziersunterkünften tropfte, sich am Boden sammelte und schließlich ein Rinnsal bildete, das sich mit dem braungelben Schlamm des aufgeweichten Bodens vermischte.
Niemand beachtete ihn.
Die wenigen Bewohner des Forts, die sich trotz des Regens ins Freie wagten, hasteten, so schnell sie nur konnten, über den Paradeplatz, um kurz darauf wieder in einem der umliegenden Häuser zu verschwinden, ohne sich um ihn zu kümmern.
Warum auch? Er war ja nur ein Wachposten.
Während Bannon in Gedanken zum wiederholten Mal jenen Vorgesetzten verfluchte, der ihm diesen Wachdienst eingebrockt hatte, sah er, dass sich vom Südtor aus ein Fuhrwerk der Waffenkammer näherte. Gleichzeitig bemerkte er aus den Augenwinkeln heraus, wie Colonel Amos Bedford nebenan aus der Offiziersmesse kam und auf ihn zulief.
Sofort ging er in Habachtstellung.
Der Colonel war als scharfer Hund bekannt.
Bedford blieb vor ihm stehen und grüßte militärisch korrekt. Dann zog er die Schultern hoch und rieb seine Handflächen fröstelnd gegeneinander.
»Das ist vielleicht ein Scheißwetter«, sagte er. »Wie lange stehen Sie schon hier?«
»Seit Sonnenaufgang«, erwiderte Bannon unverbindlich, da ihm nicht klar war, worauf der Colonel hinaus wollte.
»Und wie lange müssen Sie noch?«
»Bis heute Mittag, kurz nach zwei. Warum fragen Sie?«
Bedford ließ seinen Blick erst nach links und dann nach rechts schweifen, ganz so, als müsste er sich erst vergewissern, ob sie tatsächlich alleine waren, wenn er antwortete.
»Weil es sich mir nicht ganz erschließt, warum jemand bei dem Pisswetter diese Hütte bewachen muss, in der eh nur ein paar altertümliche Gewehre aus dem Bürgerkrieg vor sich hinrosten. Warum riskiert man die Gesundheit eines Soldaten, zumal bei dem Regen sowieso kein Mensch unterwegs ist?«
Oha, dachte Bannon, das ist aber auch das erste Mal, dass sich der Colonel Sorgen um einen gemeinen Soldaten macht. Dann straffte er die Schultern und grinste wissend.
»Da muss ich Ihnen aber widersprechen, Sir«, sagte er wichtig.
Die Gewissheit, über etwas Bescheid zu wissen, von dem der Ranghöhere anscheinend keine Ahnung hatte, erfüllte ihn sichtlich mit Stolz.
»Da drinnen liegen nämlich alles andere als verrostete Knarren«, erklärte Bannon, wobei er mit dem Daumen nach hinten über die Schulter deutete.
»Tatsächlich?«, fragte Bedford gedehnt.
Der Corporal lächelte geheimnisvoll und beugte sich nach vorne, um den Vorgesetzten an seinem Wissen teilhaben zu lassen.
Vielleicht, so dachte Bannon, macht es sich ja irgendwann einmal bezahlt, dass er es war, der dem Colonel diese Informationen hatte zukommen lassen.
Bannon wusste nicht, wie sehr er sich irrte!
Er wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als von der Hüfte des Offiziers aus eine Messerklinge direkt auf seine Brust zuraste. Der Corporal öffnete den Mund zu einem Schrei, aber der scharfe Waffenstahl, der seinen Herzmuskel wie warme Butter durchtrennte, ließ nur noch ein heiseres Röcheln zu.
Mit einer einzigen fließenden Bewegung, die aussah, als hätte sie Bedford schon tausendmal geübt, stützte der Colonel den Toten ab, öffnete die Tür zur Waffenkammer und stieß Bannons Leiche über die Schwelle.
Keine zehn Sekunden später nahm er dessen Stelle ein.
Für einen zufälligen Beobachter hatte sich die Szenerie kaum verändert, außer dass die Wache vor der Waffenkammer nun ein Fuhrwerk heranwinkte und dem Mann auf dem Kutschbock dabei hastige Zeichen gab.
Aber das interessierte bei dem Regen sowieso keinen Menschen.
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