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Die Prärien des amerikanischen Westens – Kapitel 1

Robert von Schlagintweit
Die Prärien des amerikanischen Westens
Kapitel 1
Allgemeine Lage und Charakter

Lage – Hypsometrische Daten – Ausdehnung und Begrenzung – Etymologische und geschichtliche Angaben – Divides und Felsformationen – Hydrografische Verhältnisse – Vegetationsverhältnisse – Hypothesen zur Erklärung der Baumlosigkeit – Die Präriefeuer und ihre Wirkungen – Wirklicher Grund der Baumlosigkeit – Eindruck der Prärie auf den Menschen – Die Prärie und der Ozean

Ein klares Bild von der allgemeinen Lage der ausgedehnten Prärie des amerikanischen Westens werden wir am Leichtesten dann gewinnen, wenn wir uns vorerst etwas näher mit dem das Gebiet der Vereinigten Staaten von Amerika durchziehenden Gebirgssystemen bekannt machen. Erscheint dasselbe auch in seinen Einzelheiten oft verwickelt, so ist es doch im Ganzen und Großen außerordentlich einfach. Denn es besteht aus zwei gänzlich gesonderten, weit auseinanderliegenden Teilen: den Rocky Mountains, die im Westen, und den ungleich niedrigeren Appalachen, die Hunderte von Meilen von den Rocky Mountains entlegen, im Osten des nordamerikanischen Kontinentes sich erheben. Der weite Raum nun, der sich zwischen diesen beiden Gebirgen ausdehnt, von denen das westliche (die Rocky Mountains) von Süden nach Norden streicht und das östliche (die Appalachen) fast parallel dem Atlantischen Ozean, aber hundert bis dreihundert Meilen entfernt von ihm in der Richtung von Nordost nach Südwest in mehreren Parallelzügen sich erhebt, ist von einer ungeheueren mehr oder minder ebenen Fläche erfüllt, die sich von Süden nach Norden in einer Länge von beinahe 2800 Meilen erstreckt, und, soweit sie innerhalb des Gebietes der Vereinigten Staaten von Amerika liegt, nahezu die Hälfte desselben umfasst. Diese große Ebene, das Interior vallay of North America amerikanischer Geografen, beginnt im Süden am Golf von Mexiko und erstreckt sich, ohne irgendwo von Gebirgszügen durchbrochen zu sein, über das Gebiet der Vereinigten Staaten weit hinaus bis an das nördliche Eismeer. Ihre ostwestliche Breite ist verschieden, denn der amerikanische Kontinent hat seine größte Breite im Norden, wo er sich fächerartig entfaltet, nimmt gegen Süden mehr und mehr ab und endet in einer schmalen Landzunge, die sich in den mexikanischen Meerbusen verläuft.

Ist auch die Bodenplastik dieser ungeheueren Erdmasse fast durchweg dieselbe, bewahrt sie auch im Großen und Ganzen den Charakter der Ebenheit, so zeigen sich auf ihr doch, was bei ihrer großen Ausdehnung nicht in Verwunderung setzen darf, bedeutende Unterschiede in landschaftlichen Verhältnissen, denen man durch die Bezeichnungen von Savannen, Steppen, Sumpf-, Gras-, Blumen- und Waldprärie Ausdruck verleiht. Nicht minder sind einzelne Teile der Prärie in Beziehung auf Kultur- und Ertragfähigkeit voneinander verschieden. Einige eignen sich vorzüglich zum Ackerbau, andere bieten nur treffliches Weideland, wieder andere werden wegen ihrer nördlichen Lage oder aus anderen Gründen stets das bleiben, was sie bis jetzt sind – unfruchtbare Steppen, Wüsten und traurige Einöden.

Ein Teil der großen Ebene ist von mächtigen Wasseransammlungen erfüllt, von denen besonders die Seen Lake Superior oder Oberer See, Ontario, Huron, Erie und Michigan zu nennen sind, ein anderer von gigantischen Strömen durchzogen, wie dem Mississippi und Missouri, dem Mackenzie und St. Lawrence, ein dritter von einer Anzahl kleinerer oder größerer Wasseradern durchfurcht.

Überhaupt scheidet der mächtige Mississippi diese ungeheure Ebene in zwei natürliche Teile, von denen der eine, östlich von diesem Strom gelegen, ein großartiges Tiefland ist, und der andere, westlich von demselben bis zu den Rocky Mountains reichend und fast unmerklich in ein Hochland übergehend, eine ausgedehnte, von Westen nach Osten sanft sich neigende schiefe Ebene bildet. An ihrem westlichen durch die Rocky Mountains gut begrenzten Ende erreicht diese schiefe Ebene eine Höhe von etwa 7000 Fuß über der Meeresoberfläche, an ihrem Ausgangspunkt ist die Höhe je nach der nördlichen Lage verschieden. Denn, wenn auch kein nennenswerter Höhenzug, geschweige eine Gebirgskette diese schiefe Ebene durchzieht, so findet doch auf ihr auch in der Richtung von Süden nach Norden eine Gesamterhebung, richtiger vielleicht gesagt, eine allmähliche Anschwellung des Bodens statt, die übrigens so unbedeutend ist, dass sie nicht mehr als sechs Fuß auf die deutsche Meile beträgt. So liegt die an den Ufern des Missouri erbaute Stadt Omaha, die sich in gerader Richtung etwa 160 deutsche Meilen nördlich vom mexikanischen Meerbusen befindet, nur 966 Fuß über dem Meer. Auch nördlich des Breitengrades, in welchem Omaha liegt (410 6′), bis hinaus zu den Quellen des Mississippi und Missouri hält das sanfte Ansteigen des Bodens vor, der allmählich eine Höhe von etwa 1600 Fuß erreicht. Von hier aus fällt er wieder sanft gegen den Lake Winnipeg im britischen Amerika und überhaupt gegen das nördliche Eismeer ab.

Dieser weite, westlich vom Mississippi bis an die Rocky Mountains reichende Landstrich nun, den man früher vollkommen irrtümlich für einen Teil der »Großen amerikanischen Wüste« hielt, worunter man ursprünglich die ganze vom Mississippi bis an die Grenze Kaliforniens reichende Gegend verstand, ist im weiteren Sinne des Wortes von der Prärie des amerikanischen Westens erfüllt. Im allgemeinen und engeren Sinn aufgefasst, gehören jedoch die südlichen den Golf von Mexiko berührenden Landschaften wie der Staat Louisiana und das südliche Texas nicht zu der Prärie des amerikanischen Westens, die zwar im Osten durch den Mississippi und im Westen durch die Rocky Mountains und deren östliche Ausläufer genau genug abgegrenzt sind, in südnördlicher Richtung jedoch keine genügenden Anhaltspunkte zu ihrer scharfen Begrenzung bieten. Im vorliegenden Buch, in welchem ich versuchen will, teils aufgrund eigener Anschauungen und Erfahrungen, teils unter Benutzung der zuverlässigsten Materialien die Prärie des amerikanischen Westens oder wie sie in Amerika häufig genannt werden, die Plains zu beschreiben, sind hierunter im Allgemeinen jene Landschaften zu verstehen, die sich westlich vom Mittellauf des Mississippi bis an die Rocky Mountains und deren östliche Ausläufer erstrecken, und es wird des eben genannten Flusses mittlerer Laut in der Nähe von St. Anthony in Minnesota beginnend und bis gegen Memphis in Tennessee reichend angenommen. In der auf diese Weise begrenzten Fläche liegen, wie ein Blick auf eine größere Karte der Union zeigt, vollständig die Staaten Iowa, Missouri, Nebraska und Kansas, ferner die südlichen Teile Minnesotas und Dakotas, die nördlichen Teile von Arkansas, Texas und des Indianer-Territoriums und die östlichen Teile Wyomings, Colorados und New Mexikos. Doch wird auch in meinem Buch das für jene Gegenden Charakteristische hervorgehoben, die, im weiteren Sinn aufgefasst, den Anspruch erheben können, gleichfalls der westlichen Prärie beigesellt zu werden. Hingegen wird von mir absichtlich – worauf ich zur Vermeidung von Missverständnissen besonders aufmerksam mache – den seit längerer Zeit bereits besiedelten Staaten Iowa und Missouri, da in ihnen der ursprüngliche Präriecharakter kaum mehr zu erkennen ist, nur sehr geringe Berücksichtigung gewidmet.

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Das aus dem Französischem in das Englische übergegangene Wort Prärie stammt ursprünglich vom lateinischen Wort pratum »die Wiese« und dient in Nordamerika zur Bezeichnung aller offenen, mehr oder weniger ebenen, baumlosen, aber mit Gräsern bewachsenen Landstriche, wenn auch diese hier und da von mäßigen Hügelreihen durchzogen sind. Manche Teile der Prärie würde man aber auch als Savannen bezeichnen dürfen, worunter man im Allgemeinen die südlich gelegenen, mit üppigem Gras bewachsenen, aber ebenfalls größenteils baumlosen Gegenden versteht. Das Wort Savannen (spanisch savana, sabana) ist aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem lateinischen sabanum oder dem griechischen σάβανον »Leintuch« entstanden.

Nicht allgemein bekannt dürfte sein, dass die westliche Prärie, wie überhaupt alles westlich vom Mississippi bis an den Stillen Ozean reichende Land, früher eine mit dem Namen »Louisiana« bezeichnete Provinz Frankreichs waren, wogegen man später unter diesem Namen einen nordamerikanischen Staat versteht. Napoleon I., der weder von der ungeheuren Ausdehnung dieses Gebietes noch von dessen wertvoller Bodenbeschaffenheit, den im Inneren ruhenden mineralischen und metallenen Schätzen und seiner späteren Wichtigkeit die geringste Vorstellung hatte, der nicht im Entferntesten die Möglichkeit bedachte, dass auch in diesen damals nur als »Wüsten« bekannten Ländereien jemals die Zivilisation ihren Sitz aufschlagen könnte, verkaufte sie an die Vereinigten Staaten von Amerika durch den am 30. April 1803 abgeschlossenen Vertrag um die Summe von 11.250.000 Dollar, was ein Spottpreis genannt werden muss, wenn man bedenkt, dass die verkaufte Landstrecke mindestens 950.000 englische = 44.670 deutsche Quadratmeilen groß war und die folgenden amerikanischen Staaten und Territorien umfasst: Louisiana, Arkansas, Missouri, Iowa, Nebraska, Oregon (diesen Staat allerdings mit zweifelhaftem Recht), einen großen Teil Minnesotas, fast das ganze Kansas, das Indianer- und Washington-Territorium, Dakota, Montana und Teile von Wyoming und Colorado. Durch einen glücklich geführten Krieg mag wohl irgend einmal ein solcher Ländercompler erobert worden sein. Um einen so geringen Preis wurde er, solange die Welt steht, von niemandem sonst weggegeben. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, deren Beantwortung jedoch außerhalb des Bereiches jeder Möglichkeit liegt: Welche Bedeutung würden heutzutage diese großartigen Ländereien für Frankreich haben? Wie würden sich für die amerikanische Union die Verhältnisse gestaltet haben, wäre der für ihre Fortentwickelung und ihr Gedeihen so überaus wichtige Westen unter französischer Herrschaft verblieben?

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Die Prärie des amerikanischen Westens besteht fast durchgängig aus einer vorwiegend wellenförmigen oder undulierenden Gegend, die zuweilen von einer Anzahl langer, aber ungemein flach sich abdachender Höhenzüge durchbrochen und von breiten, meistenteils mit niedrigen Ufern versehenen Flusstälern durchzogen, sowie von mehr oder weniger tiefen, durch die Gewalt des Wassers gebildeten Rinnsalen durchschnitten ist. Letztere gewähren häufig den Indianern willkommene Schlupfwinkel. Wenn die auf der Prärie vorhandenen Höhenzüge, wie dies gar nicht selten der Fall ist, eine Wasserscheide im Kleinen bilden, dann werden sie Divides genannt. Auf der Höhe dieser Divides, von denen aus man die Gegend oft auf weite Entfernungen übersehen kann, führen gar nicht selten die Straßen.

Die westliche Prärie enthält weit mehr Unebenheiten, als die flachen Pampas in Südamerika. Hier und da zerstreut stoßen wir auf wirkliche kleine Hügel mit teilweise steilen Abhängen oder, wie besonders öfter im westlichen Kansas, auf eigentümlich groteske hundert bis dreihundert Fuß hohe Formationen aus Sandstein und Mergel, die aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich vom Wasser gebildet, im Laufe der Zeit aber wesentlich verändert wurden. »Die unablässig wehenden, den feinen Sand forttreibenden heftigen Winde«, sagt Theodor Kirchhoff im Band 1, Seite 24 seiner Reisebilder und Skizzen aus Amerika, »sind mit dem scharfen Witterungswechsel nasskalter Winter und trockener Sommer die Hauptursache der vielen grotesken Felsformationen, denen man aus den Ebenen begegnet. Der feine flüchtige Sand nagt unaufhörlich an den vereinzelt sich erhebenden Gesteinmassen. Im Laufe von Jahrtausenden wurden die verwitterten oder weicheren Teile des Gesteins buchstäblich fortgeblasen, die härteren Felsstücke dagegen blieben stehen und bildeten vom sandgeschwängerten Wind in wunderbare Formen sozusagen ausgemeißelt, oft die überraschendsten Figuren. Die bekanntesten dieser Formationen heißen Castle Rock, ein achtzig Fuß hoher obeliskartiger Felsen, Carslile, Hall und Mushroom Rock. Letzterer ist sechs Meilen östlich vom Fort Harker (früher Fort Ellsworth genannt) gelegen. Etwas nordwestlich von diesem Fort stoßen wir auf einen isolierten zwanzig Fuß hohen Felsen, den Fremont Rock. Erwähnenswert sind ferner die Antelope oder Boundary Hills, sechs tafelförmige Berge im Indianer-Territorium, die sich in der Nähe des Canadian River gegen 150 Fuß über der Ebene erheben. Von diesen Hügeln abgesehen sind Steine auf der westlichen Prärie nur selten zu finden.

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Da die Prärie von Osten nach Westen sanft, aber fortwährend ansteigt, was zur Folge hat, dass der Horizont auf ihnen ein außerordentlich großer ist, oder deutlicher vielleicht gesagt, dass sie den Horizont in scheinbar schwindender Ferne begrenzen, so haben die auf ihnen vorhandenen Gewässer einen ziemlich starken und raschen, aber vielfach gewundenen Lauf, der fast allgemein die Richtung von Westen nach Osten oder von Nordwesten nach Südosten einschlägt. Die in breiten Betten sich bewegenden, von niederen Ufern begrenzten Bäche und Flüsse enthalten nur selten reines und klares, sondern meistens trübes, zuweilen mit Alkalien imprägniertes Wasser, in welchem sich nur eine geringe Anzahl von Fischen aufhält. Zuweilen ist das Bett der Flüsse mit Flugsand erfüllt, der sich beim Übersetzen als gefährlich erweist.

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»Manche Prärieströme«, sagt Balduin Möllhausen im Band II, Seite 340 seiner Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas«, »habe ich schon beobachtet, doch ist mir im Allgemeinen keine hervorragende Verschiedenheit im Charakter derselben aufgefallen. Überall sah ich dasselbe breite, sandige und seichte Bett, überall die flachen Ufer, die ebenen, grasreichen Täler, überall die hügelige Taleinfassung und nirgends so viel Baumvegetation, dass es des Nennens wert gewesen wäre. Der letztere Umstand ist wohl vorzugsweise Grund, dass diese Flüsse beim ersten Anblick keinen so erfreuenden Eindruck hervorrufen, wie man es bei Strömen in bevorzugteren Gegenden erfuhr. Man muss sich gleichsam an dieselben gewöhnt haben, um sie lieb zu gewinnen, man muss wochenlang aus ihren Fluten getrunken und in ihren Wellen gebadet haben, um sich mit Widerstreben von ihnen zu trennen.«

In den Sohlen der breiten Flusstäler finden wir häufig auf ausgedehnten Strecken angeschwemmte Gebiete, die Bottoms oder Bodenländer genannt werden, im Gegensatz zu dem höher gelegenen Land oder der eigentlichen Prärie, die dann den Namen Hochland (Uplands) führt. Im Allgemeinen sind die Bottoms fruchtbarer, weil humusreicher, als die Uplands. Aber wenn auch, wie dies zuweilen der Fall ist, die Beschaffenheit des Bodens in den beiden eben beschriebenen Lagen dieselbe ist, so wird doch das Bodenland für Ackerbauzwecke deshalb vorgezogen, weil in ihm die Bewässerung verhältnismäßig leicht ist.

Mit Ausnahme des Mississippi und Missouri sind die Flüsse, welche die westliche Prärie durchziehen, alle seicht und ebendeshalb zur Schifffahrt ganz und gar ungeeignet. Oberst John Charles Fremont konnte den Platte River nicht einmal mit einem kleinen Boot befahren, das nur einen Tiefgang von vier Zoll hatte. Freilich hat früher hier und da ein kleiner Dampfer, der unbeladen einen Tiefgang von zehn und beladen einen solchen von dreißig Zoll hatte, den Kansas River von seiner Mündung in den Missouri etwa 120 Meilen bis herauf nach Fort Riley befahren. Doch muss dies als eine überhaupt nur unter gewissen Umständen mögliche Ausnahme bezeichnet werden. Dasselbe gilt von dem Arkansas und überhaupt den diesen Staat durchziehenden Flüssen, die ebenfalls nur zu gewissen Zeiten mit Dampfern befahren werden können. Überhaupt ist die Wassermenge auf den Prärieflüssen eine außerordentlich wechselnde. Die merkwürdige Schnelligkeit, mit der die den Staat Arkansas durchziehenden Flüsse ihren Wasserstand ändern, setzt jedermann in Erstaunen. Im östlichen Kansas treten zuweilen, hauptsächlich im Mai, so heftige Regengüsse ein, dass manche sonst unbedeutende Bächlein plötzlich mächtig anschwellen und für einige Zeit unpassierbar sind. Dann entstehen auch temporäre Quellen. Das Wasser verläuft übrigens ebenso schnell ab, wie es plötzlich gestiegen ist. Ein Bach, auf welchem am Morgen ein kleines Dampfschiff fahren könnte, wird abends ohne Schwierigkeit von Erwachsenen durchwatet.

In der Nacht des 7. Juni 1867 stieg, wie William A. Bell im Band I, Seite 24 seines Buches New Tracks in North America berichtet, der Little Big Creek beim Fort Hayes in Kansas so plötzlich, dass fünf Personen, die unweit der Uferbank in Holzhütten schliefen, ertranken. Auch in Texas sind mehr als einmal Fuhrleute, die im Talboden eines Gewässers ihr Nachtlager aufgeschlagen haben, samt Wagen und Vieh von der unerwarteten Flut hinweggeschwemmt worden. Denn die Flüsse Nueces, San Antonio und Guadalupe sowie deren Nebenbäche empfangen bei heftigen Regengüssen von höher gelegenen Flächen oder Hügellandschaften solche Wassermassen, dass sie ähnlich wie die in den Tropen vorhandenen plötzlich zehn, ja sogar zwanzig Fuß hoch anschwellen und zeitweise einer ungehinderten Verbindung sich störend in den Weg stellen.

Wenn auch in den Flussgebieten entlang hier und da sumpfige Niederungen angetroffen werden, in denen nicht selten das den Menschen schwächende Fieber auftritt, so ist doch infolge der Terrainverhältnisse die Entwässerung des Bodens fast durchweg gut und genügend, jedenfalls für landwirtschaftliche Zwecke ausreichend.

Das völlige Versiegen eines Baches, wie dies so häufig in den Wüsteneien der Rocky Mountains vorkommt, ist auf der Prärie des amerikanischen Westens außerordentlich selten. Eigentlich tritt es nur in jenen Landstrichen auf, die sich nahe am Ostfuß der Rocky Mountains befinden. Hier und da rieselt allerdings auch anderswo ein Bach streckenweise unter der Oberfläche fort, wie zum Beispiel der Republican River, der dann plötzlich wieder aus dem Sand hervorbricht. Auch ereignet es sich in sehr heißen und trockenen Sommern, dass zuweilen das eine oder das andere der kleineren Gewässer fast völlig verschwindet oder nur aus Lachen besteht, die unter sich teilweise in gar keinem, teilweise in sehr losem Zusammenhang stehen. Über den Dry River, der im Indianer-Territorium an der Llano estacado in der Nähe der Quellen des Sweet Water Creek oder vielmehr der Northfork des Red River von Texas entspringt und seine Wasser in nordwestlicher Richtung dem Canadian zuführt, spricht sich Balduin Möllhausen auf Seite 123 seines Tagebuchs einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee folgendermaßen aus: »Bei niedrigem Wasserstand ist dieser Fluss nach seiner Mündung zu trocken, dagegen weiter aufwärts Wasser haltend und an Stellen, die während des Tages vollkommen trocken sind, sammelt sich während der Nacht Wasser, welches, sobald die Sonne höher steigt und mit voller Kraft wirkt sogleich wieder eintrocknet. Für Ersteres mag der Grund sein, dass die Sandanhäufung nahe der Mündung zu groß ist und der Fluss unter derselben durchrieselt, für die zweite Eigenschaft kann als Ursache angenommen werden, dass die Verdunstung während des Tages durch den von der Sonne erhitzten Sand zu sehr verstärkt wird, als dass das Wasser die Oberhand zu gewinnen vermöchte, und erst nachdem die Atmosphäre kühler geworden, die fließende Wasserschicht Siegerin bleibt.«

Wirkliche, unverändert das ganze Jahr hindurch laufende Quellen, sowohl süße als auch mineralische, sind auf der westlichen Prärie nicht häufig anzutreffen, wasserreiche und mächtige fehlen gänzlich.

Die westliche Prärie, durch einen hohen Grad von Trockenheit ausgezeichnet, worüber im zweiten Abschnitt nähere Mitteilungen enthalten sind, haben entschieden eher Mangel als Überfluss an Wasser. Sollen sie durchwegs nutzbringende Verwendung finden, so wird sich mehr als einmal die Notwendigkeit der Anlegung von Kanälen und des Bohrens artesischer und Grabens anderer Brunnen zu Bewässerungszwecken herausstellen. Sicherlich ist dies mit ziemlichen Kosten verbunden, das in der finsteren Tiefe gebannte Wasser, da, wo man es benötigt, an die Oberfläche zu schaffen. Eine Wasserkraft im Großen, wie sie zum lohnenden Betrieb mancher Fabriken nötig ist, wird man wohl nie der Prärie des Westens abzugewinnen vermögen – höchstens jenen, die sich dicht am Fuß der Rocky Mountains befinden. Aber in diesem Fall hat man das Wasser aus dem Gebirge herzuleiten.

Salzseen sowie Süßwasserseen von erheblicher Ausdehnung fehlen der westlichen Prärie gänzlich. Höchstens könnte man jene nicht selten zwischen dem Arkansas und Cimarron im westlichen Kansas vorkommenden kreisförmigen Verkiesungen, die zeitweise, aber im günstigsten Fall kaum mehr als zwei bis drei Fuß hoch mit Wasser angefüllt sind, als Steppenseen im kleinsten Maßstab bezeichnen. Hierher könnte man auch die pfützenartigen, teilweise mit reichlichem und gutem Wasser gefüllten Teiche rechnen, auf die man ebenfalls hier und da im Indianer-Territorium stößt. Östlich vom Mississippi liegen bekanntlich große Seen.

***

Was nun die auf der Prärie vorhandene Vegetation betrifft, so ist vor allem hervorzuheben, dass sie fast durchwegs waldlos sind. Hingegen sehen wir sie mit kurzen Gräsern, darunter häufig mit dem nahrhaften Büffelgras bedeckt. In einzelnen Teilen von Arkansas und Texas und überhaupt in den südlichen Gegenden finden wir gar nicht selten zwergartige Kakteen. Auch erfreut uns hier zu gewissen Jahreszeiten ein auf viele Meilen sich erstreckender, ununterbrochener, prachtvoller, zwischen dem dunkelsten Grün hervorsprießender Blumenflor.

Die Prärie liegt im Sonnenstrahl,
mit schimmernden Blumen bedeckt.
Ein reicher Teppich, der glänzend
sich endlos rings erstreckt.
Im Winde wogt das schlanke Gras.
wie in dem Ozeane.
Die lang gedehnten Wellen ziehn
auf ungeheurem, unbegrenztem Plane.

Theodor Kirchhoff in Adelpha, Band II, Seite 197

In Richtung des Fußes der Rocky Mountains hin ändert sich die Vegetation. Denn wir begegnen hier steppenartigen, häufig mit sandigem, stellenweise auch salzigem und alkalischem Boden bedeckten Strecken, die nur geringe, oft sogar keine Vegetation aufweisen und wohl niemals ertragsfähig gemacht werden können. Dies bezieht sich besonders auf manche Regionen, die sich vom 99. Grad westlicher Länge von Greenwich bis gegen den Fuß der Rocky Mountains erstrecken. In den nördlichen Gegenden weicht diese Linie der Sterilität nach Osten, in den südlichen nach Westen ab, woraus sich ergibt, dass von Nebraska ein größerer Teil unfruchtbar ist als von Kansas und dass letzterer Staat nicht überall so fruchtbar ist, wie das südlich an ihn grenzende Indianer-Territorium.

Baumlosigkeit ist eine für die Landschaft der westlichen Prärie äußerst charakteristische Eigenschaft. Nur längs der Ufer der Flüsse und der ihr Bett begrenzenden Talränder finden wir hier und da kleine, aus verkrüppelten Weiden, Pappeln, Ulmen, Hickory, Cottonwood (eine Pappelweide) und Lokustbäumen bestehende Gehölze. Aber nicht häufig sind sie anzutreffen. Gewöhnlich zieht sich nur eine Zickzacklinie von Bäumen oder Gesträuch an den Ufern entlang. Vereinzelt auftretende Bäume erscheinen aus der Ferne wie Masten von Segelschiffen. Ein Wald im wahrsten Sinn des Wortes ist, einige Teile Minnesotas ausgenommen, fast nirgends auf dem ausgedehnten Gebiet der westlichen Prärie zu finden.

In späteren Abschnitten wird deutlich gemacht, wie störend der Mangel an Wald in manche Verhältnisse eingreift. Hier will ich nur erwähnen, dass in den Zeiten, wo noch keine Straßen durch die Prärie führten, der Wanderer sich wiederholt in die Notwendigkeit versetzt sah, um seine einfache Mahlzeit zu kochen, den geringen Vorrat von Holz, den er sich verschaffen konnte, mit Büffeldung (buffalo chips), der scherzweise Büffelholz genannt wird, zu vermengen.

Zahlreich sind die Hypothesen zur Erklärung dieser so auffälligen Lücke in der Vegetation auf der westlichen Prärie. Unzweifelhaft ist es, dass weder die Beschaffenheit des stellenweise recht fruchtbaren Bodens, noch die mehr oder minder große Erhebung über die Oberfläche des Meeres die Ursache der Baumlosigkeit bedingt. Denn nur wenige Hundert Fuß hohe Gegenden sind ebenso holzarm wie solche, die sich mehrere Tausend Fuß über dem Meeresspiegel erheben. Auch der Grad von Trockenheit und Feuchtigkeit als solcher kann nicht für diese Erscheinung ausschließlich maßgebend sein. Denn die mit Feuchtigkeit reichlich versehene Prärie des unteren Texas weist ebenso wenig eine Baumvegetation auf, wie die Hunderte von Meilen in nördlicher Richtung von ihnen entfernten sehr trockenen Regionen am Fuße der Rocky Mountains.

Die von einigen Seiten geäußerte Vermutung, dass die Bäume von den zahlreichen Büffelherden ausgerottet würden, ist eine vollkommen haltlose. Denn ausgedehnte Strecken der Prärie, auf denen seit vierzig Jahren der Büffel vollständig verschwunden ist, sind auch heute noch ebenso holzarm, wie sie es früher waren.

Man hat auch die Ursache des Fehlens von Holz in den westlichen Regionen auf die Präriefeuer zurückführen wollen. Dass diese Ansicht eine irrige ist, ergibt sich aus zwei Gründen: einmal daraus, dass in der östlichen Prärie Nordamerikas ausgedehnte Strecken mit Wäldern und Büschen bewachsen sind (überall in Michigan, sehr häufig in Wisconsin und Illinois), die ja von den auch hier nichts weniger als seltenen Präriefeuern ebenfalls hätten zerstört werden müssen, sodann aus dem Umstand, dass die künstlich auf der Prärie des Westens gepflanzten Bäume vortrefflich fortkommen und von der Wut des Feuers nur wenig zu leiden haben. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass man nicht gut tue, die junge Pflanzung vor einem Präriebrand zu schützen. Überhaupt muss ich anmerken, dass auf der westlichen Prärie die aus solchen Feuern erwachsene Gefahr keineswegs so groß ist, wie allgemein angenommen wird. Übrigens kann ein in der Entstehung begriffenes Feuer leicht mittels Tücher oder durch Hin- und Herrollen von Fässern im Keim erstickt werden. Die in älteren Werken über Präriefeuer und ihre Folgen enthaltenen Schilderungen beziehen sich nämlich, worauf man gewöhnlich nicht achtet, nur auf die östlich vom Mississippi befindliche Prärie, in denen früher ein hoher, nunmehr großteils durch Menschentätigkeit beseitigter Graswuchs vorhanden war. Einen solchen Brand beschreibt Balduin Möllhausen auf Seite 69 seines Tagebuchs einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee in folgenden Worten: »Die hereinbrechende Nacht zeigte uns ein erhabenes Bild, ein Bild, wie es weder mit Worten beschrieben noch mit einem Pinsel dargestellt werden kann. Die hellen Flammen ließen den nächtlichen Himmel in noch dunklerem Schwarz erscheinen und verliehen zugleich den Rauchwolken, die sich in grauen Massen dahinwälzten, eine rot glühende Beleuchtung, die fortwährend wechselte, je nachdem das Feuer von stärkeren Windstößen gejagt und von üppiger oder spärlicher Vegetation genährt wurde.

Ein unheimliches Getöse begleitete den wilden Brand. Es war kein Donnern, kein Rauschen oder Sausen, es glich dem fernen, dumpfen Beden der Erde, wenn Tausende von fliehenden Büffeln mit schweren Hufen den Boden stampfen. Drohend klang es zu uns ins Lager herüber. Mit Bewunderung und Grauen blickten alle auf die furchtbar schöne Naturszene.«

Allerdings fordern leider hier und da auch auf der westlichen Prärie die Feuer Menschenleben, wie dies vor allem im Oktober 1873 in Kansas und Nebraska der Fall war, wo mehrere Kinder und Erwachsene verbrannten. Doch muss dies als Ausnahme bezeichnet werden; denn das Gras ist niedrig und die Flamme nicht über einen Fuß hoch, sodass man ohne besondere Schwierigkeit darüber hinwegspringen kann. In engen Tälern aber, wo das Gras höher ist, wächst die Gefahr eines Präriebrandes, besonders wenn er noch von heftigem Wind begleitet wird. Dann helfen auch die breiten und tiefen Furchen nichts, welche die Farmer gar häufig zum Schutz ihrer Saaten ziehen. Nicht nur dem Landmann sind zuweilen Brände, die zur Unzeit entstehen, von Nachteil, indem sie, abgesehen von Beschädigung der Felder, auch hier und da die angesammelten Vorräte von Heu, Mais und Getreide und anderes mehr oder weniger wertvolles Eigentum zerstören, sondern auch dem Viehzüchter und Jäger. Denn abgebrannte Flächen gewähren für einige Zeit dem Vieh und Wild keine Nahrung. Gar häufig geben die den Lokomotiven entsprühenden Funken Veranlassung zu Präriefeuern, die in einem solchen Fall nicht selten unter den Bahnschwellen Verheerungen anrichten und sogar (aber nur ausnahmsweise) dem Zug selbst Gefahr drohen.

Entstehen also gar manche dieser Brände durch einen unglücklichen Zufall oder durch Nachlässigkeit der Reisenden, so werden doch gar viele mit Absicht von den Präriebewohnern herbeigeführt, um durch das Niederbrennen jungen kräftigen Graswuchs zu erzielen.

Die Prärie des amerikanischen Westens ist der Bäume nicht, wie leider so manche andere Teile Nordamerikas durch Menschenhand beraubt worden, sondern sie haben überhaupt zu allen Zeiten den Schmuck des Waldes entbehrt. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie ursprünglich mit Wasser bedeckt, bildeten also einen großen See, in den sich Jahrtausende hindurch die von den Rocky Mountains strömenden Flüsse ergossen, reichlich beladen mit feinen oder gröberen Teilen von Sand, Schlamm oder Erde, die sie von den Abhängen des Gebirges herabspülten und in dem See ablagerten. Nach und nach, aber sofern nicht alles trügt, erst in verhältnismäßig neuer Zeit, sind die ursprünglich mit Wasser bedeckt gewesenen Ebenen ausgetrocknet. Ihre feuchte Oberfläche, der Hauptsache nach aus zersetztem Kalk- und Sandstein und Granit zusammengesetzt, bekleidete sich zunächst mit Gräsern und Blumen, die rasch eine dichte Decke bildeten, über den Boden gleichsam einen undurchdringlichen Mantel ausbreiteten, ihm Härte und Festigkeit verliehen und eben dadurch das Keimen von Baumsamen, die aus ihn durch Windströmungen oder sonstige zufällige Umstände wie durch Vögel und andere Tiere gebracht wurden, um so eher verhinderten, als überhaupt auf der Prärie gar manche dem Baumwuchs nachteilige Verhältnisse vorhanden sind, wie heftige Stürme und strenge Winter, stellenweise salziger und unfruchtbarer Boden, eine nicht immer hinreichende Wassermenge usw. Nur an verhältnismäßig wenigen Stellen, vor allem an solchen, die in der Nähe eines Bachufers gelegen, von Rasen entblößt waren, konnte ein Baumsamen die zu seiner Entwicklung nötigen Bedingungen finden. »Noch heutzutage«, sagt Fritz Hedde auf Seite 25 seiner Der amerikanische Westen betitelten Broschüre, »werden Sandbänke in den Flüssen, wenn sie einigermaßen in der Nähe von Holzungen, und zur Zeit der Reise des Baumsamens nicht unter Wasser sind, von jungen Bäumen rasch bedeckt. Ebenfalls entstehen eine Menge junger Bäume auf neu gebrochenem Land und an allen Plätzen, wo zum Beispiel durch Wagengeleise der Rasen zerstört ist, wenn Holzungen nicht allzu weit entfernt sind.«

In gleicher Weise spricht sich Julius Fröbel aus, der im Band II auf Seite 60 seines Buches Aus Amerika sagt: »Die Räderspuren eines Wagenzuges sind selbst nach mehreren Jahren in der Prärie noch erkennbar, indem sich diesen Spuren entlang eine veränderte Vegetation ansetzt. Krautartige Gewächse nämlich bekommen längs der Straßen die Oberhand über die Gräser, und nicht selten erkennt man an einer meilenweit sich durch die Grasfläche ziehenden Linie hoher Sonnenblumen den Lauf, welchen vor Jahren einmal hier ein Wagen genommen.«

Dass überhaupt dem auf der westlichen Prärie herrschenden Baummangel später durch Menschenhand abgeholfen werden kann, wird im neunten Abschnitt eingehender nachgewiesen werden.

***

Außerordentlich ungleich ist der Eindruck, den eine Prärie bei ihrem jetzigen Aussehen, mit ihrer tiefen Ruhe, ihrer großartigen Ausdehnung auf verschiedenartige Menschen hervorbringt. Ihm sich gänzlich zu entziehen, vermag wohl kein Denkender. Den starken, mutigen Mann wird zuerst ein behagliches Gefühl der Unendlichkeit ergreifen. Er wird freudig gestimmt bei dem Gedanken, dass hier alle beengenden Schranken fehlen und dass sich seiner Freiheit nicht das geringste Hindernis entgegenstellt.

Die Blicke, frei und fessellos,
ergehen sich in ungemess’nen Räumen.

»Man glaubt«, sagt Alexander von Humboldt in Ansichten der Natur, Band I, Seite 94, »den küstenlosen Ozean vor sich zu sehen. Wie dieser, erfüllt die Steppe das Gemüt mit dem Gefühl der Unendlichkeit und durch dies Gefühl, wie den sinnlichen Eindrücken des Raumes sich entwindend, mit geistigen Anregungen höherer Ordnung.«

Hierzu möchte ich mir aber doch die vielleicht nicht ganz unrichtige Bemerkung gestatten, dass auf lange Zeit eigentlich nur der öde und leere Mensch die von dem bewegten und eben dadurch nie sich gleichbleibenden Ozeane wesentlich verschiedene Öde und geradezu geistestötende Gleichförmigkeit erwägt, wie sie der starren Prärie mit wenigen Ausnahmen gegenwärtig noch eigen ist. Das oben erwähnte behagliche Gefühl ist nicht von großer Dauer. Es verwandelt sich vielmehr alsbald in die peinliche Empfindung der Langeweile. Mit meiner Anschauung ganz übereinstimmend spricht sich Dr. Jacob Heinrich Wilhelm Schiel auf Seite 34 seiner Reise durch die Felsengebirge und die Humboldtgebirge nach dem Stillen Ozean aus, indem er sagt: »Ein Aufenthalt auf der Prärie von nur wenigen Wochen hat große Annehmlichkeiten. Das sorgenfreie, unbekümmerte Leben in der Einsamkeit; das nomadenartige Lagerleben, dem eine gewisse wohltuende Rauheit eigen ist; der tägliche Wechsel des Aufenthalts, der namentlich im Anfang viel Interessantes und Neues bringt, dabei der wohltätige Einfluss des Klimas der hohen Prärie auf die Gesundheit, lassen die Abwesenheit landschaftlicher Reize sowohl, als auch der kleinen Bequemlichkeiten des Lebens leicht entbehren. Aber wenn der Aufenthalt sich verlängert, wenn die Gewohnheit dem Neuen den Reiz genommen hat, und auch das naturhistorische Interesse fast einer jeden Befriedigung entbehren muss, dann fängt die Monotonie der Prärie an, sehr fühlbar zu werden; man wird des ewigen Grases müde und feiert den Tag, an dem man zum ersten Male die Riesenkuppen des Felsengebirges hervortauchen sieht, fast wie einen Festtag.«

Der von Nicollet und einigen wenigen anderen, hauptsächlich Amerikanern, ausgesprochenen Ansicht, dass die Prärie eine unerschöpfliche Quelle von Vergnügen biete, kann ich nach allem, was ich selbst gesehen habe, durchaus nicht zustimmen.

Jedenfalls wirkt die Prärie auf den Mutigen anders als auf einen unentschlossenen, schwankenden, schwächlichen Menschen. Ihn ergreift sehr bald ein unaussprechlich peinliches Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit; ein Angstzustand sondergleichen bemächtigt sich seiner. Der Gedanke, weit und breit in dieser ihm trostlos scheinenden, weil überaus einförmigen Gegend das einzige menschliche Wesen zu sein, erfüllt ihn mit Schrecken und Grausen. Überdies tritt dann bei ihm sehr häufig die sogenannte Platzangst ein, die durch den Umstand hervorgerufen wird, dass er oft vergebens in der unübersehbaren, zuweilen spiegelglatten Fläche nach einem festen Anhaltspunkt umherspäht, auf dem sein Auge bleibend haften könnte. Eine Art von Verzweiflung ergreift ihn, wenn er während tagelanger Reisen weder eine Veränderung des Himmels noch der sich stets gleichförmig bleibenden Erdoberfläche gewahrt, die ihm nicht die geringste Anregung zum Staunen, zur Bewunderung gewährt. Selbst eine Fahrt mit der Eisenbahn vermag ihn nicht aus seiner düsteren, niederdrückenden Stimmung zu reißen. Ist es ihm doch zuweilen, da ihm stets dasselbe Bild entgegenstarrt, als bewege sich der Zug nur scheinbar. Still, geheimnisvoll still, liegt in der Nacht die weite unermessliche Prärie um ihn her. Am Tag ist das von den Pferden und den Maultieren verursachte Geräusch der einzige Laut in der weiten Einöde. Zuweilen gesellen sich hierzu die Stimmen der Präriewölfe und einzelner Büffel. Denn die hier und dort verbreiteten Herden  dieser Tiere, die wir im zehnten Abschnitt näher kennenlernen werden, sind oft auf weite Entfernungen das einzige Lebende.

»Wer nicht daran gewöhnt ist«, sagt Washington Irving, »für den hat die öde Prärie etwas unbeschreiblich Trübseliges. Waldeinsamkeit ist nichts dagegen; hier ist die Aussicht durch Bäume beschränkt, und die Einbildungskraft kann sich dahinter etwas Lieblicheres malen; dort aber liegt vor uns eine unermesslich hingebreitete Landschaft ohne die Spur eines menschlichen Wesens. Es drängt sich einem das Gefühl auf, dass man weit, weit von allen menschlichen Wohnsitzen ist; es ist einem, als bewegte man sich allein in einer ausgestorbenen Welt. Die Stille der Einöde unterbricht zuweilen das Geschnatter eines Trupps von Pelikanen, die gespenstergleich um eine Pfütze in der Ferne umherwackeln; dort das unheimliche Geschrei eines Raben in der Luft; während hin und wieder ein schuftiger Wolf aufspringt, in vorsichtiger Entfernung sich niedersetzt und heult und winselt in Tönen, welche die Einöde umher wirklich schauerlich machen.«

Der Indianer ist entzückt von der Prärie, wo weder Wald noch Berg seine Bewegungen hemmen, wo die Flüsse selten so tief und reißend sind, dass er sie nicht zu Pferd ohne Schwierigkeit überschreiten könnte, wo er also ohne jedes Hindernis seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd, dem Fischfang und dem Raub obliegen kann.

***

Treffend hat man die Prärie des amerikanischen Westens wegen ihres stetigen, aber sanften Ansteigens als einen Ozean bezeichnet, dessen westwärts gerichtete, emporstrebende hohe Flutwellen erstarrt sind. Wem die Möglichkeit geboten wäre, aus einem nicht zu hoch aufgestiegenen Heißluftballon diese Prärie zu überblicken, auf den müssten sie in erhöhtem Maße den eben geschilderten Eindruck hervorbringen, weil dann bei den geringen Unterschieden ihrer Bodenplastik alle kleinen Unebenheiten der weiten Fläche verschwänden. Schon dem Wanderer machen sie sich oft gar nicht bemerkbar. Während er eine in Wirklichkeit unausgesetzt ansteigende Präriegegend hinan geht, hält er sie für durchaus flach und eben.

Nicht minder erinnert hier und da zur Winterszeit die Prärie an das Meer, wenn sie von einem mächtigen Sturm durchbraust wird, der die auf ihr lagernde Schneedecke hohen Wellen vergleichbar aufwirbelt und sie nach allen Richtungen peitscht.

So wie der Sturm dem Meer Leben und Bewegung verleiht, so belebt sich zuweilen – früher geschah dies weit häufiger – dieser erstarrte Länderozean, wenn ihn das entfesselte Element in der Form eines Präriebrandes heimsucht, von welchem der in Milwaukee, Wisconsin, lebende deutsch-amerikanische Dichter Henricus vom See (Wilhelm Dilg) sehr schön, aber mit etwas poetischer Gebühr sagt:

Wie auf flücht’gem Windesfittig zieht daher das Element.
Vor ihm flieht der Indianer, der der Steppe Schrecken kennt.

Büffel, Wölfe, Präriehunde flieh’n davon in langem Zug.
Durch die Lüfte das Gefieder eilend zieht in raschem Flug.

Antilopen und Gazellen jagen flüchtig wie der Wind.
Durch das Gras, das lange dürre, Schlangen schießen pfeilgeschwind.

Eine Richtung alles eilet, flieht in großer, bunter Schar.
Feindlichste der Elemente einet plötzlich die Gefahr.

Und schon ist die weite Steppe alles Lebens bar und leer.
Und soweit das Auge schauet, nur ein großes Flammenmeer!

Aber – fährt Karl Woermann fort (Aus der Natur und dem Geiste)

Horch! Was rasselt auf den Eisenschienen
Pfeilend, schnaubend, pfeilgeschwind heran?
Ha! Das ist er, dem die Flammen dienen,
Auf dem Feuerross der weiße Mann.

Blitzeschnelle nur entgeht der Hitze,
Feuer nur besiegt des Feuers Wut,
Und dem weißen Manne dienen Blitze,
Und dem weißen Manne dient die Glut.

Triumphierend, durch die Feuerhülle
Siegreich braust der weiße Mann vorbei,
Höret nicht der Tierwelt Angstgebrülle,
Nicht des Indianers Sterbeschrei.

Gleich dem Nordlicht glüh’n des Himmels Hauche,
Wenn das blasse Abendrot erlischt,
Und der Glanz des Frübrots stirbt im Rauche,
Der sich mit dem Grau der Dämm’rung mischt.

Also zwilchen zweier Ströme Schäumen
Wogt das Glutmeer, wild vom Wind empört,
Bis die Flammen in den wüsten Räumen
Jede Spur von Lebendem zerstört.

Grausig ist die Stätte anzuschauen
Nichts als eine Aschenwüste bleibt,
Und der Wind, der mit der grauen
Flücht’gen Asche seine Spiele treibt.

2 Antworten auf Die Prärien des amerikanischen Westens – Kapitel 1