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Jackson – Teil 42

Endlich frei

Ich verharrte mitten in der Bewegung, als wäre ich gegen eine unsichtbare Wand gelaufen.

Yalla erging es nicht anders.

Wie auf ein geheimes Kommando hin drehten wir unsere Köpfe beinahe gleichzeitig nach hinten und starrten mit weit aufgerissenen Augen auf die Tür, die langsam nach innen schwang.

Ein Mann mit einem weißen Arztkittel betrat den Raum. In seiner Rechten klirrte ein Schlüsselbund.

Nachdem er die Tür mit der anderen Hand hinter sich ins Schloss gezogen hatte, drehte er sich um und verschloss sie wieder. Dabei pfiff er die ganze Zeit einen alten Beatlessong vor sich hin.

Yalla und ich sahen uns erstaunt an.

Der Kerl war entweder blind oder blöd.

Ich vermutete beides, denn es war eigentlich unmöglich, uns in diesem kleinen Raum zu übersehen. Ich wartete, bis er den Schlüsselbund in einer der Kitteltaschen verschwinden ließ.

Dann nickte ich Yalla zu und sprang dem Kerl ins Kreuz.

Der Aufprall ließ ihn einknicken und nach vorne stolpern, bis er mit dem Oberkörper gegen die Türklinke stieß. Das Metall der Klinke bohrte sich in seinen Brustkorb und trieb ihm offensichtlich sämtliche Luft aus den Lungen, jedenfalls endete sein Pfeifen abrupt.

Der Mann ging in die Knie und presste beide Hände auf die Brust. Dabei röchelte und schnaufte er wie ein altersschwacher Blasebalg.

Als er den Kopf hob und mich ansah, quollen ihm fast die Augen aus den Höhlen.

Ich überlegte nicht lange, sondern machte kurzen Prozess.

In unserer Situation konnte ich es mir nicht erlauben, darauf zu warten, bis der Kerl um Hilfe schrie. Ein gezielter Handkantenschlag beförderte ihn ins Land der Träume, bevor er den ersten Laut von sich geben konnte.

»Hast du nicht gesagt, dass wir hier vorläufig in Sicherheit sind?« Meine Stimme klang schroffer als ich es beabsichtigt hatte.

Yalla zuckte zusammen und im nächsten Moment tat es mir schon wieder leid, dass ich sie so hart angegangen war.

»Keine Ahnung, was der Kerl hier wollte«, erwiderte sie stockend. »Ich kenne ihn nicht, trotzdem würde es mich interessieren, woher er die Schlüssel für diesen Raum hat.«

»Das dürfte wohl unsere kleinste Sorge sein. Sag mir lieber, wie wir von hier verschwinden können, ohne dass uns gleich wieder die Wachen im Nacken sitzen. Ich glaube kaum, dass es uns noch mal gelingen wird, sie abzuschütteln. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass unser Vorrat an Glück so langsam aufgebraucht ist.«

Statt einer Antwort packte mich Yalla am Arm und zerrte mich weiter nach hinten. Erst jetzt konnte ich in dem Dämmerlicht, das hier vorherrschte, erkennen, dass es in dem Raum noch eine zweite Tür gab. Als wir sie passiert hatten, standen wir vor einer stählernen Wendeltreppe, die sich scheinbar bis in den Himmel hinauf schraubte. Jedenfalls war von unserem Standpunkt aus kein Ende der Stufen zu sehen.

»Und jetzt? Ich meine, wo führt die Treppe hin?«

»In die Freiheit«, sagte Yalla.

Ich hatte da so meine Zweifel, ich hatte diese Worte in letzter Zeit schon viel zu oft gehört, als dass ich noch daran glauben konnte. Aber als ich den zufriedenen Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, kehrte die Hoffnung, dieses Irrenhaus endgültig verlassen zu können, doch wieder zurück, wenn auch zunächst nur zaghaft.

 

***

 

Keiner von uns redete ein Wort, während wir eine Stufe nach der anderen erklommen.

Wir benötigten unseren ganzen Atem, um diese vermaledeite Treppe hinter uns zu bringen. Das stählerne Ding schien tatsächlich bis in den Himmel hinauf zu führen. Dagegen nahm sich sogar der Fußweg zur Spitze des Eifelturms wie ein Spaziergang aus.

Ich weiß, wovon ich rede, ich hatte diese Strecke einmal während eines Frankreichurlaubs in einem Anfall von Selbstüberschätzung in Angriff genommen. Oben angekommen hatte ich das Gefühl, als ob mein damaliger unsolider Lebenswandel sich an mir rächen wollte. Jede Zigarette, jedes Glas Whisky und jede durchzechte Nacht schienen gleichzeitig noch einmal ihren Tribut zu fordern.

Hier erging es mir nicht anders.

Nach der dreihundertsten Stufe hörte ich auf zu zählen, dazu fehlte mir langsam die Kraft. Wie eine Maschine stapfte ich weiter, setzte meine Füße, die inzwischen Tonnen wiegen mussten, von einer Stufe auf die nächste.

Nach der vierhundertsten Stufe setzte mein Denken und Handeln aus. Jetzt gab es nur noch den Rhythmus meiner Schritte und meinen keuchenden Atem.

Dann, als ich fast schon nicht mehr daran glaubte, war die Treppe plötzlich zu Ende.

Eine massiv wirkende Stahltür versperrte uns den Weg.

»Und jetzt?«, keuchte ich.

»Jetzt öffnen wir die Tür.«

Anscheinend glotzte ich ziemlich dämlich aus der Wäsche, anders konnte ich mir Yallas Grinsen nicht erklären. Aber nachdem sie an mir vorbeigelaufen war und die Tür öffnete, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, war mir das alles egal.

So was von egal, dass es sich keiner vorstellen konnte.

Ich trat über die Schwelle und blickte mich ergriffen um.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal an dem Anblick zerklüfteter Felsen, Dornensträucher und staubflirrender Luft derart ergötzen konnte.

Yalla hatte recht behalten, wir hatten es geschafft.

Es war uns tatsächlich gelungen, einen Weg aus diesem halb in die Erde gebauten Häuserkomplex zu finden, hinter dessen Mauern im Namen der Wissenschaft Experimente stattfanden, von denen ich nicht einmal zu träumen wagte.

Dass wir überhaupt so weit gekommen waren, lag hauptsächlich an Yalla, schließlich unterlag hier alles der strengsten Geheimhaltung. Selbst ein unbedeutender Seitenausgang wie der, durch den wir das Gelände gerade verließen, war derart mit Tarnnetzen, Gestrüpp und elektronischen Sicherheitsvorrichtungen getarnt, dass ein Außenstehender nie im Leben hier Zugang gefunden hätte. Gott sei Dank war Yalla keine Außenstehende, und so konnten wir unerkannt in der Wüste untertauchen.

 

***

 

Jeder andere an unserer Stelle wäre wahrscheinlich losgerannt und hätte erst angehalten, wenn er wieder in der Zivilisation gelandet wäre. Ich nicht, denn es kam einem Selbstmord gleich, die australische Wüste zu Fuß zu durchqueren. Deshalb trabte ich hinter Yalla, die sich hier auszukennen schien, wie ein treuer Jagdhund her.

Wortlos führte sie mich durch eine karge Steppe auf zwei Tafelfelsen zu, die sich, mächtigen Grabhügeln gleich, aus der Landschaft erhoben. Hinter uns strebte die Sonne dem Horizont entgegen und ihre Kraft wuchs mit jedem unserer Schritte. Dazu kam ein Wind auf, der uns Staubschleier entgegen wehte, die uns schier den Atem nahmen.

Ich war deshalb froh, als wir die Tafelfelsen endlich erreicht hatten.

Yalla führte mich in den Schatten einer überhängenden Felsplatte, wo es bedeutend kühler war. Meine Stimmung hob sich deutlich, als wir dort auf ein Wasserloch stießen.

Wir stillten unseren Durst und setzten uns in den Sand.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an einen Felsbrocken, tätschelte meinen Bauch, der vor lauter Wasser fast zu platzen schien, und dachte: Jetzt noch ein Steak und der Tag ist gerettet.

Wunschdenken, das sich im Nichts auflöste, als Yalla plötzlich zu reden begann.

Fortsetzung folgt …

Eine Antwort auf Jackson – Teil 42