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Jackson – Teil 36

Adam

Ich kam mir vor wie ein kleiner Junge vor dem Weihnachtsbaum, kurz vor der Bescherung.

Ich hatte die Augen aufgerissen, den Mund aufgesperrt und mein Herz klopfte bis zum Hals. Das von unzähligen Scheinwerfern in ein geradezu unirdisches Licht getauchte Laboratorium wäre für mich alleine kein Grund gewesen, in Ehrfurcht zu erstarren, auch nicht die Wahrnehmung, dass sich hier schätzungsweise vier bis fünfhundert Menschen tummelten, wenn nicht sogar noch mehr. Was mich wirklich fast aus den Stiefeln hob, war die Tatsache, dass dieser unterirdische Raum fast so hoch war wie das Längsschiff von Westminster Abbey und in ungefähr die Größe von einem Dutzend Fußballfelder besaß.

Und das mitten im Outback von Australien!

Ich kannte keine Person, keinen Konzern noch sonst irgendeine Institution, die in einem westlichen Land ohne Wissen der Öffentlichkeit ein derartiges Szenario erschaffen konnte, außer vielleicht die Armee des jeweiligen Landes oder der Geheimdienst.

»Mitkommen!«

Die ebenso knappgehaltene wie emotionslose Aufforderung von Emma Wayne riss mich aus meinen Gedanken. Ich blinzelte, sah mich einen Moment lang etwas irritiert um und schloss mich schließlich den anderen an, welche der Professorin wie junge Hundewelpen folgsam hinterhertrabten.

Emma Wayne führte uns zielstrebig am äußeren Rand des Raums entlang durch das gigantische, kuppelförmige Labor. Vorbei an elektronischen Gerätschaften mit den Ausmaßen eines Kleinwagens, mobilen Arbeitsplattformen, die mit allerlei wissenschaftlicher und technischer Ausrüstung geradezu überladen waren, und riesigen Kabelsträngen, die sich schlangengleich von einem Ende des Labors bis zum anderen wandten.

Die Menschen, die hier arbeiteten, nahmen kaum Notiz von uns. Stattdessen steckten sie immer wieder die Köpfe zusammen, redeten wild durcheinander und deuteten ständig auf die Bildschirme der Computer. Durch die Akustik in dem Monsterbau war ihr Gerede so laut, dass es beinahe in den Ohren schmerzte. Dennoch spürte ich deutlich die Spannung, die beinahe greifbar in der Luft lag. Ich sah sie in den Gesichtern der Menschen, an denen ich vorbeilief, und an der Art ihrer Körperhaltung und Mimik. Irgendwie erinnerte mich diese Spannung an eine Nacht während meiner Militärzeit, in der ich während eines Manövers mit meinen Kameraden auf das Zeichen zum Angriff gewartet hatte. Damals schien sich diese Spannung über das ganze Universum zu erstrecken und löste sich erst wieder auf, als wir mit ohrenbetäubendem Geschrei zur Attacke übergingen.

Hier war es nicht anders, es schien, als warteten alle in diesem Labor auf etwas Bestimmtes.

Inzwischen hatte uns Emma an eine Stelle geführt, die im Gegensatz zum restlichen Raum nicht einsehbar war. Ein paar mobile Stellwände, wie sie oft in Großraumbüros verwendet werden, schirmten diesen Ort vor neugierigen Blicken ab. Hinter diesen Stellwänden saß ein einzelner Mann mit dem Rücken zu uns vor einem Computer. Er war ziemlich groß und hager. Im Unterschied zu all den anderen Menschen hier, die entweder einen knöchellangen weißen Kittel trugen oder diese seltsame blaue Fantasieuniform, wie die Wache, die ich ausgeschaltet hatte, war dieser Mann so gekleidet wie es jeder andere in einer westlichen Großstadt, dunkles Sweatshirt, Markenjeans und Turnschuhe, deren weißes Obermaterial das Logo einer Firma zierte, deren Name mit dem einer amerikanischen Großkatze identisch war.

Emma bat uns einen Moment zu warten, ging zu dem Mann und sprach ihn an.

Sie hatte den ersten Satz kaum beendet, als dieser in einer Art und Weise reagierte, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen.

 

***

 

Der Typ sprang wie von einem Katapult abgeschossen in die Höhe, riss entgegen jeder Vernunft den Stecker aus dem Computer und wirbelte herum. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er kurz davor, Amok zu laufen.

»Sind Sie verrückt geworden, wie kommen Sie dazu, hier einfach unangemeldet aufzutauchen? Sie wissen doch, dass wir auf dieser Ebene der strengsten Geheimhaltung unterliegen. Sie können sich doch nicht über sämtliche Vorschriften hinwegsetzen und einfach Personen mit in dieses Labor bringen, deren Fachkompetenz wahrscheinlich nicht viel größer ist als die unserer Putzfrau. Wissen Sie nicht, was passieren kann, wenn Unbefugte wie diese Individuen hier Einblick in unsere Arbeit bekommen?«

Mit seiner aufbrausenden Haltung konnte der Mann vielleicht seine Mitarbeiter einschüchtern aber nicht Emma Wayne.

»Nun machen Sie mal halblang, Professor Norman. So können Sie vielleicht Ihre fachkompetenten Putzfrauen herunterputzen, aber nicht mich, verstanden?«

»Aber …«

»Nichts aber, jetzt rede ich!«

Ich hatte Mühe, mir ein Grinsen zu verkneifen.

Bevor der Professor zu einer Antwort ansetzen konnte, nahm ihm die streitbare Jungfer mit ihrer gewohnt liebenswürdigen Art den Wind aus den Segeln.

Als Emma Wayne sprichwörtlich gesagt zum Angriff überging, tat mir dieser Norman fast schon ein bisschen leid.

»Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass ich als Leiter der C-Ebene mindestens ebenso viele Befugnisse besitze wie Sie, soviel zu der Kompetenzfrage. Des Weiteren besteht meine Begleitung aus meinem Assistenten Doktor Bob Sheridan und der Ärztin Linda Fuller, die im Außenbereich unserer Experimentierarea eine gehobene Position einnimmt, und keinesfalls aus irgendwelchen Individuen. Wenn Sie mit diesen Leuten ein Problem haben sollten, können wir das gerne ausdiskutieren, und zwar im Büro von Professor Kovac, dem Leiter dieses Projekts. Er wird sich dabei sicher für Ihre idiotische Art, den Computer herunterzufahren, interessieren. Sind Sie eigentlich bescheuert, Sie können doch nicht einfach den Stecker ziehen? Was, wenn dabei unwiederbringlich Daten verloren gehen?«

Norman blickte uns der Reihe nach an. Von seiner aufbrausenden Art war plötzlich nichts mehr zu spüren, im Gegenteil, die Sache mit dem Stecker ziehen schien ihn mehr zu beschäftigen, als ihm lieb war. Immer wieder wanderten seine Augen auf das besagte Teil, während er sich vor uns zu rechtfertigen versuchte.

»In dieser Hinsicht habe ich vielleicht etwas überreagiert, aber Sie werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, dass wir kurz davor sind, das Experiment Adam abzuschließen.«

Ich wusste zwar nicht, was Norman damit andeuten wollte, aber ich spürte instinktiv, dass sich hinter diesem Experiment etwas verbarg, das mehr als außergewöhnlich sein musste.

Emma Wayne wurde plötzlich fast handzahm und in Lindas Augen war ein Funkeln zu erkennen, das ich nur mit dem Wort »Gier« umschreiben konnte.

»Professor«, säuselte Emma plötzlich. »Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass Adam funktioniert?«

»Doch«, sagte Norman und lächelte überlegen.

Als er sich umdrehte und eine der mobilen Stellwände dabei zur Seite schob, konnte ich deutlich erkennen, wie er langsam aber sicher wieder Oberwasser bekam. Ohne ein weiteres Wort über die Angelegenheit zu verlieren, lief er einfach los.

Emma nickte uns zu und wir liefen hinterher.

 

***

 

Kurz darauf hatten wir ungefähr die Mitte des kathedralenartigen Baus erreicht. Das Zentrum wurde beherrscht von einer kreisrunden Vertiefung, die man in den Boden eingelassen hatte. Das Loch maß ungefähr fünf Yard im Durchmesser und war etwa genauso tief. Um das Loch herum standen mehrere Metallgestelle, die mit Dutzenden elektronischer Geräte zugepackt waren, von denen aus unzählige Kabelstränge in die Tiefe hinab liefen. Rote Kabel, gelbe Kabel, grüne Kabel und dazwischen einige weiße Kittelträger, die unzufrieden in das Loch hinabstarrten.

Professor Norman führte Emma im Eilschritt an die Vertiefung heran, gefolgt vom Rest unserer Gruppe.

»Sehen Sie diese ganzen Geräte? Damit ist es uns gelungen, eine Laborautomatisierung auf die Beine zu stellen, um die uns die halbe Welt beneidet. Unsere Instrumentierungskomponenten sind verwechslungssicher an das Automatisierungssystem angeschlossen, sodass eine Auswertung und Protokollierung auch durch Nichtfachkräfte stattfinden kann. Das heißt im Klartext, dass unsere Wissenschaftler ihre ganze Kraft auf das Experiment konzentrieren können und nicht durch irgendwelche banale oder ständig wiederkehrende Arbeiten abgelenkt werden. Nur so ist es zu erklären, warum wir in der Lage waren, das Adam-Experiment in dieser kurzen Zeit zu realisieren.«

Normans ursprünglich abweisender Tonfall und seine schroffe Haltung uns gegenüber wichen einer Stimmlage, in der sich Euphorie und Genugtuung abwechselten. Anscheinend wollte er allen beweisen, was für ein toller Hecht er respektive sein Team war.

Er grinste wie ein Honigkuchenpferd, als wir den Rand der Vertiefung erreicht hatten.

Norman streckte die Hand aus, zeigte nach unten und sagte: »Das ist Adam!«

Mein Blick folgte der Richtung seiner ausgestreckten Rechten und mir wurde schwindlig. Seine weiteren Worte drangen schon gar nicht mehr bis zu mir vor.

Ich bekam weiche Knie.

Fortsetzung folgt …

Eine Antwort auf Jackson – Teil 36