Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Jackson – Teil 24

Enthüllungen

Mein Atem ging stoßweise und mein Kopf dröhnte wie eine der großen Glocken von Big Ben, wenn die Queen Geburtstag hat.

Während ich versuchte, mir Klarheit darüber zu verschaffen, was hier eigentlich vorging, bemühte ich mich krampfhaft, nicht auf die entsetzliche Alte zu starren, die uns in ihre Hütte gezerrt hatte.

Vergebens!

So sehr ich auch versuchte, meinen Blick von dem Unfassbaren abzuwenden, es misslang.

Glauben Sie mir, ich habe in meinem Leben schon Dinge zu sehen bekommen, die einen normalen Menschen an den Rand des Wahnsinns getrieben hätten, aber das, was ich jetzt beobachten konnte, ließ selbst mich an meinem Verstand zweifeln.

Die Alte war anscheinend gar keine Frau. Sie war auch kein Tier oder irgendein anderes Geschöpf, von dem ich wusste, dass es auf der Erde lebte. Genaugenommen war sie etwas von allem.

Ein Monster, eine Kreatur, wie sie höchstens den Gedankengängen eines schizophrenen Bildhauers entsprungen sein konnte.

Innerhalb von Sekunden formte sich aus der kleinen, hässlichen und stinkenden Alten etwas, das selbst meine schlimmsten Albträume wie einen Kindergeburtstag erscheinen ließ.

Ihre schrille, geifernde Stimme verwandelte sich in ein urwelthaftes, wütendes Brüllen, das mein Trommelfell beinahe zum Platzen brachte. Gleichzeitig begann ihr Körper, genauer gesagt ihre Haut, aufzuplatzen wie eine überreife Melone.

Das, was ich bisher allenfalls in billigen Horrorfilmen zu sehen bekommen hatte, wurde plötzlich Realität.

Die Frau begann sich zu verwandeln, in ein Tier, ein Ungeheuer oder ein Alien, ich wusste es nicht, aber was ich sah, war entsetzlich.

Knochen und Fleisch ihres Körpers verformten sich zu etwas, das mich an eine Katze erinnerte, die von einem Auto überfahren war, und aus dem Kopf wurde der Schädel eines Wesens, das je zur Hälfte aus einem Schwein und aus einem Menschen zu bestehen schien. Das Maul glich allmählich einem Schlund mit Dutzenden nach innen gebogener Zähne und die Hände verwandelten sich in scharf geschliffene, fingerlange Hornklauen.

Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!

Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Aber es war grauenhafte Realität. Jemand verwandelte sich direkt vor meinen Augen in eine Tiergestalt.

Eine Sekunde lang zuckten Begriffe wie Lykanthropie durch meinen Schädel.

Aber nur für eine Sekunde, denn das hier war kein Werwolf, eine Vampirfledermaus oder eine sonstige weich gespülte Kreatur, die seit gut einem Jahr in Europa in Buch oder Filmform vielen weiblichen Teens ein feuchtes Höschen bescherten, sondern ein brüllendes, geiferndes Ungeheuer, das nur auf drei Dinge aus war: Zerfetzen, Zerreißen und Fressen.

Beiläufig registrierte ich, wie unsere Verfolger hinter uns das primitive Lager stürmten.

Es sollte das Letzte sein, was sie in ihrem Leben noch vollbringen würden.

Die Alte, oder besser gesagt das Monster, das aus ihr geworden war, packte den ersten Mann, grub ihm ihre Krallen in den Brustkorb. Ich hörte Rippen brechen und den Mann in einer Art schreien, wie ich noch nie einen Mann hatte schreien hören.

Inzwischen hatte die Bestie den nächsten gepackt, hob das unglückselige Opfer in die Höhe und schleuderte es gegen die Hüttenwand. Dann setzte es nach und stieß ihm seine Krallenhand in den Leib. Als sich sah, wie seine Eingeweide mit einem blubbernden Geräusch aus dem Bauch hervorquollen, wandte ich mich ab und nahm Linda in den Arm, die sich schluchzend und zitternd an meine Brust geworfen hatte. Wir umarmten uns, während um uns das Inferno tobte. Eine völlig sinnlose Geste, aber im Nachhinein für mich doch irgendwie nachvollziehbar. Ich glaube, jeder Mensch klammert sich an etwas, wenn er weiß, dass er diese Welt verlassen muss.

Ich schloss die Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, was mit unseren anderen Verfolgern passierte, aber ich konnte es ahnen, als ich Knochen splittern hörte und plötzlich etwas Nasses in mein Gesicht klatschte. Ich leckte mir mit den Lippen über den Mund und wusste sofort, dass es Blut war.

Namenloses Grauen machte sich in meiner Magengrube breit.

Dann war der Spuk genauso schnell zu Ende, wie er begonnen hatte.

Um uns herrschte für eine Minute eine geradezu beängstigende Stille.

Genauso lang standen wir einfach da, Linda und ich und umarmten uns schweigend.

Wir ließen erst wieder voneinander ab, als die Stille von einem Laut durchbrochen wurde, der wie das Weinen eines kleinen Kindes klang.

Ich nahm den Arm von Linda, drehte mich um und erstarrte.

Das Weinen kam von der Alten.

Gekrümmt wie ein Fötus lag sie vor uns auf dem Boden und zitterte. Deutlich konnte ich sehen, wie sie sich wieder verwandelte. Die Krallenhände verschwanden und hinter dem Reptilienschädel zeichneten sich langsam wieder die Umrisse eines Menschen ab.

Ich hörte einen keuchenden Laut neben mir.

Linda war an meine Seite getreten. Sie sah aus, als wäre sie drauf und dran, den Verstand zu verlieren. Ihr Mund formte kaum hörbare Worte.

»Oh mein Gott, das habe ich nicht gewollt. Wenn ich gewusst hätte, dass diese … diese verdammten Schweine …«

Sie schüttelte dabei ständig den Kopf, während Tränen ihren Blick verschleierten.

Inzwischen war die Verwandlung bei der Frau abgeschlossen. Vor mir lag wieder jene runzlige, kleine, stinkende alte Frau, deren Anblick mich unwillkürlich an eine Hexe denken ließ. Nichts hätte mehr daran erinnert, dass hier vor Sekunden noch ein Monster gewütet hatte, wären da nicht die zerfetzten Körper, die abgerissenen Gliedmaßen und dieser See aus Blut gewesen.

 

***

Es war inzwischen später Nachmittag.

Die Alte kauerte immer noch am Boden. Sie lag da wie tot, und wenn ihre regelmäßigen Atemzüge nicht gewesen wären, hätte ich das auch gedacht. Linda sagte mir, sie glaube, dass so eine Verwandlung soviel Kraft kostete, dass sie daran sterben konnte. Ich fragte mich, wie groß ihr Hass auf die Männer aus dem Höllencamp und damit auch indirekt auf die Zentrale der Weißen wohl sein musste, wenn sie ihr Leben riskierte, um zwei Fremde vor ihnen zu beschützen.

Mein Gott, was hatte man dieser alten Frau angetan?

Ich drehte den Kopf. Linda und ich hielten uns immer noch in der Nähe der Hütte auf. Zwar nicht direkt in ihr, der widerlich süßliche Gestank von Blut, Exkrementen und totem Fleisch war inzwischen kaum noch auszuhalten, aber immerhin doch so nahe, das wir die Ruine sehen konnten, wenn wir uns umgedreht hätten.

Aber das wollte keiner von uns, denn dann hätte uns der Wind eben diesen Gestank wieder in die Nasen geweht.

Warum wir, nach dem, was passiert war, nicht weiterliefen, lag an Linda, genauer gesagt an ihren Worten.

Das Geschehene hatte sie so mitgenommen, dass sie nicht länger schweigen konnte.

Ich erfuhr endlich, wenn auch zunächst nur bruchstückhaft, was es mit dieser verrückten Welt auf sich hatte. Auch wenn die Informationen zunächst nur spärlich waren, mit ein bisschen Fantasie und einer Portion gesundem Menschenverstand versehen ging inzwischen sogar mir auf, was für eine Schweinerei hier am Laufen war.

Mir wurde fast schwarz vor Augen, während ich Lindas Enthüllungen lauschte.

Es dauerte noch einige Zeit, bis ich die Sache in ihrer ganzen Tragweite verarbeitet hatte, aber dann hatte ich plötzlich tausend Fragen.

»Du willst also damit andeuten, dass sogar die Regierung von dieser Scheiße hier weiß?«

Linda nickte und mir wurde schlecht, als ich langsam den Sinn ihrer Aussage begriff.

»Okay«, sagte ich. »Dann lass mich das Ganze einmal mit meinen Worten ausdrücken und bitte, korrigiere mich, wenn ich irgendetwas Falsches sage oder mit meinen Vermutungen daneben liege.«

Linda hob den Kopf und starrte mir in die Augen, dann legte ich los.

»Es gibt da draußen also einen Klub von reichen Säcken, der seit einigen Jahren an Europas Universitäten sowohl die besten Absolventen wissenschaftlicher Fächer als auch deren Professoren mit ungeheuren Summen lockt, damit sie in ihre Dienste treten. Soweit in Ordnung, aber was ich nicht verstehe, ist, wenn diese Typen so reich sind, warum dehnen sie ihre Suche nicht auf die gesamte Welt aus? Ich meine, in Amerika oder Asien läuft schließlich auch einiges an Kapazitäten herum.«

Linda lächelte, aber es wirkte irgendwie aufgesetzt.

»Sie beschränken sich auf Europa, weil hier Weicheier in den Regierungen sitzen. Wenn sie das, was sie hier abziehen, in China, Russland oder Amerika versuchten, hätten sie sofort die Geheimdienste oder das Militär am Hals.«

Ich konnte mich der Stimmigkeit dieser Antwort nicht ganz entziehen.

Wenn ich die wirtschaftlichen und militärischen Krisen der letzten Zeit Revue passieren ließ, kam mir die EU tatsächlich wie ein zahnloser Tiger vor. Wenn wirklich eigene Interessen auf dem Spiel standen, reagierten Putin und Co tatsächlich wesentlich aggressiver als die Herrenrunde aus Brüssel.

»Okay, weiter im Text. Wer also bei diesem Klub einsteigt, verdient zwar ein Schweinegeld, aber dafür ist man dann ein toter Mann, wenn man wieder aussteigen will.«

»So kannst du das nicht sehen.«

„Ach ja, und was war mit Nilson, dem schwedischen Anthropologen, oder Sandolo, dem Archäologen aus Italien, von denen du mir erzählt hast? Sind die beiden nicht auf etwas seltsame Weise aus dem Leben geschieden?«

»Sie kannten das Risiko, als sie versuchten, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Die Verträge setzen lebenslanges Stillschweigen voraus, was anhand der gezahlten Gelder aber auch zu verstehen ist.«

»Tolle Verträge«, sagte ich und es klang mehr als nur zynisch. »Und warum willst du jetzt aussteigen? Immerhin bist du doch auch schon seit zwei Jahren dabei, wie du mir gesagt hast.«

Linda deutete nach hinten, auf die Hütte und das Geschöpf, das darin hauste.

»Ich sollte an Genversuchen teilnehmen, die das Ausmerzen von Krankheiten wie Krebs, Aids oder Alzheimer als Ziel hatten. Zunächst experimentierten wir nur mit Tieren, aber irgendwann munkelte man auch von Menschenversuchen.«

»Das erklärt aber immer noch nicht, warum du nicht schon längst abgehauen bist, wenn du so etwas angeblich nicht mit deinem Gewissen vereinbaren kannst?«

Linda sah mich traurig an.

Nachdem ich ihre Antwort, besser gesagt, die Summe gehört hatte, konnte ich sie sogar irgendwie verstehen. Jetzt mit ihr über Moral, Ethik oder andere Dinge zu diskutieren, war müßig, da ich nicht wusste, wie ich mich an ihrer Stelle verhalten hätte. In einer Welt, die nicht mehr von Menschlichkeit, sondern nur noch von Skrupellosigkeit, Geld und Macht geleitet wird, ist es schwer, über das Verhalten eines Durchschnittsbürgers zu urteilen, der plötzlich die Möglichkeit bekommt, binnen kürzester Zeit Millionen zu verdienen.

Fortsetzung folgt …

Eine Antwort auf Jackson – Teil 24