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Paraforce Band 8

Prolog

Herzensangelegenheit!

Vor dem Mann tat sich unauslotbare Schwärze auf.

Er zögerte, blickte sich unsicher um. Lange hatte er geforscht und zahlreiche Mühen auf sich genommen, um endlich hierher zu gelangen. Nun aber, so kurz vor dem Ziel, zögerte er.

Worauf wartete er?

Auf eine körperlose Stimme, die ihm aus der Tiefe des Kellers entgegen wisperte? Oder auf eine Aufforderung Anatol Anjoshins, der ihm als Geist entgegentrat und ihn mit rotleuchtenden Augen unheilvoll anstarrte?

Minuten verstrichen, während der Wind zornig heulend um das Hexer-Haus strich. Da war nichts! Keine Worte! Keine Aufforderung!

Ein Schauder kroch über den Rücken des Einsamen. Der Versuch, die ausgetrockneten Lippen mit der Zungenspitze zu befeuchten, scheiterte.

Was nun? Sollte er jetzt einfach hier stehen bleiben? Er hob seinen rechten Arm und führte die Wodkaflasche zu seinem Mund. Ein großer Schluck des scharfen Gesöffs – wahrscheinlich in irgendeiner illegalen Brennerei hergestellt – füllte seinen Mund und ließ eine Hitzewallung in ihm aufsteigen. Als er die Flasche absetzte, schnappte er keuchend nach Luft.

Er schleuderte die Flasche mit einem entschlossenen Ruck beiseite und wagte es, die nächsten Schritte zu machen. Die Taschenlampe in seiner Linken blitzte auf und entließ einen Lichtstrahl in die vor ihm liegende Finsternis. Beinahe gleichzeitig trat er durch den fauligen Holzrahmen, in dem vor Urzeiten einmal eine Tür gehangen haben mochte.

Undeutlich erkannte er eine hölzerne Treppe – nicht viel mehr als eine Stiege –, die steil und geländerlos in die Tiefe führte. Die Stufen quietschten unter seinen Schuhen, als sie unter seinem Gewicht nachgaben. Die Vorstellung, dass das verrottete Holz einfach so wegbrach und er haltlos hinabstürzte, um sich am Fuße der Treppe sämtliche Knochen zu brechen, erfüllte ihn nicht gerade mit Zuversicht.

Seine Knie begannen zu zittern, kalter Schweiß rann von seiner Stirn und ein säuerlicher Geschmack erfüllte seinen Mund. Der Strahl der Taschenlampe huschte über von schwarzgrünem Schimmel befallene Steinwände. Sie glänzten feucht und vielfarbig. Für einen Moment wurde der Einsame an verschiedene alte Sagen erinnert und vor seinem geistigen Auge entstanden Bilder von Feen und Elfen, die durch die Luft schwebten und glitzernden Staub verstreuten.

In der ihn umgebenden Wirklichkeit jedoch war kein Platz für Geschöpfe wie Feen.

Nein, wahrhaftig nicht.

Irgendwann verließ er das wackelige Gestell der Kellertreppe und schlich über einen tiefgrauen Steinboden in ein Gewölbe hinein, das ihm wie ein gigantisches Maul vorkam.

Ein Maul, das mich hoffentlich nicht wieder ausspuckt.

Neuerlicher Schauder bemächtigte sich seiner.

Der Mann versuchte sich zu erinnern. Hatte in den Aufzeichnungen über das Anjoshin-Haus irgendwas gestanden, das ihm jetzt helfen konnte, die richtige Richtung einzuschlagen? Lange genug hatte er die alten Unterlagen, Bücher und Berichte studiert. Er hatte sie sich sehr genau eingeprägt. Aufgrund seines außergewöhnlich guten Gedächtnisses war ihm dies nicht schwergefallen.

Allerdings nutzte ihm das in diesem Augenblick nichts. Nirgends hatten ausführliche Pläne existiert, in denen beschrieben stand, welchen Weg man im Keller des Hexer-Hauses zu wählen hatte. Er wusste nur, dass das Gewölbe unterhalb des Anwesens gigantische Ausmaße besaß.

Der Einsame schlich weiter voran. Seine Taschenlampe schien nicht wirklich viel zu nutzen. Das entsandte Licht war in dieser Umgebung offenbar von geringer Ausdauer. Es strahlte milchig nur wenige Meter weit und versickerte dann förmlich in der Luft.

Tatsächlich! Im Wald, auf dem Weg vom Wagen hierher, hatte der Schein mindestens dreimal so weit gereicht. Der Mann ließ sich davon nicht beirren. Er ging weiter, blieb aber rasch wieder stehen. Der Weg vor ihm teilte sich. Ein Gang führte unverändert geradeaus, zwei weitere führten nach links und rechts. Beinahe hätte er bitter aufgelacht. So kurz vor dem Ziel stehend, wusste er nicht mehr weiter. War das nicht ein übler Witz?

Andererseits, worüber regte er sich auf? Hatte er irgendetwas zu verlieren, wenn er sich hier unten verirrte und nie wieder auftauchte? Nein, eigentlich nicht. Außer vielleicht, dass er sein Ziel nicht erreichte. Aber eine Garantie dafür, dass er finden würde, wonach er suchte, hatte er ohnehin nicht.

Er beschloss, das Problem ganz direkt anzupacken. So, wie er alle Probleme angegangen war, die sich ihm auf seiner langen Suche gestellt hatten.

Er wollte es einfach darauf ankommen lassen. Ohne weiter nachzudenken, bog er nach links ab.

Der Gang führte leicht gewunden in die Tiefe. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, kam es ihm vor, als würden die schorfig unbehauenen Wände näher und näher rücken. Das Atmen fiel ihm schwer und jeder Schritt stellte eine ungeheure körperliche Anstrengung dar.

Seine Lunge begann zu rasseln und der Einsame fühlte, wie sie sich langsam mit Flüssigkeit füllte, gerade so, als wären die Flügel lederne Wasserschläuche. Er hustete in der Hoffnung, sich etwas Erleichterung verschaffen zu können. Doch es machte keinen Unterschied.

Seine Beine drohten unter seinem Gewicht nachzugeben, er wankte und stieß mit dem Kopf gegen die Wand. Mittlerweile verursachte er bei jedem Atemzug ein hässliches Brodeln, dass im Widerhall des Ganges Panik in ihm aufsteigen ließ.

Komisch, oft fühle ich mich fast normal, aber dann ist es, als würde mich diese verdammte Krankheit binnen weniger Augenblicke vollständig verzehren.

Der Einsame versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Er besann sich einiger alter Techniken, die er erlernt hatte, kurz, nachdem er die Diagnose erhielt. Es dauerte nur wenige Minuten, doch für ihn schienen es Ewigkeiten zu sein, dann fiel der Druck von seiner Brust und die Lungen taten endlich wieder das, wofür sie ursprünglich geschaffen worden waren. Nämlich ihn mit Sauerstoff zu versorgen.

Es verstrichen weitere Minuten, ehe er sich in die Höhe ächzte und benommen umsah.

Du musst durchhalten! Eventuell nur noch ein paar Minuten, aber die musst du überstehen, sonst …

Ein Leuchten vor ihm in der Dunkelheit unterbrach seinen Gedankengang.

Er löschte die Taschenlampe. Nein, es war kein wirkliches Leuchten, denn dazu war es zu schwach. Es war nur ein Glimmen, ein farbloses Glosen, mehr nicht.

Obwohl er keinen Beweis dafür hatte, bestand für ihn kein Zweifel.

Sein Ziel lag direkt vor ihm.

Er ging weiter, lief jetzt schneller, obwohl er immer noch Schwäche in seinen Gliedern fühlte. Aber er konnte nicht anders, er musste laufen … rennen … sich beeilen. Er durfte keine Zeit mehr vergeuden, musste endlich ans Ziel kommen.

Das Glimmen wurde plötzlich schwächer.

»Nein.«

Er strauchelte und stürzte beinahe. Die jäh aufkeimende Verzweiflung riss ihm ein Schluchzen von den Lippen. Mit dem Glimmen schwand jener schwache Hoffnungsschimmer, der ihn eben noch mit Kraft und Zuversicht gespeist hatte.

Er schaltete die Lampe wieder ein und taumelte weiter. Der Gang endete in einem kreisrunden Gewölbe. Die Decke hing hier tief und der Mann musste seinen Kopf einziehen. Feuchte Luft stach bei jedem Atemzug in seine Lungen. Er fröstelte. Schwindel erfasste ihn. Am liebsten hätte er sich einfach fallen lassen, um an Ort und Stelle liegen zu bleiben. Aber das kam für ihn nicht infrage. Er musste durchhalten, denn das Schwerste lag noch vor ihm.

Der Schein der Lampe enthüllte Rillen auf dem Steinboden.

Er ging in die Knie und betastete sie. Sie waren nur wenig breiter als seine Finger, verliefen gewunden, überkreuzten sich teilweise und waren dabei von in sich geschlossenen Kreisen und Spiralen umgeben.

Der Einsame hockte eine ganze Weile einfach nur da und betrachtete die Muster genauer. Ein Künstler hätte wohl behauptet, er ließe sie auf sich einwirken. Die meisten der Rillen führten von den Mustern weg zu einem Loch im Boden, welches den Mittelpunkt des Gewölbes bildete.

Plötzlich kerbte sich ein Lächeln in seine Mundwinkel. Der Einsame richtete sich langsam auf und nickte. Er hatte die Opferstätte gefunden. Die Zeichen waren untrüglich.

Ja, er war am Ziel. Genau hierhin hatten ihn seine Studien, aber vor allem auch seine Bestimmung geführt.

Seine Hand glitt in die Jackentasche. Die Finger umschlossen eine kleine Phiole. Langsam zog er sie hervor und beleuchtete sie mit seiner Lampe. Ein einfacher Korken versiegelte sie und bewahrte eine bläulich schimmernde Flüssigkeit darin.

Sein Herz wummerte wild gegen die Rippen. Bei jedem kraftvollen Schlag erzitterte sein Oberkörper. So vieles in seinem Leib versagte mittlerweile den Dienst, und noch viel mehr würde schon bald nachfolgen. Sein Herz aber schlug kräftig, schnell und gleichmäßig.

Und von seinem Herzen hing so viel ab.

Der Einsame entkorkte die Phiole und kippte ihren Inhalt in seinen Mund.

Die Flüssigkeit brannte sich scharf, sehr viel schärfer noch als der vorhin genossene Wodka, ihren Weg durch die Speiseröhre in den Magen. Kälte durchströmte urplötzlich seine Glieder und eine Welle aus Schmerz und Übelkeit drängte ein lang gezogenes Ächzen über die Lippen.

Ein Sturm aus unterschiedlichsten Empfindungen fegte durch sein Innerstes. Unsägliche Schwäche und ein Strom aus kaum zu bändigender Kraft tosten gleichzeitig durch ihn hindurch. Er fühlte sich ausgelaugt und doch wie aufgeladen. Sämtliche Muskeln zuckten und schienen noch im selben Moment wie gelähmt zu erstarren.

Er schrie!

Es war unmöglich, die Pein zurückzuhalten. Sie schwappte aus ihm heraus, brandete wie eine Urgewalt in die ihn umgebende Finsternis. All die Last, die Anspannung und das Ungemach seines Lebens sammelten sich in diesem gellenden Laut. Alles, was sich in Jahren und Jahrzehnten in ihm aufgestaut hatte.

Der Einsame brach in die Knie, keuchte und würgte. Es fühlte sich an, als würde ein glühendes Eisen durch seine Eingeweide getrieben werden. Und mitten in dieser mörderischen Pein vernahm er seine eigene innere Stimme.

Du musst die Worte sprechen! Jetzt! Bevor es zu spät ist …

Er riss den Mund auf, wobei es ihm so vorkam, als brächen die Kiefer unter dem Druck eines ganzen Bergmassivs auseinander, und formte die ersten jener alten Worte der Macht, die er sich so sorgsam eingeprägt hatte. Sie kämpften sich heiser und stoßweise in die Dunkelheit. Er hatte die Phiole längst fallen gelassen und tastete nun nach dem Gegenstand, den er am Gürtel trug.

Das Jagdmesser!

Er zog die Waffe hervor und richtete die Klinge zur Decke des Gewölbes.

Weitere Laute quollen – immer noch von Schmerz und Qualen begleitet – aus seiner Kehle.

Die Rillen am Boden begannen zu leuchten. Zunächst dunkelrot, doch dann wandelte sich das Leuchten in ein grelles, weißes Licht. Ein wütendes Tosen, wie Wind, der mit Sturmgewalt vorangetrieben wird, dröhnte durch den weitläufigen Keller.

Der Mann drehte die Klinge, sodass die Spitze nun auf ihn zielte. Im nächsten Moment überschlug sich seine Stimme. Die letzten Worte der Anrufung quollen aus seinem Mund. Sein Arm schnellte aus der Höhe hinab.

Die Klinge traf! Sie durchtrennte in unbestechlicher Schärfe sowohl die Kleidung als auch Haut und Knochen des Einsamen. Mit einem Mal wurde es still im Gewölbe. Das grelle Licht schwächte sich ab.

Laute, wie sie ein Mensch eigentlich nicht hervorzubringen in der Lage sein sollte, quälten sich zwischen den zusammengepressten Zähnen des Mannes ins Freie. Ein feuchtes Geräusch erklang. Als würde ein Kleinkind in einer Schüssel mit Brei herumrühren.

Er sah auf den Griff des Messers, den er immer noch umklammert hielt. Die Klinge war vollständig in der linken Brust verschwunden.

Er wunderte sich ein wenig. Der Schmerz war enorm, schier Wahnsinn erzeugend, und doch blieb er bei Bewusstsein und konnte klar denken. Er sah deutlicher, hörte, roch und fühlte intensiver als jemals zuvor.

Weiter … mach weiter … weiter, weiter …, fuhr es wispernd durch seinen Geist. Seine zweite Hand umfasste den Messergriff nun ebenfalls und zog die Klinge mit einer geraden Bewegung in die Tiefe.

Süßliche Wärme füllte seinen Mund aus. Blut ergoss sich wie ein steter dunkelroter Strom über seinen Oberkörper. Der Lebenssaft lief an Händen und Unterarmen entlang und fiel in dicken Tropfen auf den Steinboden. Das Platschen drang verzerrt an seine Ohren und erinnerte ihn an etwas. Aber an was?

Er kicherte plötzlich.

Ja, das wäre es noch! Wenn jetzt jemand für dieses Schauspiel Applaus spenden würde …

Eine neuerliche Schmerzwelle marterte durch ihn hindurch, zerschmetterte das Grinsen förmlich und riss ihn beinahe um. Er presste die Lippen fest aufeinander und drehte die Klinge mit einem Ruck. Sie leistete hervorragende Arbeit. Haut, Knochen, Knorpel und Muskelgewebe wurden mühelos zerteilt.

Der Mann flehte innerlich, dass sich sein Bewusstsein noch nicht in den tiefsten Abgründen unwiederbringlicher Schwärze verkroch.


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