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Jack Lloyd Folge 63

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

An Bord des Schatzschiffes

Noch immer war der Himmel sternenklar. Das Licht der Himmelskörper spiegelte sich auf der schwarzen Meeresoberfläche wieder und funkelte strahlend in der Nacht. Langsam näherte sich das Ruderboot mit den Freibeutern an Bord dem Schatzschiff der spanischen Silberflotte. Jack wunderte sich bereits, dass sie noch von keinem Wachtposten angerufen worden waren. Sie ruderten an zwei Kriegsgaleonen vorbei, bis sie das Schatzschiff, das inmitten der Kriegsflotte ankerte, erreichten. Erst als sie das Schiff, das voll beladen war mit Silberbarren und Silbermünzen, fast erreicht hatten, hörten sie die Stimme eines Spaniers.
»Wer nähert sich?«
»Eine Gabe des Gouverneurs! Guter Braten, Brot und etwas Wein. Heute soll niemand auf dem Trockenen sitzen!«, rief Pablo zu der Schatzgaleone hinauf. »Ich habe Anordnung, niemanden an Bord zu lassen«, erwiderte der Spanier misstrauisch.
»Wir sind schnell wieder weg, Señor. Wir sollen nur die Lieferung überbringen, dann rudern wir wieder an Land. Es wird mit Sicherheit niemand erfahren!«
»Was soll‘s. Warum sollen wir nicht auch einen guten Happen und einen kräftigen Schluck haben, während unsere Kameraden an Land feiern. Jacomo, lass die Leiter hinab.«
Neben dem Ruderboot, das mittlerweile an dem Schatzschiff angekommen war, klatschte eine Strickleiter auf dem Wasser auf. Bereits einen kurzen Augenblick später machte Pablo sich als Erster auf den Weg nach oben. Dann folgten Jack, die beiden anderen Matrosen und schließlich Elena. Sie alle waren in der Tat beladen mit Speisen und einem kleinen Fass Wein. Aber versteckt unter ihrer Kleidung trugen sie jeweils eine Schusswaffe und ihre Entermesser. An Bord des spanischen Seglers angekommen, übergab Pablo dem Soldaten, der bereits mit ihnen gesprochen hatte, das Weinfass. Jack wollte gerade das Fleisch aus dem Tuch auswickeln, in dem er es transportiert hatte, als hinter dem Soldaten ein Mann mit einer einläufigen Pistole im Anschlag hervortrat. Jacks Augen verengten sich zu Schlitzen. An diesem Tag wollte offensichtlich alles schief gehen, was schief gehen konnte. Sie hatten sich vorher so ausgiebig wie möglich informiert. Jack hatte Maria über die Bewachung des Schatzschiffes ausgefragt. Joe hatte ebenfalls versucht, so viel wie möglich über die nächtliche Bewachung des Schiffes zu erfahren. Natürlich war das eigentlich eine Geheimsache, und dementsprechend hatten beide nicht viel in Erfahrung bringen können, eines hatten sie aber zu wissen geglaubt: Es sollten nicht mehr als zehn Männer an Bord des Schatzschiffes Dienst tun. Jack und die Seinen wären zwar in der Minderheit gewesen, aber sie hatten den Überraschungseffekt auf ihrer Seite gewähnt. Dabei hatte Jack nicht damit gerechnet, den Comte auf dem Schiff anzutreffen.
»Ihr wirkt überrascht, de Mendoza«, erklärte der Comte mit einem hämischen Grinsen auf den Zügen. »Oder sollte ich lieber Käpt´n Lloyd zu Euch sagen?«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, mein Freund«, versuchte Jack die aussichtslose Situation durch halbherziges Leugnen zu retten. Aber ein kurzer Blick in das Gesicht seines Gegners zeigte dem Kapitän, dass der Mann ein hinterhältiges Spiel mit ihm gespielt hatte.
»Ich denke, Ihr wisst sehr genau, wovon ich spreche«, erklärte der alte Spanier. »Jacomo. Seid doch bitte so gut und entwaffnet unsere Gäste.«
Ein Spanier trat von der Seite zuerst an Pablo heran und untersuchte ihn nach Waffen. Der Portugiese warf seinem Kapitän einen kurzen fragenden Blick zu. Jack, dem klar war, dass sie aus dieser Situation nur entkommen konnten, wenn sie irgendwie doch noch ein Überraschungsmoment bekamen, warf das noch immer in Tücher gewickelte Fleisch auf den Comte. Dieser hatte damit nicht gerechnet und feuerte auf den Beutel, der ihm da entgegengeflogen kam. In diesem Augenblick brach an Bord des Schatzschiffes ein Tumult los. Aus allen Ecken kamen Männer und warfen sich auf die fünf Freibeuter. Jack und die Seinen hatten schnell nach ihren Entermessern und den Pistolen gegriffen. Sie bildeten einen Kreis, um sich gegenseitig den Rücken zu decken, und fochten mit dem Mut der Verzweiflung. Entgegen dem ursprünglichen Plan, der eigentlich ein Entermanöver in absoluter Ruhe vorgesehen hatte, schoss ein jeder der Fünf einen Gegner nieder und konzentrierte sich dann auf die Verteidigung mit dem Entermesser. Jack verfluchte den Umstand, dass er im Gefühl des sicheren Gelingens auf eine weitere Waffe verzichtet hatte. Laternen flammten an Bord der Kriegsschiffe, die in einiger Entfernung um das Schatzschiff herum lagen, auf. Rufe auf Spanisch wurden laut. Die Soldaten auf den Begleitschiffen fragten nach dem Grund für den Lärm. Doch das Klirren der Waffen und der Laut der Pistolen, die abgefeuert worden waren, waren eigentlich Antwort genug. Das Unvorstellbare war geschehen, jemand versuchte, das Schatzschiff zu kapern.
Endlich, Jack schien es, als fochten sie schon eine Ewigkeit gegen die Feinde, die ursprünglich eine Übermacht von mindestens eins zu vier hatten, als endlich Joes Kopf über der Reling erschien. Offenbar hatten die Spanier bei Kampfausbruch vergessen, dass die Strickleiter noch an der Bordwand hing. Joe und vier weitere Matrosen erklommen das Deck und warfen sich von hinten auf den Spanier. Die Männer des Comte waren bereits geschlagen und nur der Adlige selbst und drei spanische Wachmänner kämpften noch gegen die Freibeuter, die jetzt in der Überzahl waren. Jack griff gerade den Comte an, als Joe rief: »Wir müssen verschwinden. Die Spanier haben Ruderboote mit Soldaten zu Wasser gelassen. Gleich wird es hier an Deck vor Soldaten nur so wimmeln.«
»Hast du deinen Auftrag erfüllt?«
»Aye Käpt´n!«
Jack deckte den Comte mit einer Reihe von Attacken ein, die dieser nur mit Mühe parieren konnte. Plötzlicher Kanonendonner durchbrach das Klatschen der Kugeln, die auf das Wasser aufschlugen, und klang bedenklich nah. Jack warf Elena einen kurzen Blick zu, lang genug, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie so schnell wie möglich den Hafen verlassen mussten. Der Comte erkannte seine Chance, machte auf der Hacke kehrt und sprang über Bord. Jack sah dem Mann, der ihm einen gehörigen Strich durch seine Pläne gemacht hatte, mit einem wütenden Kopfschütteln hinterher. Dann warf er einen Blick über das Deck. Sie hatten zwei Männer verloren, aber fast zwanzig Feinde lagen tot oder verletzt auf dem Deck des Schatzschiffes. Elena war gerade damit beschäftigt, die noch übrigen Mitglieder der Mannschaft auf die besprochenen Posten zu schicken. Sie mussten so schnell wie möglich den Hafen verlassen, bevor die Spanier sie überrennen konnten.
Schwerfällig nahm das Schatzschiff Fahrt in Richtung Hafenausgang auf. Joe murmelte leise: »Ich habe vier der sechs Schiffe erwischt. Dann kamen wir euch zu Hilfe.«
»Also sind zwei Kriegsgaleonen nicht leckgeschlagen?«, fragte Jack ungläubig.
»Wie gesagt, vier von ihnen haben wir mit unseren Äxten malträtiert. Es wundert mich, dass das niemand gehört hat. Aber mehr haben wir nicht geschafft.«
»Ein Grund mehr, so schnell wie möglich zu verschwinden«, brummte Jack. Dann brüllte er eine Reihe von Befehlen über das Deck. Sie mussten viel schneller werden, wenn sie eine Chance haben wollten.
Endlich näherte sich das Schiff der Hafenausfahrt. Die spanischen Kriegsschiffe, die sich im Hafen teilweise gegenseitig behinderten, waren noch mit Wendemanövern beschäftigt, als lautes Wutgeschrei von einigen der Kriegsschiffe zu der kleinen Piratencrew herüberdrang. Jack lächelte still. Der Feind hatte bemerkt, dass ihre Schiffe leckgeschlagen waren. Ein Blick zurück zeigte ihm, dass trotzdem vier Kriegsgaleonen die Verfolgung aufnahmen. Jack warf einen bangen Blick auf die Hafenausfahrt. Diese wurde bewacht von einer kleinen Garnison, die mit vier Kanonen bestückt war. Wenn sie die schmale Hafenausfahrt passierten, waren sie ein leichtes Ziel für die spanischen Kanonen. Da tauchten vor ihnen aus der Dunkelheit zwei Schiffe auf. Erneut erklang Kanonendonner. Jack und Elena warfen sich verwirrte Blicke zu. Dann schlugen die Kugeln ein. Lautes Geschrei von der kleinen Garnison zeigte Jack und seinen Leuten, wo die Salven eingeschlagen waren. Dann explodierte irgendetwas in der kleinen Fortanlage. Feuer brach aus und die gebrüllten Befehle der diensthabenden Offiziere hallten über das Wasser. Während die Spanier mit sich selbst beschäftigt waren, konnten Jack und die Seinen im Schein der größer werdenden Flammen die Hafenausfahrt passieren. Hinter ihnen noch immer die vier Kriegsschiffe der spanischen Flotte, die langsam Fahrt aufnahmen.
»Die White Swallow und die Jungfrau von Cartagena! Sie kommen uns zur Hilfe!«, rief Elena aufgeregt. Und tatsächlich waren es diese beiden Schiffe, die sich aus der Nacht in das Licht hineinschoben, das von der brennenden Garnison auf das Meer hinausgeworfen wurde. Als Jack und die Seinen mit dem erbeuteten Schatzschiff die Swallow und die Jungfrau passiert hatten, drehten die beiden Segler bei und bedachten die spanischen Verfolger mit jeweils einer Salve Kettenkugeln. Beide trafen die näher kommenden Feinde mit voller Wucht, was erhebliche Schäden an Segeln und Rumpf verursachte. Wütend drehten die spanischen Verfolger ab. Es war nur eine kurze Verschnaufpause, aber Jack und seine Mannschaft nutzten sie. Bevor die Spanier sich von dem Schlag erholt hatten, verschwanden die Freibeuter mit ihrer Beute auf dem offenen Meer.

***

Der Horizont leuchtete feuerrot, als Maria stöhnend die Augen öffnete. Sie saß hinter einem Holzfass und einigen Stoffballen, einen Knebel im Mund, die Hände mit einem Seil nur leicht umwickelt. Der Mann, der sie niedergeschlagen hatte, hatte sie offensichtlich nicht gefesselt. Auch sonst spürte sie keine Schmerzen, bis auf den Kopf, der ihr immer noch dröhnte. Der Schlag des Fremden hatte sie für eine Weile völlig ins Reich der Träume geschickt. Und Miguel de Mendoza war verschwunden. War das überhaupt sein wirklicher Name gewesen?
Maria streifte die Schnüre von ihren Handgelenken, nahm den Knebel aus ihrem Mund und stand stöhnend auf. Ob ihr Vater wirklich ihre Verlobung bekannt gegeben hatte? Sie konnte nur inständig hoffen, dass er es nicht getan hatte. Wie hatte sie nur so blind sein können. Es war zu schön, als dass es hätte wahr sein können. Der Mann, der sich ihr da präsentiert hatte, war wie für sie gezeichnet gewesen, als hätte ein Maler oder Bildhauer einen Menschen genau nach ihren Vorstellungen entworfen. Nicht nur vom Aussehen her, auch was seine Ansichten, seine Pläne und seine Ideen anging, war dieser Mann genau so, wie sie ihn sich gewünscht hätte. Dass eines Tages ihre Träume, die Stadt wieder zum alten Glanz zu führen, ihr geliebtes Caracas direkt in den Ruin stürzen würde, hätte sie nie für möglich gehalten. Maria hielt sich den schmerzenden Kopf, während sie die wenigen Schritte bis zur Hafenmauer hinunterlief. In der Ferne brannte die kleine Festung, die die Hafenausfahrt bewachen sollte. Offenbar waren diese verdammten Piraten vor nichts zurückgeschreckt. Zu ihrer Verwunderung lagen noch zwei der sechs Begleitschiffe der Schatzflotte im Hafen. Warum hatten sie nicht alle die Verfolgung aufgenommen? Sie konnte nur hoffen, dass die vier Galeonen, die sich aufgemacht hatten, die Seeräuber einzuholen, Erfolg haben würden.
Langsam füllte sich der Hafen. Die Menschen um sie herum waren erstarrt vor Schreck, Angst und Unglauben. Manche weinten. Anderen riefen Verwünschungen aus und fragten sich lauthals, wie es dazu überhaupt hatte kommen können. Maria war froh darüber, dass sie in diesem Augenblick niemand erkannte. Aber hier und jetzt, das flammende Inferno der Festung vor Augen, der leere Hafen als Sinnbild der abgelaufenen Zeit dieser einst blühenden Stadt, ihre niedergeschlagenen und entsetzten Mitbrüder in ihrem Rücken, fasste sie einen Plan. Dieser Mann hatte ihr ihre Ehre genommen, er hatte sie betrogen und hintergangen. Aber Maria de la Vega ließ sich nicht betrügen und ausnutzen. Egal, wer dieser Mann wirklich war, sie kannte seine Begleiterin. Und sie kannte ein Geheimnis über Elena, das den wenigsten bekannt war. Sie würde es zu nutzen wissen.

***

Jack und Joe standen am Heck des Schatzschiffes und starrten in die Nacht hinaus. Die spanischen Verfolger hatten sich nicht wieder blicken lassen. Sie würden bald entscheiden müssen, ob sie die Strecke nach Port Royal direkt in Angriff nehmen oder einen Zwischenstopp in Curacao einlegen wollten. Bisher hatten sie noch keine Gelegenheit gehabt, mit den führenden Offizieren der anderen beiden Schiffe ihres kleinen Konvois richtig Kontakt aufzunehmen. Jack wollte zuerst eine gute Strecke zwischen sich und Caracas bringen, ehe er die Führungscrew um sich versammelte. Langsam schien ihm aber die Zeit gekommen zu sein. Er hatte einem seiner Männer den Befehl erteilt, mit einer Laterne den anderen beiden Schiffen die passenden Signale zu geben. Schon bald würden sie beidrehen und die Männer, mit denen er sich beraten wollte, in Beibooten den Weg zum neuesten Schiff ihrer Flotte antreten. Aber dennoch waren Jacks Gedanken noch in Caracas, bei einer Person, die er hatte zurücklassen müssen und die er gegen alle Vernunft vermisste.
»Denkst du an sie?«, fragte Joe in diesem Augenblick.
»Sieht man mir das an?«, murmelte Jack leise.
»Seitdem wir den Hafen verlassen haben.«
»Und du bist dir sicher, dass ihr nichts geschehen kann?«
»Ich habe sie sicher abgelegt. Sie wird mittlerweile wahrscheinlich wieder erwacht sein und bis auf einen Brummschädel und eine Mordswut auf dich nichts davongetragen haben.«
Jack versuchte, sich ein Lächeln abzuringen. Dann brummte er: »Sie hat allen Grund wütend zu sein.«
»Hat sie«, erklärte Elena bestimmt, die sich unbemerkt genähert hatte. Jack und Joe sahen zu ihr und hießen sie mit einem knappen Nicken willkommen.
»Ihr werdet achtgeben müssen, Kapitän. Sie wird nach Rache dürsten.«
»Meint Ihr wirklich, Elena?«, fragte Jack nachdenklich.
Den Blick aufs Meer gerichtet sagte Elena sachlich: »Ich würde Euch jagen, bis ich Euch getötet hätte.«
»Sie ist wenigstens ehrlich«, erklärte Joe lachend.
»Darauf hätte ich gut verzichten können«, brummte Jack. »Ich werde mich noch einen Moment zurückziehen. Gebt mir Bescheid, wenn die anderen versammelt sind.«
Joe und Elena nickten ihrem Kapitän knapp zu. Dann verschwand er in der kleinen Kapitänskajüte. Die Stellvertreterin des Kapitäns und ihr Vertrauter schauten hinaus auf die Weite des Meeres. Nach einem Augenblick der Stille fragte Joe leise: »Wenn du Maria wärst, gäbe es dann einen Ort, an dem Jack sicher wäre?«
Elena sah Joe einen Moment lang nachdenklich an. Dann wanderte ihr Blick wieder auf das Meer hinaus. Langsam schüttelte sie den Kopf.
»Nein, keinen Ort dieser Welt.«

Ende des ersten Buches

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