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Gold Band 3 – Kapitel 1.2

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 1
Die mexikanische Flagge
Teil 2

Im Paradies herrschte indessen, wie Boyles allerdings richtig vermutet hatte, nicht geringe Aufregung.

Schon am frühen Morgen zeigten die Mexikaner nämlich, dass sie das bisherige fügsame Wesen gegen die Amerikaner aufgegeben hatten. Was sich für Gerüchte zwischen ihnen verbreitet hatte, wusste man natürlich nicht. Als aber Hale, der noch immer hoffte, die Sache in Güte beizulegen, sie aufforderte, ruhig auseinander und an ihre Arbeit zu gehen, ja ihnen sogar das Versprechen gab, dass sie nicht weiter gestört oder beunruhigt werden sollten, sobald sie nur die gesetzlich gewordene Taxe zahlten, wiesen sie ihn barsch und kurz ab. Möglich, dass gerade noch die gut gemeinte und freundliche Anrede sie mehr in ihrer Widersetzlichkeit bestimmte, da sie dieselbe der Furcht vor ihrer Überzahl zuschrieben. Darin hatten sie sich freilich geirrt.

Hale übrigens, der mit Spott und Schimpfreden heimgeschickt wurde, kehrte wütend in das Lager zurück und rief, ohne erst den Alkalden darum zu fragen, augenblicklich alle die noch dort befindlichen Amerikaner zusammen. Die meisten von diesen arbeiteten aber in der Flat, und als er zu ihnen schickte, in die Stadt zu kommen, gehorchten nur wenige dem Aufruf. Die meisten ließen ihm sagen, sie hätten jetzt mehr zu tun, als sich um die lumpigen Mexikaner zu kümmern; zu Mittag wollten sie kommen.

Hale war außer sich, und in dieser Stimmung, eben im Begriff den Alkalden aufzusuchen, mit diesem die weiteren und nötigen Schritte zu beraten, begegnete er Hetson, der bleich und verstört aus seinem Zelt kam.

»Habt Ihr meine Frau nicht irgendwo gesehen?«, rief er auch dem Sheriff schon von Weitem zu. »Sie ist nicht hier im Lager.«

»Ihre Frau?«, brummte der Sheriff ungeduldig, »ja, ich hätte jetzt Zeit, mich um die Frauen zu kümmern. Wo soll sie denn sein?«

»Gott weiß es – auf einem Spaziergang möglicherweise; vielleicht gar hinauf in die Berge.«

»Da hätte sie sich eine prächtige Zeit dazu gewählt«, sagte Hale, »die Berge schwärmen jetzt ordentlich von Indianern. Gott weiß, wo die roten Halunken auf einmal alle herkommen. Mr. Hetson, die Sache wird ernst, und so leicht wir sie bis jetzt genommen haben, müssen wir nun etwas tun, den Burschen Respekt einzuflößen. Warten wir, bis sie den Angriff machen, so sind wir verloren, denn wir können ihnen kaum einen Mann gegen zwanzig entgegenstellen.«

»Sie haben recht, Hale, vollkommen recht«, sagte Mr. Hetson, der vor innerer Aufregung totenbleich war, »schaffen Sie mir nur – schaffen Sie mir nur um Gotteswillen erst meine Frau her, denn wenn wir hier einen Kampf beginnen und die Burschen über die Ebene streuen.«

»Das ist nicht übel«, sagte Hale ärgerlich, »gehört das auch mit in mein Amt? Was zum Henker hat auch die Frau gerade heute draußen herumzulaufen, wo der Teufel an allen Ecken und Enden los ist. Ganz allein ist sie fort?«

»Manuela muss bei ihr sein.«

»Und in der Stadt ist sie nicht?«

»Ich habe all Kaufzelte abgesucht.«

»Na ja – Frauen gehören aber auch nicht in die Minen. Wetter noch einmal, hier hat ein Mann zu tun, sich oben zu halten. Wir müssen jetzt unsere Landsleute auf die eine oder die andere Art zusammenbringen, denn wenn wir bis Mittag warten, kann mehr verdorben sein, als wir in einer Woche wieder imstande sind, gutzumachen. Die Pest über die Burschen, dass sie nicht einen halben Tagelohn verlieren wollen, während alle anderen Nationen wie Kletten zusammenhängen. Von den Franzosen arbeitet kein Einziger – sie sind alle draußen in dem einen Zelt versammelt, und wenn uns die auch noch auf den Hals kommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als Fersengeld zu geben.«

»Wir werden nicht fliehen, Sheriff«, rief Hetson, aber er sprach die Worte zerstreut, und seine Blicke schweiften dabei rastlos die Straße auf und ab. »Sammelt nur indessen unsere Landsleute … ich … ich bin gleich wieder bei Euch …« Und ohne sich weiter um den ihm erstaunt Nachsehenden zu bekümmern, eilte er rasch die Straße hinauf und verschwand bald hinter den Zelten.

Hale blieb noch eine ganze Weise auf derselben Stelle stehen, auf der ihr jener verlassen hatte, als ob er selber nicht recht wisse, was er jetzt tun solle. Endlich brach sich aber sein Grimm in ein paar Kernflüchen Bahn, und den Boden stampfend rief er hinter seinem Alkalden drein:

»Wir werden nicht fliehen? Ich bin gleich wieder da? So? Verdammt will ich sein, wenn ich das glaube, und das ist das Kurze und Lange von der Geschichte. Gleich wieder da? Jawohl; jetzt hat er die beste Ausrede, hinter seiner Frau herzulaufen, und Hale kann indessen ganz gemütlich die Kastanien aus dem Feuer holen. Aber meinetwegen; schlagen sie euch tot, so ist das weiter auch eben kein Unglück, und weder hier noch in den Staaten wird ein Mensch eine Träne darum vergießen. Aber lebendig gebraten will ich werden, wenn es nicht ein Skandal ist, dass man keinen richtigen Alkalden finden kann. Habe ich denn nicht recht, wenn ich behaupte, dass die Burschen, die ordentlich schreiben und lesen können, ihr Herz in den Federkielen sitzen haben? Es ist kein Mann unter ihnen.«

Noch während er sprach, hatte er sein kleines Fernrohr aus der Tasche genommen und scharf nach den Bergen hinübergeschaut, an denen sich jetzt schon mit bloßen Augen die dunklen Schwärme der Eingeborenen erkennen ließen. Wo nur eine der zahlreichen kleinen Waldblößen es erlaubt, einen Blick über das Tal zu gewinnen, hielt ein Trupp, und selbst bis in die Flat waren sie schon herabgestiegen und lagerten dort, jetzt natürlich noch ohne das geringste Zeichen feindseliger Gesinnung. Hale wusste aber recht gut, wie rasch sich das ändern konnte, sobald sich eine Veranlassung dazu fand, und diese Burschen, einmal erst losgebrochen, hätten auch ohne Weiteres das ganze Lager in Brand gesteckt.

Langsam schweifte er mit dem Glas die Flat entlang, der Stelle zu, wo die Mexikaner hielten, als er plötzlich mit einem Schrei des Erstaunens emporsprang. Er traute dem Glas nicht einmal mehr und wollte das mit eigenen, bloßen Augen sehen, was sich dort ihm bot: die mexikanische Flagge.

»Da haben wir es!«, schrie er dabei, sein Glas zusammen und in die Tasche schiebend, »offener Aufruhr im Lager und die Amerikaner draußen bei ihrer Arbeit so ruhig das vermaledeite Gold aus dem Boden hackend, als ob sie im Leben kein weiteres Interesse an der Sache hätten – und kein Alkalde da – kein Pech heiß und den Teufel zu zahlen. Verdammt will ich aber sein, wenn ich mir das gefallen lasse, und wenn ich allein hinausgehen soll, die Flagge herunterzuholen.« In vollem Grimm über die Frechheit der Fremden sprang er in sein Zelt, die eigene Büchse herauszuholen. Was er vor der Hand damit wollte, wusste er selber noch nicht.

Hetson war indessen wirklich in Todesangst die Straße hinaufgeeilt, um zu sehen, ob er die beiden Frauen finden könne. Schwer bereute er jetzt, sie nicht vor dem gewarnt zu haben, was ihnen drohe. Aber er hatte sie auch nicht – vielleicht unnötigerweise – ängstigen wollen, und nicht daran gedacht, dass sie morgens das Lager verlassen könnten, in den Wald und mitten zwischen die Feinde hineinzugehen.

An den letzten Zelten angekommen, fragte er vergebens einige ihm dort Begegnende nach den Vermissten. Ein Deutscher nur wollte sie vor etwa einer Stunde gesehen haben, wie sie durch die Flat den nächsten Bergen zugeschritten seien. Dort aber streiften gerade die meisten Indianer umher, und Hetson war eben im Begriff, sie selber aufzusuchen, als ihm die beiden Frauen flüchtigen Laufes entgegenkamen.

»Gott sei Dank«, war alles, was Hetson sprechen konnte, aber eine Last schien von seiner Seele gewälzt, und welche dunkle Wolken auch Furcht und Misstrauen darüber gelegt haben mochte, der Anblick seiner Frau verscheuchte sie im Nu.

»O, sei nicht böse, Frank, dass wir dir heute Morgen davongelaufen sind«, bat diese, auf ihn zueilend und seine Hand ergreifend. »Wir hatten keine Ahnung, dass uns irgendeine Gefahr hier in der Nähe der Zelte drohen könne.«

»Du hast mir große, große Sorge gemacht, Jenny«, rief aber ihr Gatte, ohne auch nur einen Augenblick stehen zu bleiben, indem er mit ihnen den Rückweg antrat. »Ich wusste nicht einmal, wohin ihr euch gewendet haben konntet, und die Fremden um das Lager her zeigen sich mit jedem Augenblick drohender.«

»Die Mexikaner haben eine Flagge aufgehisst«, sagte ängstlich die Frau, »das wird doch nicht ein schlimmes Zeichen sein?« »Ihre Flagge?«, rief Hetson, und wie verwandelt war der Mann in dem einen Augenblick. »Dann komm, mein Herz, komm rascher, wenn du irgend kannst. Ich habe keinen Moment mehr zu verlieren. Aber bist du dessen auch gewiss?« »Von weiter oben konnte man es deutlich erkennen«, bestätigte auch Manuela, »und selbst von hier – wenn Sie hier hertreten, Señor, können Sie das wehende bunte Tuch da draußen erkennen.«

Hetson folgte der Richtung ihres ausgestreckten Armes mit den Augen, ein einziger Blick dorthin genügte aber, die erhaltene Nachricht zu bestätigen.

»Kinder«, sagte er freundlich zu den beiden Frauen, »ihr habt den weiten Weg von den Bergen hier herunter allein gefunden. So werde ich euch auch diese kurze Strecke noch euch selber überlassen müssen. Wir sind ja auch hier dicht an den Zelten und ihr habt nichts mehr zu befürchten.«

»Hetson – ich möchte dir etwas sagen, ehe du uns wieder verlässt«, bat da die Frau.

»Betrifft es das Lager dort oder die Indianer?«, fragte der Mann.

»Nein – uns selber – mich.«

»Dann las es, mein Herz, bis nachher. Haltet euch nur nicht auf und eilt so rasch ihr irgend könnt zu unserem Zelt zurück. Dort sehen wir uns wieder.« Ohne weiter eine Antwort abzuwarten, lief er mit raschen Schritten den Weg zurück, den er gekommen war, um den Sheriff aufzusuchen und die nun nötigen Maßregeln zu ergreifen. Hale, der in aller Hast sein Gewehr instand gesetzt und geladen hatte, kam eben mit ein paar aus den Zelten zusammengetriebenen Amerikanern die Straße herauf und ihm entgegen.

»Nun Alkalde, haben Sie Ihre Frau gefunden?«, rief er dem Mann aber mehr höhnisch als freundlich zu. »Ich hatte mir kaum gedacht, dass Sie sobald zurück sein würden.«

»Ja, Sheriff, ich habe sie allerdings gefunden«, erwiderte Hetson ruhig und trat dabei zu seinem Zelt, vor dem an einer hohen abgeschälten Kiefer die amerikanische Fahne lustig im Wind flatterte. »Die Frauen sind in Sicherheit, und nun wollen wir Männer uns ebenfalls zu sichern suchen.«

Mit diesen Worten löste er das Flaggenfall und war im Begriff, die amerikanische Flagge niederzuziehen, als Hale, die Büchse im Anschlag, mit einem Schrei auf ihn zusprang.

»Seid Ihr des Teufels? Wollt Ihr die Sterne und Streifen vor den mexikanischen Hunden streichen? Verdamm mich, und wenn Ihr selbst Alkalde seid, aber zieht die Flagge noch einen Zoll von ihrem Mast nieder und ich sende Euch eine Kugel durch das verräterische Hirn.«

»Sheriff«, sagte Hetson, indem er mit der Linken das Flaggenfall hielt, während er mit der Rechten einen Revolver aus der Tasche zog. »Für das Wort könnte ich Euch jetzt auf der Stelle, auf der Ihr steht, totschießen wie einen tollen Hund, und ich würde es tun, wenn ich Euch nicht als einen ehrlichen und braven Mann kennen würde. Aber wir haben Streit nach außen zu genug, nicht auch noch im Lager damit zu beginnen. Wisst Ihr ein besseres Mittel, unsere Landsleute herbeizurufen, als durch das Niederholen der Flagge?«

Der Sheriff schwieg und sah ihn noch immer zweifelnd an. Hetson aber schob den Revolver in deine Tasche zurück, und ohne weiter auf den noch immer hinter ihm im Anschlag Stehenden zu achten, zog er das wehende Banner entschlossen nieder.

»Und was wollt Ihr jetzt tun?«, fragte da Hale, durch das plötzlich so entschiedene Wesen des Alkalden, den er bis dahin nur für einen schwankenden, ja zaghaften Mann gehalten hatte, ganz stutzig gemacht.

»Allein können wir nichts tun«, sagte da Hetson, indem er die Flagge im Herunterkommen und ehe sie den Boden berührte, auffing und von dem Fall löste, »aber wenn die gehisste mexikanische und die gesenkte amerikanische Fahne die Burschen nicht hier ins Lager treiben, dann verdienen sie nicht, amerikanische Bürger zu heißen, verdienen nicht, dass die Sterne und Streifen je wieder über ihrem Haupt wehen.«

»Und dann? Wenn sie kommen?«, fragte Hale und schien mit seinem Blick die innersten Gedanken des vor ihm Stehenden lesen zu wollen.

»Ei«, gab da Hetson lachend von sich, »dann holen wir uns einfach die mexikanische Flagge hier herein und ziehen sie verkehrt unter der amerikanischen auf. Ich denke, das wird die Burschen schon zur Vernunft bringen.«

»Und das wollen Sie wirklich tun?«, fragte Hale, noch immer ungläubig.

»Wenn Sie mir dabei helfen, Hale, gewiss! Aber da kommt meine Frau. Sie braucht gerade nicht zu wissen, was wir vorhaben, denn sie würde sich nur unnötigerweise ängstigen … und dort sehe ich auch schon einige von unseren Burschen über die Flat springen. Das Mittel hat geholfen, Sheriff. Ist kein Fahnenstock da?«