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Die Gespenster – Zweiter Teil – Dreizehnte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Dreizehnte Erzählung

In B… erscheint eine längst beerdigte Gattin als vermummtes Knochengerippe dem durch ihren Tod tief gebeugten Gatten.

Graf von S…, Kammerherr am herzoglichen B…schen Hof, verlor durch eine hitzige Krankheit seine schöne junge Gemahlin, mit welcher er kaum ein Jahr in der Ehe gelebt und die er stets auf das Zärtlichste geliebt hatte. Ihr Verlust schlug ihn beinahe ganz zu Boden. Er war indessen noch jung, war reich, geachtet von seinesgleichen und ein offenbarer Günstling seines Fürsten. Er durfte nur winken, und alle Töchter des Hofes boten ihm ihre Hand. Aber dies alles tröstete ihn nicht. Sein gefühlvolles Herz empfand dauernd und konnte den Verlust der zärtlich geliebten Gattin so bald nicht vergessen. Er floh, halb menschenscheu, alle größeren Zirkel. Oft ließ er den Fürsten allein auf die Jagd und ins Schauspiel gehen und saß indessen mit seinem Gram und einem wohl getroffenen Bild seiner Gemahlin im einsamen verschlossenen Kabinett.

So vergingen einige Monate, und nun begann die zerstreuen Karnevalszeit. Allein für ihn war diese so unlustig wie die vorhergehende. Er schien jeder Freude auf immer das Lebewohl gesagt zu haben.

Endlich war der Fürst dieses langen Trauerns überdrüssig und beschloss an seine Kur selbst mit Hand anzulegen.

»Es ist recht gut und löblich, Herr Graf!«, sprach er einst, als der Trauernde wieder zwei oder drei Tage lang nicht am Hof erschienen war, »dass Sie Ihre Frau so innig liebten. Aber Sie sollten doch, da sie nun einmal tot ist und tot bleibt, sich nicht ganz mit allen Lebenden überwerfen. Auch ich, denke ich, habe einigen Anspruch auf ihre Liebe, und doch vergehen ganze Wochen, wo ich mit keinem Auge Sie sehe.«

»Der schmeichelhafteste Beweis, Ew. Durchlaucht!, der mir jemals gegeben wurde. Verzeihen Sie indessen, wenn eine kleine Unpässlichkeit …«

»Die Sie wahrscheinlich durch Einsamkeit und fortgesetztes Trauern sich selbst zuzogen! Lassen Sie einmal hören, Graf: Auf wie viel Bällen waren Sie dies Karneval durch?«

»Die Wahrheit zu gestehen, auf keinen!«

»Dachte ich es doch! Aber auf einem sollen Sie wenigstens nicht ausbleiben dürfen. Ich gebe übermorgen eine Redoute. Auf dieser hoffe ich, werden Sie erscheinen.«

»Wenn Ew. Durchlaucht befehlen!«

»Vortrefflich! Sie hätten Lust, auch dazu entwischen? Sie wissen, dass ich das Wort Befehl in Ihrem Mund am wenigsten Liebe. Doch List wider List! Ja, ich verlange dieses Mal eine freundschaftliche Nachgiebigkeit von Ihnen.«

Der Kammerherr verbeugte sich und versprach zu gehorchen. Zur Redoute traf man sofort alle erforderlichen Anstalten. Halb B… freute und rüstete sich zu derselben. Sie wurde wirklich mit vielem Glanz und Anstand eröffnet. Eine große Anzahl von Menschen erschien auf dem weiten, schön erleuchteten Schloss. Der Fürst, mit seinem ganzen Hofstaat, stellte nicht minder sich ein. Graf S…, fast immer in der Nähe des Herzogs und sehr oft im Gespräch mit ihm, zwang sich, wenigstens etwas heiterer zu scheinen. Es mochten zwei Stunden verflossen sein, als er, ebenfalls an der Seite seines Gebieters, vom Herumgehen und vielleicht auch von verhehlter Langeweile etwas müde, sich, um auszuruhen, ein wenig an das Gesims eines Kamins lehnte, der sich mitten im Saal befand und wo man mit einem Blick das ganze Gewühl des Festes übersah. Nicht lange befand er sich hier, als eine weibliche, zwei bis dreimal dicht bei ihm vorbeistreifende Maske seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war ein schwarzer Domino mit einer weißen, das ganze Gesicht genau bedeckenden Larve. Sie ging immer ganz allein, hatte eigentlich in ihrer Tracht, so nett und neu solche zu sein schien, nichts Auszeichnendes. Aber in ihrem schlanken Wuchs, in ihrem gleichsam dahinschwebenden Gang, in der ganzen Art, wie sie ihren Körper hielt und trug, glaubte der Graf eine große Übereinstimmung mit dem Wuchs und Gang seiner verstorbenen Gemahlin zu finden. Als sie endlich an einem Pfeiler, ihm schräg gegenüber, sich anlehnte und, gleichsam unbekümmert, nun all das Getümmel und Gesause rundherum, ihr Gesicht nur immer nach ihm hinwandte, da stieg endlich eine gewisse Art von Unruhe und unwillkürliche Neugier in ihm empor, und der Fürst, der eine Veränderung in seiner Miene bemerkte, fragte zuletzt, ob ihm etwas fehle.

»O nichts, Ew. Durchlaucht, nichts! Ich sah da nur eine Maske, die mich interessiert, die ich wohl kennen möchte.«

»So würde ich sie anreden! Mit ohne Zwang, Graf! Gehen und kommen Sie wieder, wenn sie wollen. Es freut mich schon, wenn Sie nur an irgendetwas Anteil nehmen.«

Der Kammerherr folgte dieser Ermahnung. Doch jene Maske, so ganz unmöglich es war, dass sie diese leise reden gehört haben konnte, schien den Plan des Grafen erraten zu haben und verhindern zu wollen. Kaum machte er Miene, hinzugehen, so verließ sie ihren Posten und flüchtete sich ins tiefste Gewühl. Je mehr sie sich entfernte, umso sorgfältiger suchte Graf S… sie auf. Alles machte dem Günstling des Fürsten Platz. Endlich konnte sie nicht länger ihm ausweichen. Er redete sie mit einer von jenen gewöhnlichen Redoutenfragen an, die nichts anderem anderes betreut bedeuten wie: Ich wünschte wohl, Sie sprechen zu hören. Sie antwortete ihm nur etwas weniges, etwas ebenso Gleichgültiges, wie er gefragt hatte. Doch selbst diese wenigen Worte erschütterten ihn stark, den auch in der Stimme glaubte er die höchste Übereinstimmung mit jener ihm lebenslang Unvergesslichen zu finden. Er bezwang sein Erstaunen und sprach weiter. Sie gab ihm auf alles Bescheid, aber stets in einem gewissen traurigen, seiner Fantasie nur allzu sehr entsprechenden Ton. Er bot ihr endlich den Arm zu einem Spaziergang im Saal an. Sie war damit zufrieden. Ein gleichsam geheimer Schauer wandelte ihn an, als sie nur ganz leise ihn berührte.

Er trotzte auch diesen und fragte: »Aber warum, Maske, berühren Sie mich so schüchtern? Sehen Sie es vielleicht ungern, wenn ich Sie führe?«

»Gern, sehr gerne! Im ganzen Saal, Graf, sind Sie der Einzige, zu dem ich dies sagen kann.«

»Gingen Sie schon jemals, schon irgendwo mit mir?«

»Oft! Hier und anderswo, mit und ohne Maske!«

»Sie kennen mich also genau?«

»Genau? Ich schmeichelte mir eins damit, jetzt hoffe ich es noch mehr als einst.«

»Und ich auch Sie?«

»Jawohl, jawohl!«

»Sonderbar! Und Ihren Namen, darf ich Ihnen wissen?«

»Sie dürfen wohl, doch nützen kann er Ihnen jetzt nichts; eher schaden!«

»Schaden? Ihr Name mir schaden? Unbegreiflich! Unmöglich!«

»Aber doch wahr! Sie sind hier, um sich zu zerstreuen. Ein einziges Wort von mir dürfte Ihre Gedanken gewaltig sammeln.«

So ungefähr fing ein Gespräch sich an, dass mit jeder Sekunde für den armen Grafen wichtiger und dunkler zugleich wurde, dass mit Bangigkeit ihn erfüllte und wovon er doch nicht vermochte, sich loszureißen. Er lenkte das Gespräch auf verschiedene längst verflossene Gegebenheiten seines Lebens. Die Maske kannte sie alle. Selbst manchen kleinen, ihm schon entfallenen Zug rief sie in sein Gedächtnis zurück. Da war kein Wort, das ihn aufzog oder neckte, und doch auch keins, das mich traf. Er kam mit heimlichem Zittern auf das Glück seiner Ehe. Die Maske schwieg oder sprach einsilbiger. Dumpf, unterdrückter schien ihre Stimme zu werden.

Als der Graf in sie dran, ihm zu sagen, was sie auch davon wisse, brach sie in die Worte aus: »Sie fühlen allerdings, was Sie verloren haben; doch da man hier Sie findet, scheinen Sie bereits nach Trost und Vergessenheit sich umzusehen.«

Es war ihm, als ob sie bei dieser Rede sich losreißen wollte. Doch er hielt und beschwor sie noch stärker, ihm zu sagen, wer sie sei und woher sie komme.

Eine Bewegung mit der rechten Hand nach oben zu antwortete auf diese Frage und schien zu sagen: Von dort her!

Nun konnte der Graf den Ausbruch seiner Empfindungen nicht mehr zurückhalten. Indem er, um nicht aller Augen zum Schauspiel sich darzustellen, sie bewog, in einem Winkel des Saals sich mit ihm niederzusetzen. Indem er aufbot, was er nur an Beredsamkeit und Versprechungen aufzubieten vermochte, drang er unablässig in sie, entweder ihren Namen ihm zu sagen, oder – was er noch sehnlicher wünschte, er – sich zu erkennen zu geben. Lange widerstand sie noch jetzt oder schwieg vielmehr.

Endlich, als er sie, wenn sie jemals geliebt habe, beim Gegenstand ihre Liebe beschwor, seine Bitte nicht länger zu verweigern, sprach sich gleichsam halb unwillig: »Wohlan, ich will mich zu erkennen geben, aber nicht hier. Wissen Sie ein einsames Nebenzimmer und bestehen Sie durchaus auf ihren Eigensinn, so führen Sie mich hin!«

Er stand auf.

»Aber ich fürchte, Graf, oder vielmehr, ich weiß gewiss, es wird Sie gereuen!«

Er beharrte darauf. Sie gingen. Dem Günstling des Fürsten war bald ein Nebenzimmer geöffnet. Als sie hineintragen, untersuchten die forschenden Blicke der Maske überall, ob sie auch ganz gewiss allein wären. Überzeugt davon fragte sie ihren Begleiter noch einmal, ob er noch wünsche, ihr wahres Gesicht zu erblicken.

»Ja, ja! Ich beschwöre Sie darum!«

Sie nahm die Larve weg, und der Graf S… sank, wie vom Blitz getroffen, zu Boden; denn er sah … einen Totenkopf.

Wie lange der Graf in dieser Ohnmacht gelegen haben mag, lässt sich nicht genau bestimmen. Dass er endlich wieder zu sich selbst kam, hatte er einzig der vorzüglichen Sorgfalt des Fürsten zu danken. Immer hatte dieser ein aufmerksames Auge auf seinen Liebling gerichtet. Sein langer Spaziergang mit einer Maske, die niemand kannte, die Wärme ihres Gesprächs oder vielmehr diejenige Wärme, mit welcher der Graf das Wort zu führen schien, befremdete den Herzog ein wenig. Noch mehr verwunderte er sich, als er beide mit starken Schritten aus dem Saal sich entfernen sah. Gern hätte er sich von diesem Weggehen einen Grund gedacht, der auf Redouten, nach gewissen warm gewordenen Gesprächen, nicht selten sich finden soll. Sicher hätte er sich dann über die Heilung jenes trostlosen Jammers gefreut. Doch allzu rasch ihm diese Genesung, allzu ernst die Miene des bisherigen Gesprächs, und allzu unvorsichtig die Entfernung selbst zu sein.

Dass der Graf ganz weggehen sollte, ohne sich zu beurlauben, war noch unwahrscheinlicher. Als daher nach einer geraumen Frist der Günstling immer noch nicht wiederkam, wurde der Fürst unruhig und erkundigte sich im Ernst nach ihm. Man zeigte ihm das Zimmer, wo sich der Graf und jener Domino eingeschlossen haben sollten. Der Herzog selbst klingelte an der Tür. Sie sprang auf, und er erblickte den Grafen mitten im Zimmer wie entseelt hingestreckt. Bedienstete und Wundärzte eilten nun auf den ersten Wink herbei. Nur mit vieler und anhaltender Mühe brachten sie ihn ins Leben zurück. Als er sich wieder einigermaßen erholt zu haben schien, ließ der Fürst alle abtreten und befragte seinen Günstling um die Ursache dieses Vorfalls. Der Graf machte seinem Gebieter kein Geheimnis daraus. Der Fürst staunte und hätte gern geglaubt, Worte der Fieberhitze zu hören. Aber Puls und Zeugnis der Wundärzte widerlegten einen solchen Verdacht. Auch hatte ja der Fürst, wenigstens einen kleinen Teil, mit eigenen Augen gesehen.

Man forschte sofort auf das Genaueste nach jener Maske. Niemand hatte sie weggehen sehen, und doch war sie auch nirgends! Alle Lohnkutscher, die vor dem Schloss hielten, alle herrschaftlichen Bediensteten wurden gefragt. Niemand hatte sie gesehen, nie niemand hatte sie gefahren, niemand sie bedient. Endlich meldeten sich zwei Sänftenträger. Sie hätten, sagten sie, vor einer kleinen Stunde allerdings einen weiblichen Domino, der wie von einer Hintertür hergekommen sei, weggetragen.

Aber wohin? Wohin?

Zum Kirchhof! Dort habe er sie zu halten befohlen, habe beim Aussteigen dem hinteren Träger einen alten ganz verschimmelten Dukaten in die Hand gedrückt, sei an die Tür des Gottesackers gegangen, habe solche mit einer einzigen Berührung geöffnet und schnell wieder hinter sich zugeworfen. Wo er dann hingekommen sei, wussten sie nicht. Soviel sie vor Furcht und Verwunderung hätten bemerken können, sei er in der Gruft rechter Hand verschwunden.

Hier lag die Erdgruft des Grafen!

Durchaus vergeblich war nun alles fernere Spüren, fruchtlos waren die wiederholtesten Nachforschungen. Man sah und hörte von dieser Maske nichts, gar nichts weiter.

Dass diese Begebenheit, als sie bekannt wurde, große Wirkung hervorbrachte, lässt sich leicht begreifen. Und dass man sehr verschieden darüber urteilte, liegt in der Natur der Sache selbst. Der größere Haufen sah hier eine unleugbare Geistererscheinung. Ein nicht unbeträchtlicher Teil entschied, mit sehr weiser Miene – gar nichts. Nur wenige glaubten, auch hier liege eine menschliche Hinterlist zugrunde, spottet darüber, dass ein Geist zu seinem Wegkommen der Sänftenträger bedürfe, und bemerkte: Selbst dann, wenn Geister der Verstorbenen den Lebenden sich zeigen dürften, sei wenigstens diese Erscheinung äußerst tadelnswert; denn als Strafbesuch sei sie sehr ungerecht, als freundschaftlicher sehr zweckwidrig gewesen.

Leider gehörte der Graf selbst nicht zur letzteren Klasse von Beurteilern. Er war fest überzeugt, dass wirklich seine verstorbene Gattin ihm erschienen sei, um ihn zu ermahnen, ihrer nie zu vergessen. Noch mehr als bisher entzog er sich aller zerstreuenden Gesellschaft, noch mehr hing er seinem Gram und seinem Hang zur Einsamkeit nach. Keine Vorstellung, kein Gegenbeweis fruchtete. Seine schon geschwächte Gesundheit litt durch jenen Schreck und diese Lebensart bald noch mehr. Er begann zu kränkeln. Ehe ein Jahr verging, war die Abzehrung entschieden. Gegen das Ende des zweiten starb er. Jetzt sprach man abermals von der Erscheinung; dann vergaß man sie wieder – wenigstens für lange!

Ungefähr 25 Jahre danach wurde ein schon alterndes Hoffräulein, Baroness U… zu ihren Vätern gerufen; und bald nach ihrem Begräbnis flüsterte man sich in einigen Zirkeln ein Geschichtchen zu, wozu sie selbst, durch ein Geständnis auf ihrem Sterbebett, die Veranlassung gegeben haben sollte.

Graf S… hieß es, sei in ihrer Jugend ihre erste und gewissermaßen einzige Liebe gewesen. Von ihr selbst aufgemuntert, habe er eine Zeit lang ihren Anbeter gemacht und ihre Gunst im vollsten Maße besessen. Sehr ernstlich sei es dabei auf ihrer, wahrscheinlich nicht so auf seiner Seite, gemeint gewesen; denn nach einigen Monaten habe er sich in bester Ordnung zurückgezogen, um bald darauf öffentlich um die Hand seiner nach nachherigen Gemahlin geworben. Die Baroness, durch diesen Wankelmut und unaussprechlich gekränkt, habe zwar noch einige Versuche gemacht, den Geliebten zurückzurufen. Als sie aber alle fruchtlos geblieben waren, habe sie heimlich für sich selbst den Schwur der bittersten Rache geschworen, und um desto sicherer zum Ziel zu gelangen, in ihrem Äußeren eine so heitere Gleichgültigkeit angenommen, dass alle ihre Bekannten und auch der Graf selbst dadurch sich täuschen ließen. Ein neuer Liebhaber, bloß deshalb von ihr mit vieler Offenheit angenommen und begünstigt, habe diesen Glauben wohl gefestigt. Endlich sei es ihr selbst gelungen, sich das Zutrauen und die Freundschaft der neuvermählten Gräfin S… zu erwerben. So sei sie stets auch mit seinen geheimsten Umständen in Verbindung geblieben; habe immer nach einer Gelegenheit zur Rache sich umgesehen und doch nie eine gefunden, die ihr genügen könnte.

Der Tod der jungen Gräfin, der ihr äußerst gelegen gekommen war, habe sie einige Tage mit neuer Hoffnung erfüllt, doch seine Betrübnis hätte sie kaum eines Blickes gewürdigt. Und eben diese Betrübnis in Verbindung mit jener Redoute hätten sie nun auf den Einfall, ihn noch tiefer zu kränken, gebracht.

Ihre Taille, nur um ein weniges stärker als der Verstorbenen, wuchs, sei durch eine Schnürbrust verändert, alles Übrige jenem Urbild nachgekünstelt worden. Seine Einbildung und die Maske selbst hätten manches Abhängige vollendet. Da sie zeitlich in ganz anderer Kleidung auf den Ball erschienen sei, absichtlich mit mehreren Personen gesprochen hatte, absichtlich dicht beim Fürsten ein paar Mal die Larve abgenommen hätte, so sei der Graf, als sie in ihrer zweiten Verkleidung erschien, mit keinem Gedanken auf sie gefallen. Der Totenkopf sei eine Larve unter der Larve gewesen. Dass der Schreck den Grafen verhindern werde, solchen genauer zu betrachten, habe sie im Voraus gehofft. Selbst auf den schlimmsten Fall sei jede ihrer Reden einer zweifachen Deutung fähig gewesen. Jenes Zimmer, eine Tapetentür und eine Hintertreppe habe sie längst bekannt. Eine Kammerfrau, ihre einzige Vertraute, ihre Erzieherin von der Wiege an, beleidigt durch den Graf, der ihren Sohn bei einem Hofdienst anstellen sollen und abgewiesen habe, sei ihr bei allen mit Rat und Tat an die Hand gegangen. Eben diese habe immittelst auch die Tür des Kirchhofs, wohin sie sich tragen lassen hatte, mit einem Dietrich geöffnet, habe dort ihrer trotz der Nacht und des schauderhaften Ortes mit der ersten Kleidung gewartet, um durch einen anderen Ausweg sich geflüchtet.

Schon wäre sie wieder auf den Ball zurückgekehrt gewesen, als man den halb toten Grafen gefunden habe. Von nun an in Verdacht zu kommen, sei unmöglich gewesen. Gelungen wäre ihr diese Rache fast in noch höherem Grad, wie sie selbst es gehofft und gewünscht habe. Lange wurde bereits jene Kammerfrau, die einzige Genossin ihres Geheimnisses. Doch auch sie selbst könne jetzt unmöglich in das ernste Tor der Ewigkeit schreiten, ohne sich ihr Herz wenigstens einigermaßen durch ein aufrichtiges Geständnis erleichtert zu haben.

So erzählte man sich diese Begebenheit. Es ist nicht unmöglich, dass auch in ihr das flüsternde und nicht ganz mit gehörigen Belegen versehene Gerücht manchen kleinen Umstand verändert habe. Doch erklärt sich so alles, was auf den ersten Anblick fast unerklärlich schien, und wenngleich die Rache der Baroness U… viel zu weit und auf einem äußerst mühsamen Plan sich erstreckte, so weiß doch auch jeder Menschenkenner, dass verschmähter weiblicher Liebe keine Gefahr zu groß und keine Genugtuung allzu unbarmherzig dünkt.