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Die drei Musketiere 01

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
1. bis 3. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

Vorwort, in welchem nachgewiesen ist, dass die Helden der Geschichte, die wir unseren Lesern zu erzählen die Ehre haben, obwohl ihre Namen sich in Os und Is enden, nichts Mythologisches haben.

Als ich vor etwa einem Jahr in der königlichen Bibliothek Nachforschungen für meine Geschichte Ludwig XIV. anstellte, fielen mir zufällig die Memoiren von Monsieurn d’Artagnan in die Hände – gedruckt, wie die Mehrzahl der Werke dieser Zeit, wo die Schriftsteller darauf hielten, die Wahrheit zu sagen, ohne einen mehr oder minder langen Gang zu der Bastille zu machen – in Amsterdam bei Pierre Rouge. Der Titel verführte mich. Ich trug das Buch nach Hause, wohlverstanden mit Erlaubnis des Monsieurn Konservators, und verschlang es.

Es liegt nicht in meiner Absicht, hier eine Analyse des interessanten Werkes zu geben und ich begnüge mich, diejenige von meinen Lesern, welche Zeitgemälde hoch achten, darauf zu verweisen. Sie finden darin mit Meisterhand gezeichnete Porträts, und obgleich die Skizzen meistenteils an Kasernentüren und Wirtshauswände gemalt sind, so werden sie darum die Bilder von Ludwig XIII., von Anna von Österreich, von Richelieu, von Mazarin und den meisten Hofleuten der Zeit nicht minder ähnlich finden, wie in der Geschichte von Monsieurn Anguetil.

Aber was den launenhaften, seltsamen Geist des Dichters berührt, bringt bekanntlich nicht immer einen lebhaften Eindruck auf die Masse des Volkes hervor. Während wir die bezeichneten Einzelheiten bewundern, wie sie die anderen ohne Zweifel bewundern werden, ist die Sache, welche uns am meisten in Anspruch nimmt, eine Sache, der vor uns sicherlich niemand die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hat.

D’Artagnan erzählt, bei seinem ersten Besuch bei Monsieurn de Tréville, dem Kapitän der Musketiere des Königs, habe er im Vorzimmer drei junge Leute getroffen, welche in dem berühmten Korps dienten, in das er aufgenommen zu werden wünschte, und Athos, Porthos und Aramis hießen. Wir gestehen, diese drei seltsamen Namen fielen uns sehr auf, und es entstand sogleich in uns der Gedanke, es wären Pseudonyme, mit deren Hilfe d’Artagnan vielleicht berühmtere, erhabenere Namen verkleidet hätte, wenn nicht diese entlehnten Namen von ihnen selbst an dem Tag gewählt worden wären, wo sie aus Laune, aus Unzufriedenheit oder aus Mangel an Vermögen die einfache Kasake der Musketiere anzogen.

Von dieser Stunde an fanden wir keine Ruhe mehr, bis wir in den gleichzeitigen Werken irgendeine Spur von diesen außerordentlichen Namen entdeckten, die unsere Neugierde so sehr rege gemacht hatten.

Der Katalog der Bücher, welche wir lasen, um zu diesem Ziel zu gelangen, würde allein einen ganzen Band füllen, was vielleicht sehr lehrreich, aber sicherlich sehr wenig unterhaltend für unsere Leser wäre. Wir begnügen uns, ihnen mitzuteilen, dass wir in dem Augenblick, wo wir, entmutigt durch so viele fruchtlose Nachforschungen, das Suchen aufzugeben im Begriff waren, endlich geführt durch die Nachschläge unseres gelehrten und berühmten Freundes Paulin Paris ein Manuskript in Folio fanden, das unter der Nummer 4772 oder 4773, wir erinnern uns nicht mehr genau, im Register eingetragen war, und den Titel hatte: Mémoire de M. 1e Comte de la Fère, concérnant quelques – uns des événements qui se passèret en France vers la fiu du règne du roi Louis XIII et le commencement du règne de Louis XIV.

Man kann sich leicht denken, wie groß unsere Freude war, als wir dieses Manuskript, unsere letzte Hoffnung, durchblätterten und auf der 20. Seite den Namen Athos, auf der 27. den Namen Porthos und auf der 31. den Namen Aramis fanden.

Die Entdeckung eines völlig unbekannten Manuskriptes in einer Zeit, wo man die Wissenschaft der Geschichte auf einen so hohen Grad gebracht hat, erschien uns als ein beinahe wunderbarer Fund. Wir beeilten uns auch, um die Erlaubnis nachzusuchen, dasselbe drucken zu lassen, in der Absicht, eines Tages vor der Académie des inscription et belles – lettres mit dem Gepäck von anderen zu erscheinen, wenn es uns, was sehr wahrscheinlich ist, nicht gelingen würde, zu der Académie francaise mit unserem eigenen Gepäck zu kommen. Diese Erlaubnis – wir müssen es sagen – wurde uns äußerst huldvoll erteilt, was wir hier anführen, um die Böswilligen, welche behaupten, wir leben unter einer in Beziehung auf Schriftsteller wenig bereitwilligen Regierung, öffentlich Lügen zu strafen.

Wir übergeben nun unseren Lesern den ersten Band dieses kostbaren Manuskriptes unter dem ihm gebührenden Titel und machen uns anheischig, wenn dieser Band, wie wir nicht zweifeln, von dem verdienten Erfolg gekrönt wird, ungesäumt den zweiten erscheinen zu lassen.

Da der Pate ein zweiter Vater ist, so laden wir unsere Leser einstweilen ein, sich an uns und nicht an den Grafen de La Fère in Beziehung auf Vergnügen oder Unlust zu halten.

Hiernach gehen wir zu unserer Geschichte über.

I.

Die drei Geschenke von Monsieur d’Artagnan sr.

Am ersten Montag des Monats April 1625 schien der Marktflecken Meung, wo der Verfasser des Roman de la Rose geboren wurde, in einem so vollständigen Aufruhr begriffen zu sein, als ob die Hugenotten gekommen wären, um ein zweites Rochelle daraus zu machen. Mehrere Bürger beeilten sich, als sie die Frauen die Straßen entlang fliehen sahen und die Kinder auf den Türschwellen schreien hörten, den Kürass umzuschnallen und, ihre etwas unsichere Haltung durch eine Muskete oder eine Partisane unterstützend, sich nach der Herberge Franc Meunier zu wenden, vor der sich von Minute zu Minute anwachsend eine lärmende, neugierige, dichte Gruppe drängte.

Zu dieser Zeit waren die panischen Schrecken gar häufig, und wenige Tage vergingen, ohne dass eine oder andere Stadt irgendein Ereignis dieser Art in ihre Archive einzutragen hatte. Da gab es adelige Messieurs, welche unter sich Krieg führten; da war der König, der den Kardinal bekriegte; da war der Spanier, der den König bekriegte. Außer diesen stillen oder öffentlichen, geheimen oder geräuschvollen Kriegen gab es Diebe, Bettler, Hugenotten, Wölfe und Lakaien, welche mit aller Welt Krieg führten. Die Bürger bewaffneten sich immer gegen die Diebe, gegen die Wölfe, gegen die Lakaien; häufig gegen die adeligen Messieurs und die Hugenotten; zuweilen gegen den König; aber nie gegen den Kardinal und den Spanier. Infolge dieser Gewohnheit geschah es, dass die Bürger an genanntem erstem Montag des Monats April 1625, als sie das Geräusch hörten und weder die gelb und roten Standarten noch die Livree des Duc de Richelieu sahen, zur Herberge Franc Meunier liefen.

Hier angelangt, vermochte jeder die Ursache dieses Lärms zu erschauen und zu erkennen.

Ein junger Mensch … entwerfen wir sein Porträt mit einem Federzug: Man denke sich Don Quixote im achtzehnten Jahre; Don Quixote ohne Bruststück, ohne Panzerhemd und ohne Beinschienen; Don Quixote in einem Wams, dessen blaue Farbe sich in eine unbestimmbare Nuance von Weinhefe und Himmelblau verwandelt hatte. Langes, braunes Gesicht, hervorspringende Backenknochen, Zeichen der Schlauheit, außerordentlich stark entwickelte Kiefermuskeln, ein untrügliches Zeichen, an dem der Gascogner selbst ohne Barett zu erkennen ist. Unser junger Mann trug ein mit einer Art von Feder verziertes Barett; das Auge offen und gescheit; die Nase gebogen, aber fein gezeichnet; zu groß für einen Jüngling, zu klein für einen gemachten Mann, und ein ungeübtes Auge würde ihn für einen reisenden Pächterssohn gehalten haben, hätte er nicht den langen Degen getragen, der an einem ledernen Wehrgehänge befestigt an die Waden seines Eigentümers schlug, wenn er zu Fuß war, und an das raue Fell seines Pferdes, wenn er ritt.

Denn unser junger Mann hatte ein Pferd, und dieses Ross war ebenso merkwürdig, wie es auch wirklich in die Augen fiel. Es war ein Klepper aus dem Béarn, zwölf bis vierzehn Jahre alt, von gelber Farbe, ohne Haare am Schweif, aber nicht ohne Fesselgeschwüre an den Beinen, ein Tier, das, während es den Kopf im Gehen tiefer hielt, als die Knie, was die Anwendung des Sprungriemens überflüssig machte, mutig noch seine acht Meilen am Tage zurücklegte. Unglücklicherweise waren die geheimen Vorzüge dieses Pferdes so gut unter seiner seltsamen Haut und unter seinem fehlerhaften Gang versteckt, dass in einer Zeit, wo sich jedermann auf Pferde verstand, die Erscheinung der genannten Mähre in Meung, woselbst sie vor ungefähr einer Viertelstunde durch das Beaugencytor eingetroffen war, eine allgemeine Sensation hervorbrachte, deren Ungunst bis auf den Reiter zurücksprang.

Und diese Sensation war für den jungen d’Artagnan (so hieß der Don Quixote dieser zweiten Rosinante), um so peinlicher, als er sich die lächerliche Seite nicht verbergen konnte, die ihm, ein so guter Reiter er auch war, ein solches Pferd gab. Es war ihm nicht unbekannt, dass dieses Tier einen Wert von höchstens zwanzig Livres hatte; die Worte, von denen das Geschenk begleitet wurde, waren allerdings unschätzbar.

»Mein Sohn«, sagte der gascognische Edelmann im reinen Patois des Béarn, von dem sich Heinrich IV. nie hatte losmachen können, »mein Sohn, dieses Pferd ist in dem Haus deines Vaters vor bald dreizehn Jahren geboren und seit dieser Zeit hier geblieben, was dich bewegen muss, dasselbe zu lieben. Verkaufe es nie, lass es ruhig und ehrenvoll an Altersschwäche sterben, und wenn du einen Feldzug mit ihm machst, so schone es, wie du einen alten Diener schonen würdest. Am Hofe«, fuhr d’Artagnan Vater fort, »wenn du die Ehre hast, dahin zu kommen, eine Ehre, auf die wir übrigens vermöge unseres alten Adels Anspruch machen dürfen, halte würdig deinen Namen als Edelmann aufrecht, der von unsern Ahnen seit fünfhundert Jahren auf eine ruhmvolle Weise geführt worden ist, halte ihn aufrecht für dich und für die deinen. Unter den deinen verstehe ich deine Verwandten und deine Freunde. Dulde nie etwas, außer vom Monsieurn Kardinal und vom König. Durch seinen Mut, höre wohl, nur durch seinen Mut, macht ein Edelmann heutzutage sein Glück. Wer eine Sekunde zittert, lässt sich vielleicht den Köder entgehen, welchen ihm das Glück gerade während dieser Sekunde darreichte. Du bist jung. Du musst aus zwei Gründen tapfer werden; einmal weil du ein Gascogner und dann, weil du mein Sohn bist. Fürchte die Gelegenheit nicht und suche die Abenteuer. Ich habe dich den Degen handhaben gelehrt. Du besitzest einen eisernen Kniebug, eine stählerne Handwurzel. Schlage dich bei jeder Veranlassung, schlage dich um so mehr, als Zweikämpfe verboten sind, und weil es deshalb eines doppelten Mutes bedarf, sich zu schlagen. Mein Sohn, ich habe dir nur fünfzehn Taler, mein Pferd und die Ratschläge zu geben, die du soeben vernommen hast. Deine Mutter wird das Rezept zu einem gewissen Balsam beifügen, das sie von einer Zigeunerin erhalten hat, und das die wunderbare Kraft besitzt, jede Wunde zu heilen, die nicht gerade das Herz berührt. Ziehe aus allem Nutzen, lebe glücklich und lange. Ich habe nur ein Wort beizufügen. Ich will dir ein Beispiel nennen, nicht das meine, denn ich bin nie bei Hof erschienen und habe nur die Religionskriege als Freiwilliger mitgemacht. Ich spreche von Monsieurn de Tréville, der einst mein Nachbar war und die Ehre hatte, als Kind mit unserem König Ludwig XIII., den Gott erhalten möge, zu spielen. Zuweilen arteten ihre Spiele in Schlachten aus, und bei diesen Schlachten war der König nicht immer der Stärkere. Die Schläge, welche er erhielt, flößten ihm große Achtung und Freundschaft für Monsieur de Tréville ein. Später schlug sich Monsieur de Tréville fünfmal während seiner ersten Reise nach Paris mit anderen, vom Tode des seligen Königs an bis zur Volljährigkeit des jungen, ohne die Kriege und Belagerungen zu rechnen, siebenmal, und von dieser Volljährigkeit an bis auf den heutigen Tag hundertmal! Nun ist er, allen Edikten, Ordonnanzen und Urteilssprüchen zum Trotz, Kapitän der Musketiere, d. h. Anführer einer Legion von Cäsaren, welche der König sehr hoch achtet und der Kardinal fürchtet, der sich sonst bekanntlich vor nichts zu fürchten pflegt. Noch mehr, Monsieur de Tréville nimmt jährlich 10.000 Taler ein. Er ist also ein sehr vornehmer Monsieur. Er hat angefangen wie du, besuche ihn mit diesem Brief und richte dein Benehmen nach seinen Vorschriften ein, damit es dir ergehe wie ihm.«

Darauf gürtete Monsieur d’Artagnan sr. dem Jüngling seinen eigenen Degen um, küsste ihn zärtlich auf beide Wangen und gab ihm seinen Segen.

Das väterliche Zimmer verlassend, fand der junge Mann seine Mutter, welche ihn mit dem berühmten Rezept erwartete, zu dessen häufiger Anwendung die soeben erhaltenen Ratschläge ihn nötigen sollten. Der Abschied war von dieser Seite länger und zärtlicher als von der anderen. Nicht als ob Monsieur d’Artagnan seinen Sohn, der sein einziger Sprössling war, nicht geliebt hätte, aber Monsieur d’Artagnan war ein Mann, und er hätte es als eines Mannes unwürdig erachtet, sich seiner Rührung hinzugeben, während Madam d’Artagnan Weib und überdies Mutter war. Sie weinte schrecklich, und wir müssen es Monsieur d’Artagnan zum Lob nachsagen, dass er sich trotz seiner Anstrengungen, ruhig zu bleiben, wie es die Pflicht eines zukünftigen Musketiers war, von der Natur hinreißen ließ und eine Menge Tränen vergoss, von denen er nur mit großer Mühe die Hälfte verbergen konnte.

Am selben Tag begab sich der junge Mann auf den Weg, ausgerüstet mit den drei väterlichen Geschenken, welche, wie gesagt, aus fünfzehn Talern, dem Pferd und dem Brief an Monsieur de Tréville bestanden. Die Ratschläge waren, wie man sich wohl denken kann, in den Kauf gegeben worden. Mit einem solchen Vademekum erschien d’Artagnan sowohl in moralischer als auch in physischer Beziehung als eine getreue Kopie des Helden von Cervantes, mit dem wir ihn so glücklich verglichen haben, als wir uns durch unsere Geschichtschreiberpflichten veranlasst sahen, sein Bild zu entwerfen. Don Quixote hielt die Windmühlen für Riesen und die Schafe für Armeen, d’Artagnan nahm jedes Lächeln für eine Beleidigung und jeden Blick für eine Herausforderung. Demzufolge hielt er seine Faust von Tarbes bis Meung geschlossen und fuhr wenigstens zehnmal des Tags an seinen Degenknopf. Die Faust traf indessen keinen Kinnbacken und der Degen kam nicht aus der Scheide. Nicht als ob der Anblick der unglückseligen gelben Mähre nicht oftmals ein Lächeln auf den Gesichtern der Vorübergehenden hervorgerufen hätte, aber da über dem Klepper ein Degen von achtungswerter Größe klirrte und über diesem Degen ein mehr wildes als stolzes Auge glänzte, so unterdrückten die Vorübergehenden ihre Heiterkeit, oder wenn diese Heiterkeit mächtiger wurde als die Klugheit, so versuchten sie wenigstens, wie die antiken Masken, nur auf einer Seite zu lachen. D’Artagnan blieb also majestätisch und unverletzt in seiner Empfindlichkeit bis zum unseligen Städtchen Meung.

Hier aber, als er an der Tür des Franc Meunier vom Pferd stieg, ohne dass irgendjemand, Wirt, Kellner oder Hausknecht erschien, um ihm den Steigbügel am Auftritt zu halten, erblickte d’Artagnan an einem halb geöffneten Fenster des Erdgeschosses einen Edelmann von schöner Gestalt und vornehmem Aussehen mit leicht gerunzeltem Gesicht, der mit zwei Personen sprach, welche ihm mit großer Untertänigkeit zuzuhören schienen. D’Artagnan glaubte ganz natürlich, seiner Gewohnheit gemäß, der Gegenstand des Gespräches zu sein und horchte. Dieses Mal hatte sich d’Artagnan nur zur Hälfte getäuscht; es war zwar nicht von ihm die Rede, aber von seinem Pferd, dessen Eigenschaften der Edelmann seinen Zuhörern aufzählte. Da diese Zuhörer, wie gesagt, große Ehrfurcht vor dem Erzähler zu hegen schienen, so brachen sie jeden Augenblick in ein neues schallendes Gelächter aus. Da nun ein halbes Lächeln hinreichte, um den jungen Mann zum Zorn zu reizen, so begreift man leicht, welchen Eindruck eine so geräuschvolle Heiterkeit auf ihn hervorbringen musste.

D’Artagnan wollte sich jedoch vorerst über die Physiognomie des Frechen belehren, der es wagte, sich über ihn lustig zu machen. Er heftete seinen Blick voll Stolz auf den Fremden und erkannte in ihm einen Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen, durchdringenden Augen, bleicher Gesichtsfarbe, stark hervortretender Nase und schwarzem, vollkommen zugestutztem Schnurrbart. Derselbe trug ein Wams und veilchenblaue Beinkleider mit Schnürnesteln von ähnlicher Farbe. Dieses Wams und diese Beinkleider schienen, obwohl neu, doch zerknittert wie lange in einem Mantelsack eingeschlossene Reisekleider. D’Artagnan machte alle seine Bemerkungen mit der Geschwindigkeit des schärfsten Beobachters und ohne Zweifel von einem instinktartigen Gefühl angetrieben, das ihm sagte, dieser Fremde müsse einen großen Einfluss auf sein zukünftiges Leben ausüben.

Da nun in dem Moment, wo d’Artagnan seinen Blick auf den Edelmann mit der veilchenblauen Hose heftete, dieser Monsieur eine seiner gelehrtesten und gründlichsten Erläuterungen in Bezug der béarnischen Mähre zum Besten gab, so brachen seine Zuhörer in ein schallendes Gelächter aus, und er selbst ließ augenscheinlich gegen seine Gewohnheit ein bleiches Lächeln, wenn man so sagen darf, über sein Antlitz schweben. Diesmal konnte kein Zweifel entstehen, d’Artagnan war wirklich beleidigt. Erfüllt von dieser Überzeugung drückte er sein Barett tief in die Augen und rückte, indem er sich Mühe gab, einige von den Hofmienen nachzuahmen, die er in der Gascogne bei reisenden vornehmen Messieurs aufgefangen hatte, eine Hand auf das Stichblatt seines Degens, die andere auf die Hüfte gestützt, vor. Leider verblendete ihn der Zorn immer mehr, je weiter er vorschritt, und statt einer würdigen stolzen Rede, die er im Stillen zu einer Herausforderung vorbereitet hatte, fand er auf seiner Zungenspitze nichts mehr als eine plumpe Grobheit, die er mit einer wüthenden Gebärde begleitete.

»He, Monsieur«, rief er, »Monsieur, der Ihr Euch hinter jenem Laden verbergt, ja Ihr, sagt mir doch ein wenig, über wen Ihr lacht, dann wollen wir gemeinschaftlich lachen.«

Der Edelmann richtete langsam den Blick vom Pferd auf den Reiter, als ob er einiger Zeit bedürfte, um zu begreifen, dass so seltsame Worte an ihn gesprochen wurden. Da ihm sodann kein Zweifel mehr übrig blieb, so runzelte er leicht die Stirn und antwortete nach einer ziemlich langen Pause mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Spott und Keckheit: »Ich spreche nicht mit Euch.«

»Aber ich spreche mit Euch«, rief der junge Mann, ganz außer sich über diese Mischung von Frechheit und guten Manieren, von Anstand und Verachtung.

Der Unbekannte betrachtete ihn noch einen Augenblick mit seinem leichten Lächeln und zog sich langsam vom Fenster zurück, ging dann aus dem Wirtshaus, näherte sich d’Artagnan bis auf zwei Schritte und blieb vor dem Pferd stehen. Seine ruhige Haltung und seine spöttische Miene hatten die Heiterkeit derjenigen vermehrt, mit denen er plauderte und die am Fenster geblieben waren. Als d’Artagnan ihn auf sich zukommen sah, zog er seinen Degen einen Fuß lang aus der Scheide.

»Dieses Pferd ist offenbar oder war vielmehr in seiner Jugend ein Goldfuchs«, sprach der Unbekannte, während er in den begonnenen Untersuchungen fortfuhr, und wandte sich dabei an seine Zuhörer am Fenster, ohne dass er die Erbitterung d’Artagnans im Geringsten zu beachten schien. »Es ist eine in der Botanik sehr bekannte, aber bis jetzt bei den Pferden sehr seltene Farbe.«

»Wer über das Pferd lacht«, rief der Nachahmer Trévilles wütend, »würde es nicht wagen, über den Monsieur zu lachen.«

»Ich lache nicht oft, Monsieur«, erwiderte der Unbekannte, »wie Ihr selbst an meinen Gesichtszügen wahrnehmen könnt, aber ich halte etwas darauf, mir das Vorrecht, zu lachen, so oft es mir beliebt, zu wahren.«

»Und ich«, rief d’Artagnan, »ich will nicht, dass irgendjemand über mich lacht, wenn es mir missfällt.«

»Wirklich, Monsieur?«, erwiderte der Unbekannte, ruhiger als je, »nun denn, das ist nicht mehr als billig.«

Auf seinen Fersen sich drehend, schickte er sich an, durch das große Tor in das Gasthaus zurückzukehren, wo d’Artagnan ein völlig gesatteltes Pferd wahrgenommen hatte.

Aber d’Artagnan besaß nicht den Charakter, mit dem es ihm möglich gewesen wäre, einen Menschen loszulassen, der die Frechheit gehabt hatte, über ihn zu spotten. Er zog seinen Degen vollends aus der Scheide und fuhr fort, seinen Streit zu verfolgen.

»Umgedreht, Monsieur Spötter, damit ich Euch nicht auf den Rücken schlage.«

»Mich schlagen, mich?«, sagte der andere, sich auf den Fersen umdrehend, und schaute den jungen Mann mit ebenso großer Verwunderung wie Verachtung an. »Geht, mein Lieber, Ihr seid ein Narr!« Dann fuhr er mit leiser Stimme und als ob er mit sich selbst spräche, fort: »Das ist ärgerlich; welch ein Fund für Seine Majestät, welche überall nach Leuten sucht, um Musketiere zu rekrutieren.«

Er hatte kaum vollendet, als d’Artagnan mit seiner Degenspitze einen so wütenden Stoß nach ihm führte, dass er, ohne einen sehr raschen Sprung rückwärts, wahrscheinlich zum letzten Mal gescherzt hätte. Der Unbekannte sah jetzt, dass die Sache über den Spaß hinausging. Er zog seinen Degen, begrüßte seinen Gegner und nahm eine Fechterstellung ein. Aber in demselben Augenblick fielen seine zwei Zuhörer in Begleitung des Wirtes mit Stöcken, Schaufeln und Feuerzangen über d’Artagnan her. Dies gab dem Angriff eine so rasche und vollständige Diversion, dass d’Artagnans Gegner, während sich dieser umwandte, um einen Hagel von Schlägen abzuwehren, seinen Degen mit der größten Gelassenheit einsteckte und aus einem darstellenden Mitglied, das er beinahe geworden wäre, wieder Zuschauer des Kampfes wurde – eine Rolle, deren er sich mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit entledigte.

Nichtsdestoweniger murmelte er durch die Zähne: »Die Pest über alle Gascogner! Setzt ihn wieder auf sein orangefarbiges Pferd, er mag zum Teufel gehen.«

»Nicht ohne dich getötet zu haben, Feigling!«, rief d’Artagnan, während er sich so gut wie möglich und ohne einen Schritt zurückzuweichen gegen seine drei Feinde, die ihn mit Schlägen überhäuften, zur Wehr setzte.

»Abermals eine Gasconade«, murmelte der Edelmann. »Bei meiner Ehre, diese Gascogner sind unverbesserlich! Setzt also den Tanz fort, da er es durchaus haben will. Wenn er einmal müde ist, wird er schon sagen, es sei genug.«

Aber der Unbekannte wusste noch nicht, mit was für einem hartnäckigen Menschen er es zu tun hatte. D’Artagnan war nicht der Mann, der Gnade gefordert hätte. Der Kampf dauerte also noch einige Sekunden fort, doch endlich ließ d’Artagnan erschöpft seinen Degen fahren, den ein Schlag mit einer Heugabel entzweibrach. Ein anderer Schlag, welcher seine Stirn traf, schmetterte ihn beinahe zu derselben Zeit blutend und fast ohnmächtig nieder. In diesem Augenblick kamen von allen Seiten Leute auf den Schauplatz gelaufen, der Wirt fürchtete ein ärgerliches Aufsehen und trug den Verwundeten mithilfe einiger Kellner in die Küche, wo man ihm Pflege angedeihen ließ.

Der Edelmann aber hatte seinen früheren Platz am Fenster wieder eingenommen und betrachtete mit einer gewissen Ungeduld die umherstehende Menge, deren Verweilen ihm sehr ärgerlich zu sein schien.

»Nun! Wie geht es dem Wütenden?«, sagte er, indem er sich bei dem durch das Öffnen der Tür verursachten Geräusch umkehrte und an den Wirt wandte, der sich nach dessen Befinden erkundigt hatte.

»Ew. Excellenz ist gesund und wohlbehalten?«, fragte der Wirt.

»Ja, vollkommen wohl und gesund, mein lieber Wirt, und ich frage Euch, was aus unserem jungen Menschen geworden ist?«

»Es geht besser mit ihm«, erwiderte der Wirt, »er ist in Ohnmacht gefallen.«

»Wirklich?«, sprach der Edelmann.

»Doch ehe er in Ohnmacht fiel, raffte er alle seine Kräfte zusammen, rief nach Euch und forderte Euch heraus.«

»Dieser Bursche ist also der leibhaftige Teufel!«, rief der Unbekannte.

»O nein, Ew. Exzellenz, es ist kein Teufel«, entgegnete der Wirt mit einer verächtlichen Grimasse, »denn während seiner Ohnmacht haben wir ihn durchsucht und in seinem Päckchen nicht mehr als ein Hemd, in seiner Börse nicht mehr als zwölf Taler gefunden, was ihn jedoch nicht abhielt, kurz bevor er in Ohnmacht fiel, zu bemerken, wenn dergleichen in Paris geschehen wäre, so müsstet Ihr dies sogleich bereuen, während Ihr es hier erst später bereuen würdet.«

»Dann ist er irgendein verkleideter Prinz von Geblüt«, sagte der Unbekannte kalt.

»Ich teile Euch dies mit, gnädiger Monsieur«, versetzte der Wirt, »damit Ihr auf Eurer Hut sein möget.«

»Und er hat niemand in seinem Zorn genannt?«

»Allerdings, er schlug an seine Tasche und sagte: Wir wollen sehen, was Monsieur de Tréville zu der Beleidigung sagen wird, die seinem Schützling widerfahren ist.«

»Monsieur de Tréville?«, sprach der Unbekannte mit steigender Aufmerksamkeit, »er schlug an seine Tasche, während er den Namen des Monsieur de Tréville aussprach? … Hört, mein lieber Wirt, indes Euer junger Mann in Ohnmacht lag, habt Ihr sicherlich nicht versäumt, ein wenig in diese Tasche zu schauen. Was befand sich darin?«

»Ein Brief, mit der Adresse des Monsieur de Tréville, Kapitän der Musketiere.«

»Wirklich?«

»Es ist, wie ich Ew. Exzellenz zu sagen die Ehre habe.«

Der Wirt, welcher eben nicht mit übergroßem Scharfsinn begabt war, gewahrte den Ausdruck nicht, den seine Worte auf dem Gesicht des Unbekannten hervorriefen. Dieser entfernte sich von dem Gesimse des Kreuzstocks, auf das er sich bis jetzt mit dem Ellbogen gestützt hatte, und faltete die Stirn wie ein Mensch, den etwas beunruhigt.

»Teufel!«, murmelte er zwischen den Zähnen, »sollte mir Tréville diesen Gascogner geschickt haben? Er ist noch sehr jung! Aber ein Degenstich bleibt ein Degenstich, welches Alter auch sein Spender haben mag, und man nimmt sich vor einem jungen Bürschchen weniger in Acht als vor anderen Leuten. Zuweilen genügt ein schwaches Hindernis, um einem großen Plan in den Weg zu treten.«

Und der Unbekannte versank in ein Nachdenken, das einige Minuten währte.

»Hört einmal, Wirt«, sagte er, »werdet Ihr mich nicht von diesem Wütenden befreien? Ich kann ihn mit gutem Gewissen nicht töten, und dennoch«, fügte er mit einem kalt drohenden Ausdruck bei, »ist er mir unbequem. Wo verweilt er?«

»Im ersten Stock in der Stube meiner Frau, wo man ihn verbindet.«

»Hat er Kleidungsstücke und seine Tasche bei sich? Er hat sein Wams nicht ausgezogen?«

»Alles dies blieb im Gegenteil unten in der Küche. Aber wenn Euch dieser junge Laffe unbequem ist …?«

»Gewiss. Er veranlasst in Eurem Gasthaus ein Ärgernis, das ehrliche Leute nicht aushalten können. Geht hinauf, macht meine Rechnung und benachrichtigt meinen Lakaien.«

»Wie! Gnädiger Monsieur, Ihr verlasst uns schon?«

»Ihr konntet es daraus sehen, dass ich Euch Befehl gegeben hatte, mein Pferd zu satteln. Hat man mir nicht Folge geleistet?«

»Allerdings, und das Pferd steht völlig aufgezäumt unter dem großen Tor, wie Ew. Excellenz selbst hat sehen können.«

»Das ist gut. Tut, was ich Euch gesagt habe.«

»Oh weh!«, sprach der Wirt zu sich selbst. »Sollte er vor dem kleinen Jungen bange haben?«

Aber ein gebieterischer Blick des Unbekannten machte seinen Gedanken rasch ein Ende. Er verbeugte sich demütig und ging ab.

»Mylady (Wir wissen sehr wohl, dass der Ausdruck Mylady nur gebräuchlich ist, wenn der Familienname darauf folgt, aber wir finden ihn so im Manuskript und können keine Veränderung auf uns nehmen. Al. Dumas.) soll diesen Burschen nicht gewahr werden«, fuhr der Fremde fort. »Sie muss bald kommen; sie bleibt schon allzulange aus. Offenbar ist es besser, wenn ich zu Pferde steige und ihr entgegenreite … Könnte ich nur erfahren, was dieser Brief an Tréville enthält!« Und unter fortwährendem Murmeln wandte sich der Fremde nach der Küche.

Inzwischen war der Wirt, der nicht daran zweifelte, dass die Gegenwart des jungen Menschen den Unbekannten aus seiner Herberge treibe, zu seiner Frau hinaufgegangen und hatte d’Artagnan hier wieder gefunden. Er machte ihm begreiflich, die Polizei könnte ihm einen schlimmen Streich spielen, da er mit einem vornehmen Monsieur Streit angefangen habe, denn nach der Meinung des Wirtes konnte der Unbekannte nur ein vornehmer Monsieur sein, und er veranlasste ihn, trotz seiner Schwäche aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen. Halb betäubt, ohne Wams und den Kopf mit Leinwand umwickelt, stand d’Artagnan auf und ging, vom Wirt gedrängt, die Treppe hinab. Aber als er in die Küche kam, war das Erste, was er bemerkte, sein Gegner, der am Fußtritt einer schweren, mit zwei plumpen normannischen Pferden bespannten Karosse ruhig plauderte.

Die Frau, mit der er sprach, war eine Frau von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, deren Kopf in den Kutschenschlag eingerahmt schien. Wir haben bereits erwähnt, mit welcher Raschheit d’Artagnan eine Physiognomie aufzufassen wusste. Er sah also auf den ersten Blick, das die Frau jung und hübsch war. Diese Schönheit fiel ihm um so mehr auf, als sie eine in den südlichen Gegenden, welche d’Artagnan bis jetzt bewohnt hatte, ganz fremde Erscheinung war. Es war eine Blondine mit langen, auf die Schultern herabfallenden Locken, großen, schmachtenden, blauen Augen, rosigen Lippen und Alabasterhänden. Sie sprach sehr lebhaft mit dem Unbekannten.

»Also befiehlt mir Seine Eminenz …«, sagte die Dame.

»Sogleich nach England zurückzukehren und sie zu benachrichtigen, ob der Duke London verlassen hat.«

»Und was meine übrigen Instruktionen betrifft? …«, fragte die schöne Reisende.

»Sie sind in dieser Kapsel enthalten, welche Ihr erst jenseits des Kanals öffnen dürft.«

»Sehr wohl; und Ihr, was macht Ihr?«

»Ich kehre nach Paris zurück.«

»Ohne das freche Bürschchen zu züchtigen?«, fragte die Dame.

Der Unbekannte war im Begriff zu antworten, aber in dem Augenblick, wo er den Mund öffnete, sprang d’Artagnan, der alles gehört hatte, auf die Türschwelle.

»Das freche Bürschchen züchtigt andere«, rief er, »und ich hoffe, dass derjenige, welchen er zu züchtigen hat, ihm dieses Mal nicht entkommen wird, wie das erste Mal.«

»Nicht entkommen wird?«, entgegnete der Unbekannte, die Stirn faltend.

»Nein, vor einer Dame, denke ich, werdet Ihr nicht zu fliehen wagen.«

»Bedenkt«, rief Mylady, als sie sah, dass der Edelmann die Hand an den Degen legte, »bedenkt, dass die geringste Zögerung alles verderben kann.«

»Ihr habt recht«, rief der Edelmann, »reist also Eurerseits, ich tue desgleichen.«

Und indem er der Dame mit dem Kopf zunickte, sprang er zu Pferde, während der Kutscher der Karosse sein Gespann kräftig mit der Peitsche antrieb. Die zwei Sprechenden entfernten sich also im Galopp, jeder in einer entgegengesetzten Richtung der Straße.

»Heda! Eure Rechnung«, schrie der Wirth, dessen Ergebenheit für den Reisenden sich in tiefe Verachtung verwandelte, als er sah, dass er abging, ohne seine Zeche zu bezahlen.

»Bezahle, Schlingel«, rief der Reisende stets galoppierend seinem Bedienten zu, der dem Wirt ein Paar Geldstücke vor die Füße warf und dann eiligst seinem Monsieur nachgaloppierte.

»Ha, Feigling, ha, Elender, ha, falscher Edelmann!«, rief d’Artagnan und lief dem Bedienten nach.

Aber der Verwundete war noch zu schwach, um eine solche Erschütterung auszuhalten. Kaum hatte er zehn Schritte gemacht, so klangen ihm die Ohren, er sah nichts mehr, eine Blutwolke zog über seine Augen hin und er stürzte unter dem beständigen Geschrei Feigling! Feigling! Feigling! auf die Straße nieder.

»Er ist in der Tat sehr feige!«, murmelte der Wirth, indem er sich d’Artagnan näherte und sich durch diese Schmeichelei mit dem armen Jungen zu versöhnen suchte, wie der Held in der Fabel mit seiner Schnecke.

»Ja, sehr feige«, sagte d’Artagnan mit schwacher Stimme, »aber sie ist sehr schön.«

»Wer? Sie?«, fragte der Wirt.

»Mylady«, stammelte d’Artagnan und fiel zum zweiten Mal in Ohnmacht.

»Gleich viel«, sprach der Wirt, »es bleibt mir doch dieser da, den ich sicherlich einige Tage behalten werde. Da lassen sich immerhin elf Taler verdienen.«

Man weiß bereits, dass sich der Inhalt von d’Artagnans Börse gerade auf elf Taler belief.

Der Wirth hatte auf elf Tage Krankheit den Tag zu einem Taler gerechnet; aber er hatte die Rechnung ohne seinen Reisenden gemacht. Am anderen Morgen stand d’Artagnan schon um fünf Uhr auf, ging in die Küche hinab, verlangte außer einigen anderen Ingredienzien, deren Liste uns nicht zugekommen ist, Wein, Öl, Rosmarin, und bereitete sich, das Rezept seiner Mutter in der Hand, einen Balsam, mit dem er seine zahlreichen Wunden salbte. Dann erneuerte er seine Kompressen selbst und wollte keine ärztliche Hilfeleistung gestatten. Der Wirksamkeit des Zigeunerbalsams und ohne Zweifel auch ein wenig der Abwesenheit jedes Arztes hatte es d’Artagnan zu danken, dass er schon an demselben Abend wieder auf den Beinen und am anderen Tag beinahe völlig geheilt war.

In dem Augenblick aber, als er den Rosmarin, das Öl und den Wein bezahlen wollte – die einzige Ausgabe des Monsieur, der strenge Diät hielt, während das gelbe Ross, wenigstens nach der Aussage des Wirtes, dreimal so viel gefressen hatte, wie sich vernünftigerweise bei seiner Gestalt voraussetzen ließ – fand d’Artagnan m seiner Tasche nur noch seine kleine Samtbörse sowie die elf Taler, welche sie enthielt; jedoch der Brief an Monsieur de Tréville war verschwunden.

Der junge Mann suchte anfangs diesen Brief mit großer Geduld, drehte seine Taschen um und um, durchwühlte seinen Mantelsack, öffnete und schloss seine Börse wieder und wieder. Als er aber die Überzeugung gewonnen hatte, dass der Brief nicht mehr zu finden war, geriet er in einen dritten Anfall von Wut, der ihn leicht zu einem neuen Verbrauch von aromatischem Wein und Öl veranlassen konnte; denn als man sah, daß dieser junge Brausekopf sich erhitzte und drohte, er werde alles im Haus kurz und klein schlagen, wenn man seinen Brief nicht finde, da ergriff der Wirt einen Spieß, seine Frau einen Besenstiel und sein Aufwärter nahm von denselben Stöcken, welche zwei Tage vorher benutzt worden waren.

»Meinen Empfehlungsbrief«, schrie d’Artagnan, »meinen Empfehlungsbrief, oder ich spieße Euch alle wie Ortolane.«

Unglücklicherweise trat ein Umstand der Ausführung seiner Drohung in den Weg; sein Degen war erwähntermaßen beim ersten Kampf in zwei Stücke zerbrochen worden, was er völlig vergessen hatte. Als d’Artagnan wirklich vom Leder ziehen wollte, sah er sich ganz einfach mit einem Degenstumpf von acht bis zehn Zoll bewaffnet, den der Wirt sorgfältig wieder in die Scheide gesteckt hatte. Den übrigen Teil der Klinge hatte der Monsieur der Herberge geschickt auf die Seite gebracht, um sich einen Bratspieß daraus zu machen.

Diese Enttäuschung dürfte wohl unseren jähzornigen jungen Mann nicht zurückgehalten haben, aber der Wirt bedachte, dass die Forderung, die sein Reisender an ihn stellte, eine völlig gerechte war.

»In der That«, sprach er und senkte dabei seinen Spieß, »wo ist der Brief?«

»Wo ist dieser Brief?«, rief d’Artagnan. »Ich sage Euch vor allem, dass dieser Brief für Monsieur de Tréville bestimmt ist, und dass er sich wiederfinden muss. Ist dies nicht der Fall, so wird Er schon machen, dass er gefunden wird!«

Diese Drohung schüchterte den Wirt vollends ein. Nach dem König und dem Monsieur Kardinal war Monsieur de Tréville derjenige Mann, dessen Namen vielleicht am öftesten vom  Militär und sogar von den Bürgern wiederholt wurde. Wohl war noch der Pater Joseph vorhanden, aber sein Name wurde immer nur ganz leise ausgesprochen, so groß war der Schrecken, den die graue Eminenz einflößte, wie man den Vertrauten des Kardinals nannte.

Er warf also seinen Spieß weit von sich, befahl seiner Frau, dasselbe mit ihrem Besenstiel zu tun, und seinen Dienern, ihre Stöcke wegzulegen. Dann ging er mit gutem Beispiel voran und begann nach dem verlorenen Brief zu suchen.

»Enthielt dieser Brief etwas Wertvolles?«, fragte der Wirt, nachdem er einen Augenblick ergebnislos gesucht hatte.

»Heiliger Gott, ich glaube es wohl!«, erwiderte der Gascogner, der mithilfe dieses Schreibens seinen Weg zu machen hoffte, »er enthielt mein Glück.«

»Anweisungen auf Spanien?«, fragte der Wirt unruhig.

»Anweisungen auf den Privatschatz Seiner Majestät«, erwiderte d’Artagnan, der darauf zählte, er werde durch diese Empfehlung in den Dienst des Königs aufgenommen werden, und deshalb ohne zu lügen diese etwas kecke Antwort geben zu können glaubte.

»Teufel!«, rief der Wirth ganz in Verzweiflung.

»Aber daran liegt nichts«, fuhr d’Artagnan mit ganz nationaler Dreistigkeit fort, »daran liegt nichts, das Geld kommt gar nicht in Betracht; der Brief war alles. Ich hätte lieber tausend Pistolen verloren, als diesen Brief.«

Er würde nicht mehr gewagt haben, wenn er zwanzigtausend gesagt hätte, aber eine gewisse jugendliche Schüchternheit hielt ihn zurück.

Ein Lichtstrahl durchdrang plötzlich den Geist des Wirtes, der von einem entsetzlichen Grauen befallen wurde, als er nichts fand.

»Dieser Brief ist durchaus nicht verloren«, rief er.

»Ah!«, seufzte d’Artagnan.

»Nein, er ist Euch gestohlen worden.«

»Gestohlen! und von wem?«

»Von dem Edelmann von gestern. Er ist in die Küche hinabgegangen, wo Euer Wams lag, und daselbst allein geblieben. Ich wollte wetten, dass er ihn gestohlen hat.«

»Ihr glaubt?«, erwiderte d’Artagnan nicht sehr überzeugt, denn er kannte den ganz persönlichen Belang dieses Briefes und sah nichts dabei, was einen anderen nach dem Besitz desselben hätte lüstern machen können. Keiner von den Dienern, keiner von den anwesenden Gästen würde etwas damit gewonnen haben, wenn er sich das Papier zugeeignet hätte.

»Ihr sagt also«, versetzte d’Artagnan, »Ihr habt diesen frechen Edelmann in Verdacht?«

»Ich sage, dass ich vollkommen hiervon überzeugt bin«, fuhr der Wirt fort. »Als ich ihm mitteilte, Ew. Herrlichkeit sei ein Schützling des Monsieur de Tréville, und Ihr hättet sogar einen Brief an diesen erlauchten Monsieur, da schien er sehr unruhig zu werden und fragte mich, wo dieser Brief sei. Dann ging er sogleich in die Küche hinab, weil er wusste, dass Euer Wams dort lag.«

»Dann ist er mein Dieb«, sagte d’Artagnan, »ich werde mich bei Monsieur de Tréville darüber beklagen, und Monsieur de Tréville wird sich beim König beklagen.«

Sofort zog er majestätisch zwei Taler aus seiner Tasche, gab sie dem Wirt, der ihn mit dem Hut in der Hand bis vor die Tür begleitete, und bestieg wieder sein gelbes Ross, das ihn ohne weiteren Unfall bis zum Tor Saint-Antoine in Paris trug, wo es der Eigentümer um drei Taler verkaufte, was sehr gut bezahlt war, da d’Artagnan es auf dem letzten Marsch bedeutend übertrieben hatte. Der Rosskamm, welchem d’Artagnan die Mähre gegen erwähnte neun Livres abtrat, verbarg auch dem jungen Mann keineswegs, dass er diese außerordentliche Summe nur wegen der originellen Farbe des Tieres bezahle.

D’Artagnan hielt also zu Fuß seinen Einzug in Paris, trug sein Päckchen unter dem Arm und marschierte solange umher, bis er eine Stube zu mieten fand, die der Geringfügigkeit seiner Mittel entsprach. Diese Stube war eine Art von Mansarde und lag in der Rue de Fossoyeurs in der Nähe des Luxembourg.

 Sobald d’Artagnan die Miete bezahlt hatte, nahm er Besitz von seiner Wohnung und brachte den übrigen Teil des Tages damit hin, dass er an sein Wams und an seine Strümpfe Posamenten annähte, die seine Mutter von einem beinahe neuen Wams des Monsieurn d’Artagnan Sr. abgetrennt und ihm insgeheim zugesteckt hatte. Dann ging er auf den Quai de la Ferraille, um eine neue Klinge in seinen Degen machen zu lassen, hierauf zum Louvre und erkundigte sich bei dem ersten Musketier, dem er begegnete, nach dem Haus des Monsieur de Tréville, welches in der Rue du Vieux-Colombier lag, das heißt, ganz in der Nähe der Wohnung, welche d’Artagnan gemietet hatte – ein Umstand, der ihm als ein glückliches Vorzeichen für den Erfolg seiner Reise erschien.

Zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich in Meung benommen hatte, ohne Gewissensbisse wegen der Vergangenheit, voll Vertrauen auf die Gegenwart, voll Hoffnung für die Zukunft, legte er sich hierauf nieder und schlief den Schlaf des Gerechten.

Dieser noch ganz provinzmäßige Schlaf währte bis zur neunten Stunde des Morgens, wo er aufstand, um sich zu dem berühmten Monsieur de Tréville, der dritten Person des Reiches nach der väterlichen Schätzung, zu begeben.