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Gold Band 3 – Kapitel 1.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 1
Die mexikanische Flagge
Teil 1

Charles Golway, das Herz zum Zerspringen voll, war, wie er die Frauen verlassen hatte, rasch seinem Pferd zugeteilt. Das arme Tier erlahmte aber stärker als je, und er durfte nicht daran denken, es wieder zu besteigen. Solange es noch in Gang geblieben war, hatte sich auch das verletzte Gliedgelenk erhalten. Jetzt aber war ihm die Wunde, wie es ihm der Amerikaner vorhergesagt hatte, durch die kurze Rast angeschwollen, und es konnte das kranke Bein kaum vom Boden heben.

»Mein armer Bursche«, sagte da der Mann, ihm mitleidig den schönen Hals klopfend. »Du wirst mich wohl das letzte Mal getragen haben, denn ich darf hier nicht warten, bis du hergestellt bist. Komm wenigstens mit in die Ebene auf weicheren Boden hinunter, und dort magst du dann ruhig weiden und dich erholen.«

Er legte ihm jetzt den Zügel wieder an und führte es sorgsam die bequemsten Stege nieder, schräg am Hang hinab. Er vermied dabei absichtlich den Pfad, den beide Frauen dort nicht wieder zu begegnen, und erreichte endlich weiter westlich den oberen Teil der Flat, wo ein kleiner, von den Goldwäschern erst ganz kürzlich in Angriff genommener Bergbach hervorrieselte und im Schatten der mächtigen Zedern und Kiefern sowie wilder Kirsch- und Haselbüsche reichliche Weide bot.

Von hier aus konnte man das Zeltstädtchen selber nicht mehr sehen. Im Niedersteigen war ihm aber nicht entgangen, dass eine außergewöhnliche Bewegung dort stattfand. Auch konnte er sich nicht gut erklären, weshalb der Mexikanertrupp in seinem Lager eine Flagge aufgezogen hatte. Zu sehr mit seinem eigenen Schmerz beschäftigt, gönnte er jedoch den fremden Szenen kaum mehr als einen flüchtigen Gedanken. Was kümmerte es ihn, ob sich die Leute hier friedlich vertrugen, ob sie in Hass und Feindschaft miteinander lebten. Sein Ziel aufs Neue war die See, die offene See. Mit heißer Sehnsucht trieb es ihm jetzt den Meeresstrand entgegen, in Stürmen der bäumenden Wogen den Gram, der ihm die Brust bedrückte, wenn auch nicht zu vergessen, doch zu betäuben.

Unten, gleich am Eingang der Flat, durch niederes Buschwerk aber von dem offenen Teil derselben noch getrennt, arbeiteten einige Goldwäscher. Es war ein kleiner Trupp Neger, die hier den Boden aufgewühlt hatten. Eine kleine Strecke entfernt von ihnen sah er einen einzelnen Amerikaner eben beschäftigt, die Büsche an einer anderen Stelle umzubauen, dort wahrscheinlich ebenfalls einzugraben.

Als dieser Letztere den Fremden mit dem lahmen Pferd vorbeikommen sah, hielt er in seiner Arbeit inne, sich aufmerksam das Pferd selber zu betrachten.

Es war ein alter Bekannter von uns, Boyles, der den geringeren, aber doch sicheren Erfolg des Grabens lieber den unsicheren, wenn auch verlockenden Ertrag des Spieles vorgezogen hatte und mit abgeworfener Jacke und aufgestreiften Ärmeln rüstig dem Boden seine verborgenen Schätze zu entreißen versuchte.

Sowohl der Amerikaner als auch der Engländer interessieren sich indessen gern für Pferde, und besonders haben die richtigen Backwoodsmen ein erstaunliches Gedächtnis für solche Tiere, die sie an kleinen bedeuteten Merkmalen, wenn auch nur einmal flüchtig gesehen, leicht wieder erkennen. Übung genug erlangen sie allerdings zu Hause, wo sie ihre Pferde und Rinder frei im Wald mit denen der Nachbarn zusammenlaufen lassen, und sogar nicht selten eben nur auf solche Zeichen angewiesen sind, ihr Eigentum herauszufinden.

Nicht weit von Boyles, an einer Stelle, wo das kranke Pferd Gras und Wasser in der Nähe finden konnte und noch im Schatten der Büsche den Sonnenstrahlen nicht zu sehr ausgesetzt blieb, hatte der junge Engländer gehalten und nahm seinem armen Tier Sattel und Zaumzeug wieder ab, um es frei weiden zu lassen.

»Hallo, Fremder«, sagte der Amerikaner, indem er seine Axt auf die Schulter warf und langsam auf ihn zuschlenderte.« Was habt Ihr mit Eurem Pferd angefangen? Wetter noch einmal, das ist ja Jim Roylicks Brauner. Habt ihr das Tier schon lange?«

»Etwa vier Wochen.«

»Na ja, solange ist es etwa, dass er es verkauft hat – soll einen guten Preis dafür bekommen haben.«

»Ich gab ihm 10 Unzen.«

»Alle Wetter, dass es viel Geld. Was habt Ihr jetzt damit angefangen?«

»Nichts von Bedeutung – es hat sich nur an einem dürren Ast im Wald die Haut aufgerissen, und durch Hitze und Staub scheint sich das entzündet zu haben.«

Der Amerikaner hatte seine Axt hingelegt und war zu dem Pferd getreten, dessen Wunde er genau untersuchte, dann das Pferd selber mit Kennerblick musterte.

»Was wollt Ihr jetzt damit anfangen?«, fragte er dann.

»Ich weiß es selber nicht. Ich möchte gern so rasch wie möglich nach San Francisco, und ehe dieses Pferd wieder imstande sein wird, mich zu tragen, können immer acht oder vierzehn Tage vergehen.«

»Das allerdings«, sagte Boyles, »wenn es je wieder wird.«

»Es ist nur ein Fleischriss, der rasch wieder heilt.«

»Ja, aber mit den Insekten und der Hitze kann auch leicht eine schlimmere Entzündung dazukommen, wenn die Wunde nicht rein gehalten wird. Ihr solltet es lieber verkaufen.«

»Es wird mir allerdings nichts weiter übrig bleiben. Vielleicht finde ich hier jemanden, der mir, ging ein Aufgeld natürlich, ein anderes Pferd oder Maultier dafür überlässt.«

»Wenn Ihr nur nach San Francisco wollt«, sagte der Boyles,« so braucht Ihr Euch nicht einmal ein eigenes Tier zu kaufen, denn Rückgelegenheit dorthin, mit einem leeren Wagen oder Maultiertrupp trefft Ihr fast alle Tage.«

»Ich möchte rascher dorthin kommen.«

»Gut; Leute, die Euch ihre Tiere verkaufen, findet Ihr überall. Weit eher als solche, die Euch ein lahmes Pferd abnehmen. Aber – wenn ihr einen mäßigen Preis verlangt, wäre ich selber nicht abgeneigt, mit Euch einen Handel über den Braunen da abzuschließen – nur weil ich das Tier von früher her kenne.«

»Gebt mir 3 Unzen und er soll Euer sein«, sagte der Fremde.

»3 Unzen, hm, das ist verdammt viel Geld für ein lahmes Pferd, an das ich vielleicht in acht Tagen gar noch einen Schuss Pulver verwenden müsste«, sagte der Amerikaner, innerlich aber schon fest entschlossen, sich den guten Handel nicht entgehen zu lassen. »Wenn Ihr zwei gesagt hättet.«

»Dann ließ ich es lieber frei, und sich sein Futter selber im Wald suchen.«

»Und wie lange glaubt Ihr, dass es da ohne Aufsicht auch frei herumlaufen würde? Das sollte nicht lange dauern, so hätte es einer der gelbhäutigen Señores am Wickel und machte ein Packpferd daraus, bis es zusammenbräche – oder die roten Halunken schnitten sich gar Beefsteaks daraus. Sagt zwei und eine halbe Unze und gebt den Sattel ein.«

»Nein, Freund, den brauche ich selber, um weiter darauf zu kommen, handeln kann ich ebenfalls nicht. Ich verliere an den Tier genug, wollt Ihr 3 Unzen geben, soll es Euer eigen sein. Was das Pferd wert ist, brauche ich Euch nicht zu sagen.«

»Ja, aber zum Henker auch. Fordern und bieten macht doch Kaufleute. Wer gibt den jemanden je was, was er fordert? Das solltet Ihr einmal unsere Yankeekrämer hören.«

»Ich bin auch kein Yankeekrämer, lieber Freund«, gab der Engländer lächelnd zurück. »Wollt Ihr aber unter jeder Bedingung etwas abhandeln, so denkt Euch denn, ich hätte 5 Unzen gefordert, und Ihr mir zwei herunter geboten. Kommt mit zum nächsten Zelt und zahlt mir die 3 Unzen, und das Tier ist Euer, oder lasst es mir, und ich will sehen, dass ich einen anderen Herrn dafür finde.«

Boyles konnte sich noch nicht recht darein finden, dass der Fremde gar nichts von dem geforderten Preis nachlassen wollte. Er kannte übrigens das Pferd, wusste, dass der Fleischriss nicht viel zu bedeuten hatte und bald wieder heilen würde, und sagte deshalb nach einer Weile: »Meinetwegen denn, Fremder. Wenn Ihr so hartnäckig auf Euren Preis haltet, soll mir es auf die paar Dollar auch nicht ankommen. In ein Zelt brauchen wir aber deshalb nicht zu gehen, denn wir beide haben doch wohl jeder unsere Waage bei uns und können die Geschichte gleich hier ins Reine bringen.«

Dabei hatte er seinen Goldbeutel und die Waage aus der Tasche seiner Jacke herausgenommen und wog die 3 Unzen in Goldkörnern ab, die der Engländer, ohne sie nachzuwiegen, in seinen eigenen Beutel schüttete. Mit nur einiger Übung lernt man, wo dies Gold das stete Verkehrsmittel bildet, schon bald mit einem Blick die etwaige Quantität Körner taxieren, und nur hier und da macht feineres oder grobkörniges Gold einen geringen Unterschied.

Das Pferd war indessen zum nächsten Wasser gehinkt, dort seinen Durst zu stillen. Während ihm Golway den Sattel abnahm und zusammenschnürte, wusch Boyles sorgfältig die Wunde aus und band sein Taschentuch darum.

»Leb wohl, mein alter braver Bursche«, sagte da der junge Mann, des Pferdes Nacken klopfend, »halte dich tapfer. Hoffentlich wird sich dein neuer Herr so gut behandeln, wie ich es getan habe.«

»Habt keine Sorge«, sagte Boyles, »ich weiß mit Pferden umzugehen. Ihr wollt jetzt zum Paradies hinein?«

»Ja, aber ich werde mich schwerlich dort länger aufhalten, als es nötig ist, ein neues Reittier für mich anzuschaffen. Es scheint auch unruhig dort zuzugehen.«

»Ach was«, sagte der Amerikaner und lachte dabei.« Die Señores da drüben am Hügel haben sich ein bisschen zusammengerottet, aber das Ende vom Lied wird sein, dass sie aufsatteln und sich einen anderen Platz suchen.«

»Sie haben ihre Flagge aufgehisst«, sagte Gore.

»Was?«, schrie der Amerikaner, überrascht emporspringend, »die mexikanische Flagge uns in die Zähne?«

»Ich sah es, als ich den Berg herunterstieg.«

»Den Teufel auch! Nun weiß ich erst, weshalb man Kamerad, mit dem ich hier das Loch graben wollte, nicht zur Arbeit herausgekommen ist. Wetter noch einmal, den Schuften wollen wir die Flagge halt wieder runtergeholt haben. Und ich sitze indessen hier und hacke die alten Büsche um.«

Eine Anzahl der wildesten Flüche dabei in den Bart murmelnd, sprang der Mann zu seinem Arbeitsplatz zurück, zog seiner Jacke an, griff sein Werkzeug auf und lief jetzt, so rasch er laufen konnte, mitten durch die Büsche hindurch dem nahen Städtchen zu. Golway hängte sich indessen den Zaun um, nahm den zusammengeschnürten Sattel auf den Rücken und folgte ihm langsamer, den schmalen Pfad dabei einhaltend, der von hier in die Ansiedlung hinein führte.