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Der Arzt auf Java – Erster Band – Kapitel 1

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Erster Band
Kapitel 1

Der Orkan

An einem Novemberabend 1847 wurde die Stadt Batavia von einem jener furchtbaren Orkane heimgesucht, welche nur den indischen Meeren eigentümlich sind und schon so oft die Insel Jana verheerten. Der Wind, der während des Tages nur heftig gewesen war, begann gegen 6 Uhr abends in einzelnen Stößen zu stürmen. Das Meer wuchs und brach sich schäumend an dem Damm, der den Hafen bildet und ohne welchen Batavia nur eine Reede haben würde.

Wer noch keinen Orkan in Indien sah, weiß nicht, was ein solcher zu bedeuten hat. Es ist eine Verbindung aller Elemente zur Vernichtung des Menschen und seiner Werke. Das Meer scheint die Städte verschlingen, der Wind sie in das Meer schleudern zu wollen. Die Blitze sind nicht mehr einzelne Strahlen, sondern ganze Feuergarben.

Um 9 Uhr abends brach einer dieser Orkane in seiner ganzen Heftigkeit über Batavia aus. Der Wind heulte, knickte die höchsten Bäume, warf die Hütten der Neger nieder, hob die Bambusdächer von den Magazinen, bedeckte den Boden mit ihren Trümmern und spielte mit den stärksten Stämmen derselben, wie ein gewöhnlicher Wind mit einem Strohhalm.

Das Schauspiel der Reede war besonders entsetzlich. Wütende Wogen, so hoch wie Häuser, stürzten sich schäumend und heulend auf die Küste und glichen ebenso vielen Ungeheuern mit aufgesperrten Rachen, bereit, die Arbeiter zu verschlingen, welche vom Ufer die Gegenstände zu entfernen bemüht waren, die man hier ihrem eigenen Gewicht überlassen hatte.

Die Wassermassen, welche über den Hafendamm schlugen, gelangten bis zu den Schiffen, hoben sie bis zur Höhe der Dächer der Häuser, schleuderten sie gegeneinander und zerschmetterten sie so mit einem entsetzlichen Gekrache. Der Regen goss in Strömen herab.

Wir sagten, dass es 9 Uhr abends war, als der Orkan in seiner ganzen Wut ausbrach. Zu dieser Stunde hat die Bevölkerung Batavias für gewöhnlich die obere Stadt erreicht. Batavia besteht nämlich aus zwei übereinanderliegenden Städten. In der einen lebt und wohnt man, in der andern treibt man seinen Handel.

Außer diesen beiden gibt es noch eine dritte Stadt, die wir hier aber nur nebenher erwähnen und die man das Lager der Chinesen nennt.

Die untere Stadt, längs der Brücke, in der Mitte von Sümpfen gelegen, umgeben mit einem Wald von Wurzelträgern, welche oft ihre Wurzeln im Meer baden und da, wo sie sich vom Ufer desselben entfernen, kaum einen schmalen Streifen freilassen, die untere Stadt, sagen wir, wird so ungesund, wenn mit dem Abend die Dünste über dem sumpfigen Boden aufsteigen, dass niemand es wagt, die Nacht dort zuzubringen. Zwischen 6 und 7 Uhr, wenn die Dunkelheit vom Himmel mit jener eigentümlichen Schnelligkeit der tropischen Gegenden herabsinkt, verlassen alle Bewohner die Faktoreien, die Kontore, die Magazine, in denen sie während des Tages ihre Geschäfte verrichteten.

Die Regierungsgebäude, das Theater, die öffentlichen Anstalten, die Häuser der Europäer sind auf dem Berge erbaut, welcher die Rhode beherrscht, und durch ihre Höhe gegen die pestartigen Ausdünstungen, die von der Küste herkommen, gesichert.

Die chinesische und malayische Stadt liegt auf der anderen Seite dieses Berges.

Die Gewalt des Windes war so furchtbar, dass ungeachtet der Gefahr, in welcher die Magazine standen, da man sie am nächsten Tage gänzlich vernichtet zu finden glaubte, niemand es wagte, seine Wohnung zu verlassen. Dennoch ging ungeachtet des Regens, ungeachtet des Sturmes, ungeachtet der Blitze, ein Mann allein rasch den Abhang hinab, der von der oberen Stadt zu der unteren führt. Man hätte glauben können, dieser Mann wäre gleichgültig gegen das Schauspiel der Vernichtung gewesen, welches sich rings um ihn her zeigte, hätte er sich nicht bei jedem Schritt, den er auf seinem Weg machte, festzuklammern versucht, um nicht durch den Sturm fortgerissen oder umgeworfen zu werden. Das Wasser rieselte von seinen Kleidern, die Zweige der Bäume peitschten ihm das Gesicht, Stücke der Dächer schlugen um ihn her nieder und drohten ihn in ihrem Fall zu zerschmettern, ohne dass er sich um etwas anderes zu kümmern schien, als seinen Weg beim Schein der Blitze zu erkennen. So stieg er bis zur Reede hinab, ließ den Hafen dann zu seiner Linken, wendete sich rechts und folgte dem Kai in seiner ganzen Länge. Bei jedem Schritt bedeckte das Meer ihn mit Schaum. An dem Ende des Kais angelangt, blieb er stehen. Er wartete auf einen Blitz. Der Himmel öffnete sich und durch diese Öffnung einen Flammenstrom herabsendend, erkannte er einen schmalen Pfad, der zwischen dem sumpfigen Wasser hinführte. Er folgte diesen Pfad, ging noch ungefähr 5 Minuten weiter und blieb endlich vor einem Bambushaus stehen, welches größer war als die Magazine der unteren Stadt und dessen Zugänge mit Ballen und Kolli jeder Größe bedeckt waren, geschützt durch große, geteerte Leinwanddecken.

Der Mann klopfte an die Tür. Es erfolgte keine Antwort. Er versuchte die Tür zu öffnen, doch sie widerstand seinen Anstrengungen. Dies schien ihn zu überraschen, denn in den Städten des indischen Archipels haben die meisten Wohnungen nur der Form wegen eine Tür.

Er hob ein großes Stück Holz auf, das der Orkan bis hierher geschleudert hatte, und bediente sich desselben wie eines Hammers, um gegen die widerstrebende Tür so laute Schläge zu führen, dass sie selbst den Lärm des Sturmes übertönten. Ein schwacher Lichtschein drang durch die Bambusritze des ersten Stockwerkes und eine weibliche Stimme fragte in holländischer Sprache: »Wer ist da?«

»Öffnen Sie«, erwiderte der Unbekannte, »öffnen Sie schnell!«

»Wer sind Sie und was wollen Sie?«

»Öffnen Sie nur zuerst. Sie müssen sehen und hören, dass es bei solchem abscheulichen Wetter nicht Zeit ist, vor der Tür ein Gespräch zu führen.«

»Ich kann nicht öffnen, bevor ich weiß, was Sie hier suchen, und bei einem solchen Sturm und in einer so dunklen Nacht läuft man nicht in guter Absicht auf der Straße umher.«

»Meine Absicht ist gleichwohl höchst unschuldig und friedlich«, erwiderte der Unbekannte. »Meine Frau ist krank und von allen Ärzten Batavias und der im Hafen liegenden Schiffe aufgegeben und ich komme, den Doktor Basilius, dessen Gelehrsamkeit alle Welt rühmt, um seinen Rat zu bitten.«

»Wenn Sie deshalb kommen, so warten Sie einen Augenblick.«

Das Frauenzimmer, welches diese Antwort gegeben hatte, kam hierauf herunter, zog einen eisernen Riegel von der Tür und öffnete diese halb. Dann hielt sie zum Spalt ihre durchsichtige Hornlaterne hinaus, sodass der Schein derselben auf das Gesicht des Unbekannten fiel. Sie erkannte dabei, dass sie es mit einem Mann von ungefähr 25 Jahren, mit regelmäßigen Zügen und einem sanften, interessanten Gesicht zu tun hatte. Ungeachtet seines niederländischen Ursprungs umgaben lange schwarze Haare sein Gesicht und hoben dessen matte Blässe hervor. Seine großen Augen, dunkelblau wie Saphir, obwohl gerötet durch Nachtwachen und Tränen, waren voll Ausdruck. Er trug europäische Kleidung, die zwar sauber war, aber dennoch lange Dienste verriet. Des Wetters ungeachtet hatte er keinen Mantel, aber selbst die Ärmlichkeit seines Anzuges hob seinen eleganten Wuchs und sein anständiges Benehmen noch mehr.

Der Anblick eines so schönen jungen Mannes, in welchem sie im Augenblick einen Landsmann erkannte, musste natürlich unsere Holländerin beruhigen, eine junge und schöne Friesin, kaum 18 Jahre alt und noch immer in ihre Nationaltracht gekleidet.

Sie senkte die Laterne herab, um dem Fremden zu zeigen, dass er eine Stufe hinaufzusteigen hätte und sagte dabei: »Treten Sie ein und verschließen Sie die Tür, denn der Regen verfolgt Sie bis in das Haus.«

Der junge Mann folgte dieser Weisung, und während er die Straßentür schloss, öffnete die junge Friesin die Tür eines Zimmers, in das sie den Fremden eintreten ließ.

Es war ein kleines, achteckiges Gemach, ganz mit Teppichen behangen, auf denen sich fantastische Bilder zeigten. Dieses Zimmer musste zu verschiedenartigem Gebrauch dienen, denn auf einem Lacktisch in der Mitte sah man eine halb leere Arakflasche, Gläser, geöffnete Handelsbücher und sowohl auf der Ecke dieses Tisches als auch in allen Winkeln des Zimmers, auf allen Möbeln, halb geöffnete Ballen, die Stücke Seidenzeugs, Shawls und Kästchen erblicken ließen. Die Letzteren enthielten allem Anschein nach Opium, denn der scharfe Geruch desselben zog die Kehle zusammen. Außerdem erblickte man überall Elfenbeinarbeiten, die mit übermenschlicher Geduld und dem feinsten Geschmack geschnitzt waren, kostbare Porzellanbüchsen mit Tee, aus denen ein kräftiger Duft ausstieg, der während der langen Reise verfliegt, welche diese wohlriechenden Blätter zu machen haben, um Europa zu erreichen.

Das junge Mädchen warf einen dieser Ballen auf den Boden und reichte dem Fremden einen Bambusstuhl, nicht ohne ein mürrisches Gesicht zu machen, indem sie bemerkte, dass dieser mit seinen Schuhen und dem Wasser, das seinen Kleidern entfloss, die blendend weißen Matten, die den Boden bedeckten, kotig gemacht hatte.

Der junge Mann setzte sich, aber indem er umhersah, um den zu entdecken, welchen er suchte.

»Sie wollen den Doktor sehen?«, fragte die Friesin.

»Ich möchte ihn nicht nur sehen«, erwiderte der Fremde, »sondern ich wünschte auch, dass er mich nach meiner Behausung begleitete, denn meine Frau ist ihrem Ende nahe; meine Frau, verstehen Sie wohl? Das heißt, das einzige Wesen, welches mich liebt und das ich auf dieser Welt liebe. Mein Gott, wenn ich daran denke, dass jede Minute, die ich verliere, ein Schritt mehr ist, den sie dem Tode entgegen geht. Ach, Fräulein«, bat der junge Mann schluchzend, indem er beide Hände gegen seine Landsmännin ausstreckte, »um des Himmels willen, führen Sie mich schnell zu Ihrem Herrn.«

»Ach, armer Herr«, sagte das junge Mädchen, »was verlangen Sie da?«

»Ich erbitte von Ihnen das Leben meiner Frau, denn man behauptet, dass nur er allein sie retten kann.«

»Aber wissen Sie denn nicht, dass der Doktor Basilius seit seinen Streitigkeiten mit dem Polizeirichter, sich um keinen Menschen auf der Welt mehr aus dem Haus bringen lässt? Er empfängt seine Freunde bei sich, erteilt ihnen Gesundheitsratschläge, wie er sagt, wenn sie ihn darum bitten; aber darauf beschränkt sich auch seine Einmischung zwischen den Krankheiten und den Kranken. Was noch mehr ist – ich glaube, dass mein Herr seit zwei Jahren nicht in die obere Stadt hinaufgekommen ist.«

»Ach, sprechen Sie für mich«, rief der junge Mann, »um des Himmels willen, sprechen Sie für mich, Fräulein, ich beschwöre Sie! Wenn Sie wüssten, wie ich meine Esther liebe! Er rettet, wenn er sie am Leben erhält, zwei menschliche Wesen, zwei Geschöpfe Gottes, zwei Brüder, die ihm das Leben verdanken. Mein Gott, mein Gott«, fuhr der junge Mann schluchzend fort, »seit 24 Stunden kämpft sie gegen den Tod, und wie ich diese Zeit überlebt habe, weiß ich selbst nicht. Lassen Sie mich zu dem Doktor, ich beschwöre Sie! Ich muss seine Knie umfassen und ihn bei allem, was ihm in dieser und jener Welt heilig ist, anflehen, meine Frau zu retten, wenn sie noch gerettet werden kann.«

Die junge Friesin schüttelte zum Zeichen des Zweifels den Kopf und betrachtete den Fremden mit zärtlicher Teilnahme. »Ach«, sagte sie, indem sie die Stimme dämpfte, »Sie kennenden Doktor Basilius nicht?«

»Nein«, erwiderte der junge Mann, »ich bin kaum seit zwei Monaten in Batavia und seit dieser Zeit hat Esther das Bett nicht verlassen; ich blieb beständig an ihrem Lager.«

»Wer hat Sie denn an den Doctor gewiesen?«, fragte die Friesin.

»Der Apotheker, von dem ich die Arzneien bekam. Er rühmte mir seine seltene Gelehrsamkeit und pries ihn als den einzigen Arzt, der vielleicht das Übel bekämpfen könnte, welches meine Frau dem Grab zuführt.«

»Und hat der Apotheker Ihnen nichts weiter über das Leben des Doktor Basilius gesagt?«, fragte das junge Mädchen zögernd. »Teilte er Ihnen nicht mit, welches seine Gewohnheiten, seine Abenteuer sind? Setzte er Sie nicht in Kenntnis von den tausend Gerüchten, welche die Bosheit auf seine Rechnung in Umlauf brachte?«

»Nein, er sagte mir nur: ›Gehen Sie zu diesem Mann; er kann Ihr Retter sein.‹ Darauf bin ich gekommen.«.

»Ja, aber hat er nicht hinzugefügt: ›Nehmen Sie Ihre Börse, junger Mann, und sorgen Sie dafür, dass sie gut gefüllt sei, ehe Sie es wagen, sich dem Doktor zu zeigen?‹«

»Ach, Fräulein«, erwiderte der Unbekannte, »das wäre eine nutzlose Mahnung gewesen. Ich bin ein armer Handlungskommis, der nur von seiner Arbeit lebt und unglücklicherweise musste ich, um Esther nicht fremden Händen zu überlassen, gleich nach meiner Ankunft in Batavia auf die Stelle verzichten, wegen welcher ich 500 Meilen weit herkam. Bis ich daher eine andere Stelle gefunden habe, bin ich ganz ohne alle Hilfsmittel.«

»Also, indem Sie herkamen …?«

»Rechnete ich nur auf die Barmherzigkeit des Doktors.«

Die junge Holländerin stieß einen Seufzer aus und murmelte: »Armer junger Mann!«

»Was sagen Sie?«, fragte der Unbekannte immer besorgter und besonders immer ungeduldiger.

»Ich sage, dass, wenn Sie nicht reich sind, mein lieber Landsmann, der Doktor schwerlich einwilligen wird, Ihre Frau zu besuchen.«

»O mein Gott«, rief der Fremde, »da meine arme Esther zum Tode verurteilt ist, mag man auch mein Leben nehmen!«

»Wenn ich es wagte …«, sagte die junge Friesin schüchtern und indem sie einen Zipfel ihrer seidenen Schürze drehte.

»Was? Sprechen Sie! Erblicken Sie irgendein Mittel der Hilfe, so lassen Sie mich nicht darauf warten!«

»Ich habe einige Ersparnisse, von denen mein Herr nichts weiß. Sie sind ein Landsmann, Sie leiden, Ihr Schmerz tut mir weh, ich weiß nicht warum, aber ich habe gleich bei den ersten Worten Ihnen meine Teilnahme geschenkt. Es ist so selten, dass ein Mann seine Frau so liebt, wie Sie die Ihre zu lieben scheinen. Nun, nehmen Sie diese Ersparnisse an. Sie geben sie mir zurück, wenn Ihre Frau hergestellt ist, oder wenn Sie einen Posten haben.«

Der Fremde wollte dankend antworten und streckte schon die Hand aus, um die des jungen Mädchens zu drücken, als ein heftiger Schlag auf einen Gong durch das ganze Haus ertönte. Die junge Holländerin erbebte und ohne sich so viel Zeit zu lassen, dem Fremden nur noch ein Wort zu sagen, eilte sie hastig durch eine Seitentür. Als der junge Mann allein geblieben war, verbarg er den Kopf in die Hände. Er hielt jede Hilfe für verloren, sein Mut verließ ihn und er weinte heftig, doch still. Sein Schmerz nahm ihn so ganz ein, dass er die Rückkehr der hübschen Friesin nicht bemerkte. Sie tippte ihn mit dem Finger auf die Schulter. Er erbebte, hob den Kopf empor und als er das lächelnde Gesicht des jungen Mädchens sah, blieb er regungslos und erwartete mit offenem Mund ihre Worte.

»Kehren Sie nach Hause zurück«, sagte sie. »Der Dr. Basilins wird Ihre Frau besuchen.«

Plötzlich von dem äußersten Schmerz zur unbändigsten Freude übergehend, sank der junge Mann nieder auf seine Knie, küsste die weißen, rundlichen Hände seiner Landsmännin und rief: »Ich danke Ihnen, mein rettender Engel! Denn ich zweifle nicht, dass das Opfer Ihrer Ersparnisse den Doktor bestimmt hat.«

»Nein«, entgegnete das junge Mädchen, »ich begreife es selbst nicht. Ich habe nicht nötig gehabt, an den Doktor nur die geringste Bitte zurichten. Als ich zitternd vor Furcht, ausgezankt zu werden – denn er hat mir verboten, jemals mit den Besuchern zu sprechen – eintrat, hat er die Augen von der Kalkuttaer Zeitung nicht emporgehoben, sondern nur die Worte gesagt: ›Sagen Sie Herrn Eusebius van der Beek, dass ich mich zu seiner Frau begeben werde.‹«

»Er weiß meinen Namen?«, rief der junge Mann verwundert.

»Ach mein Gott, was weiß er denn nicht!«, sagte die junge Holländerin mit dem Ausdruck der Furcht. »Und gleichwohl habe ich ihn nicht ein einziges Mal aus dem Haus gehen sehen, seitdem ich bei ihm bin und das ist schon beinahe zwei Jahre her.«

»Sonderbar«, sagte Eusebius, »indes das Wesentliche ist erreicht. Ach, wie viel Dank bin ich Ihnen schuldig, denn ich habe Ihr großmütiges Anerbieten nicht vergessen, wenn es auch nicht mehr nötig war. Sobald meine arme Esther genesen ist – wenn dies je geschieht, – führe ich sie zu Ihnen, um Ihnen zu danken.«

»Ist sie eine Holländerin?«, fragte das junge Mädchen.

»Aus Harlem, ebenso wie ich.«

»Und … hübsch?«

»Beinahe ebenso sehr wie Sie«, sagte Eusebius heiter.

»Bringen Sie sie nicht her, nein, ich werde sie aufsuchen. Doch gehen Sie. Beeilen Sie sich. Der Doktor wird ausgehen, und wenn er Sie noch fände, würde er mich der Schwatzhaftigkeit beschuldigen.«

»Aber warten Sie wenigstens, bis ich Ihnen die Adresse meiner Wohnung gegeben habe.«

»Das ist nicht nötig. Der Doktor wird sie schon finden. Hätte er sie verlangt, so würde er danach gefragt haben. Gehen Sie, gehen Sie nur.«

Und die hübsche Friesin drängte Eusebius van der Beek zur Tür hinaus, indem sie ihm die Hand drückte, um diese etwas unhöfliche Weise seiner Entfernung zu entschuldigen. Der junge Mann versuchte leise zu widerstehen. In diesem Augenblick ertönte ein noch heftigerer Schlag auf den Gong, dass das ganze Haus davon widerhallte. Die junge Friesin sammelte alle ihre Kräfte, stieß die Tür auf und Eusebius hinaus, der sich so auf der Straße befand, bevor er noch seine Adresse hatte angeben können. Er hörte dann sogleich, wie die Tür wieder verschlossen und verriegelt wurde. Dies geschah mit einem Eifer, welcher bewies, dass der Doktor Basilius in seinem Haus eine strenge Autorität ausübe.

Er rief die Holländerin, indes vergebens, keine Stimme antwortete ihm. Er wollte ein Gespräch anknüpfen, doch das Licht, welches bis dahin geschimmert hatte, verschwand.

»Ach!«, rief er verzweiflungsvoller wie je, »das ist ein grausamer Spott, und um sich meiner zu entledigen, hat das junge Mädchen mir gesagt, der Doktor Basilius würde meine Frau besuchen. Wie sollte ihm dies möglich sein, da er meine Adresse nicht kennt und das Haus überdies am äußersten Ende der oberen Stadt liegt, in einem der namenlosen Gässchen, welche an das chinesische Viertel grenzen!«

Er rief von Neuem, und als er wieder keine Antwort erhielt, brach er in Klagen aus.

»Mein Gott! Mein Gott!«, sagte er dumpf in sich hinein, »sollen denn alle diese Bemühungen vergeblich gewesen sein? Der unglückselige Arzt kann meine Wohnung in der Dunkelheit nimmermehr finden, und wenn der Tag anbricht, ist meine arme Esther tot.«

Er verdoppelte sein Geschrei, und als im Haus alles still blieb, erhob er das Stück Holz, dessen er sich schon früher bedient hatte, und stieß es mit aller Gewalt gegen die Tür, um die Aufmerksamkeit der Bewohner zu erwecken. Doch alles blieb nutzlos. Das Haus schien ausgestorben zu sein und nur das Echo antwortete auf die Schläge des armen Eusebius van der Beek.