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Der Kommandant des Tower 60

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Fünftes Buch
Sechstes Kapitel

Tower Hill

Draußen wartete, wie wir bereits angedeutet haben, eine starke Abteilung Gardisten, die mit Hellebarden bewaffnet waren. Mitten unter ihnen stand Mauger, auf seine Axt gelehnt, und das Gesicht mit einer scheußlichen, schwarzen, bärtigen Maske bedeckt. Zwei schwarz behangene Pferde standen für den Kommandanten und den Lieutenant in Bereitschaft.

Sie stiegen auf, Sir John gab das Zeichen zum Aufbruch, und der traurige Zug, der sich schnell geordnet hatte, setzte sich in Bewegung. Der Kommandant ritt an der Spitze, und man sah es am Ausdruck seines Gesichts, wie schmerzlich bewegt er war. Auch sein Ross schien mit seiner Stimmung zu sympathisieren, denn es bekundete durch nichts deine gewohnte Lebhaftigkeit. Dann kam der Towerkaplan mit einem offenen Gebetbuch, von dem er nicht aufblickte, in der Hand; dann die Trompeter, sie hatten ihre Instrumente um den Hals hängen, bliesen aber nicht. Ihnen folgten die Tambours und schlugen ihre Trommeln in gedämpfter Weise, dann kamen dreißig Gardisten, immer je drei und drei, die drei Riesenwächter voraus. In einiger Entfernung folgte Mauger, maskiert und hinkend. Auf seiner Schulter trug er die Axt, mit der Schneide nach dem Gefangenen gerichtet, der mit festem Schritt und ungebeugter Haltung in kurzer Entfernung hinter ihm herschritt. Gleich hinter dem Admiral ging Latimer. Eine andere Abteilung von Gardisten, mit dem Lieutenant an der Spitze, schloss den Zug.

Auf dem Rasenplatz, auf den Wällen und allenthalben sonst, waren zahlreiche Neugierige versammelt, um zu sehen, wie der Admiral diese entsetzliche Probe bestehe. Alle staunten über seine Fassung. Sein Antlitz war bleich von Aufregung und langer Haft, seine Gestalt aber aufrecht, stolz und fest. Nichts von dem, was in seinem Inneren vorging, war in seinen Zügen zu lesen. Aber welche Erinnerungen an frühere, glücklichere Tage mochten in ihm wach werden, als er über den weiten, offenen Platz, dem White Tower gegenüber, schritt und zum Palast jenseits blickte. Um dieser schmerzlichen Gedankenfolge eine andere Richtung zu geben, wandte er seinen Blick zur entgegengesetzten Seite.

In diesem Augenblick war er dicht beim Beauchamp Tower, und indem sein Blick darüber hinschweifte, bemerkte er den Herzog von Norfolk, der aus einem dicht vergitterten Fenster nach ihm hinsah. Ihre Blicke begegneten sich, und was lag nicht alles in diesem einzigen Blick! In dem des Herzogs war kein Jubel über einen gefallenen Feind zu lesen, kein Lächeln befriedigter Rachsucht überflog sein ehrwürdiges Antlitz, sondern er schüttelte schmerzlich bewegt das Haupt.

Seymour knickte zusammen, fasste sich aber sogleich wieder und schritt mit derselben Sicherheit weiter wie zuvor. Aber Norfolks Blick und Kopfbewegung folgten ihm, und er sprach zu sich selbst: »Ich wollte, ich hätte ihn nicht gesehen!«

Der Zug ging nun unter dem düsteren Bogen des Bloody Tower hin, und in dem äußeren Hof befanden sich zu beiden Seiten des Weges noch mehr Zuschauer. Viele sprachen laut ihre Anteilnahme für den Admiral aus, aber Latimer brachte sie durch Wort und Gebärde, indem er seinen Stab gegen sie erhob, zum Schweigen. Der Zorn des Geistlichen wurde jedoch noch mehr durch einen bald darauf stattfindenden Zwischenfall gereizt. Die erste Gardeabteilung hatte das Tor des Byward Tower passiert und Seymour näherte sich demselben gerade, als Xit, der sich unter den Umstehendes befand, vorsprang, und, ehe er daran gehindert werden konnte, sich ihm zu Füßen warf. Im Moment darauf wurde der arme Zwerg von einem der Gardisten mit der Hellebarde beiseite gestoßen, aber schluchzend rief er dem Admiral ein Lebewohl zu.

Nun war der schlimmste Teil der Zeremonie zu bestehen, und Seymour stählte seine Nerven dagegen. Eine ungeheure Menschenmenge war außerhalb der Festung und auf Tower Hill versammelt, schon war das entsetzliche Geräusch zu vernehmen, wie es von einem solchen Schwarm auszugehen pflegt. Dieses Geräusch hatte etwas Furchtbares, und Seymour fühlte sich davon schwindeln, aber es war nur ein Augenblick. Als er gleich darauf den Blicken dieser Tausende von spähenden Zuschauern ausgesetzt war, die ihn mit den Augen verschlangen, denen kein Blick und keine Bewegung entgingen und die ihre Bemerkungen über ihn machten, etwa wie über einen römischen Gladiator, da hatte er seine volle Unerschrockenheit wieder gewonnen. Auch verließ ihm seine außerordentliche, bezaubernde Gewalt in diesem letzten Augenblick nicht. Indem er so langsam weiterschritt und auch rechts und links blickte, um befreundete Gesichter zu sehen, da erhob sich ein lautes Murren. Man hörte hin und wieder ein Schluchzen, es entstand ein Drängen, dass es der äußersten Anstrengung der Arkebusiere, die den ganzen Weg entlang aufgestellt waren, bedurfte, um den Haufen zurückzuhalten.

»Seid ruhig, liebe Freunde!«, rief Seymour. »Ihr tut mir nur Schaden und nützt mir nicht.«

Aber diese Worte, anstatt die Aufregung des Haufens zu beschwichtigen, steigerten sie nur. Da der Tumult gefährlich zu werden drohte, so fürchtete Sir John, dass eine Rettung versucht werden könnte, und befahl der Wache, sich dicht um den Gefangenen zu scharen und ihren Schritt zu beschleunigen. So geschah es, keinen Augenblick zu früh, denn die Reihen der Hellebardiere wurden an zwei oder drei Stellen durchbrochen. Der wütende Haufen, der sich in seiner Erwartung, auf den Admiral zu stoßen, getäuscht sah, attackierte die Wachen, riss ihnen die Hellebarden weg. Es entstand ein ernstlicher Konflikt, infolge dessen mehrere Personen getötet und viele schwer verwundet wurden. Gegen den Protektor wurden laute und wilde Verwünschungen ausstoßen, man nannte ihn den Mörder seines Bruders.

In Voraussicht einiger solcher Störungen, die in der Regel stattfanden, war beim Schafott eine Kompanie Landsknechte aufgestellt und diese noch durch berittene Bürgergarde verstärkt worden, sodass der Hinrichtungsplatz vollständig umringt war. Eine ungeheure Menge war versammelt. Im ganzen Bereich von Tower Hill sah man Kopf an Kopf und in der Nähe des Schafotts, welches auf dem höchsten Punkt nordwestlich von der Festung stand, war kein Zollbreit unbesetzt.

Dank den Vorsichtsmaßregeln des Kommandanten wurde Seymour sicher bis ans Schafott gebracht. Als er bald darauf die Stufen erstieg und oben erschien, durchbebte ein furchtbares Geschrei die Luft.

Das Wetter war bis dahin trübe und düster gewesen, aber gerade in diesem Moment brach ein Sonnenstrahl hindurch, sodass die ungeheure Menge, deren Blicke auf Seymours Antlitz hafteten, die edlen Züge desselben noch deutlicher unterscheiden konnte. Nie in seinen stolzesten Momenten hatte er majestätischer ausgesehen als jetzt, da er auf diesen verhängnisvollen Brettern stand. Aber das Lächeln, das seine Züge überflog, verschwand ebenso rasch wie der leuchtende Sonnenstrahl, und sein Antlitz sah nun bleich und starr wie Marmor aus.

Der Kommandant und der Lieutenant hatten vor ihm mit Mauger das Schafott bestiegen. Latimer war auch oben und stand neben ihm. Niemand anderes durfte hinauf.

Der Admiral hatte die Absicht, die Menge anzusprechen, und trat deshalb an den Rand des Schafotts, verbeugte sich gegen die Umstehenden und begann zu sprechen. Aber es erhoben sich ein solcher Tumult und ein solches Geschrei, dass seine Worte vollständig erstickt wurden, und dass er endlich, den Bitten des Kommandanten gemäß, obwohl mit sichtlichem Widerstreben, seine Absicht aufgab. Dann nahm er sein Barrett ab und rief mit so gewaltiger, sonorer Stimme, dass sie den betäubenden Lärm übertönte: »Lang lebe König Edward!«

Der Ruf wurde mit lauter Zustimmung aufgenommen, aufs Neue folgten Geschrei und Verwünschungen gegen den Lordprotektor.

Jetzt näherte sich Latimer und fragte Seymour, ob er seine Sünden aufrichtig bereue und seine Hoffnung auf den Heiland setze. Aber jener achtete kaum auf ihn, es verlangte ihn dem Anschein nach, dass der Sache ein Ende gemacht werde. Er herrschte dem Henker zu, sich zu beeilen. Indem er sein Oberkleid abwarf, zeigte er eine Gestalt, die an Ebenmaß ihres Gleichen suchte.

Wieder näherte sich Latimer und wurde wieder zurückgewiesen.

Darauf kniete Seymour nieder, und tiefes Schweigen herrschte in der Runde.

Sein Gebet war bald beendet, dann winkte er Mauger, dass er bereit sei. Nun näherte er sich dem Block, kniete neben demselben nieder, nahm aus seinem Wams das gestickte Tuch, das Elisabeth ihm gesandt hatte, presste es an die Lippen und band es um seine Augen.

In diesem Moment trat Latimer vor und schrie ihm ins Ohr: »Bereue!«

»Hinweg!«, rief der Admiral, »Ihr zerstreut mich.«

Dann legte er seinen schönen Hals auf den Block, und die Axt fiel nieder.

So endete der schuldbeladene und ehrgeizige Seymour. Nach Latimers Worten starb er »unbußfertig, Ärgernis erregend, grässlich.« Andere aber beurteilten ihn milder und meinten, »er starb wie ein Held.«

Jedenfalls war die Strafe, die er erduldete, eine gerechte.

Seine irdischen Überreste wurden unter der Aufsicht des Kommandanten in der St.-Peters-Kapelle im Tower begraben.

Drei Jahre später wurde sein Bruder, der Herzog von Sommerset – gleichfalls enthauptet – an seine Seite gelegtAchtzehn Monate nach diesem der Herzog von Northumberland, in der Geschichte bekannter unter dem Namen des Grafen von Warwick, ebenfalls enthauptet und nur wenige Schritte von den Brüdern, deren Sturz er veranlasst hatte, gebettet.

Die drei Gräber sind noch heute zu sehen.