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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 6

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

6. Wie Rübezahl einmal einen dummen Streich macht

Einmal kam Rübezahl nach Liebenthal, trug ein Päcklein Tuch unterm Arm und fragte schon oben beim Jungfernkloster: »Wo wohnt der Schneider Andelmann?«

»Unten am Ring, gleich neben meiner Frau Muhme«, sagte ein Mägdlein, so am Brunnen Wasser holte. »Und wenn der Herr ein wenig warten will, so geh ich halt mit.«

Also gingen beide, Rübezahl und das Mägdlein zusammen, bis das Mägdlein sagte: »Hier wohnt er.«

Als Rübezahl beim Schneider in die Stube trat, – er sah gar vornehm aus, – und das Tuch ausbreitete, – es war ein ganzes Stück, – dachte der Schneider: Der ist nicht von Liebenthal und solche vornehme Leute kommen nicht alle Tage. Ich oder ein anderer brauchen es auch.

Er legte also das Tuch doppelt und machte doch ein bedenkliches Gesicht, als ob es nur mit knapper Not lange, während Rübezahl mit den Gesellen schwatzte und gar nicht achtzuhaben schien, was vorging. Hierauf versprach der Schneider, dass das Kleid in neun Tagen fertig sein solle, und Rübezahl ging davon. Nach verlaufener Zeit erschien Rübezahls Diener, sagte, sein Herr werde in etlichen Tagen selbst kommen, indessen möge er ihm nur das Kleid verabfolgen lassen , sein Herr habe ihm mehr Arbeit zugedacht.

Der Schneider, so ein gar höflicher Mann war, sagte »Gar gerne«, und dachte: Immerhin, du hast schon deinen Schnitt gemacht.

Als nun aber die Tage verstrichen und der Herr immer noch nicht kommen wollte, so wurde es ihm unter der Mühe ganz bedenklich, und er beschloss, sein gemetztes Tuch zu veräußern. Wie er es aber hervorholte, so war es eine Decke aus Schilf geflochten.

Dieses Mal einem vornehmen Herrn getraut und nie wieder, dachte er, merkte wohl, dass die Sache nicht mit rechten Dingen zuging und schlug sich endlich die ganze Geschichte aus dem Sinn. Nun geschah es um Mariä Heimsuchung, dass er mit seinem Gesellen ins Kukusbad reiste und übers Gebirge ging, um die Koppe mit zu besteigen. Wie sie bald hinauf waren, kam Junker Rübezahl ihnen ganz lustig auf einem Bock entgegengetrabt und machte dem Schneider alsbald eine Nase einer Viertelellen lang, dass der Geselle erschrak.

»Glück zu, Meister«, rief ihm Rübezahl zu, »Ihr wollt wohl den Macherlohn für das Kleid holen , das ihr mir verwichen gemacht habt und ich jetzo am Leibe trage?«

Da ging dem Schneider ein Licht auf. Er entsetzte sich und verfärbte sich im Gesicht, dass er wie eine Leiche aussah. Dachte aber doch: Was ein rechter Schneider ist, muss sich immer zu helfen wissen. Er entschuldigte sich also mit der größten Höflichkeit, und darum wäre er nicht hierher gekommen, aber er habe eine notwendige Reise nach Böhmen vor, und hoffe, der Herr werde ihm dabei nicht hinderlich werden. Er wolle ihm sein Lebtag gern redlich dienen.

So ärgerlich nun auch Rübezahl über den Schneider war, so ließ er es doch diesmal hingehen und dachte: Wer weiß, wo ich ihn wieder brauche. Also reizte er seinen Bock, dass er zettelte, und sagte dem Schneider: »Nimm das zu einer Verehrung. Es ist von deinem Kollegen, aber hüte dich in Zukunft.« Dabei machte er ein Gesicht, als ob es just nicht gespaßt wäre.

Wiewohl nun der Schneider – es war ihm gar zu anzüglich – nicht gern dran wollte, so musste er doch, und der Geselle griff auch herzhaft mit an, und schieden hierauf mit der größten Höflichkeit von diesem Ritter, der unter Sturm und Ungewitter davonbrauste. Als sie nun des Nachts in die Herberge kamen und ihre Schubsäcke ausräumten, da fanden sie statt der Lorbeeren die schönsten Goldkörner und werden nun wohl die Leute erst recht geprellt haben.

Merke: Man muss nie unredlich sein, denn nur ehrlich währt am längsten. Man muss aber auch nicht so einfältig sein, wie Rübezahl setzt einmal war, und gar das Laster belohnen, sonst wird man dessen Teilnehmer, und ein Schneider ist nimmer zu bessern.