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Die Gespenster – Zweiter Teil – Elfte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Elfte Erzählung

Von Todesahndungen und anderen gefahrvollen Gespenstern der Einbildungskraft

Keine Seelenkraft bietet uns so sonderbare, so widersprechende Erscheinungen dar, als die Einbildungskraft. Sie, die uns zur wohltätigsten Freundin in diesem, oft an Realität so armen Erdenleben gegeben war, durch die wir Genuss des Lebens, Trost in trüben, und Verherrlichung der glücklichen Stunden, durch die wir lebendiges Gefühl fürs Gute und Schöne, für Tugend und Wahrheit erhalten, solange wir sie in gehörigen Schranken zu halten wissen. Sie kann, sobald sie diese überschreitet, unser fürchterlichster Tyrann werden, der uns Ruhe, Glück, ja unser ganzes Dasein raubt. Es ist also sicher einer der wichtigsten Grundsätze unseres moralischen Daseins, immer gegen sie auf der Hut zu sein, und das gegenseitige Verhältnis so zu ordnen, dass wir immer eine gewisse Oberherrschaft behaupten. Aber dass diese Lebensregel nicht weniger wichtig für unser Physisches ist, erlaube man mir, durch einige Schilderungen ihres mächtigen Einflusses, und besonders durch ein Beispiel zu beweisen, das ich selbst zu beobachten Gelegenheit hatte.

Mannigfaltig sind die Stufen, die jene sonderbare Gefühlskrankheit, die man überspannte, unregelmäßige Einbildungskraft nennt, durchläuft, und unzählig die Masken, unter welchen sie sich uns darstellt. Von der ersten augenblicklichen Vorstellung an, dass wir etwas als wirklich fühlen, was nicht ist, bis zur völligen Verrückung oder der gänzlichen Verstimmung unseres Gefühls, finden unzählige Abstufungen statt, die auf den Grad des Übels, auf die Ursachen und auf die eigentümliche Beschaffenheit des Kranken sich gründen. Ein großer Teil von dem, was wir hypochondrische oder hysterische Zufälle und Nervenkrankheiten nennen, rührt im Grunde bloß von einer verdorbenen Einbildungskraft her. Man lacht gewöhnlich über solche Leiden, sobald sie als Folgen einer kranken Einbildungskraft erkannt werden. Aber man hat sehr unrecht. Ich kenne wirklich keine schrecklichere und reellere Krankheit als die, wo das Gefühl unseres Wesens und Daseins selbst leidet, und zehnmal leichter ist es, ein wirkliches Übel zu ertragen als ein eingebildetes. Dort bleibt mir immer noch die Zuflucht zu mir selbst offen, und es ist mir mit einiger Sammlung der Seelenkraft immer noch möglich, das Übel als etwas Abgesondertes und Fremdes zu betrachten. Hier aber ist auch das Einzige, was Trost und Stärkung geben kann, mein geistiges Ich, krank, und das Leiden ist wirklich ein Teil meines Wesens. Bei wahren Übeln ist es genug, die Grundursache gehoben zu haben, um Hilfe erwarten zu können; bei eingebildeten hingegen nicht. Hier muss das Geistige bekämpft und geheilt werden, und die bewährtesten Mittel wirken nichts, sobald sie nicht auf die Einbildungskraft wirken.

Bei solchen unglücklichen Personen verwirren sich jeden Augenblick ihre wahren Gefühle mit ihren Träumereien. Sie sehen nichts recht, weil sie alles nur in dem Spiegel ihrer Einbildungskraft zu sehen gewohnt sind. Sie kommen endlich dahin, entweder sich selbst nicht mehr zu trauen, und also im ewigen Widerspruch mit sich selbst zu leben, oder aber ein Ball zu werden, mit dem die Einbildungskraft die sonderbarsten Spiele treibt, und Erscheinungen darzubieten, die dem vernünftigeren, kälteren Menschen unbegreiflich vorkommen. So wird es möglich, dass der eine sich für ein Gerstenkorn halte, welches in beständiger Gefahr steht, von Hühnern gefressen zu werden, der andere für eine Person der Gottheit. Dass dieser ebenso fest überzeugt ist, er sei aus Glas und könne nicht stark angerührt werden, ohne zu zerbrechen; als jener, er sei der Treffbube und müsse sich gewaltig hüten, dem Treffkönig nicht in den Weg zu kommen.

So entsteht die sonderbare Krankheit, sich doppelt zu sehen, von der ich, ein merkwürdiges Beispiel gesehen habe, wo das andere Ich unbeschreiblich lästig wurde, sich überall und sehr zur Unzeit in den Weg stellte, und das arme Original durch seine beständige Gesellschaft fast bis zur Verzweiflung brachte. Und, was wohl zu bemerken ist, dies war ein Mann, der seinen vollen Verstand hatte und übrigens seine Geschäfte richtig und ordentlich führte. Doch ist nicht zu leugnen, dass diese Erscheinung zuweilen ihren Grund auch außer uns, in einer besonderen Brechung der Lichtstrahlen, haben kann, wie des berühmten Kerstings Beispiel beweist. Er arbeitete nämlich einst gegen Abend in seinem Laboratorium, wo die Luft durch eine Menge Präparate, Leichname usw. dick und mit Dünsten angefüllt war. Plötzlich sah er in die Höhe und entdeckte seine ganze Gestalt, sich gegenüber, am anderen Ende des Saals sitzen. Er stand auf, um das Phantom genauer zu untersuchen, ging darauf los, aber da verschwand es. Er begab sich wieder an den vorigen Platz, da sah er es wieder. Aus einem anderen Winkel war es wieder unsichtbar. Genug, es ergab sich, dass alles auf den Einfallswinkel der Lichtstrahlen ankam, und dass folglich die ganze Erscheinung ihre Entstehung den Dünsten des Saals verdankte, die hier mit Beihilfe der Abendsonne wie ein Spiegel gewirkt hatten.

Durch Wirkung der Einbildungskraft können ferner Träume und Ahndungen tödlich werden. Ich habe es immer für eines der traurigsten Anzeigen gehalten, wenn mir ein Kranker oder seine Freunde sagten, er habe kurz vorher einen Traum oder eine Ahndung seines Todes gehabt, oder es sei ihm ein Geist erschienen, der ihm gewinkt habe. Es war dies teils ein sicherer Beweis, dass die Krankheit bei diesem Menschen tief, sehr tief liege, und wirklich schon vor dem eigentlichen Ausbruch, sein Nervensystem und die Quelle seiner Vorstellungen in einem solchen Grad zerrüttet habe, um so lebhafte Fantasien möglich zu machen. Teils konnte ich nun sicher darauf rechnen, dass die feste Überzeugung des Todes die Krankheit furchtbarer und die Mittel unwirksamer machen, und besonders die heilende Naturkraft lähmen würde, ohne welche die ganze Kunst des Arztes nichts ist.

So können endlich wirkliche Krankheiten durch Einfluss der Einbildungskraft die ungewöhnlichsten und schlimmsten Nebenbeschaffenheiten erhalten, ja dadurch allein entstehen. Und dies ist der Fall, wo freilich der Arzt in keinem Apothekerbuch Rat und Hilfe findet, wo er noch weniger damit ausrichten wird, wenn er dem Kranken beweisen will, dass alles nur Einbildung sei. Das Einzige, was ihn hier aus der Verlegenheit ziehen kann, ist ein glücklicher Einfall, irgendein Mittel, was die Einbildungskraft auf einen anderen Gegenstand zu lenken oder wenigstens ihre Folgen unschädlich und ihre Überzeugungen durch sie selbst zunichtezumachen vermag.

Man weiß, wie man jenen, der sich für tot hielt und schlechterdings nicht essen und nicht trinken wollte, heilte. Man begrub ihn mit allen Förmlichkeiten im Keller. Einer seiner Freunde ließ sich kurz darauf auch im Sarg hineintragen, brachte einen guten Vorrat Lebensmittel mit und versicherte ihn, es sei auch in jener Welt gewöhnlich, zu essen und zu trinken. Er ließ sich zureden, und wurde geheilt. Einen anderen, der sich einbildete, er habe keinen Kopf, eine Einbildung, die nicht so häufig ist wie die vom Gegenteil, überzeugte man plötzlich vom wirklichen Dasein seines Kopfes dadurch, dass man ihm einen schweren Hut von Blei aufsetzte, dessen Druck ihm seinen Kopf nach langer Zeit zum ersten Mal wieder fühlbar machte.

Am allerschlimmsten ist es wohl, wenn die Einbildung auf Dinge fällt, deren lebhafte Vorstellung sie am Ende zur Wirklichkeit bringen kann. Von dieser Art war ein Fall, den ich selbst zu sehen und zu behandeln hatte, und der wohl unter die auffallendsten Beweise der Gewalt überspannter Einbildungskraft gehört.

Ein junger sechzehnjähriger Mensch, schwach und reizbar von Nerven, übrigens aber völlig gesund, ging in der Abenddämmerung aus seiner Stube, kam aber plötzlich mit bleichem erschrockenem Gesicht zurück und eröffnete seinem Stubengenossen mit zitternder Stimme, übermorgen um neun Uhr müsse er sterben. Natürlich fand sein Freund diese plötzliche Verwandlung eines jungen munteren Menschen in einen Todeskandidaten sehr sonderbar. Er fragte ihn nach der Ursache, und da ihm diese nicht entdeckt wurde, versuchte er ihm wenigstens die Idee auszureden und sie lächerlich zu machen. Aber alles vergebens. Die beständige Antwort blieb, sein Tod sei völlig gewiss und unvermeidlich.

Bald versammelte sich ein Zirkel guter Freunde um ihn her. Man versuchte ihn durch Munterkeit, Scherz und selbst durch kleine Spöttereien von seiner Torheit abzubringen. Er saß mit finsteren, in sich gekehrtem Blick unter ihnen, nahm an nichts Anteil, seufzte und wurde endlich böse, wenn man ihn Spott fühlen ließ. Man hoffte, die Nacht würde durch einen ruhigen Schlaf seine Fantasie umstimmen, aber der Schlaf floh ihn, und seine einzige Beschäftigung die ganze Nacht über war der nahe Tod. Früh ließ er mich rufen. Ich fand allerdings den seltsamsten Anblick von der Welt, einen gesunden Menschen, der beschäftigt war, alle Anstalten zu seinem Begräbnis zu machen, den traurigsten Abschied von seinen Freunden zu nehmen, einen Brief an seinen abwesenden Vater zu schreiben und ihm nebst dem letzten Lebewohl die Nachricht von seinem morgen um neun Uhr bevorstehenden Tod zu überbringen. Ich untersuchte seinen physischen Zustand, fand aber nichts Widernatürliches wie Blässe des Gesichts, trübe, etwas verweinte Augen, Kälte der äußeren Teile und einen kleinen zusammengezogenen Puls; lauter Beweise eines allgemeinen Nervenkrampfs, der sich hinlänglich in seinem Seelenzustand äußerte. Ich versuchte es also, ihn mit den triftigsten Gründen von der Nichtigkeit seiner Einbildung zu überführen, und bewies ihm, dass ein Mensch, dessen Physisches sich in einem so guten Zustand befände, schlechterdings keinen so nahen Tod zu befürchten habe. Ich nahm meine ganze Beredsamkeit und medizinische Glaubwürdigkeit zusammen. Aber all dieses machte nicht den geringsten Eindruck. Er gab mir gern zu, dass ich als Arzt keine Todesursache an ihm entdecken könnte; aber eben dies sei das Eigentümliche seines Falles, dass er ohne natürliche Ursache, bloß durch ein unabänderliches Geschick, seinen Tod jetzt finden müsse, und so wenig er diesen Glauben von uns verlangen könnte, so gewiss würde ihn der Erfolg des nächsten Tages rechtfertigen. Es blieb mir also weiter nichts übrig, als ihm zu sagen, dass ich ihn bei so bewandten Umständen als Kranken behandeln und die nötigen Mittel verordnen würde.

»Recht gut«, antwortete er, »aber Sie werden sehen, dass Ihre Mittel nicht allein mir nicht helfen, sondern nicht einmal wirken werden.

Die Zeit war kostbar, und es waren nur noch vierundzwanzig Stunden zur Kur übrig. Ich hielt also für das Beste, ihn durch starke erschütternde Mittel und wirksame Gegenreize womöglich aus dieser Gefangenschaft seiner Fantasie zu erlösen. In dieser Absicht wurde ein sehr starkes Brech- und Purgiermittel gegeben, Spanische Fliegen an beide Waden gelegt und reizende Klistiere gegeben. Er ließ sich alles gefallen, aber immer mit der Versicherung, sein Körper sei wirklich schon halb erstorben, und die Mittel würden nichts mehr wirken. Und wirklich musste ich zu meinem nicht geringen Erstaunen bei meinem Abendbesuch hören, dass das Brechmittel wenig oder nichts getan habe, und die Spanischen Fliegen hatten die Haut nicht einmal rot gemacht. Nun triumphierte er ganz über unseren Unglauben und fand in dieser Unwirksamkeit der Mittel die gewisse Überzeugung, dass er schon eine halbe Leiche sei. Mir selbst wurde der Fall immer ernsthafter. Ich sah, wie tief und zerrüttend jener Seelenkampf auf das Körperliche gewirkt, welchen Grad von Fühllosigkeit er erzeugt habe. Ich musste mit Recht befürchten, dass eine Einbildungskraft, die den Körper schon so weit gebracht habe, auch noch schlimmere Dinge möglich machen könne.

Alle unsere Nachforschungen, worauf sich eigentlich sein Glaube gründe, waren bisher vergebens gewesen. Erst jetzt entdeckte er einem seiner Freunde im strengsten Vertrauen, dass, als er gestern Abend auf den Vorsaal gekommen war, ihm eine weiße Gestalt erschienen sei, die ihm gewinkt habe. In demselben Augenblick habe er eine Stimme gehört: »Morgen um neun Uhr musst du sterben!« Dies sei ein Verhängnis, dem er durch nichts entgehen könne. Er fuhr nun fort, sein Haus zu bestellen, machte sein Testament und bestimmte Punkt für Punkt, wie es mit seinem Leichenbegängnis gehalten werden, wer ihn tragen, wer ihn begleiten sollte. Er bestand sogar noch darauf, das Abendmahl zu genießen, welches man aber hintertrieb. Die Nacht brach ein, und er fing schon an, die Stunden zu zählen, die er noch bis zu der ominösen Neunten des nächsten Morgens zu leben habe. Deutlich nahm mit jedem Glockenschlag seine Angst und Unruhe zu. Mir fing an, bange zu werden. Ich erinnerte mich an die Beispiele, wo die bloße Einbildung des Todes den Tod wirklich hervorgebracht hatte. Das Beispiel jener spaßhaften Hinrichtung, wo man den Verbrecher nach gehaltenem, hochnotpeinlichen Halsgericht zum Schwert verdammte, ihn die ganze Todesangst ausstehen ließ, und ihn, in der gewissen Erwartung des Todesstreichs, mit einer Rute an den Hals schlug, und wo derselbe ebenso gut entseelt zur Erde fiel, als wäre er wirklich enthauptet worden, ließ mich fürchten, dass hier ebenso etwas möglich sein und der für ihn tödliche Glockenschlag, Neun, die nämliche Wirkung haben könnte, wie dort der Rutenschlag. Wenigstens konnte bei der schrecklichen Überspannung seiner Fantasie, bei dem allgemeinen Krampf, der schon alles Blut zum Kopf und den inneren Teilen getrieben hatte, die mit dem Glockenschlag verbundene Erschütterung die fürchterlichste Revolution in ihm erregen, Krämpfe, Ohnmacht oder Blutergießungen hervorbringen, oder wohl gar dem noch übrigen kleinen Rest der schon so sehr in die Enge getriebenen gesunden Vernunft vollends den gänzlichen Verderb bringen.

Was war also zu tun? Alles kam darauf an, ihn über den unglücklichen Zeitpunkt unvermerkt hinwegzuführen. Es ließ sich hoffen, dass, da die ganze Einbildung darauf beruhte, er sodann selbst in sich gehen und geheilt werden würde. Ich setzte also mein Vertrauen auf das Opium, welches noch überdies dem krampfhaften Zustand vollkommen angemessen war, ließ ihn nach Mitternacht zwanzig Tropfen Laudanum mit zwei Gran Bilsenextrakt nehmen und verordnete, dass, wenn er, wie zu hoffen war, die Todesstunde verschliefe, seine Freunde sich um sein Bett versammeln und ihn beim Erwachen recht tüchtig auslachen sollten, um sogleich, statt jener erlöschenden Idee, das Gefühl der Beschämung und Lächerlichkeit seines Zustandes recht lebhaft zu erwecken, und ihm den Irrtum recht fühlbar zu machen. Es wurde alles genau befolgt. Er schlief bald nach eingenommenem Opiat fest ein und schlief fort bis gegen elf Uhr mittags. Seine erste Frage beim Erwachen war, was die Glocke sei. Da er nun hörte, wie weit er seinen Tod verschlafen habe, und er zugleich mit lautem Gelächter für seine Torheit bestraft wurde, verkroch er sich beschämt unter die Decke und lachte endlich selbst mit, versicherte auch, dass die ganze Sache ihm wie ein Traum vorkomme und er nicht begreifen könne, wie er ein solcher Tor habe sein können.

Er hat seit der Zeit der besten Gesundheit genossen und nie wieder ähnliche Zufälle gehabt.

Es sind mehrere Beispiele von Personen bekannt, die sich den Tod auch ohne Krankheit, in einem oder mehreren Tagen geweissagt haben, und auch richtig zur bestimmten Zeit gestorben sind. In den vorigen Jahrhunderten, wo es noch zum guten Ton gehörte, sich Sterndeuter zu halten und sich seine Todesstunde auspunktieren zu lassen, starben auch sehr viele große und angesehene Personen in den von ihren Wahrsagern vorausbestimmten Jahren und Monaten. Der Glaube an jene Wunderkraft wurde dadurch nicht wenig bekräftigt. Aber ich finde das sehr begreiflich, und schon gleichzeitige Schriftsteller erklären es ganz natürlich. Die guten Leute starben wirklich an der Prophezeiung. Und hier ist der Fall, wo gerade in der Vorhersagung einer Sache der einzige Grund liegt, warum sie geschieht. Es gehört gewiss mehr als gewöhnlicher Leichtsinn oder Kraft der Seele dazu, sich von jemandem, dem man höhere Einsichten zutraut, mit Zuversicht, ja mit mathematischer Gewissheit den Zeitpunkt des Todes voraussagen zu lassen, und nicht erschüttert, nicht mit banger Erwartung desselben erfüllt zu werden. Mit jedem Tag, der uns diesem gefürchteten Augenblick näher bringt, muss unsere Seelenangst und die damit unzertrennlich verbundene Zerrüttung unseres physischen Zustandes wachsen. Furcht ist das feinste, tödlichste Gift, sie lähmt alle Lebensbewegungen, tötet die edelsten Kräfte der menschlichen Natur, Mut, Nerven und Seelenkraft, und erhält das Nervensystem beständig in einer solchen Abspannung, dass man sie, wo nicht für Krankheit selbst, doch für die gefährlichste Anlage zu Krankheiten ansehen muss. Trifft uns nun vollends in dieser Stimmung eine kleine Unpässlichkeit, so kann sie durch Mutlosigkeit und Unterdrückung der Kräfte aufs Äußerste verschlimmert und aus einem einfachen Schnupfenfieber das bösartigste, ja todbringende Nervenfieber gemacht werden.

Auf diese Weise geschieht es, dass bei allgemeinem Unglück, Pest, lange dauernden angstvollen Belagerungen gerade dies die Sterblichkeit so schrecklich vermehrt, dass ein jeder befürchtet, dasselbe Schicksal zu erfahren, das er weit und breit um sich her erblickt.

Mir ist das Beispiel eines Mannes bekannt, der nichts weniger als abergläubig war und dem man in der Jugend den schlimmen Dienst erzeigt hatte, ihm die Konstellation zu stellen und sein Todesjahr zu bestimmen. Er lachte solange darüber, bis das benannte Jahr erschien. Aber nun wurde er zusehend nachdenklicher, und der vorher spaßhafte Gedanke wurde ihm ein unaufhörlich peinigender Plagegeist. Ohne sich davon etwas anmerken zu lassen, trieb er sich von einem Arzt zum andern, um seine Gesundheit beurteilen zu lassen und durch den Ausspruch der Fakultät die Stimme seiner Einbildungskraft zu betäuben. Es wurden alle Präservative gebraucht, jede nur deutbare Ursache von Krankheit abgeschnitten, und glücklich war schon das ominöse Jahr bis auf einen Monat vollbracht, als ihn ein gewöhnliches Fieber und zugleich auch die volle Todesangst befielen. Die ganze Heftigkeit der Krankheit wurde dadurch auf Kopf und Nerven gezogen, und er starb schon den fünften Tag an einem Schlagfluss.

Ich will dadurch nicht behaupten, dass es nicht auch Fälle geben könne, wo die Seele ein wirkliches Vorgefühl, ja sogar eine pünktliche Bestimmung der nahen Auflösung hat. Besonders findet man dieses in langwierigen Krankheiten, wo die Lebenskraft langsam und stufenweise abnimmt, und das innere Gefühl unseres physischen Daseins gleichsam mit jedem die Tage die Summe des Verlustes berechnen kann. Hier scheint ein Vorgefühl des Zeitpunktes möglich zu sein, wo dieser kleine Vorrat ganz erschöpft, das Öl in der Lampe ganz verbrannt sein wird.

Unvergesslich wird mir die Erinnerung eines Freundes sein, der von einer Lungensucht abgezehrt und nun so weit gebracht war, dass man mit jedem Augenblick sein Verscheiden erwarten musste, und dass ein Hauch das schwache Lebensflämmchen auszulöschen fähig schien. Er war selbst Arzt, und in diesem agonisierenden Zustand bestimmte er selbst die Dauer seines Lebens noch auf vierundzwanzig Stunden, ließ sich die Uhr ans Bett hängen, zählte jede Stunde und begleitete zuletzt den Zeiger mit unverwandten Blicken bis zur vierundzwanzigsten Stunde, wo er auf immer seine Augen schloss.

Durch den Einfluss der Einbildungskraft wird es begreiflich, wie die Krankheiten, besonders des Gefühls und der Nerven ihre Zeitabschnitte haben und im eigentlichen Verstand Mode sein können. Bekanntlich hat ein jedes Zeitalter seine eigentümliche Form und Manier der Vorstellungsart und seine eigenen herrschenden Ideen, die am Ende in unser Wesen mit übergehen. Es ist nichts natürlicher, als dass sich diese Form unseren Gefühlen selbst mitteilt und vorzüglich in den Krankheiten des Gefühls und der Vorstellungskraft ausdrückt. Dazu kommt nun noch eine geheime Sympathie der Imagination, wodurch selbst Fehler und Krankheiten des Gefühls leicht Nachahmung erregen und sich wirklich mitteilen, wovon ich nur die alltägliche ansteckende Kraft des Gähnens erwähnen will. So lässt es sich erklären, warum gewisse Krankheiten der Art eine Zeit lang allgemein herrschend sein konnten, dann wieder gänzlich verschwanden, und warum andere, ungeachtet die physischen Ursachen noch die nämlichen sind, doch nie wieder in dieser Gestalt erscheinen.

Man hat hiervon höchst merkwürdige Beispiele. Wie lange herrschte nicht die Krankheit der Behexungen und Teufelsbesitzungen allgemein! Dennoch ist sie nun, bloß durch Veränderung unserer Vorstellungsart und eine andere Richtung der Einbildungskraft gänzlich aus der Mode gekommen. Man hatte sich so gewöhnt, jeden sündhaften Gedanken für eine Stimme des Teufels, jeden ungewöhnlichen Ton des Nachts für eine Äußerung desselben zu halten und ihn immer hinter der Kulisse zu vermuten, dass endlich diese Idee die herrschende und der beständige Wirkungspunkt der Einbildungskraft wurde. Nun konnten sehr leicht selbst innere ungewöhnliche Krankheitsgefühle den Menschen, die sie hatten, als Regungen und Wirkungen des Teufels vorkommen und sie sich in allem Ernst für behext und besessen halten. Zum Erstaunen ist es, wie innig diese Überzeugung bei vielen war und wie sie diese bis zum Scheiterhaufen erhielten. Man findet die unleugbaren Beweise, dass viele ebenso gewiss wie ihre Richter, von ihrer Strafbarkeit überzeugt waren, und dass beide, sowohl die Richter als auch die zum Scheiterhaufen Verdammten, im Grunde nur von einer Krankheit befallen waren. Der einzige Unterschied war, dass jene taten und diese litten. Es ist wirklich ein angenehmes Geschäft, die Symptome jener Teufelskrankheiten mit denen der jetzigen Nervenkrankheiten und die damaligen Vorstellungsarten mit den jetzigen zu vergleichen, um die Fortschritte der Naturlehre und des Anbaues des menschlichen Geistes verehren zu lernen sowie von dem gesegneten Einfluss wahrer Aufklärung einen Begriff zu bekommen.

Eine der sonderbarsten Modekrankheiten war wohl die, sich in ein Tier verwandelt zu glauben. Schon in den frühesten Zeiten finden wir Spuren davon. Mehrere mythologische Fabeln mögen daher ihren Ursprung genommen haben, und wem fällt nicht das berühmte Beispiel des Königs Nebukadnezar ein, dessen ganze wunderbare Geschichte darauf hinausläuft, dass er sich, durch Stolz überspannt, einbildete, ein wildes Tier geworden zu sein, entsprang und in diesem Wahnsinn wirklich mehrere Jahre unter den Tieren des Feldes lebte, bis er endlich, wahrscheinlich eben durch diese Luft- und Kräuterkur, wieder zu sich kam und zurückkehrte.

Aber die eigentliche Mode dieser Krankheit gehört in das 12., 13. und 14. Jahrhundert, und sie bekam den eigenen Namen der Lykanthropie. Damals gab es eine Menge Menschen, die zuweilen den sonderbaren Paroxysmus bekamen, sich einzubilden, Wölfe zu sein. Es war eigentlich eine wahre Entzückung, in welcher der feinere Nervenbau des 18. Jahrhunderts vielleicht Engelsstimmen gehört hätte. Die damaligen unter Wölfen lebenden Menschen hörten Wölfe heulen, nahmen selbst die Wolfsnatur an und trieben in Gedanken alle Arten von Wolfsgeschäften. Kamen sie nun wieder zu sich, so erzählten sie alles, was sie im Traum getan hatten, eben so, als wäre es wirklich geschehen. Ja bei mehreren kam es wirklich dahin, dass sie nicht nur Erscheinungen hatten, sondern wirklich davonliefen, einige Tage in Wäldern herumirrten, Lämmer stahlen, diese roh verzehrten und sich ganz wie Wölfe verhielten. Je mehr ihrer wurden, desto mehr mussten diese Ideen herrschen und bei allen, die einige Anlage zur Verirrung der Einbildungen hatten, lebendig und tätig werden. Zuletzt kam es gar dahin, dass man fest glaubte, der Mensch könne es sich nicht nur einbilden, ein Wolf zu sein, sondern sich wirklich in einen Wolf verwandeln. Daher erzählen denn die Schriftsteller damaliger Zeiten in vollem Ernst, es wären ganze Herden solcher Wolfsmenschen oder Werwölfe herumgestrichen, ganze Dorfschaften dieser unseligen Verwandlungskunst zugetan gewesen, und, wenn man einen Wolf erlegte, habe man nie wissen können, ob man einen wirklichen Wolf oder einen Menschen in Wolfsgestalt getötet habe; ja man habe sogar beobachtet, dass von den Wunden, die man einem Wolf versetzt zu haben glaubte, ein Mensch danach die Schmerzen und Narben getragen habe. Man hielt es endlich für das Beste, auch dieses Spiel dem Teufel zuzuschreiben, die armen Wolfsmenschen in den Bann zu tun, sie fleißig zu verbrennen. Da unterdessen die Wölfe selbst auch immer seltener wurden und die Imagination weniger erfüllten, so hörte endlich diese seltsame Mummerei ganz auf.