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Atlantis Teil 28

Die Mittagssonne spiegelte sich in den klaren Fluten der Südsee. Bis in die Unendlichkeit streckte sich das leise atmende, tiefblaue Meer. Weite Wasserwüste, so weit das Auge reichte.

Da und dort verstreut Gruppen von Koralleninseln, kleinere und größere, und auf ihnen hier und da die schlanken Stämme von Kokospalmen, deren Samen die See auf das jungfräuliche Land geworfen hatte.

Eine dieser Inseln war ganz eigenartig gestaltet! Die zackigen Riffe gleich einer Mauer von Zyklopenhänden errichtet. Hoch über alles emporragend in weitem Kreise zog sich ihr Kranz um eine Lagune, auf dem inneren Rand ein Gewirr von Kokospalmen, die höchsten Spitzen der Riffe überragend. Ein leiser Rauch kräuselte durch die breiten Fächerkronen der Palmen.

Menschen … Menschen? Hier auf weltentlegenem Atoll, fern von jedem Verkehr, von jeder menschlichen Siedlung? Wer konnte hier wohnen?

Insulaner? Eingeborene?

Die Insel bot kaum Lebensmöglichkeiten trotz ihrer Größe. Tausend Meter im Durchmesser mochte sie haben.

Es war die Stunde des höchsten Sonnenstandes. Die sengenden Strahlen brachten die eingeschlossene Luft in den Wänden des Atolls zum Glühen. Kein menschliches Wesen war zu sehen.

Da! Aus der dunklen Höhlung im inneren Felsenriff trat eine weibliche Gestalt. Sie schritt einer Hängematte zu, die zwischen den Stämmen zweier Palmen ausgespannt war. Ihre Rechte griff nach der Schnur, mit der die Matte an dem einen Palmenstamm befestigt war, als wolle sie den Knoten prüfen.

Nur wer direkt daneben gestanden, hätte den haarfeinen blanken Draht bemerken können, der dabei mit scharfem Stift in den saftstrotzenden Palmenstamm gedrückt wurde, zu der Gestalt weiterlief und in den Falten ihres Gewandes verschwand.

Das Taschentuch entglitt ihrer Hand, fiel zwischen zwei Wurzelrippen des Baumes zu Boden. Sie bückte sich, es aufzuheben. Ein winziger Kontakt in der Höhlung zwischen den Wurzeln.

Unter dem Taschentuch griffen ihre Finger danach. Ein kurzer Druck, dann richtete sie sich auf. Und dann legte sie sich in die Matte, streckte sich lang aus. Ihre Hände bargen sich in den Falten ihres Gewandes, sie ruhte.

Eine Stunde mochte vergangen sein. Sie warf einen Blick auf die kleine Armbanduhr.

»Mittagsstunde … Mitternacht in Hamburg …«, murmelten ihre Lippen. Die Welle frei in dieser Zeit. Und als hätten die Worte ein leises Hüsteln aus ihrer Brust gelöst, fuhr ihre Rechte mit dem Taschentuch zum Mund.

»Walter! Hier Christie! Uhlenkort-Harlessen!«

Die Worte … Ihre Lippen flüsterten sie in das Mikrofon im Taschentuch. Immer wieder! Das leichte Gewand über ihrem Busen hob sich unter den Stößen der wogenden Brust. Immer wieder die gleichen Worte, gesendet auf der Uhlenkort-Welle in den Äther.

Dann … wie müde sank die Hand mit dem Taschentuch zurück. In der ganzen Welt verstreut die Uhlenkortschen Kontore … einmal müsste es glücken! Tagelang schon ging das Spiel, das gewagte Spiel …

Und dann! Wieder ging das Taschentuch zum Mund, wieder sprach sie in das Mikrofon. Vielleicht, dass heute einer den Ruf vernahm …

»Koralleninsel … Südsee … gefangen … sechstägige Fahrt vom Kanal … West zu Südwest.«

Wieder, immer wieder die Worte. Die Hand mit dem Taschentuch glitt zurück, ruhte auf der Brust, ging wieder zum Mund.

Wieder der Notruf! Wieder, immer wieder!

Die Sonne neigte sich nach Westen. Eine leichte Brise bewegte die breiten Palmenwipfel. Die glühende Hitze in dem Trichter über der Lagune wich langsam der Abendkühle. Sie richtete sich auf, ließ den Blick in die Runde gleiten.

Da drüben auf der anderen Seite der Lagune waren Menschen, Männer …

Sie sprang aus der Hängematte. Wieder glitt ihre Hand zu den Knoten, die die Matte am Stamm der Palmen hielten. Wieder entglitt ihr das Tuch, wieder beugte sie sich, es aufzuheben. Der Kontakt war frei.

Ihre Hände strichen über die Stirn, ordneten das verwirrte Haar. Die erregte Brust sog in tiefen Zügen die Kühle des Abends in die Lungen.

In der Höhlung am Riff, aus der sie gekommen war, erschien ein altes Negerweib, rief zu ihr herunter. Sie nickte, schritt zu ihr empor. Am Eingang blieb sie stehen, wandte sich um.

Am Rand der Lagune sammelten sich Männer. Einer, der Führer, schrie ungeduldig zu den Klippen hinauf.

Da, dort, aus den Spalten und Höhlen kamen immer mehr herbeigeeilt. Stiegen zu der Lagune hinunter, sammelten sich um den Führer.

Eine stattliche Schar war es. Männer! Matrosen, alte, junge, gebräunt von der tropischen Sonne, dem Seewind.

Das Auge des Führers glitt zählend über sie hin.

»Vierundsechzig! All right!«

Er drehte sich zur Lagune um. Einer in seinem Rücken, ein junger, frischer Kerl, winkte gerade zu Christie hinauf.

Ein Faustschlag des Führers ließ ihn ins Wasser taumeln.

»Kühle dich ab, du Satan! Die …« Er wandte sich mit drohendem Blick zu den Übrigen, »… die ist tabu für jeden. Hütet euch! Ihr kennt die Order! Dass keiner ihr zu nahe tritt! Der Strick wäre ihm sicher.«

Sein Blick ging zu der Höhle, wo Christies Gestalt eben verschwand.

»Reserviert, das Schätzchen! Nichts für euch!«, meinte er lachend.

Er hob die Hand in die Höhe, winkte.

Der graue Leib eines U-Bootes schob sich aus der stillen See, kam hoch und höher. Rauschend glitten die Wasser an seinen Aufbauten hinunter. Ein stattliches Ding, fünftausend Tonnen mochte es haben.

Eine aufgezogene Brücke vom Uferrand senkte sich zum Deck hinüber. Der Führer ging darüber hinweg, kam an Bord, sprach mit dem Offizier dort ein paar Worte. Dieser rief durchs Sprachrohr nach unten.

Wohl ein Dutzend Leute kam aus dem Inneren des Bootes aufs Deck, trat an.

»Ihr bleibt hier!«, rief der Führer. »Als Wache. Ihr anderen da hinüber, an Bord!«

Der Befehl wurde ausgeführt.

»Große Fahrt! Weit rauf zum anderen Wendekreis; wir werden lange wegbleiben. Zwei, drei Monate wird es dauern. Vielleicht noch länger. Lasst euch hier die Zeit nicht lang werden!«

»Zum Atlantik?«, fragte der Offizier.

»Atlantik«, gab der mürrisch zur Antwort. »Müssen durch den Kanal. Verfluchte Fahrt! Das Stückchen mit der Abraham Lincoln – dem Frauenzimmer da oben galt es, nichts anderem! Es hat gewirkt wie ein Tritt in einen Ameisenhaufen. Wimmelt da oben von Polizeibooten. Doppelte Fangprämien für den Atlantik ausgesetzt. Der Deubel hole die Fahrt! Riet ab, solange es ging. Musste schließlich doch nachgeben. Einzige Hoffnung die Schlupfwinkel an der afrikanischen Küste. Wenn nicht …« Er flüsterte die Worte leise in das Ohr des Offiziers. »… wenn wir nicht gar bald schon unter Flagge fahren. Der rote Löwe im schwarzen Feld! Ich möchte den Rest meines Seelenheils verwetten!«

Der Offizier trat erstaunt zurück.

»Für den schwarzen Kaiser?«

Der Führer nickte. »Für ihn! Der Deubel will’s.« Er lachte aus vollem Halse. »… dass wir mit einigen guten Freunden von der US-Marine zusammen auf Fahrt gehen. Hab’ so was läuten hören, vom Kapitän. Der stößt erst bei den Antillen zu uns, kommt mit dem Flugzeug von New York. Frau ist krank.« Ein hässliches Lachen begleitete die Worte. »Taugt nicht zu unserem schönen Beruf, Frau und Kinder zu haben.

Der Kaiser Augustus lässt alle Minen springen, nachdem ihm die große am Tschadsee aufgeflogen ist. Ein Teufelskerl, der das Stück fertigbrachte.«

Einer von den Leuten kam auf ihn zugeschritten, machte Meldung: »Alles fertig!«

Der Führer nickte, drückte dem Offizier die Hand.

»Gute Wacht! Passt auf die Frau auf!« Er deutete mit dem Arm in die Richtung der Höhlenmündung. »Passiert ihr was oder entkäme sie gar; wir würden es büßen.«

Er verschwand unter Deck. Die Luken schlossen sich hermetisch. Ein Ruck ging durch den grauen Leib des U-Boots, dann sank es …

Wohin?

 

*

 

Es war ein freundlich ausgestatteter Raum. Die Felswände mit Teppichen verhängt. Der raue, zackige Boden geebnet, mit Matten überdeckt, halb vom Tageslicht, halb von der großen elektrischen Lampe erhellt … der Aufenthaltsort Christies.

Zwölf Tage schon weilte sie hier, achtzehn Tage, seitdem sie die Piraten von Bord der Abraham Lincoln gerissen hatten.

Auf dem Ruhebett ihrer Schiffskabine ausgestreckt, im leichten Halbschlaf, hatte ihr Ohr den Donner der Schüsse kaum vernommen. Die Kabinentür wurde plötzlich aufgerissen … drei bewaffnete Matrosen und ein Offizier standen vor ihr.

»Miss Harlessen?«

Noch benommen vom Schlaf hatte sie genickt.

»Aufstehen! Mitkommen!«

Die Matrosen hatten im Nu ihre Sachen zusammengerafft, in die Koffer geworfen. Sie hatte sich gesträubt. Der Offizier hatte sie aufgehoben, einen weiten Mantel über sie geworfen, der sie fast ersticken ließ, sie nach oben getragen und über das Fallreep ins U-Boot gebracht.

Dort war sie ohnmächtig zusammengesunken. Nach ein paar Stunden war der Piratenführer zu ihr gekommen, hatte ihr in seiner Art ein paar beruhigende Worte gesagt. Ein Matrose hatte Speise und Trank vor sie hingesetzt. Und dann waren sie gefahren …

Sechs Tage, sechs Nächte waren sie gefahren, bis sie, an Deck gerufen, das Boot in der Lagune einer Koralleninsel sah.

Man hatte ihr die Felsenhöhle als Aufenthalt zugewiesen. Eine alte Negerin, die wohl hier gehalten wurde, um für die Matrosen zu sorgen, war ihr als Dienerin beigegeben worden.

Die harte Schule des Lebens, die Christie durchgemacht, hatte sie gestählt. Ihr klarer energischer Wille ließ sich nicht so leicht unterkriegen.

Ihre erste Frage: Warum wurdest du geraubt? Auf wessen Befehl? Menschenraub? Doch nur, um ein Lösegeld zu erpressen. Lösegeld von ihr? Wer konnte von der Angestellten der Simmons Brothers ein Lösegeld erwarten? Unter den Damen der Gesellschaft auf dem Schiff waren Millionärinnen; die Seeräuber hatten sich nicht um sie gekümmert.

Diese Antwort schied aus. Was aber war die richtige Antwort?

Stundenlang zermarterte sie ihr Hirn. Wer konnte ein Interesse daran haben, sie zu rauben?

Der betrügerische Vertreter in Valparaiso … Rache? Möglich, aber kaum wahrscheinlich.

Und dann immer, wenn sie vergeblich nach der Antwort gesucht hatte, rang sich der Name Rouse von ihren Lippen.

Er, der Gewaltmensch, der jeden Widerstand brach, der sich ihm entgegensetzte, ihm allein war es zuzutrauen.

Doch auch die Antwort … immer wieder hatte sie diese doch verworfen. Warum tat er das? Konnte er glauben, sie mit Gewalt an sich zu fesseln? Er, der kluge, schlaue Menschenkenner? Konnte er das denken? Nein! Töricht! Solche Torheit konnte sie ihm nicht zutrauen. Die ganze Fahrt über hatten sie diese Gedanken beschäftigt … verfolgt.

Als sie den Fuß auf das Atoll setzte, hatte sie sich mit energischer Willensanstrengung von all den Gedanken freigemacht. Sie halfen nichts.

Flucht! Weg von hier! Der einzige fruchtbare Gedanke.

Ihre ganze Selbstbeherrschung raffte sie zusammen. Zeigte dem Piratenführer, der sich häufig nach ihrem Befinden erkundigte, stets ein ruhiges, gelassenes Wesen. Gab sich den Anschein, als hätte sie sich mit den Geschehnissen so gut wie möglich abgefunden. Keine Klage kam über ihre Lippen. Die wenigen Wünsche, die sie vorbrachte, wurden so weit wie möglich schnell erfüllt.

Doch auch ohne das … der Piratenführer konnte wohl beruhigt sein. Flucht von hier, dem weltentlegenen Atoll? Unmöglich! Ausgeschlossen!

Ausgeschlossen auch eine Befreiung von außen her. Wer sollte diesen Schlupfwinkel ausfindig machen? Wissen, dass sie hier war? Jede Verbindung mit der Außenwelt von hier war abgeschlossen.

Die einzige Funkstation auf der Insel war reserviert für Fälle allerdringendster Not. Sie kam nie in Tätigkeit, damit nicht vielleicht ein schnüffelndes Polizeiboot die Station, die Insel anpeilte. Und gerade das war es, was ihr zur Rettung werden musste.

Von Tejeda aus kannte Christie die Einrichtung einer Sendestation genau. Als sie sich von Uhlenkort zur Fahrt nach Valparaiso verabschiedete, hatte der ihr einen kleinen Sender mitgegeben, ihr die Wellenlänge der Uhlenkort-Firma anvertraut und die Welle fest eingestellt. Auf der Fahrt nach Valparaiso, im Hotel, hatte sie den Apparat ein paarmal benutzt. Nichts daran war gestört. Sie kannte die Bedienung in allen Einzelheiten.

Hier auf dem Atoll hatte sie sich eine Hängematte erbeten, diese zwischen zwei Palmen befestigt. Der saftstrotzende Palmenbaum musste ihr als Antenne dienen. In den Mittagsstunden, wo alles sich in die kühleren Felsenhöhlen zurückzog, hatte sie eine Leitung von der kleinen Maschine, die die Insel mit Strom für alle Zwecke versorgte, bis zu jenem Palmenstamm, gut im Sand verborgen, hingeführt.

In den Mittagsstunden, in denen die Lagune menschenleer war, lag sie dort stundenlang in der Matte, und stundenlang ging ihr Hilferuf auf der Uhlenkort-Welle durch den Äther.