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Der Kommandant des Tower 57

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Fünftes Buch
Drittes Kapitel

Wie die Prinzessin Elisabeth den Admiral im Gefängnis besucht

Am folgenden Tag besuchte Latimer den Admiral und bemühte sich vergebens, seinen stolzen Sinn zu beugen und ihn bußfertiger zu stimmen. Seymour war durchaus nicht aufgelegt, seine Homilien anzuhören, unterbrach den Geistlichen und bat ihn, dass er ihn in Ruhe lassen möge. Da Latimer einsah, dass all seine Bemühungen vergebens waren, so gab er sie auf und empfahl dem Verstockten, bald Frieden mit dem Himmel zu schließen, denn seine Zeit sei kurz.

Es war wiederum Nacht. Seymour schritt voll trüber Gedanken in seiner Zelle auf und nieder, als die Tür aufgeschlossen wurde und der Towerkommandant hereintrat. Aber nicht allein. Es war noch jemand bei ihm, dessen Gesicht und Gestalt aber so verhüllt waren, dass man schwer unterscheiden konnte, ob ein Jüngling oder ein Mädchen dahinter stecke. Aber wenn auch der Kerkermeister durch diese Verkleidung mochte getäuscht worden sein, Seymour wurde es nicht.

Er erkannte sogleich seine geliebte Elisabeth, stürzte ihr entgegen und rief: »O, Ihr kommt, Prinzessin! Ihr kommt!«, während sie den Mantel abwarf und ungeachtet der Gegenwart des Kommandanten sich in seine Arme stürzte.

Das erste Entzücken des Wiedersehens war kaum verrauscht, und sie blickten einander immer noch mit unaussprechlicher Zärtlichkeit an, indem sie fast vergaßen, wo sie waren, als Sir John Gage es für nötig fand, dazwischenzutreten und sie zu erinnern, dass ihre Zusammenkunft nur kurz sein könne.

»Ich handle gegen das Verbot des Lordprotektors und des Conseils, indem ich diesen Besuch gestatte«, sprach er, »aber ich konnte den Bitten der Prinzessin nicht widerstehen. Doch kann ich Euch nur wenige Minuten gönnen und will unterdessen draußen warten.«

Damit ging er und schloss die Tür hinter sich zu.

»O Seymour!«, rief Elisabeth, indem sie ihn leidenschaftlich anblickte, »mit welch einem Gemisch von Entzücken und Schmerz sehe ich Euch wieder! Als wir uns zuletzt trennten, dachte ich, Ihr würdet im Triumph zu mir zurückkehren und meine Hand fordern. Und nun! Es ist mehr, als ich tragen kann!« Sie brach in heftige Tränen aus.

»Beruhigt Euch, teuerste Elisabeth«, sprach Seymour. »Euer Schmerz macht mich weich und ich bedarf all meiner Festigkeit.«

»Ja, ich will ruhig sein, ich will lächeln und heiter sein, obwohl mein Herz brechen will. O …« Sie legte die Hand aufs Herz. »denkt nicht, dass ich gleichgültig gegen Euch war, Seymour. Es gibt keine Worte, um die Angst zu schildern, die ich seit Eurer Verhaftung ausgestanden habe. Aber des Protektors Wachsamkeit machte es mir unmöglich, Euch zu schreiben oder eine Botschaft zu schicken, auch habe ich den König nicht sehen noch ihm schreiben dürfen, um für Euch zu bitten. Die entsetzliche Nachricht von gestern, dass Edward die Anklageakte genehmigt hat, war mir eben zu Ohren gekommen, und ich war von Kummer überwältigt, als Euer treuer, kleiner Bote mich aufsuchte und mir Eure Brieftasche brachte. Da entschloss ich mich, Euch auf alle Fälle zu sehen. Unbekümmert um die Folgen, verließ ich Shena mit dem treuen Zwerg, der mir mit der größten Bereitwilligkeit diente, und durch seine Vermittlung erlangte ich auch Zutritt bei Sir John Gage, der meine Unbesonnenheit tadelte, aber doch endlich meinen Bitten nachgab und mich hierher brachte.«

»Der Himmel segne ihn dafür!«, rief Seymour. »Er hat mir mehr Glück bereitet, als ich noch auf Erden erwartete. Der Gedanke an dieses Wiedersehen wird mein Trost auf dem Wege zum Schafott sein!«

»Ihr sollt nicht sterben, Seymour«, fuhr Elisabeth auf. »Entsetzlicher Gedanke, dass ein ekelhafter und blutgieriger Henker eine göttergleiche Gestalt wie die Eure zerstören, ein solches Haupt von solchem Rumpf trennen soll! Nein … nein … es kann nicht … es soll nicht sein! Ich werde bei Edward Fürbitte einlegen. Ich weiß, er liebt mich, ich hoffe, er gibt meinen Bitten nach und schont Euer Leben.«

»Er liebte auch mich einst«, sagte Seymour bitter, »aber meine Feinde haben durch ihre Verleumdungen sein Herz von mir abgewandt. Wenn er es auch wollte, Edward kann mich nicht retten. Der Lordprotektor und die übrigen Mitglieder des Conseils überwachen ihn und diese, das ist klar, wollen mein Verderben.«

»Dann will ich zu ihnen gehen!« rief Elisabeth. »Auf meinen Knien will ich für Euch bitten. Sie können nicht Nein sagen!«

Seymour schüttelte das Haupt. »Ein solches Bekenntnis Eurer Liebe zu mir wäre für sie nur ein Grund mehr, mich zu vernichten.«

»Was ist zu tun?«, rief Elisabeth verzweifelt. »Ihr sollt nicht, dürft nicht sterben!«

In dem Augenblick tat sich die Tür des Gefängnisses auf und Sir John Gage trat ein.

»Ich bedaure, Euch unterbrechen zu müssen«, sagte er in dem Ton innigster Teilnahme, »aber es ist Zeit zum Abschied – für immer!«

»Nicht für immer, Sir John!«, rief Elisabeth. »Ich werde Lord Seymour Pardon bringen. Der König, mein Bruder, der Lordprotektor und das Conseil werden auf meine Bitten hören.«

»Hegt keine trügerischen Hoffnungen, Prinzessin«, sagte Gage. »Der Lordprotektor und das Conseil sind unerbittlich.«

»So geh ich nicht von der Stelle!«, schrie Elisabeth. »Ich will hier bleiben und mit ihm sterben!«

»Prinzessin, ich beschwöre Euch, kommt mit!«, rief der Kommandant.

»Ich gehe nicht!«, rief sie, sich verzweiflungsvoll an Seymour klammernd. »Halte mich, Geliebter, halte mich fest, lass es nicht zu, dass er mich von dir reiße!«

»Vergesst Euch nicht, Prinzessin, ich bitte Euch!«, rief der Kommandant. »Zwingt mich nicht, Gewalt anzuwenden!« »Lasst ab, Sir John!«, rief Elisabeth, »lasst ab, ich befehle es Euch! Hört, was ich zu sagen habe, und behaltet es in Eurem Gedächtnis. Ich verlobe mich hier feierlichst vor dem Himmel mit Lord Seymour und schwöre, dass ich, wenn er durch seines Bruders Schuld sterben muss, nimmer einem anderen Mann angehören werde!«

»Nehmt das übereilte Gelübde zurück, Prinzessin, ich beschwöre Euch«, sagte der Kommandant. »Ihr werdet es später in ruhigeren Momenten bereuen.«

»Nie!«, entgegnete Elisabeth mit Nachdruck. »Ich werde es heilig halten, so wahr mir der Himmel helfe!«

»Diese Liebe habe ich nie verdient!«, rief Seymour mit vor Rührung erstickter Stimme. »Aber der Becher des Glücks wird mir nur geboten, um mir von den Lippen gerissen zu werden!«

»Mylord«, sprach der Kommandant zu Seymour, »an Euch ist es, dieser schmerzlichen Szene ein Ende zu machen. Sie verlängern, heißt nur Eure Qual vermehren. Die Prinzessin muss gehen.«

»Wollt Ihr es?«, fragte Elisabeth, ihn noch immer umschlungen haltend.

»Es muss sein!«, sagte er verzweiflungsvoll. »Eine letzte Umarmung«, fügte er hinzu, indem er sie an seine Brust presste. »Nehmt sie hin, guter Sir John.«

Elisabeth widersetzte sich nicht mehr. Halb ohnmächtig sank sie fast um. Der Kommandant hüllte sie eilig in Hut und Mantel und führte sie der Tür zu. Ehe sie hinausging, warf sie noch einen letzten Abschiedsblick auf Seymour, der wie in Verzweiflung versteinert dastand.

Das Geräusch des Türschließers erweckte ihn aus seiner Erstarrung. Die Pein, die er empfand, war unsäglich. Mit einem wilden Schrei stürzte er auf sein Lager hin. Der Tod konnte nicht bitterer für ihn sein.