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Der Kommandant des Tower 56

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Fünftes Buch
Zweites Kapitel

Durch wessen Hilfe der Admiral einen Brief an die Prinzessin Elisabeth sandte

Drei Tage nach dem eben beschriebenen Verhör erschienen der Graf von Warwick und einige andere Herren vom Conseil in Seymours Gefängnis, um seine Antwort auf die Anklagepunkte entgegenzunehmen. Der Admiral hatte sich, wie es schien, nur auf kurze Erwiderungen und Darlegung seiner Motive, den König mit Geld zu versehen und Fowler und anderen Kammerdienern Geschenke zu machen, eingelassen. Den gewichtigeren Anklagen setzte er ein einfaches und entschlossenes Leugnen entgegen.

Während dieser zweiten Verhandlung benahm sich Seymour ganz in derselben Weise und mit derselben Entschlossenheit wie bei der früheren. Keine Drohung konnte ihn einschüchtern. Er verweigerte entschieden, die Artikel im Einzelnen zu beantworten, wollte selbst die kurzen Erwiderungen, die er gemacht hatte, nicht unterzeichnen, blieb bei seinem Verlangen, vor ein öffentliches Gericht gestellt zu werden und protestierte gegen das geheime, inquisitorische Verfahren und erklärte, dass er keine ferneren Fragen mehr beantworten werde. Darauf verließen ihn Warwick und die anderen.

Kurz darauf wurde die Anklageakte vor das Haus der Lords gebracht und gingen ohne Weiteres durch. Im Haus der Gemeinen stieß sie anfänglich auf bedenkliche Opposition, aber diese wurde durch des Lordprotektors Einfluss niedergedrückt, und die Sache ging im Unterhaus ebenfalls durch. Aber nicht ohne sehr viele Unterredung vonseiten des Conseils und Cranmers wurde die Bestätigung des Todesurteils vom König erlangt. Am 10. März 1549 wurde sie gegeben.

Seymour war nun ungefähr zwei Monate ein Gefangener im Tower. Von jeder Verbindung mit der Außenwelt abgeschlossen, aller Bücher beraubt, ausgenommen einiger Traktate, die ihm Latimer, der ihn zuweilen besuchte, gelassen hatte, vom Ehrgeiz verzehrt, von einer glühenden Leidenschaft gepeinigt, verbrachte der Admiral seine Zeit elend genug. Dennoch blieb er sich selbst treu, blieb stolz und unbeugsam.

Am Abend nach jenem unglücklichen Tag, wo der König die Anklageakte genehmigt hatte, saß Seymour zu später Stunde an seinem Tisch und hatte das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, denn er hatte durch Tombs erfahren, was geschehen war.

Plötzlich veranlasste ihn ein Geräusch, das, wie es schien, von einem Luftloch herkam, welches sich einige Fuß hoch vom Boden befand, aufzuschauen. Zu seinem großen Erstaunen gewahrte er beim matten Licht der eisernen Lampe, welche die Zelle erhellte, eine winzige Gewalt in der Öffnung.

Indem er noch die Erscheinung anstarrte, rief die kleine Person: »Ich bin es, Mylord, Xit, Seiner Majestät ehemaliger Zwerg. Helft mir hinunter, ich bitte Euch. Wenn ich springe, so breche ich mir das Genick, und das ist ein Tod, den ich mir nicht wünsche.«

Seymour trat darauf näher an die Öffnung heran, fing den Zwerg in seinen Armen auf und setzte ihn zu Boden.

»Was führt dich her?«, fragte der Admiral. »Weißt du nicht, dass du dein Leben aufs Spiel setzt, indem du so heimlich zu mir kommst?«

»Ich weiß das sehr wohl, Mylord«, antwortete Xit, »und ich wage mein Leben, um Euch zu dienen. Ihr seid großmütig gegen mich gewesen, und ich beschloss, Euch meine Dankbarkeit zu beweisen. Da ich meinen Posten in der Nähe Seiner Majestät verloren habe, weil der Lordprotektor dahinter gekommen ist, dass ich Eurer Lordschaft Botendienste geleistet habe, so bin ich abermals ein Bewohner des Tower geworden und wohne jetzt bei den drei Riesenwächtern. Mithilfe Ogs, des älteren Bruders, gelangte ich an Eure Zelle. Er setzte mich auf seine Schulter und von da kletterte ich an das Luftloch und quetschte mich durch die Stangen, obwohl das selbst für jemanden von meiner Statur kein so Leichtes war. Og steht draußen, um mir wieder zurückzuhelfen.«

»Ich danke dir sehr für deine Treue«, entgegnete Seymour, tief gerührt von des Zwerges Ergebenheit. »Von allen, denen ich Gutes erwiesen habe, bist du der Einzige, der sich dankbar gezeigt hat. Aber wie meinst du mir zu dienen?«

»Ich dachte, Eure Lordschaft möchte irgendeine Botschaft oder einen Brief zu besorgen haben, und da ich wusste, dass Master Tombs weder Euch selbst zu Willen sein noch solches anderen gestatten würde, so habe ich mich auf diese Weise zu Euch geschlichen, um Euch selbst meine Dienste anzubieten.«

»Ich bin dir sehr dankbar. Wenn ich einen Brief schreiben könnte, so würde ich ihn dir anvertrauen. Meine Brieftasche habe ich behalten, aber ich habe weder Feder noch Griffel.«

»Das ist fatal«, sagte Xit, »aber ich will wiederkommen, mit allem versehen.«

»Halt!«, rief Seymour, »mir fällt etwas ein. So wird es gehen!«

Indem er eine scharfkantige Verzierung von seiner Kleidung abriss, ritzte er seinen Arm damit auf und schrieb dann mit seinem Blut auf ein Blatt der Brieftasche ein paar leidenschaftliche Worte an die Prinzessin Elisabeth.

Nachdem das geschehen war, schloss er das Buch, band es zu und gab es Xit.

»Gib dieses, ich bitte dich, der Prinzessin Elisabeth«, sprach er. »Hüte es wie dein Leben. Weißt du etwa, wo Ihre Hoheit jetzt ist?«

»Ich habe gehört, dass sie in Shene ist«, antwortete Xit. »Wenn dem so ist, so mache ich mich verbindlich, dass die Sendung von Eurer Lordschaft morgen früh in ihren Händen sein soll.«

»Du wirst mir den größten Dienst damit erweisen!«, rief der Admiral. »Was auch geschehen mag, lass mich dich am Morgen vor meiner Hinrichtung wiedersehen. Vielleicht habe ich dann noch einen Brief oder eine Botschaft für dich.«

»Ich werde nicht fehlen«, antwortete Xit.

Seymour war im Begriff, ein anderes Ornament von seiner Kleidung zu reißen, um seinen kleinen Gesandten zu belohnen, aber Xit wehrte ihm und versicherte, dass er nichts annehmen würde, bis er seinen Auftrag ausgeführt habe.

»Nun muss ich wieder um Eure Lordschaft Beistand bitten, damit ich die Öffnung erreiche.«

Seymour hob ihn darauf vom Boden, und rasch und sicher gelangte der Zwerg in die Höhe. Er legte seine Hand aufs Herz, zum Zeichen seiner Ergebenheit und verschwand.