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Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 13

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Dreizehntes Kapitel

Jacob am Hof des Prinzen von Nassau-Oranien

Bis zur bevorstehenden Abreise der Familie blieb Jacob nun der unzertrennliche Gefährte derselben. Dann aber schlug die Scheidestunde. Der General Erb Stadthalter, Prinz von Oranien, hatte Befehl gegeben, ihm den merkwürdigen Jüngling vorzustellen. Diesem sagte ein dunkles inneres Gefühl, dass er nur auf diesem Wege seine ersehnte wahre Bestimmung erreichen könne.

Unter bitteren, ja heftigen Schmerzen trennte er sich von der würdigen Familie, an die sein Herz durch Bande der Dankbarkeit, der Achtung und der Liebe so festgeknüpft, die ihm durch tausend süße Erinnerungen so teuer geworden war! Nun sollte er zum ersten Mal ganz für sich allein stehen in der Welt und eine ganz neue Laufbahn betreten, von der man ihm nicht lauter Gutes, sondern auch genug Bedenkliches vorhergesagt hatte!

Seine Ausrüstung kostete nicht viel Zeit, wenn sie gleich sehr vollständig und glänzend war.

Die kleinen Leserinnen mögen in Gedanken für ihn nähen, sticken, die winzigen Taschentücher säumen und ihre Mütter zusehen, wie sie mit den stattlichen Galakleidern fertig werden.

Jetzt ist alles in Bereitschaft!

Ehe er abreiste, übersandte er der unvergessenen Frau Muhme ein reiches Geschenk, zu welchem ihm die dankbare Freigebigkeit des Regenten und der Einwohnerschaft der Stadt Mittel genug verschafft hatten. Bald darauf stieg er in der Residenzstadt Grafenhaag in dem schon für ihn bereiteten Quartier ab.

Dort erwartete ihn sogleich eine angenehme Überraschung. In einem großen Zimmer desselben stand nämlich ein prächtiges von Holz gezimmertes Gebäude, für seine Wohnung und zu seinem Eigentum bestimmt, das die Munifizenz des Fürsten und das Wohlwollen mehrerer Großen mit allen erdenklichen Bedürfnissen und Annehmlichkeiten ausgestattet hatte. Es dürfte der Mühe lohnen, es näher zu beschreiben.

Es hatte ungefähr den Umfang eines großen Schreibtisches und mochte mit dem Dach Mannshöhe erreichen. Zu ebener Erde befanden sich Küche, Keller und Speisekammer, weiter oben ein niedliches Schlafgemach; daneben ein Arbeitszimmer. Hier war ein Schreibtisch mit allen Bedürfnissen, vom Schreibzeug bis zur Wachsstockbüchse, von der Studierlampe bis zum kunstvollen Reißzeug alles von Gold oder Silber, so niedlich, wie man es sich nur denken kann! Rings an den Wänden hingen Bilder, Seestücke und Prospekte, mit zartem Pinsel gemalt und in goldene Rahmen eingefasst. Links war das Wohnzimmer mit Sofas und anderen Bequemlichkeiten, daneben ein Prunkzimmer mit kostbaren seidenen Tapeten, Parkettboden, herabhängenden goldenen Kronleuchtern und einem Tisch mit Perlmutt ausgelegt.

Die Polster waren mit Atlas überzogen, der Kamin mit einem herrlichen Spiegel und allen Gerätschaften von feinstem polierten Stahl versehen.

Das ganze Haus war früher ein Spielzeug der fürstlichen Kinder gewesen. Auf dem Boden aber thronten die Musen. Da war nämlich ein Lesekabinett von einer guten Auswahl deutscher, französischer und englischer Schriften befindlich, freilich etwas kolossal für das Haus, denn an besondere Ausgaben für fingerlange Leute denkt kein Verleger, und Jacob hatte sich schon lange mit den großen Büchern zurechtzufinden gewusst.

Wie er über dieses alles glücklich war, mögen die günstigen Leser selbst beurteilen! Sein dankbares Herz trieb ihn nun selbst zur Aufwartung zum Fürsten hin, vor der ihm am Anfang so bange gewesen war, und vermittelte leicht ein festes Band zwischen beiden dem Äußeren nach so ungleichen Wesen.

Die Pracht und die seine Sitte des Hofes konnten den harmlosen Jüngling nur gewinnen, der hierin ein veredeltes Menschenleben nach seinem Geschmack sah, und weder für sich selbst Entwürfe schmiedete noch anderen in den ihrigen hinderlich war. So war er denn auch überall wohl gelitten, bei Damen und Herren. Nach der Mahlzeit pflegte er häufig die Runde auf der Tafel zu machen und stand jeder Dame, die ihn einlud, willig zur Rede. Es war ergötzlich anzusehen, wie er sich so geschickt und flink durch das Labyrinth von Aufsätzen, Rechauds, Assietten, Leuchtern und Gläsern zu finden und mit den Damen Konservation zu führen wusste, deren Neckereien er immer etwas Geistreiches entgegenzusetzen hatte. Oder wie er den Herren vom Hof mit seinem Becher, kaum einen Fingerhut groß, Bescheid tat! Am meisten sagten ihm aber die kleinen Zirkel bei der Fürstin zu, wo gelehrte Männer und hochgebildete Frauen das Wort führten, und er selbst mit seiner gewöhnlichen anspruchslosen Heiterkeit die Lücken ausfüllte, sei es durch irgendeine Arie, die er mit silberreiner Kehle vortrug, oder mit einem selbst verfassten Gedicht, ernsten oder komischen Inhalts. Als er späterhin mit dem Werk eines trefflichen Künstlers, mit einer kleinen Orgel beschenkt wurde, blieb er eine geraume Zeit lang fast gänzlich mit ihr eingeschlossen, bis er ihr die herrlichsten Harmonien zu entlocken wusste. Mit gleichem Eifer machte er sich nun auch an das Studium der physikalischen Wissenschaften, ließ unter seiner Aufsicht einen reichhaltigen kleinen Apparat anfertigen und unterhielt gelegentlich seine hohen Gönnerinnen mit Feuerwerken en miniature, Phantasmagorien und anderen Kunststücken dieser Art. Auch zu einem geflügelten Reitpferd kam er wieder, als sich eines Tages eine kaum flügge junge Schwalbe durchs Fenster in seinen Saal verirrt hatte. Er bemächtigte sich ihrer und brachte es durch Scharfsinn und ausharrende Geduld so weit, dass er sich selbst zu kurzen Ausflügen mit ihr ins Freie wagen konnte und den Spazierfahrten des Hofes, in stolzer Höhe hin und her schweifend, mit Leichtigkeit folgte.

Ein volles Jahr war ihm in diesen glänzenden Umgebungen vergangen, und es braucht nicht erst gesagt zu werden, dass in dieser Zeit gar manches daselbst für unseren Jacob eine andere Gestalt gewann; dass er bald auch hier Gutes und Böses zu unterscheiden bekam und neben denjenigen Personen, die seine Liebe und Verehrung im hohen Grad besaßen, auch andere kennen lernte, die seine Abneigung erregten, und welche er nach seiner Beobachtung für bösartige, verdorbene, ja für gefährliche Menschen zu halten, Ursache fand! So war der Hofmarschall von Leenspreuk und der Oberstkämmerer Baron von Hokkeling. Der Erste, eine lange hagere Figur, mit bleichem Gesicht und widrig blinzelnden Augen, kriechend vor dem Fürsten, heimtückisch gegen andere; der Zweite, von Person wohl beleibt, mit kirschrotem, aufgedunsenem Gesicht, hochfahrend und gewalttätig. So wenig diese Herren sich in dem Äußeren glichen, so schienen sie doch seit einiger Zeit in ganz besonders gutem, wenn nicht heimlichem Vernehmen miteinander zu stehen.

Aber wie gute Menschen sich um des Guten willen näher aneinander zu schließen pflegen, so wird auch selten das, was die Schlechten zusammenführt und zusammenhält, etwas anderes als eine Schlechtigkeit sein! Und Jacob sollte dies gar bald an beiden sauberen Herren zu seiner eigenen großen Bedrängnis erfahren, wovon wir in dem folgenden Kapitel ein weiteres zu erzählen haben.