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Sammlung bergmännischer Sagen Teil 17

Das arme Bergmannsleben ist wunderbar reich an Poesie. Seine Sagen und Lieder, seine Sprache, seine Weistümer reichen in die älteste Zeit zurück. Die Lieder, die wohlbekannten Bergreihen, die Sprachüberreste, die Weistümer sind teilweise gesammelt. Die Sagen erscheinen hier zum ersten Mal von kundiger Hand ausgewählt und im ganzen Zauber der bergmännischen Sprache wiedergegeben. Das vermag nur zu bieten, wer ein warmes Herz für Land und Leute mitbringt, wo diese uralten Schätze zu heben sind; wer Verständnis für unser altdeutsches religiöses Leben hat, wer – es sei gerade herausgesagt – selbst poetisch angehaucht ist. Was vom Herzen kommt, geht wieder zum Herzen, ist eine alte und ewig neue Wahrheit. Hat der Verfasser auch nur aus der Literatur der Bergmannssagen uns bekannte Gebiete begangen, verdient er schon vollauf unseren Dank. Seine Liebe zur Sache lässt uns hoffen, er werde mit Unterstützung Gleichstrebender noch jene Schaetze heben, die nicht an der großen Straße liegen, sondern an weniger befahrenen Wegen und Stegen zu heiligen Zeiten schimmern und zutage gefördert sein wollen.


III. Sagen von den Venedigern

2.

Vor Zeiten lebte in Lautenthal ein armer Bergmann, der zwar reich an Kindern war – er hatte deren acht – aber desto ärmer an Geld und Gut. Er quälte sich schwer um das tägliche Brot, schämte sich keiner Arbeit, war fleißig und tätig und ruhte nicht Tag und Nacht, um etwas zu verdienen. Schlechtigkeit musste ihm aber vom Leibe bleiben, und wenn er auch mit Frau und Kindern hungern musste, Unrecht tat er deshalb doch nicht.

Im Frühjahr halte er einstmals Schilf in einem Waldteich. Als er sich zwei tüchtige Bunde zurechtgemacht hatte, wurde er müde und legte sich hin. Es war gerade ein recht heißer Tag, und im Schatten der hohen Bäume schlummerte es sich so herrlich. Wie lange er da geschlafen hatte, das wusste er nicht. Er wachte indes wieder auf, denn es weckte ihn jemand, und siehe, da stand ein Mann vor ihm, der war recht freundlich gegen ihn und fragte ihn, wie es gehe. Der Bergmann wollte erst nicht recht mit der Sprache heraus, er war noch halb im Schlaf. Der Fremde wurde aber immer zutraulicher und der Bergmann schließlich munterer, fing auch an zu sprechen und sagte, er habe viele Not, er müsse für acht Kinder Brot schaffen, und dazu sei schlimme Zeit, wenig zu verdienen, da wisse man wohl, wie es einem gehe.

Der Fremde sagte: »Wenn du mir vertrauen willst, so kann ich dir helfen, und du bist mit einem Mal alles Leides ledig.«

»Wenn es Gott gäbe«, sagte der Bergmann, »so will ich ihm auf den Knien danken und will ja gerne alles tun, wenn ich aus meiner Not kommen könne, nur müsse man nichts Unrechtes von ihm verlangen.«

»Nein«, sagte der Fremde, »das verlange ich nicht von dir, du vertraust mir also unbedingt?«

»Ja, von Herzen gern, wen Ihr es gut mit mir meint!«

»Das versteht sich von selbst. So lege dich nur wieder hin und schlafe, dann wirst du sehen, wie es kommt.«

Der Bergmann ist noch herzlich müde. Er denkt auch: Im Schlaf kann man nicht leicht sündigen. Und schläft ein. Wie lange er dieses Mal geschlafen hatte, hat er nicht gewusst. Als er wieder aufwachte, lag er in einem Bett von Samt und Seide. In der Stube standen an den Wänden die schönsten Gerätschaften, Kommoden, Tische, Stuhle, Kanapees von blankem Gold und mit Samt überzogen. Die hübschesten Spiegel hingen an den Wänden in Goldrahmen, ebenso auch große Bilder, mannshoch, als ob sie lebten. An der Tür standen zwei Diener in Kleidern, die von Gold und Silber starrten und die gewartet hatten, bis er aufwache. Wie nun der Bergmann seine Augen aufgeschlagen hatte und sich über die Pracht und über alles, was er sah, wunderte, da traten die Diener ans Bett und fragten, ob der Herr auch gut geschlafen habe.

»O ja«, antwortete der Bergmann. »Aber, meine Herren, wo bin ich denn?«

»In Venedig«, sagte der eine Diener recht ehrfurchtsvoll.

»In Venedig? Mein Himmel, wie komme ich dahin?«

»Das wird der Herr schon wissen und erfahren«, sagte der andere Diener. »Dürfen wir beim Aufstehen helfen?«

»Ach«, antwortete der Bergmann, »das bin ich nicht gewohnt. Ich kann allein aufstehen.«

Er stieg aus dem Bett und wollte sein Zeug anziehen. Das war aber fort, und die Diener zogen ihm andere Kleider an, viel schönere, und putzten ihn ordentlich heraus, dass er wie ein vornehmer Herr aussah. Auch hatte er sich an einem silbernen Waschbecken waschen müssen. Der Diener reichte ihm in einem kristallenen Krug Mundwasser, alles aufs Beste und Feinste. Der Bergmann wunderte sich in einem fort und schüttelte mit dem Kopf. Er wusste gar nicht, ob denn alles so in Wirklichkeit war oder ob er nur träumte.

Hierauf fragten die Diener, womit sie ihm aufwarten können.

»Ach«, sagte der Bergmann, »ich habe Hunger und möchte gern etwas essen!«

Gleich waren die Diener fort, und es dauerte nicht lange, so brachten sie ihm ein Frühstück, besser konnte es der König nicht haben. Sie trugen auch auf, dass der Tisch knackte.

Na, dachte der Bergmann, wenn du doch isst, trinkst und satt wirst, so ist es kein Traum!

Er setzte sich hin und aß und trank, bis er nicht mehr konnte, denn es schmeckte ihm alles so gut, wie ihm noch nichts geschmeckt hatte, der Braten, das schöne weiße Brot und dazu der starke Wein, der so feurig gewesen war. Nun wurde er dreister und fragte die Diener, wo denn ihr Herr stecke, und wer das wäre.

Eben wollten ihm die Diener antworten, da kam der Herr zur Tür herein, und das war gerade derselbe gewesen, der freundliche und liebreiche Herr, den der Bergmann dort bei Lautenthal gesehen und gesprochen, der ihm gesagt hatte, er solle nur wieder einschlafen, dann würde es sich finden.

Der kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand und fragte: »Na, wie gefällt es dir hier?«

»O«, sagte der Bergmann, »wem sollte es hier nicht gefallen? Aber meine armen Kinder und meine gute Frau! Eine Bitte hätte ich, sagt mir: Wie bin ich hierher gekommen, und was habt ihr mit mir im Willen?«

»Ich will dich beglücken«, sprach der Herr, »wenn du mir vertraust. Doch will ich dir gleich beweisen, dass ich dich schon lange gekannt habe, dass ich von deiner Vergangenheit und dass ich von deiner Zukunft weiß. Tritt vor diesen Spiegel, darin wirst du sehen, wie es dir ergangen ist.«

Als der Bergmann davor stand, sah er stich, wie er seine jetzige Frau als Mädchen fragte, ob sie seine Frau werden wolle; dann, wie er sie als Braut in die Kirche führte und Hochzeit feierte und noch manches andere, was er schon längst vergessen hatte, woran er aber gleich wieder dachte und was ihm auch gleich wieder einfiel. Vor Verwunderung konnte er kein Wort sprechen. Da führte ihn der Herr zum zweiten Spiegel, da sah er, wie seine Frau und Kinder zu Hause weinten, jammerten und wehklagten um ihn, denn sie meinten, er sei tot. Das machte den Vater weichherzig, und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Zuletzt musste er auch noch vor einen dritten Spiegel treten. Hier sah er, wie er mit seiner Familie in großem Wohlstand lebte, dann aber, wie er durch seine Habsucht wieder in Armut zurücksank.

»Sieh«, sagte der Venediger, »das Letztere wird nicht geschehen, wenn du mir folgen willst.«

»Ach, ich will alles tun, was Ihr mir sagt«, sprach der Bergmann, »sagt nur, was ich tun soll.«

»Willst du noch länger hier bleiben, so steht es dir frei, willst du aber nach Hause, so kann das auch geschehen«, sprach der Herr.

»Ach ja«, antwortete der Bergmann, »ich will den meinen zu Hilfe kommen, ich kann nicht so lange das Elend ansehen, in dem sie sind. Sage nur, teurer Gönner, wie kann ich helfen?« Darauf erhielt er zur Antwort: »Wenn du nach Hause kommst, so grabe unter dem Baum, der in deinem Garten steht, ein Loch, zwei Fuß tief, bei Nacht, zwischen 11 und 12 Uhr. Dann wirst du darin eine gelbe Erde finden. Davon drücke dir jedes Mal zwei Kugeln, so groß, dass du sie mit beiden Händen umspannen kannst, trage sie nach Goslar und verkaufe sie an den Goldschmied. Du darfst aber in der Woche nicht mehr als zwei Mal Kugeln machen und verkaufen. Machst und verkaufst du aber mehr, so ist es dein Unglück. Sieh, hier will ich dir auch noch etwas machen, das dir gleich auf die Beine hilft. Hier habe ich eine Erdart, und da mehrere Flüssigkeiten. Wenn ich davon etwas auf die Erde gieße, nur ein paar Tropfen, und drehe dann in der Hand Kügelchen daraus, so entstehen die schönsten Edelsteine.«

Er probierte es und gab die so gemachten Edelsteine, welche wie die Sonne leuchteten, dem Bergmann zum Andenken und sagte: »Wenn du nach Goslar kommst, so bekommst du schweres Geld dafür.«

Der Bergmann bedankte sich mit Tränen im Auge aufs Herzlichste dafür, wickelte sie recht sorgfältig ein und steckte sie in die Tasche.

»Nun«, sprach der Venediger, »komm und lass uns auch ein wenig spazieren gehen. Du musst doch auch sehen, wie es in Venedig ist.«

Des Abends spät kamen sie erst wieder nach Hause, und der Bergmann wusste gar nicht mehr, was er alles Schönes und Herrliches gesehen hatte. Der Herr wünschte ihm Gute Nacht. Die Diener waren dem Bergmann beim Ausziehen wieder behilflich, er musste sich wieder in das schöne Bett legen und war gleich vor übergroßer Müdigkeit eingeschlafen.

Als er am anderen Morgen aufwachte, lag er wieder unter der Tanne. Erst meinte er, er habe geträumt, griff daher gleich in die Tasche. Da steckten aber die beiden Edelsteine, die der Venediger ihm gemacht und geschenkt hatte. Nun machte er sich gleich auf den Weg nach Goslar, verkaufte sie und bekam dafür schweres Geld. Wie er wieder nach Hause kam, da stürzten ihm Frau und Kinder vor Freuden entgegen, hingen sich an seinen Hals, an seine Hände und Beine, dass er vorerst gar nicht zu Worte kommen konnte. Dann ging es ans Fragen, ob er auch Geld mitgebracht habe, sie wären alle hungrig, fast am Verhungern. Nun wurde gleich fortgeschickt und Fleisch und Brot gekauft, und das erste Mal nach langer Zeit konnten sich Frau und Kinder satt essen.

Des Abends ging der Bergmann zwischen 11 und 12 Uhr in den Garten und fand alles so, wie es der Venediger gesagt hatte. Lange Jahre war der Bergmann folgsam und genügsam gewesen und wurde ein grundreicher Mann. Doch am Ende fuhr ihm der Geizteufel in den Kopf. Er machte in einer Woche zum dritten Mal Kugeln und brachte sie nach Goslar. Als er mit voller Tasche zurückkam, wurde er müde. Er mochte wollen oder nicht, er musst sich unter eine Tanne legen und schlief ein.

Da erschien ihm der Venediger, weckte ihn auf und sprach:

»Siehst du, jetzt wirst du wieder so arm werden, wie du früher gewesen bist. Das hast du von deiner Habgier!«

Damit verschwand er. Und so wie er es gesagt und wie er es im Spiegel gesehen hatte, so ist es auch gekommen. Er hatte am Ende noch verhungern müssen.