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Felsenherz der Trapper – Teil 19.1

Felsenherz der Trapper
Selbst Erlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 19
Das Geheimnis des Zuni
Erstes Kapitel

Als die Präriewölfe heulten

Die Sonne versank in rötliche Dunstschleier gehüllt im Westen hinter den zackigen Uferbergen des Rio Grande del Norte, des Grenzflusses zwischen Mexiko und Texas.

Ein seltsam fahles, gelbrotes Licht lag über den weiten, welligen Prärien, die sich zwischen diesem Strom und dem Rio Pecos, oft unterbrochen von kahlen, romantischen Höhenzügen, hinziehen. Diese Abendbeleuchtung hatte geradezu etwas Unheimliches an sich, zumal in der Luft sich die drückende Stille und Schwüle eines nahenden Gewitters bemerkbar machte.

Um diese Abendstunde näherte sich ein vom Rio Grande kommender Wagenzug einem der Höhenzüge, deren tiefe Schluchten und Täler selbst für eine größere Anzahl von Menschen und Tieren gute Verstecke boten.

Der Zug bestand aus fünf großen, mit Leinwanddächern versehenen Auswandererwagen. Vor jeden Wagen waren acht indianische Mustangs gespannt. Als Begleiter ritten neben dem Zug neun gut bewaffnete Männer her, von denen jedoch nur sieben Ansiedler zu sein schienen. Die beiden anderen machten den Eindruck echter Westläufer. Ihr Beruf ging schon aus den eisernen Biberfallen hervor, die ihre starkknochigen Gäule außer den Reitern tragen mussten.

Es waren dies wirklich zwei der bekanntesten Pelzjäger des Wilden Westens, stets John Box und Old Staked genannt.

Der kleine, dicke Box, dessen rundes Kürbisgesicht mit dem vorgebauten Unterkiefer in der Tat etwas an einen Boxer, einen Hund, erinnerte, hatte soeben zu dem Anführer der Auswanderer, einem älteren Engländer namens Smitson, gesagt:

»In zwei Stunden wird sich ein Gewitter zusammenziehen. Inzwischen werden wir aber wohl dort in den Hügeln einen sicheren Lagerplatz gefunden haben. Ah – dort kehrt ja schon Euer Junge zurück, Smitson, den Felsenherz und der Comanchenhäuptling, der Schwarze Panther, mit voraus genommen hatten. Er bringt uns ohne Zweifel irgendeinen Befehl des berühmten Trappers.«

Der vierzehnjährige kräftige Edward Smitson jagte in gestrecktem Galopp herbei, zügelte dicht vor den Männern seinen flinken Mustang und rief dann: »Wir sollen uns mit den Wagen weiter nördlich halten. Dort, wo die eine dünne Bergkuppe zu sehen ist, gibt es einen passenden Lagerplatz, läßt Felsenherz bestellen. Ihr sollt Euch aber beeilen. Ihm erscheint die Gegend nicht mehr ganz sicher.«

Der alte Smitson stieß eine Verwünschung aus. »Wie – sind etwa schon wieder Apachen in der Nähe?«, meinte er. »Von dem Gesindel habe ich genug! Ihretwegen haben wir unsere erste Ansiedlung am Charikahuasee im Westen verlassen müssen! Sollen wir uns abermals mit der blutgierigen Bande herumschlagen!«

Auch Old Staked, ein dürrer, überlanger Mensch, war neugierig geworden.

»Woraus schließt Felsenherz denn, dass es hier nicht mehr geheuer ist?«, fragte er den Knaben.

»Oh – wir haben drüben nach Norden zu aus der Prärie verschiedene Aasgeier aufsteigen sehen, ebenso Krähenschwärme. Felsenherz meinte, es müssten sich in jener Richtung also Leute befinden, und wir täten gut, recht schnell aus der offenen Savanne zu verschwinden, wo wir doch viel leichter anzugreifen sind als in einer Schlucht mit nur einem schmalen Zugang. Ich soll sofort wieder zu den beiden Westmännern zurückkehren«, fügte er hinzu, gab seinem Mustang die Hacken und galoppierte in der rasch zunehmenden Abenddämmerung wieder den etwa eine Viertelmeile entfernten Felsanhöhen zu.

Auch die Wagen setzten sich in Trab. Auf dem weichen Grasboden der Prärie durfte man ohne Gefahr auch mit den schwerfälligen Fahrzeugen ein rascheres Tempo einschlagen.

Die beiden Biberjäger ritten ja auch stets einige zwanzig Yards voraus und suchten den besten Weg aus. Jedenfalls kam man den Hügeln schnell näher.

Inzwischen war Edward Smitson, der dem Leser noch aus dem 17. Band, Rote Piraten, bekannt sein dürfte, wieder auf jener Anhöhe angelangt, von der aus Felsenherz ihn vorhin nach dem Wagenzug geschickt hatte.

Umsonst schaute der Knabe sich hier jedoch nach den beiden Jägern um. Weit und breit war von ihnen nichts mehr zu bemerken.

Dieser Hügel erhob sich nun dicht vor jener Schlucht, die Felsenherz als Lagerplatz ausgesucht hatte.

Edward, ein heller Kopf und durch das Ansiedlerleben und durch die Gesellschaft der beiden berühmten Westmänner selbst schon so etwas wie ein kleiner Fährtensucher geworden, tat jetzt denn auch das einzig Richtige, um sich mit ihnen wieder zu vereinen.

Er sprang aus dem Sattel und fand auch bald die Fährten der beiden Reiter, die nach der Weite der Spuren zu schließen im Galopp nach Norden gesprengt waren.

Der Knabe folgte ihnen. Die Spuren führten um einen steinigen, flachen Berg herum und auf ein kleines Wäldchen zu.

Als Edward Smitson die ersten Bäume dicht vor sich hatte, glitt er aus dem Sattel, nahm den Zügel seines Pferdes um den linken Arm und den kurzen Stutzen (eine Büchse mit kurzem Lauf) in die rechte Hand.

So drang er in das Wäldchen ein. Auf der anderen Seite stieß er dann auf Felsenherz und den Comanchenhäuptling, die im Schutz eines Busches standen und in die halbdunkle Prärie hinauszulauschen schienen.

Edward meldete, dass er Felsenherz’ Auftrag dem Vater ausgerichtet habe.

Der blondbärtige, stattliche Jäger nickte und sagte dann leise: »Hörst du etwas, mein Junge?«

»Ja. Ich höre die Kojoten lauter als sonst heulen.«

Da erklärte der stolze, edle Comanche freundlich: »Das kleine Blassgesicht hat noch viel zu lernen. Die Wildnis redet ihre eigene Sprache. Horche genauer auf das Heulen und Kläffen der Präriewölfe hin, dann werden die Töne dir mehr erzählen.«

Eine ganze Weile lauschte der Knabe angestrengt.

Ohne Zweifel kam das Geheul und das heisere Kläffen näher.

»Es müssen sehr viele Kojoten sein, mehrere Rudel,« sagte er dann.

Der Comanche fügte hinzu: »Und sie hetzen ein größeres, verwundetes Wild, das sich nur noch mühsam fortbewegt. Die Kojoten sind feige wie die stinkenden Kröten der Apachen. Sie wagen sich nur an kranke Hirsche oder Büffel heran oder an ein Büffelkalb, das von der Herde abgekommen ist.«

Mittlerweile war es noch dunkler geworden.

»Wir wissen jetzt, weshalb die Geier und Krähen aufgestiegen sind«, sagte Felsenherz nach einigen Minuten. »Die Kojoten haben sie aufgescheucht. Kehren wir um.«

Im selben Moment drang von Norden her, das Heulen der kleinen Wölfe übertönend, ein gellender Schrei aus der dunklen Savanne hervor – der Schrei eines Menschen, der sich in höchster Todesnot befindet.

Die Stimmen der Raubtiere verstummten für ein paar Sekunden.

Dann ein noch schrillerer Schrei.

Schon hatte Felsenherz sich auf seinen hochbeinigen Fuchs geworfen und jagte der Stelle zu, wo die Kojoten jetzt untereinander in einen hitzigen Streit um die Beute geraten zu sein schienen.

Auch der Häuptling und der Knabe hatten ihre Pferde bestiegen und folgten dem blonden Trapper, der bereits in der Dunkelheit untergetaucht war.

Schon nach fünf Minuten konnte Edward Smitson ein geradezu grauenhaftes Bild beim letzten Schimmer des Tageslichtes unterscheiden.

Dort lag ein Mustang auf der Seite, dem die Kojoten bereits die Kehle durchgebissen und ebenso den Leib und die Beine mit scharfen Zähnen zerfetzt hatten.

Auf dem Rücken des Pferdes, das in den letzten Zuckungen wild mit den Beinen in der Luft herumfocht, war ein Indianer festgebunden, ein schon älterer, grauhaariger Krieger, das Gesicht nach oben, die Arme um den Hals des Mustangs geschlungen.

Auch ihm hatten die hungrigen kleinen Bestien bereits Stücke Fleisch aus den Schenkeln herausgerissen. Beim Erscheinen des blonden Jägers war die ganze feige Brut, wohl an fünfzig Stück, eilends davongerannt.

Felsenherz, der rasch auf die Erde gesprungen war, schnitt den alten Indianer los und legte ihn in das Gras, verband die Wunden mit ein paar Streifen Leinwand und flößte dem völlig Erschöpften einige Schlucke Wasser ein.

Chokariga hatte sich ebenfalls neben dem im letzten Augenblick einem furchtbaren Tode Entronnenen niedergekniet und sagte nun zu Felsenherz: »Es ist ein Zuni, ein Krieger dieses Unterstammes der Navajo.«

Der Zuni hatte sich ein wenig erholt und flüsterte: »Guazava, der Medizinmann der Zunis, hat den Oberhäuptling der Comanchen noch nie gesehen. Aber er weiß, dass der berühmte Schwarze Panther stets in Gesellschaft des Trappers Felsenherz zu finden ist. Und Felsenherz’ lange Doppelbüchse mit dem mit Goldblättchen verzierten Kolben kennt jeder. Der blonde Jäger, der mich soeben gerettet hat, legte diese Büchse neben sich. Also muss es Felsenherz sein. Guazava, der Fliegende Pfeil, verdankt den beiden berühmten Kriegern sein Leben.«

Er schwieg vor Erschöpfung, schloss die Augen und fiel in eine tiefe Ohnmacht.