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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 3

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

3. Wie Rübezahl seinen Namen bekam

Wenn aber einer so allein in der Welt lebt und hat kein teilnehmendes Herz, das mit Liebe an ihm hängt und Freud und Leid teilt, so ist es auch eine klägliche Sache, besonders in der Einsamkeit eines wilden Gebirges. Das dachte der Berggeist einmal. Wie er das dachte, so ging er auch gleich vom Hochgebirge herunter. Da sah er eines Tages in einem anmutigen Wäldchen ein gar liebliches Mägdlein, welches inmitten ihrer Gespielinnen lustwandelte. Sie war aber eine Fürstentochter und hatte einen Geliebten, der ebenfalls ein Fürstensohn war. Rübezahl wurde von ihrer Schönheit gerührt, machte sich unsichtbar und entführte dieselbe ins Gebirge. Hier zauberte er ein schönes Schloss hin, und dabei einen Lustgarten, desgleichen in der ganzen Welt nicht zu finden war, und er selbst erschien als der schönste Prinz. Als er sie nun in den schönen Zimmern umherführte und ihr im Garten die herrlichen Blumen und Früchte zeigte, da war die Prinzessin ganz erfreut. Wie er aber hinzusetzte, dass das alles ihr gehöre und sie ihn nun zu ihrem Gemahl nehmen müsse, da war sie untröstlich und weinte, dass es einen Stein in der Erde hätte erbarmen mögen. Sie härmte sich sichtbar ab und sagte, er möge sie nur wieder zu den ihren bringen, denn sie habe bereits einen Bräutigam und könne keinem anderen angehören. Davon wollte aber freilich Rübezahl nichts wissen. Nun bat ihn die Prinzessin, ihr nur Zeit zu lassen, dass sie sich an die Einsamkeit gewöhne. Aber sie wurde mit jedem Tag trauriger und seufzte: »Ach, wenn ich nur meine Gespielinnen hätte!«

Rübezahl ließ sich das nicht zweimal sagen, eilte hinab in den Garten und zog eine Menge Rüben heraus, brachte sie ihr, gab ihr einen Zauberstab in die Hand und sagte ihr, sie solle damit nur die Rüben berühren, so würden diese gleich die Gestalten bekommen, die sie wünsche. Sie tat es, und sogleich standen die Gespielinnen vor ihr, und war lauter Freude, als sie sich wiedersahen. Leider war aber die Freude nur kurz. Denn bald welkten die Gestalten dahin, verloren ihre Heiterkeit und schrumpften endlich alle zu alten Mütterchen zusammen. Die Prinzessin war darüber außer sich vor Schmerz und machte dem Rübezahl die bittersten Vorwürfe, dass er ihre Freundinnen  so alt gemacht habe. Rübezahl entschuldigte sich und sagte, dafür könne er nicht, denn die Mägdlein blieben nur so lange jung und frisch, wie Saft in den Rüben sei, aber er wolle ihr frische Rüben bringen. Damit entfernte er sich, eilte in den Garten und besäte da viele Beete mit Rübsamen, wobei er zugleich seinen dienstbaren Geistern befahl, ein unterirdisches Feuer zu unterhalten, damit der Samen aufgehe.

Frauen sind ein Ausbund von Klugheit. Also überlegte die Prinzessin, ob sie nicht etwa mit dem Zauberstab sich ein Mittel zur Rettung schaffen könne. Als nun die Rüben aufgingen und endlich reiften, zog sie eine derselben heraus, berührte sie mit dem Stab und verwandelte sie in eine Biene. Dem Bienlein aber sagte sie, es solle hinstiegen zu ihrem Bräutigam und ihm sagen, wer sie gefangen halte. Er solle nach drei Tagen an der Grenze des Gebirges auf sie warten und sie retten. Das Bienlein flog fort, kam aber nicht wieder, denn eine Schwalbe ergriff unterwegs dasselbe und fraß es. Nun machte die Prinzessin eine Grille und schickte sie mit demselben Auftrag fort. Als aber auch diese nicht zurückkehrte, weil sie unterwegs ein Storch gefressen hatte, so machte sie eine Elster und schickte sie fort und dachte: Die wird es schon vollbringen.

Sie vollbrachte es auch und flog so lange, bis sie den Bräutigam fand, der traurig umherzog, die Geliebte seines Herzens zu suchen. Als er nun einst da unter einer Eiche lag, um auszuruhen, hörte er eine Stimme, und als er aufsah, bemerkte er die Elster, die ihm das Leid seiner Liebsten verkündete. Sogleich kehrte der Prinz heim und zog mit einem großen Gefolge von Reisigen der bestimmten Grenze zu, wo er auch am dritten Tag glücklich ankam. Die Elster aber flog wieder zur Prinzessin zurück und verkündigte, dass sie ihren Auftrag ausgerichtet habe.

Unterdessen hatte sich in des Berggeistes Schloss gar viel verändert, denn die Prinzessin war freundlicher gegen ihn und sagte endlich sogar, sie wolle die seine werden, wenn er unten im Garten alle Rüben zähle, die sie hernach in lauter Brautjungfern verwandeln wolle.

»Aber«, setzte sie hinzu, »gib wohl acht, dass du dich nicht verzählst, auch nicht um eine, sonst nehme ich meine Zusage zurück.«

Rübezahl zählte nun ganz eifrig, und um gewiss zu sein, dass er sich nicht verzählt, zählte er noch einmal, und er fand, dass er sich wirklich verzählt hatte. Das geschah aber noch ein paarmal, bis er endlich überzeugt war, nun sei alles ganz richtig.

Während der Zeit hatte die Prinzessin aus der größten Rübe ein Ross gemacht, sich darauf gesetzt und war schnell zu der angegebenen Grenze hinabgeritten, wo sie denn der entzückte Prinz empfing und im Fluge zum Schloss ihrer Eltern brachte.

Als nun Rübezahl aus dem Garten zur Burg zurückkehrte und seine Geliebte suchte, war diese verschwunden. Sogleich schwang er sich in die Luft, um ihr nachzueilen. Er kam eben zurecht, um zu sehen, wie sie über die Grenze seines Gebiets hinüberjagte, und schleuderte ihr noch einen Blitz nach, der hinter ihr eine Grenzeiche zersplitterte, sie selbst aber nicht traf.

Seit der Zeit wurde er noch erbitterter gegen die Menschen und zog sich völlig in die Einsamkeit zurück. Schloss und Garten verschwanden, denn er mochte sie nicht mehr sehen. Wo sie aber gestanden hatten, da nennt man es heute noch Rübezahls Schloss und Lustgärtlein.

Die Geschichte wurde aber doch unter den Umwohnern des Gebirges bekannt, und sie nannten daher den Berggeist spottweise Rübezahl, und es ist freilich nicht zu verwundern, wie er über nichts so zornig wurde, als wenn man ihn bei diesem Namen nannte.

Mit den Jahren nimmt aber jeder Schmerz an Bitterkeit ab, selbst bei Geistern, und so wurden denn auch Rübezahls Neckereien mit der Zeit schonender und milder. Er wurde so endlich mehr ein wohltätiger als auch schreckhafter Berggeist.