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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 9

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Neuntes Kapitel

Des kleinen Jacobs neues Vaterhaus

Aber sie konnte immer nicht einschlafen diese Nacht, vor lauter Freude über das wunderschöne lebendige Püppchen, das da in seinem schneeweißen Bettchen neben ihr lag und das sie beim Schein der Nachtlampe immer wieder ansehen musste. Sie horchte auf sein Atemholen und war entzückt, als es sich einmal im Schlaf umwandte und hustete. Erst gegen Morgen schlief sie ein.

Jacob aber, als nun der heitere Tag heraufgekommen war, erwachte, schaute sich in dem stattlichen Zimmer um und verhielt sich ruhig, als eine Dienerin herbeikam, um das Zimmer aufzuräumen und ein Fenster zu öffnen. Sobald sie sich aber entfernt hatte, sprang er auf, begab sich dahin und sah auf den zierlichen Garten herab, der sich vor demselben ausbreitete. Der balsamische Duft des Morgens zog ihn hinaus ins Freie. An einem Weingeländer kletterte er sacht hinab, schlürfte Tau von den Blättern der Rosenbüsche umher und fühlte sich neugeboren und selig. Jetzt kam der Hausherr herbei, ein reicher Gutsbesitzer. Er erblickte den Flüchtling im Gesträuch, ergriff und liebkoste ihn, und fragte ihn, wer er sei und woher er käme.

Jacob antwortete ganz unerschrocken und erzählte ihm seine Geschichte, wie er ausgewandert sei, auf gut Glück sein Heimatland, nach dem er große Sehnsucht trage, aufzusuchen und was ihm unterwegs alles begegnet sei. Der Baron ergötzte sich sehr an seiner aufrichtigen und verständigen Rede und sprach ihm zu, eine Zeit lang in seinem Haus zu verweilen, indem er ihm Hoffnung machte, späterhin selbst für sein weiteres Fortkommen sorgen zu wollen.

Die kleine Marianne aber war unterdessen in großes Herzeleid geraten, ja in bittere Tränen ausgebrochen, als sich bei ihrem ersten Erwachen sich nach ihrem kleinen Liebling umgesehen und diesen nicht erblickt und nachher im ganzen Haus vergeblich gesucht hatte. So kam sie nun in den Garten, dem Vater ihr Leid zu klagen. Da gewahrte sie in dessen Hand den lieben Flüchtling. Mit einem lauten Freudenschrei fuhr sie hin, nahm ihn zu sich, herzte ihn, schaute ihm in das kleine seelenvolle Angesicht, und war nun wieder ganz glücklich. Späterhin wurde freilich ihre Freude etwas herabgestimmt, als ihr der Vater zu bedenken gab, dass sie es mit keinem Püppchen, sondern mit einem kleinen Mann zu tun habe, der gescheiter wäre als sie und ihr nicht so geradehin zum Spielen überlassen werden könnte. Ach, sie hatte es sich schon so schön ausgedacht, wie sie ihr Püppchen umhertragen, füttern und anputzen wollte! Indessen wurde ihr Missvergnügen doch bald durch Jacobs freundliche Zurede beschwichtigt. Seine ausschließliche Anhänglichkeit an sie entschädigte sie bald hinlänglich für das verlorene Spielzeug. Überdies bekam sie Gelegenheit genug, auf mancherlei Weise für ihn zu sorgen und ihn zu beschützen, besonders anfangs gegen ihr zudringliches Schoßhündchen, das sich gar neidisch gegen den neuen Günstling benahm.

Jacob scherzte und plauderte mit ihr, nahm eifrig an ihren Lernstunden teil, half ihr, wo es schwerer ging, und hörte ihr die Lektionen ab. Da er bei dem alten Haselmaier auch etwas Zeichnen und Musik gelernt hatte, so erfreute er sie durch manches artige Bild und durch manches heitere Liedchen, das er ihr mit seiner silberreinen Stimme vorsang. Ein anderes Mal erzählte er ihr scherzhafte oder schaurige Geschichten, wie er sie hier und da gehört hatte oder selbst erfand. Oder er ergötzte sie mit allerhand anmutigen Seiltänzerkünsten, in denen er es zur Meisterschaft gebracht hatte. Nebenbei benutzte er aber seine Zeit auch ernstlich zur eigenen Fortbildung und hätte wohl manchen hochgewachsenen jungen Herrn mit seinen Kenntnissen beschämen können. So fehlte es denn nicht, dass er nicht nur der kleinen Gönnerin, sondern auch allen Übrigen im Haus bald sehr wert und immer mehr als ein geborenes Glied der Familie betrachtet wurde.