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Der Marone – Quaco als Myalmann

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Achtundvierzigstes Kapitel

Quaco als Myalmann

Für Herbert Vaughan waren dies Augenblicke stürmischer Aufregungen, mitten im tiefen Herzeleid war plötzlich hohe Freude aufgeschossen. An das Atmen seiner Cousine vermochte er nach dem von Quaco geführten Beweisen nicht mehr zu zweifeln, und so stand es fest, dass sie noch lebe, so sehr ihn auch der Schein des Todes bisher getäuscht hatte. Etwas höchst Geheimnisvolles lag hier freilich zu Grunde, ein Geheimnis des Myalismus. In dieser Kunst besaß der Maronenleutnant jedoch eine dem Wissen der sich ausschließlich mit ihr beschäftigenden Männer fast gleichkommende Geschicklichkeit. Außerdem, dass er als Cubinas Stellvertreter bei allen wichtigeren Angelegenheiten fungierte, war er auch der Arzt sämtlicher Maronen und hatte bei seiner Erfahrung in der Medizin auch eine genügende Kenntnis von den Geheimnissen und Künsten des Obiah erworben, besonders von dem Kunststück, wodurch nach dem Glauben des Unwissenden ein toter Mensch wieder ins Leben gerufen werden konnte, und das in Westindien als Myalismus bekannt und gefürchtet war.

»Nur ein Schlafzauber!«, sagte Quaco zuversichtlich, während er sein Nachsuchen in der Hütte mit großer Emsigkeit fortsetzte. »Nichts weiter als das, ein ihr von dem Myalmann eingegebener Trank. Ich kenne ihn ganz gut, und ich kenne auch das Gegenmittel, ohne das sie fürs Erste schwerlich wieder zu sich kommen dürfte. Haha! Das ist es! Da ist das Gegenmittel!«

Ein kleines Fläschchen hielt er in seinen Fingern, das bald entkorkt und an die Nase gebracht war.

»Ja, das ist ganz das Richtige, das den Schlafzauber beseitigt. Nun, in noch nicht zehn Minuten sollt Ihr sie aufwachen sehen, frisch und munter, wie sie es nur je in ihrem Leben gewesen. Jetzt, junger Herr, halten Sie den Kopf des Fräuleins ein wenig in die Höhe, damit ich ihr den Trank einflößen kann.«

Herbert folgte bereitwillig der Aufforderung Quacos und stützte den schönen Kopf der vermeintlich Toten. Quaco öffnete nun mit aller Zartheit, deren seine dicken rauen Finger fähig waren, die bleichen Lippen, brachte den Hals des Fläschchens zwischen dieselben und goss der Schlafenden einen Teil ihres Inhalts in den Mund. Dann hielt er ihr das Fläschchen noch einige Zeit unter die Nase, worauf er ihr die Hände zwischen seinen eigenen breiten und rauen Händen warm rieb.

Mit klopfendem Herzen und abwechselnd in großer Aufregung sowohl auf Quaco als auch auf die stille Schläferin hin gewandten Augen strengte Herbert sich jetzt in keiner Weise an, seine innere Unruhe und Besorgnis irgend zu verbergen, die freilich noch viel bedeutender gewesen wären, hätte Quaco nicht ein so außerordentlich zuversichtliches Wesen gezeigt und in triumphierendem Ton alle eintretenden Erscheinungen bis zur vollständigen Wiederbelebung vorhergesagt.

Kaum fünf Minuten waren verflossen, seitdem das Gegenmittel eingegeben worden war, als man schon bemerken konnte, dass sich die Brust der schönen Schläferin etwas zu heben begann, während sich zu gleicher Zeit ihren nur ganz wenig geöffneten Lippen ein leiser, kaum hörbarer Seufzer entwand.

Jetzt vermochte Herbert seine gestiegene Erregung nicht mehr länger zu bewältigen. Mit einem lauten Freudenschrei beugte er in der Überwallung des Entzückens sich auf das Antlitz des heißgeliebten, nun wieder zum Leben erwachenden Wesens, drückte glühende Küsse auf ihre noch nicht vollständig lebendigen Lippen und rief von Zeit zu Zeit zärtlich ihren Namen.

»Seid nur ruhig, junger Herr!«, warnte Quaco, »sonst dauert es noch länger, bis sie erwacht und vollständig zum Bewusstsein kommt. Habt nur etwas Geduld, lasst dem Gegenmittel Zeit, gehörig zu wirken. Sehr lange soll es nicht dauern.«

So ermahnt, verhielt Herbert sich schweigend und ruhig, blickte mit gespannter Aufmerksamkeit auf das holde Antlitz, das jetzt bereits einige Zeichen der Wiederbelebung zu geben begann. Ganz wie Quaco es vorausgesagt hatte, traten nach und nach alle durch das Gegenmittel bewirkten Erscheinungen auf. Die Brust des jungen Mädchens fing an, sich gewissermaßen krampfhaft zu bewegen, deutlich dartuend, dass ein regelmäßiges Atemholen wieder eintreten wolle, während sich von Zeit zu Zeit gebrochene, halb gemurmelte, leise Seufzer hören ließen. Nach und nach wurde das Atemholen dann regelmäßiger und ruhiger, und ihre Lippen bewegten sich mit leisem Gemurmel, gleich jemand, der im Traum spricht.

Mit jedem Augenblick wurden die von der Wiedererwachenden ausgestoßenen Töne bestimmter und wahrnehmbarer, die Worte konnten zuletzt schon ziemlich deutlich unterschieden werden. Unter diesen war eines, das Herberts Herz mit unbeschreiblichem Entzücken erfüllte – sein eigener Name!

Ungeachtet aller weisen Ratschläge konnte er nun unmöglich länger widerstehen. Er drückte einen glühenden Kuss auf die Lippen seiner angebeteten Cousine, rief laut ihren Namen und verband hiermit zärtliche Liebesworte wie ermutigende Ausrufungen. Gleich, als ob seine Stimme den bösen Zauber gebrochen und die Schlafsucht aus ihren Gliedern vertrieben habe, so öffneten sich auf einmal ihre Augen. Die langen Wimpern hoben sich und zeigten die lieblichen Sterne, die Herberts Herz mit unendlicher Sehnsucht gefangen hielten.

Anfangs freilich war der Ausdruck der dem Licht entfremdeten Augen noch träumerisch, starr und bewusstlos, als ob sie leuchteten, ohne eigentlich zu sehen, und sähen, ohne eigentlich etwas zu erkennen. Doch nach und nach änderte sich auch dies. Das Auge wurde immer klarer und lebendiger, bis der vollkommen hergestellte geistige Ausdruck desselben offen bewies, dass es von einem vollständigen, durch nichts mehr gefesselten Bewusstsein beseelt sei.

Dicht bei ihrem Gesicht war das, von dem sie so eben geträumt hatte. In ihre Augen schauten dieselben Augen, die sie schlafend gesehen, und mit demselben süßen Blick, mit dem sie früher wachend sie angeschaut hatten, jenem bei allen Täuschungen und Leiden tief im Herzen treu bewährten Blick!

Nun verweilte dieser bedeutungsvolle Blick wiederum auf ihr, aber diesmal von holden Liebesworten, von den Ausdrücken inniger Zärtlichkeit begleitet, die alle aus dem innersten Wesen eines leidenschaftlich liebenden Herzens stammten.

»Herbert! Teurer Vetter«, rief sie aus, als sie die Sprache wiedergewonnen hatte. »Bist du es wirklich? Wo bin ich nur? Doch das ist gleich, wenn du nur bei mir bist! Ist es dein Arm, der mich umschließt?«

»Ja, teuerste Cousine, um dich nie wieder zu verlassen! O, sprich zu mir, sage mir, dass du lebst!«

»Lebe! Ach, du hieltest mich für tot? Ja, ich glaubte es selbst. Das schreckliche Ungeheuer! Ist es fort? O, ich sehe es hier nicht und bin gerettet! – Ich bin gerettet durch dich, Herbert! Du bist es doch, der mich von noch Schlimmerem befreit hat, als es der Tod sein könnte?«

»Es ist nicht mein Verdienst, Cousine. Dieser brave Mann hier an meiner Seite ist es, dem wir beide für diese Befreiung verpflichtet sind.«

»O Cubina! Und Yola? Die arme Yola! Wo ist sie? O, es ist fürchterlich! Ich kann gar nicht begreifen …«

»Teuerste Cousine, denke jetzt gar nicht mehr daran. Mit der Zeit wirst du alles begreifen. Jetzt sei es dir genug, dass du gerettet bist und das alle Gefahr vorüber ist!«

»Mein armer Vater! Wenn er es wüsste, dass Chakra noch am Leben ist, das schreckliche Ungeheuer.«

Herbert schwieg hierzu und Cubina ebenfalls, der die Hütte verließ, um seinen Leuten einige Befehle zu erteilen.

»Ach Vetter, was ist das auf deiner Brust?«, fragte das junge Mädchen. »Ist das nicht dasselbe Band, das du damals von dem Geldbeutel losgerissen hast. Hast du es die ganze Zeit getragen?«

»Immer seit jener Zeit! O, Käthchen, länger kann ich es nicht verschweigen! Ich liebe dich! Ich liebe dich! Ich habe davon gehört, dass …! Aber sage es mir jetzt selbst, teuerste Cousine, erkläre mir mit eigenem Mund, ist es wahr, ist es wirklich wahr, dass du mich wieder liebst?«

»Gewiss, gewiss! Ich liebe dich innig!«

Abermals küsste Herbert jetzt den holden Mund, der ihm diese süße Gewissheit erteilt.

Mit diesem Kuss waren zwei liebende Seelen für immer verbunden.