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Der Kommandant des Tower 52

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Viertes Buch
Verschwörung und Gegenverschwörung
Achtes Kapitel

Die Gegenverschwörung

Warwick hatte es bisher unterlassen, dem Lordprotektor die Entdeckungen, die er hinsichtlich seines Bruders Verrat gemacht hatte, mitzuteilen, weil er die Unentschlossenheit fürchtete, die Somerset bereits bei einer früheren Gelegenheit an den Tag gelegt hatte. Jetzt aber, da er mit positivem Beweis von des Admirals Schuld ausgerüstet war, beschloss er, ihm die ganze Sache mitzuteilen.

Demgemäß wurde am Abend eine besondere Conseilversammlung gehalten und dem Herzog von Somerset die gigantische Verschwörung in all ihren Einzelheiten vorgelegt.

Somerset war so betroffen, dass er fast nicht daran glauben wollte. Aber als Sharingtons Bekenntnis vorgelesen wurde, da konnte er nicht länger zweifeln. Verstärkt wurden Warwicks Belege noch durch Ugo Harrington, der vorgeführt wurde und alles enthüllte, was er von seines Herrn Tun wusste.

Eine lange Beratung folgte. Lord Southampton, der Somersets Gunst wiedererlangt hatte und neuerdings dem Conseil angehörte, und Lord Clinton schlugen vor, Seymour sogleich zu verhaften und zu verhören; aber andere waren dagegen, besonders weil Ugo Harrington versicherte, dass der Admiral den größtmöglichen Widerstand leisten und wahrscheinlich entwischen würde. Gelänge es ihm alsdann, eines seiner Schlösser zu erreichen, so wäre ein Aufstand gewiss, den zu unterdrücken schwer, wenn nicht unmöglich sein würde, und ein Bürgerkrieg wäre die Folge.

»Wenn Eure Hoheit mir folgen will«, sprach er zum Lordprotektor, »so will ich Euch den Weg andeuten, wie Ihr leicht seiner habhaft werden und zugleich allen öffentlichen Ruhestörungen zuvorkommen könnt.«

»Lass deinen Plan hören«, sprach Somerset.

»Mein Herr hat unter dem Vorwand, dem König einige neue Geschütze zu zeigen, von demselben das Versprechen erlangt, dass er ihn morgen zum Tower begleiten wolle. Hat er ihn einmal dort, so will er all seinen Einfluss aufbieten, Seine Majestät zu bewegen, das gegenwärtige Gouvernement zu ändern. Er hofft damit durchzudringen, indem er ihm vorstellt, dass das Testament seines Vaters in betrügerischer Weise gestempelt worden sei.«

»Ha!«, rief Somerset aus.

»Das will er behaupten«, fuhr Ugo fort, »und will es durch irgendein Bekenntnis beweisen, welches er im Besitz zu haben vorgibt. Wie dem auch sei, er hofft den König zu überzeugen, im Tower zu bleiben, sich seinem Schutz anzuvertrauen und ihm das Kommando der Festung zu übergeben.«

»Ein verwegener Plan, meiner Treu!«, rief Warwick, »und wenn der König einwilligt, vielleicht erfolgreich.«

»Aber Seine Majestät würde nimmer einwilligen, davon bin ich überzeugt«, sagte Somerset.

»Sollte Überredung nichts helfen«, fuhr Ugo fort, »so will mein Herr Gewalt gebrauchen und sich der Person des Königs und der Festung bemächtigen.«

»Ha! Solchen Verrat sinnt er?«, rief der Protektor aus. »Aber es ist ein eitler und unsinniger Plan, den kein anderer als er hegen konnte.«

»Nicht so eitel, wie es scheint«, erwiderte Ugo. »Er wird sich mit einem gut bewaffneten Gefolge zum Tower begeben – und in der Festung hat er viele Freunde, die ihm beistehen werden. Was mich betrifft, so bezweifle ich durchaus nicht, dass er imstande wäre, seinen Plan durchzusetzen.«

»Was, sich des Königs bemächtigen und den Tower zu halten?«, rief Somerset.

»Ja, Eure Hoheit, ihn lang genug zu halten, bis ein Regierungswechsel vor sich gegangen ist«, antwortete Ugo. »Aber bei gehöriger Vorsicht hat die Sache keine Gefahr, und mein Herr kann in seinen eigenen Netzen gefangen werden. Hier ist eine Liste aller seiner Anhänger im Tower. Lasst diese schleunigst entfernen und zuverlässige Beamte an ihre Stelle treten, so steht nichts zu befürchten. Eurer Hoheit und den Herren vom Conseil anzugeben, in welcher Art die Verhaftung vor sich gehen könnte, steht mir nicht zu. Aber mein Herr dürfte – einmal im Tower – nicht anders heraus, als zum Schafott nach Tower Hill.«

»Die Falle ist gut«, sprach Somerset, »und einmal darin, soll er nicht wieder heraus. Wir schulden dir viel Dank für deine Mitteilungen. Du hast reichlich wieder gut gemacht, was du durch deine Beteiligung an der Verschwörung vielleicht verbrochen hättest, und du darfst nicht nur auf Verzeihung, sondern sogar auf Belohnung rechnen.«

»Ich verlange keine Belohnung, Eure Hoheit«, entgegnete Ugo. »Ich werde zufrieden gestellt sein, wenn ich Lord Seymour aufs Schafott bringe.«

»Was tat dein Herr, um sich einen solchen Hass deinerseits zuzuziehen?«, fragte Lord Russell.

»Verlangt nicht, dass ich meine eigene Schande aufdecke!«, rief Ugo heftig. »Genug, dass er mir eine Beleidigung angetan hat, die nur Blut sühnen kann. Er wäre längst durch meine Hand gestorben, wenn ich es nicht vorgezogen hätte, ihn auf dem Schafott enden zu sehen.«

»Dein Wunsch wird dir erfüllt werden«, sagte Warwick. »Nach den gemachten Enthüllungen«, sprach Somerset, »kann kein Zweifel an einer großen und schrecklichen Verschwörung, die – wie ich bedaure, sagen zu müssen – mein eigener Bruder angestiftet hat, mehr existieren. Aber ich werde mein Herz gegen ihn verschließen und ihn mit spartanischer Strenge richten. Es müssen morgen viele Verhaftungen stattfinden. Kannst du noch andere angeben?«, fügte er, gegen Ugo gewandt, hinzu.

»Mehre Personen des königlichen Haushalts stehen in seinem Sold, besonders Fowler, der Kammerdiener.«

»Was! Fowler hat falsches Spiel getrieben?«, rief der Protektor. »Er soll verhaftet werden.«

»Wenn Eure Hoheit einen Blick auf diese Liste werfen wollen«, sagte Ugo, indem er ihm ein Papier überreichte, »so werdet Ihr alle Edelleute kennen, die zu meinem Herrn stehen und Euch feindlich gesinnt sind.«

»Da steht zuerst der Marquis von Dorset«, sagte Somerset, indem er in die Liste sah. »Er soll sich verantworten, gleich allen Übrigen. Hast du noch mehr mitzuteilen?«

»Nein, Euer Gnaden, ich habe alles gesagt, was ich weiß.«

»So kannst du gehen. Ich brauche dir nicht Vorsicht zu empfehlen, denn du wirst sie um deiner selbst willen nicht vergessen. Wirst du morgen den Admiral zum Tower begleiten?«

»Ich habe schon die Order dazu empfangen«, antwortete Ugo.

»Wenn du dort ankommst, werde ich Mittel finden, dir heimlich eine Botschaft zukommen zu lassen«, sagte Somerset. »Keiner von uns wird vor dem rechten Moment sich blicken lassen, erst dann, wenn es gerade am wenigsten erwartet wird.«

»Ich verstehe Euer Gnaden.« Und mit einer tiefen Verbeugung gegen den Lordprotektor und das Conseil entfernte sich Ugo.

»Der Bursche ist ein geriebener Verräter«, bemerkte Warwick. »Aber er ist von großem Nutzen. Ohne ihn wäre die Verschwörung nimmer entdeckt worden.«

»Seltsam, dass der Admiral ein solches Vertrauen in ihn setzen konnte. Der Verrat steht ihm im Gesicht geschrieben.«

»Beabsichtigt Eure Hoheit dem König die Verschwörung zu enthüllen?«, fragte Southampton.

»Nein, Mylord«, antwortete der Protektor. »Mein tief berechnender Bruder hat sich in einem solchen Grad die Zuneigung meines königlichen Neffen gewonnen, dass man nicht verbürgen kann, was dieser tun würde. Seine Majestät muss sowohl über die Verschwörung als auch über die Gegenverschwörung bis zum letzten Augenblick in Unkenntnis gehalten werden. Was er alsdann tun mag, um seinen schuldigen Oheim zu retten, wird vergebens sein. Morgen, Mylords, müssen wir uns alle heimlich im Tower versammeln.«

Darauf brach das Conseil auf. Der Lordprotektor und Graf Warwick aber blieben noch in längerer Beratung.