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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Zehnte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Zehnte Erzählung

Das Gespenst, welches einem Offizier die Betten unter dem Kopf anfraß

Ich machte im Jahre 1769 eine Reise von Königsberg in Preußen nach der Ukraine und musste im Dorf Kockernäse übernachten. Der dortige Amtsrat Herr Köhler, mein Freund, empfing mich mit offenen Armen. Ich fand eine zahlreiche Gesellschaft bei ihm, und dies veranlasste seinerseits die Entschuldigung, dass er mir, da seine Zimmer im Wohnhaus von Besuchern besetzt wären, keine andere Schlafstelle als einen etwas veralteten Saal im Hintergebäude anbieten könne. Von der Reise ermüdet, war ich sehr damit zufrieden und bat nnr, mit einem alten Bekannten keine Umstände zu machen.

Nach einer halben Stunde kamen die Gäste des Amtsrats von einer Schlittenfahrt zurück. Wir setzten uns bald zu Tisch. Die muntere Laune mehrerer junger Gäste beiderlei Geschlechts und der gute Wein des Amtsrats verlängerten die Mahlzeit. Der Faden der allgemeinen Unterhaltung wurde von ungefähr an Gespenstergeschichten angeknüpft. Da tischte der eine dies, der andere jenes auf. Da hatte dieser ein bloß rätselhaftes, jener ein wirklich wunderbares Ereignis erlebt. Gerade wollte einer von den jungen Männern noch eine recht arge Geistergeschichte zum Besten geben, als seine schöne Schwester, der das Geschichtchen schon bekannt sein mochte, mit einem Hu! zusammenschauderte. Der schalkhafte Amtsrat bat um Schonung für mich. Ich sei müde, meinte er, und dürfe dergleichen Schaudererregendes heute gegen die Nacht um so weniger zu Herzen nehmen, weil ich in dem Hintersaal allein schlafen würde.

»In dem Spuksaal?«, fragte erstaunt einer der Gäste, schwieg aber, da, wie ich bemerkte, der Amtsrat ihm mit den Augen ein Zeichen gab.

»Und wenn mein Schlafgemach auch Spuksaal heißt«, erwiderte ich lächelnd, »so übernachte ich doch ohne Bedenken in demselben. Mit preußischen Offizieren pflegen sich die Gespenster nicht gern gemein zu machen.

Die Tafel wurde aufgehoben. Der Bediente des Amtsrats begleitete mich mit einer Laterne über den Hof. Dann führte ein langer Gang, auf dessen Seiten Ställe angebracht waren, zum Saal, wo ich schlafen sollte. Mein Geleitsmann zündete mir ein Licht an, und ich entließ ihn.

In der Tat, dachte ich bei mir selbst, gäbe es Gespenster, sie würden nirgends anderswo lieber hausen, als hier. Das Zimmer hatte eine ansehnliche Größe, und feierlich hallte in demselben jeder meiner Schritte wider. Es war hoch gewölbt, hatte eine Menge zerfallener Nischen in den Wänden und glich einer Kirche, deren Öde um so schauerlicher war, da außer einigen alten Familiengemälden, einem Bett, Tisch und Stuhl alles wüst und leer darin war. Ich bemerkte eine offene Seitentür zu einem Nebenstübchen. Es war noch verfallener wie der Saal selbst. Eine durchaus unbrauchbare, gewundene Treppe führte hier in einen Keller hinab. Ich gestehe, dass mir bei dem Anblick des offenen Kellers plötzlich jene Benennung des Saales wieder einfiel. Aber was war zu machen? Ich entkleidete mich, und nun erst, als ich die Saaltür verschließen wollte, machte ich die unangenehme Entdeckung, dass sie weder Schloss noch Riegel hatte.

In dieser meiner Verlegenheit haschte ich nach Entschlossenheit und Männersinn, indem ich mich selbst zur Rede stellte. Warum mag dir doch eigentlich der offene Keller und die Tür ohne Schloss und Riegel zum Anstoß und Ärgernis gereichen? Betört dich etwa die Furcht vor Dieben? Aber du bist ja im Schlafrock zum Saal gegangen, hast Börse und Uhr dem Amtsrat in Verwahrung gegeben. Nun? Doch wohl nicht gar Furcht vor Gespenstern? Aber die sollen ja Respekt vor einem preußischen Offizier haben! Dieses Selbstgespräch half. Nur wenige Minuten stand ich unentschlossen da, bald siegte die Vernunft. Ich setzte den alten Lehnstuhl vor die Saaltür, damit sie wenigstens kein Spiel des Luftzuges sein möge, und schlief bald und ruhig ein.

Es mochte ungefähr Mitternacht sein, als einige Stöße gegen die Saaltür mich aufweckten. Ich fuhr erschrocken zusammen und horchte noch, herzklopfend, als ein zweiter heftiger Stoß die Thür aufsprengte. Es ließen sich einige Tritte hören, die so sonderbar widerhallten, als ob jemand auf Stelzen ginge. Die Tritte kamen mir immer näher. Sie wurden in gleichen Zwischenräumen von einem heftigen Niesen und gewaltsamen Schnauben unterbrochen. Jetzt tobte der Unhold, wie ich deutlich unterscheiden konnte, nahe bei dem Kopfende meines Bettes. Es war mir äußerst unangenehm, dass ich meinen Degen mitzunehmen vergessen hatte. Der Angstschweiß brach mir aus, als auf meine wiederholte Anrede keine Antwort und auf die von Zeit zu Zeit verstärkten Drohungen keine Änderung im Benehmen des schnaubenden Nachtgeistes erfolgte. Eiskalt goss es mir über, als das spukende Etwas immer frecher wurde, einige Male gewaltsam an meinem Kopfkissen zupfte, und, dem Gehör nach, die Federn fraß.

Erst die Federn, dann dich, dachte ich in der Angst und sprang mit einem Satz, der dem geübtesten Seiltänzer Ehre gemacht haben würde, aus dem Bett. Indem ich mich bücke, um den Stefelknecht – das Einzige, was mir an Wehr und Waffen zu Gebote stand – zu packen, gab mir der Poltergeist einen so heftigen Stoß vor den H…, dass ich davon zu Boden fiel. Ich sprang auf und durchkreuzte mit dem Stiefelknecht die Luft, bis ich endlich ein lebendiges Etwas traf. Ich griff im Schlagen mit der linken Hand danach und fasste – ein Horn! So sehr sich der Hörnerträger mir zu entwinden versuchte, so fest hielt ich ihn doch, um ihn zu züchtigen. Die Töne, welche ihm der Schmerz auspresste, belehrten mich, wessen Geistes Kind er war.

Eine gewisse unwillkürliche Stimmung zum Lachen, aber auch Scham vor mir selbst, verdrängten jetzt alle Furcht. Nachdem ich den gehörnten Spuk für seine Zudringlichkeit derb gezüchtigt hatte, schob ich ihn zum Saal hinaus, verrammelte die Stubentür von Neuem und schlief nun ungestört bis zum Morgen.

Als der Tag anbrach, lag der nähere Aufschluss über das, was mir in dem bestandenen Abenteuer noch einigermaßen dunkel geblieben war (zum Beispiel, dass der Gehörnte mein Kopfkissen anfraß) klar vor meinen Augen. Der Amtsrat kannte meinen Gespensterunglauben und hatte in dieser Hinsicht zur Unterhaltung seiner übrigen Gäste ein sinnreiches Späßchen erdacht. Unbemerkbar war mir ein kleines mit Hafer gefülltes Kissen unter das Kopfende meines Bettes gelegt worden, und längs der Saalwand, an welcher mein Bett stand, hatte man bis zur Stubentür hin einige Körner Hafer gestreut. Das Nämliche war außen von der Saaltür an bis zu dem Stall eines sehr zahm gemachten Ziegenbocks geschehen. Natürlich ging der Bock, dem man die Stalltür geöffnet hatte, dem Hafer nach und folgte der anlockenden Witterung dieses Fraßes auch da noch, als ihn die Saaltür, die er mit den Hörnern oft aufgerannt haben mochte, im Wege war. Der vor die Tür gestellte Stuhl veranlasste ein mehrmaliges Gegenstoßen. Aber sobald er zurückgedrängt war, hinderte den schnarchenden Hafersucher nichts, dem Fraß bis in das Haferkissen hinein nachzuspüren. Mit dem Umrennen ging auch alles ganz natürlich zu. Wahrscheinlich glaubte der Bock, es sei mir darum zu tun, ihm seinen Hafer zu nehmen.