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Die Gespenster – Zweiter Teil – Neunte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Neunte Erzählung

Das durch ein Nachtgeschirr zur Ruhe verwiesene unsichtbare Gespenst

Einer meiner Vorgänger, der ehemalige Feldprediger und jetzige erste Prediger und Inspektor zu Tangermünde, Herr Hanisch, bereiste im Frühjahr 1777 die außerhalb Rathenow garnisonierenden Schwadronen des Leibkarabinierregiments. Auf der Rückreise von Wolmirstedt nach Genthin langte er mit seinem Reitknecht gegen Abend an das linke Elbufer, dem Dorf Ferchland gegenüber, glücklich an und hoffte der mit dem Fährmann getroffenen Verabredung gemäß noch über den sehr angeschwollenen Strom gesetzt zu werden. Da sich aber ein heftiger Sturm erhoben hatte, so wagte der sonst sehr entschlossene Fährmann dieses Mal nicht, sein Versprechen zu erfüllen. So sah sich nun Herr Feldprediger Hanisch genötigt, den Reitknecht mit beiden Reitpferden in der Schenke des nächsten Dorfes Bittkau übernachten zu lassen, und das bessere Wetter des kommenden Tages zur Fortsetzung der Reise abzuwarten.

Da ihm selbst das angebotene Strohlager zu Bittkau nicht behagen wollte und hier im Ort kein Prediger wohnte, so ging er für seine Person zu Fuß zum Prediger des benachbarten altmärkischen Dorfes Grieben, um sich bei ihm ein seinen Bedürfnissen angemesseneres Nachtlager auszubitten. Dieser gastfreie Mann und dessen Familie empfingen und bewirteten ihn auf das Freundschaftlichste. Man verplauderte einen überaus angenehmen Abend miteinander. Nachdem unvermerkt die Schlafenszeit herbeigekommen war, wies man dem von der Reise ermüdeten Gast in der großen Stube der Pfarrwohnung ein Gardinenbett zur nächtlichen Ruhe an.

»Da ich (so erzählt Herr Inspektor Hanisch selbst) als ein Spaziergänger, außer meinen Kleidern, einer Uhr und einer kleinen Börse weiter nichts bei mir hatte, so rekognoszierte ich zwar mein Terrain und leuchtete, das Licht in der Hand, unter das Bett und hinter die Schränke. Indessen geschah dies mehr aus Angewohnheit als aus irgendeiner wirklichen Besorgnis. Ich legte mich hierauf ruhig nieder und schlief nach dem Ritt und stürmischen Wetter fest ein. Gegen Mitternacht schreckte mich ein spukhaftes Getöse aus dem tiefsten Schlaf auf. Es war mir, als hätte ein unbekanntes Etwas an meinen Bettgardinen gestreift. Auch glaubte ich ein leises Auf- und Zumachen der Tür zu hören. So eigen mir diese Empfindung war, so hielt ich sie doch jetzt noch lediglich für eine im ersten Schlaf durch dunkle Träume erregte Gaukelei meiner Einbildungskraft. Ich schlief daher auch bald wieder ein. Aber lange konnte ich noch nicht wieder geschlafen haben, als ich abermals aufschreckte und noch deutlicher als vorhin vernahm, dass ein Mensch im Zimmer einmal auf und niederging. Sehen konnte ich nichts. Es war eine stockfinstere Nacht. Man hatte mir eine Nachtlampe angeboten, und jetzt gereute es mich sehr, sie nicht angenommen zu haben. Indem ich rufen wollte, war es, als ginge die Tür zu. Da lag ich nun und sann, und über dem Sinnen schlief ich nochmals ein. So müde ich aber auch war, so ließ mich der Poltergeist doch nicht ruhen. Indem jemand die Tür aufriss und mit starken Schritten in die Stube trat, schrie ich in meiner Verlegenheit dem Ruhestörer ein vernehmliches Wer da? entgegen. Da keine Antwort erfolgte und das unbekannte Etwas näher dem Bett kam, so ergriff ich in der Angst das Nachtgeschirr, das Einzige, was nur im Fall der Not zu Gebote stand, und rief: ›Kommst du näher, so bekommst du das Nachtgeschirr an den Kopf!‹ Indem kehrte es um und schmiss die Tür stark zu.

Was sollte ich tun? Aufstehen? Aber es war finster. Fremd war ich, Bescheid wusste ich nicht. Eben hörte ich über mir die Dorfuhr eins schlagen. Sie können leicht denken, dass ich alles Mögliche durchdachte, was es sein könnte. Ja sogar der Gedanke an die eben verstrichene Gespensterstunde. Warum sollte ich ein Hehl daraus machen?, fiel mir einen Augenblick schwer aufs Herz. Wäre es ein Dieb, dachte ich, so würde es nicht so still hergehen. Wäre es ein Gespenst – je nun, wer hat von dergleichen in seiner Jugend nicht mancherlei erzählen gehört!

Nachdem ich zwei Stunden schlaflos zugebracht hatte und gegen Morgen wieder ein wenig eingeschlummert war, wurde ich endlich zum Frühstücken gerufen. Auf die gegenseitige Frage, wie man geschlafen habe, machte ich anfänglich eine stumme Verbeugung. Nachdem man aber in mich drang, so erwiderte ich freimütig, dass ich, wenn ich viel zu verlieren gehabt hätte, einen Dieb bei mir gehabt – und wenn ich Gespenster fürchtete, ein Gespenst gehört zu haben, glauben müsste. Ich wusste nicht, welcher Poltergeist mich gequält hat!

Mein Herr Wirt und die seinen sahen sich bei dieser Äußerung ungemein verlegen an und baten sehr um Verzeihung. Ihnen lag die Auflösung des Rätsels sogleich klar vor Augen. Jener hatte einen Bruder bei sich, welchen Menschenscheu und Melancholie dem Zustand der Verrücktheit nahe gebracht hatten. Dieser Unglückliche hatte zufällig vernommen, dass ich, ein Fremder, mit ihm unter einem Dach übernachten werde. Den Abend war er mir nicht zu Gesicht gekommen. Und doch wünschte er, meine Bekanntschaft zu machen, war es auch im Finsteren. Eine Idee, die unstreitig seinen verworrenen Vorstellungen selbst nicht klar verschweben mochte, veranlasste ihn daher, mir jenen dreimaligen nächtlichen Besuch zu machen. Da aber der Schwermütige mit seiner Herzhaftigkeit zu sehr zerfallen war, als dass er das Nachtgeschirr, womit ich, unhöflich genug, ihn bewillkommen wollte, hätte abwarten sollen. So schlich er wieder davon, ohne sich auf ein Gegenkompliment einzulassen, und tat nun auf meine weitere Bekanntschaft Verzicht. Da er bisher sein Wohlgefallen an nächtlichen Bekanntschaften in der Art noch nie geäußert hatte, so war es natürlich auch niemanden in den Sinn gekommen, zu glauben, dass es nötig sei, mich hier gehörig zu orientieren und auf einen solchen Besuch gefasst zu machen.

Sehen Sie da, die Auflösung!«

Übrigens hätte dieser spukhafte Nachtbesuch, durch die Lebensgefahr, in welche Herr Feldprediger Hanisch an dem nächstfolgenden Tag geriet, sehr leicht die bedeutungsvollste Ahndung werden können. Er wollte und musste nämlich am Tage nach der Spuknacht bei guter Zeit zu Rathenow eintreffen, und doch hatte das stürmische Wetter eher zu- als abgenommen. Ihm blieb daher nichts übrig, als den Versuch zu machen, ob man ihn vielleicht bei Tangermünde über die Elbe zu bringen imstande sei. Um dahin zu gelangen, musste er bei der dortigen Tangerbrücke die sehr ausgetretene Tanger durchreiten. Unbekannt mit der damit verknüpften Lebensgefahr wagte er es mit seinem Reitknecht, hier durchzuschwimmen. Das Wasser war so hoch, dass sogar der erhabenste Teil der sehr hohen steinernen Brücke nur eben noch aus demselben hervorragte. Das ungeheure Wagstück, welches hier schon mehreren das Leben gekostet hat, gelang indessen, und sie hatten von Glück zu sagen.

Lassen Sie uns, liebe Leser, den leicht möglichen Fall annehmen: Herr Hanisch hätte von seinem nächtlichen Abenteuer ganz geschwiegen, mithin auch nichts von dem Nachtwandler erfahren, hätte aber auf dem Weg nach Tangermünde aus Langeweile und um etwas zu schwatzen, seinem Reitknecht die Bagatelle scherzend erzählt und wäre darauf in der Tanger ein Opfer seines Wagstücks geworden, würde dann der Knecht, im Fall, dass der den Wellen vielleicht entgangen wäre, nicht geglaubt haben, jene nächtliche Erscheinung mit allem Recht für eine Ahndung des nahen Todes seines Herrn halten zu dürfen?