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John Sinclair Classics Band 5

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 5
Sakuro, der Dämon

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 07. 11. 2017, 66 Seiten, 1,80 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 16. 04. 1974 als Gespenster-Krimi Band 31.
www.john-sinclair.de
Kurzinhalt:
Sakuro, ein altägyptischer Magier, der von seinem Pharao grausam hingerichtet wurde, kehrt zurück und macht Menschen zu willenlosen Marionetten. Auch Sheila gerät ins Visier des »Dämons mit den blutenden Augen«, und John Sinclair und sein Freund Bill Conolly müssen ihr schließlich bis ins Land der Pyramiden folgen, um sie aus den Klauen dieser grausamen Kreatur zu befreien …

Leseprobe

»Wir alle, die wir hier versammelt sind, bedauern aus tiefstem Herzen den Tod unseres allseits geschätzten Earl Brandon. Möge er in Frieden ruhen.« Der Redner steckte seinen Notizzettel ein, wischte sich mit einem blütenwei­ßen Taschentuch theatralisch über die Augen und verließ das Pult, um in der ersten Reihe der Trauergäste Platz zu nehmen.

In der geschmückten Trauerhalle war es nach diesen Worten fast totenstill. Nur eine ältere Frau schluchzte leise vor sich hin. Gleich würde von einem Tonband Trauermusik aufklingen und der schwere, mit Blumen und Kränzen geschmückte Sarg in die Verbrennungs­kammer gleiten.

Vorn in der ersten Reihe saß Kenneth Brandon, der Sohn des Verstorbenen. Sein sonst sonnengebräuntes Gesicht war nur noch eine Maske, und er starrte unentwegt auf den Sarg.

Plötzlich geschah das Unfassbare.

Ein Schrei zerschnitt die Stille. Jeden, der ihn hörte, packte das kalte Entsetzen.

Der Schrei war aus dem verschlosse­nen Sarg gekommen!

Als Erster fasste sich Kenneth Bran­don. Der junge Mann sprang auf und lief auf den Sarg zu, der sich im gleichen Moment in Bewegung setzte und auf den Schienen lautlos in Richtung Verbren­nungskammer rollte.

Schwere Trauermusik setzte ein. Kenneth Brandon warf sich auf den Sarg.

»So helft doch!«, schrie er. »Mein Gott, helft! Vater ist nicht tot. Er lebt. Ich habe doch seinen Schrei gehört!«

Seine Fingernägel bohrten sich in die Verzierungen des Deckels, so, als könnten sie das schwere Holz aufkrat­zen. Blumen und Kränze fielen zur Seite, während der schwere Sarg un­aufhaltsam der Verbrennungskammer entgegenglitt.

Die anderen Trauergäste saßen wie festgewachsen auf ihren Plätzen. Sie beobachteten mit weit aufgerissenen Augen das makabre Schauspiel.

Langsam glitt die Tür der Verbren­nungskammer hoch.

Kenneth Brandon starrte auf den Rost, über dem schon die bläulichen Gasflämmchen flackerten. Nur noch Sekunden, dann würden sie den Sarg erfassen.

Jemand schlug mit aller Kraft von innen gegen den Sargdeckel.

»Vater!« Kenneth’ Stimme über­schlug sich. Sie hatte nichts Menschli­ches mehr an sich.

Verzweifelt versuchte der junge Mann den Deckel aufzureißen, setzte seine gesamte Kraft ein.

Vergebens. Kenneth Brandon rutschte ab und blieb dicht vor dem Ofen schluchzend stehen.

Der Sarg fuhr weiter, begleitet von brausenden Orgelklängen.

Mit einer hilflosen Gebärde streckte Kenneth beide Arme aus, als könne er das unabwendbare Schicksal aufhalten.

Langsam glitt die schwere Schiebe­tür wieder zu. Kenneth Brandon konnte sehen, wie die ersten Flammen das Holz erfassten.

Und er sah noch etwas anderes.

Eine riesige Gestalt, die triumphierend grinste und einen Totenkopf unter dem Arm trug. Aus den leeren Augenhöhlen des Totenkopfes tropfte Blut auf den Sarg.

Dann war die Tür zu.

Kenneth Brandons Körper wurde von einem krampfhaften Schluchzen geschüttelt. Der junge Mann war am Ende seiner Nervenkraft. Er hatte etwas gesehen, was es nicht gab, was es nicht geben durfte.

Hilfreiche Hände zogen Kenneth hoch. Jemand setzte ihm eine Flasche an die Lippen. Der Whisky rann wie Feuer durch seinen Hals. Kenneth musste hus­ten. Verstört öffnete er die Augen und sah in das Gesicht von Sheila Hopkins, seiner Verlobten.

»Trink das, Kenneth«, sagte sie. »Es wird dir guttun.«

Der junge Mann schluckte. Dann richtete er sich auf.

Die anderen Trauergäste hatten ihn umringt, starrten ihn mit teils neugie­rigen, teils entsetzten Blicken an.

Sheila strich ihm sanft über das Haar. »Du musst jetzt gehen«, flüsterte sie. »Du brauchst Ruhe. Es war alles ein wenig zu viel für dich.«

Kenneth schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er bestimmt. »Ich hätte mir denken können, dass es so kommt. Der Fluch hat sich erfüllt.«

»Welcher Fluch?«, fragte Sheila. »Sakuro, der Magier. Seine Rache hat uns eingeholt.«

Kenneth’ Stimme klang dumpf, als käme sie aus einem Grab. Die anderen Trauergäste wandten sich schaudernd ab. Sie hatten soeben das Grauen er­lebt …

 

 

Die Brandons wohnten in einem kleinen Ort an der englischen Südküste.

Ihr Haus stammte noch aus dem vo­rigen Jahrhundert, war jedoch moder­nisiert worden und bot jeden erdenkli­chen Komfort. Eine hohe Steinmauer umschloss das Grundstück, sodass das Haus praktisch von der übrigen Welt abgeschnitten war. Der große Park war verwildert.

Das Haus selbst lag auf einem kleinen Hügel. Von den Fenstern an der West­seite hatte man einen weiten Blick über das Meer. Bei klarem Wetter konnte ein guter Beobachter sogar die französische Küste erkennen.

Sheila Hopkins lenkte an diesem Spätnachmittag ihren metallicfarbe­nen Jaguar in gewagtem Tempo über die Landstraße. Sheila hatte die Seiten­scheibe heruntergekurbelt und steuerte den Sportflitzer nur mit einer Hand.

Sie war eine gute Fahrerin. Autofah­ren gehörte genau wie Reiten und Polo zu ihren bevorzugten Hobbys, die sie sich dank ihres vermögenden Vaters leisten konnte. Offiziell studierte Sheila Kunstgeschichte.

Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, hatte hellblondes langes Haar und strahlendblaue Augen. Ihre Nase war ein wenig zu klein, fand sie, doch sonst war sie mit sich zufrieden. Vor allen Dingen was die Figur betraf. Sie war genau dort perfekt, wo es die Männer gern hatten.

Doch seit drei Monaten interessierte Sheila nur noch ein Mann.

Kenneth Brandon.

Sie hatte ihn auf einer Party ken­nengelernt und war von seiner ruhigen, bescheidenen Art fasziniert gewesen. Kenneth war anders als die Typen, die sie vorher gehabt hatte, und er war vor allen Dingen nicht auf ihr Geld aus. Geld interessierte Kenneth nur sekundär. Er war in erster Linie Wis­senschaftler. Genau wie sein Vater.

Kenneth hatte Archäologie und Physik studiert und war trotz seiner dreißig Jahre schon in Fachkreisen als Kapazität bekannt. Auch sein Vater war Archäologe gewesen und hatte so­gar schon eine Reihe von Fachbüchern veröffentlicht, vor allen Dingen über die Geschichte der alten Ägypter und Phönizier.

Die Werke hatten in der Fachwelt enormes Aufsehen erregt. Dr. Brandon hatte Theorien aufgestellt, die im ersten Moment unglaublich klangen, die er jedoch schließlich alle bewiesen hatte. Bis auf eine.

Diese Theorie war eine Botschaft des Schreckens, sie war so grauenhaft, dass Dr. Brandon sie nicht veröffentlichen konnte. Er wollte, damit noch einige Jahre warten, bis er auch den letzten Beweis hatte und die Welt für seine Ausführungen reif genug war.

Doch über dieser Arbeit war Dr. Brandon gestorben. Der einzige Mensch, der von seinen Forschungen wusste, war Kenneth. Ihm hatte Earl Brandon vertraut. Und Kenneth Bran­don hütete sich, ein Wort zu sagen. Auch seiner Verlobten nicht, trotzdem sie ihn immer wieder mit Fragen gequält hatte.

All diese Gedanken gingen Sheila durch den Kopf, während sie dem Haus der Brandons entgegenfuhr.

Es dunkelte bereits, als Sheila vor dem großen Eisentor des Grundstücks stoppte.

Das Mädchen schwang sich leicht­füßig aus dem Wagen, drückte den Knopf der Sprechanlage und sagte, als sie Kenneth’ Stimme hörte: »Mach auf, Schatz.«

»Moment«, tönte es zurück.

Wenig später schwangen die beiden Flügel des Tores zurück. Sheila startete den Wagen mit durchdrehenden Reifen und zischte den Weg zum Haus hoch.

Kenneth erwartete sie auf der großen Freitreppe.

»Darling!«, rief Sheila, hauchte ihrem Verlobten einen Kuss auf die Wange, hängte sich bei ihm ein und zog ihn mit ins Haus.

Der junge Mann lächelte etwas ge­quält.

»Was ist mit dir, Kenneth?«, fragte Sheila, als sie die Bibliothek betraten.»Du bist in letzter Zeit so ernst. Denkst du immer noch an Vater?«

Kenneth nickte.

»Mein Gott.« Sheila fasste ihren Verlobten an beide Schultern. »Dein Vater ist tot, Kenneth! Aber das Leben geht weiter. Komm doch endlich dar­über hinweg! Was hast du die ganze Zeit gemacht? Gelesen, wie? Da!« Das Mädchen deutete auf die Bücherregale, die drei Wände des Raumes einnahmen. »Vergräbst dich hinter alten Schwarten, anstatt auf Partys zu gehen. Wir kön­nen jeden Abend woanders sein. Dein Vater ist jetzt fast einen Monat tot, und du-du …«

»Sei bitte ruhig, Sheila«, fiel Kenneth Brandon ihr ins Wort. »Das verstehst du nicht.«

»Wie redest du denn mit mir? So kenne ich dich ja gar nicht.«

»Entschuldige, Sheila. Es war nicht so gemeint. Ich bin eben etwas nervös und überarbeitet.« Kenneth wischte sich mit einer müden Handbewegung über die Augen.

»Überarbeitet, das ist es.« Sheila ging zu einem kleinen Rauchtisch, nahm sich eine Zigarette aus der Dose und zündete sie an, ehe Kenneth ihr Feuer geben konnte. »Aber das werden wir ändern«, sagte sie bestimmt. »Noch heute Abend. Wir fahren nach Dover und gehen aus. Ich kenne dort ein Restaurant, da gibt es den besten Fisch in ganz England. Und morgen fahren wir für vier Wochen auf das Gut meines Vaters. Er hat uns beide eingeladen. Du wirst sehen, es wird eine herrliche Zeit.«

Kenneth Brandon trat an eines der beiden hohen Fenster und schob die Vorhänge zur Seite. Fast eine Minute starrte er schweigend in die Dunkelheit. Dann sagte er: »Es wird nicht gehen, Sheila. Ich habe noch zu viel zu tun. Ich muss den Nachlass meines Vaters ordnen. Für morgen hat sich unser Rechtsanwalt angesagt. Ich kann hier nicht weg, Sheila. Und ich will auch nicht.«

Das Mädchen drückte die Zigarette aus.

»Du bist unverbesserlich«, stöhnte es in gespielter Verzweiflung. »Ich habe schon mit deiner Absage gerechnet und mir deshalb einige Sachen mitgebracht. Ich werde nämlich ein paar Tage hier­bleiben.«

Kenneth wandte sich um. Er hatte beide Hände in den Taschen seiner eleganten Hausjacke vergraben. Jetzt nahm er sie heraus, und Sheila sah, dass seine Finger zitterten.

»Was ist, Kenneth? Freust du dich nicht?«

»Doch, doch. Aber mir persönlich wäre es lieber, du würdest morgen wieder fahren.«

»Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Willst du mich mit Gewalt loswerden? Oder hast du eine andere?« Sheila funkelte ihren Verlob­ten wütend an.

»Nichts von alledem«, erwiderte Kenneth düster. »Aber in diesem Haus ist es zu gefährlich für dich. Ich spüre es. Ich bin einem schrecklichen Ge­heimnis auf die Spur gekommen. Ich möchte dich nicht in diesen Strudel mit hineinziehen.«

»Alles Quatsch«, erwiderte Sheila. »Düsteres Geheimnis. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Du gehst heute mit mir essen und damit basta. Anschließend reden wir weiter. Abge­macht?«

»Gut!«‚ stimmte Kenneth Brandon zu. »Ich ziehe mich nur noch eben um.«

Personen:

  • Kenneth Brandon, Sohn des Earl Brandon, Archäologe
  • Sheila Hopkins
  • Sakuro, der Magier
  • Gerald Hopkins, Sheilas Vater
  • John Sinclair, Inspektor bei Scotland Yard
  • Smitty, Trainingsleiter beim Schießen
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Wendell Carson, Archäologe
  • Bill Conolly, Reporter
  • Dr. Emmet Slater
  • Wirtin, ältere Frau
  • Gregory Seaborg
  • Xotorez, Pharao
  • Professor Snyder
  • Schaffner
  • Sanitäter
  • Joe, Pförtner im Leichenschauhaus
  • Rezeptionist, Portier
  • Farah, Wahrsagerin
  • Sargträger, Leichenwärter

Orte:

  • Dover
  • Putney
  • London
  • Sakarrah

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 5. Bastei Verlag. Köln. 07. 11. 2017
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog.Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000

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