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Die Flusspiraten des Mississippi 32

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

32. Die Aufforderung. Der entdeckte Mord

»Squire Dayton«, sagte Cook, als sich die Tür hinter den Frauen geschlossen hatte, »Mr. Hawes verließ gestern Nachmittag unsere Farm, und zwar einzig und allein in der Absicht, ja sogar mit dein beson­deren Auftrag, Sie zu sprechen und Ihnen wichtige Mitteilungen zu machen. Wie ich aber eben höre, hat er sich hier in Helena nicht einmal sehen lassen. Mrs. Dayton …«

»Sie irren sich«, unterbrach ihn ruhig der Squire, »er war hier, und wenn Sie in derselben Absicht gekommen sind, wie er selbst, so sehe ich aller­dings Ihre Eile und Aufregung gerechtfertigt.«

»Er war hier?«, fragte Cook erstaunt, »Mrs. Dayton sagte aber doch …«

»Ich traf ihn unten in der Stadt«, fiel ihm der Squire ins Wort, »und weil mir die Sache zu wichtig erschien, auch nur eine Sekunde zu zögern, so sandte ich ihn, damit er nicht durch einen bloßen Höflichkeitsbesuch die kostbare Zeit vergeuden sollte, augenblicklich nach Sinkville, während ich selbst das zu besorgen übernahm, was hier zu tun blieb. Wie er mir sagte, wollten Sie im Land oben an Männern aufbieten, was Sie in der Eile zu­sammenbekommen würden, damit wir, sobald er zurückkehrt, den ent­scheidenden Streich führen können. Ist das geschehen?«

»Ich sollte es meinen«, rief Cook schnell, »der Alte und Bill sind mit einer tüchtigen Schar im Anzug.«

»Gut, dann wollen wir uns wenigstens jetzt so lange ruhig verhalten, bis wir von Sinkville Nachricht bekommen. Mr. Hawes hatte ganz recht, dass er mir besonders ans Herz legte, die Verbrecher nicht vor dem entschei­denden Schlag etwa zu warnen. Auf jeden Fall möchte es geraten sein, die Farmer nicht früher nach Helena zu holen, bis wir nicht auch unge­säumt gegen den Feind vorgehen können.«

»Mr. Hawes mochte damals recht haben”, fiel ihm hier Cook in die Rede, »die Sache hat sich jetzt aber geändert. Allerdings waren wir ebenfalls der Meinung, nicht alle auf einmal in die Stadt zu rücken, denn jene Bande hat ganz gewiss ihre Spione in Helena. James und ich ritten deshalb sogar voraus, und die Übrigen lagern etwa eine Meile von hier in der Skalpprärie. Ihr kennt ja wohl die Stelle, Squire, wo vor zwei Jahren die bei­den Männer beraubt und skalpiert wurden. Der entscheidende Streich wird auch verschoben werden müssen, bis wir die hinreichende Macht zu­sammen haben. Andere Vorbereitungen sind aber indessen, und zwar hier in der Stadt selbst, nötig geworden.«

»Hier in Helena?«

»Ja – Hawes wird Ihnen gesagt haben, dass Cotton geflohen ist.«

Der Squire nickte.

»Gut«, fuhr Cook fort, »anfangs glaubten wir, er würde versuchen, ent­weder in die Sümpfe oder über den Mississippi hinüber zu entkommen. Dem ist aber nicht so, er muss hier nach Helena zu geflohen sein. Mein Schwiegervater und Drosly haben seine Spur verfolgt, und so ritten wir beide denn, James und ich, gestern Abend noch von zu Hause fort, um heute Morgen gleich unsere Nachforschungen beginnen zu können. Unterwegs wollten wir nun ein paar Stunden lagern und die Pferde rasten lassen, überlegten uns aber, dass wir nicht wissen könnten, ob wir die Tiere in nächster Zeit sehr anstrengen müssen. Deshalb beschlossen wir, scharf zuzureiten und im Unionhotel den Schwarzen herauszuklopfen. So kam es denn auch, dass wir kurz vor Tagesanbruch den oberen Teil der Stadt, und zwar, wie James sagte, das Wirtshaus Zum Grauen Bären erreichten, wo noch Licht und Lärm genug waren. James verspürte hier merkwürdige Lust nach einer Tasse heißen Kaffee, und da ich ebenfalls nichts dagegen hatte, klopften wir an. Wäre das einfache Klop­fen ein Donnerschlag gewesen, der das kleine Nest bis in die Wurzel hinein getroffen hätte, so hätte die Wirkung nicht zauberhafter sein kön­nen. Der ganze Lärm verstummte im Nu, und James, der noch ein paar Schritte hinter mir war und die erleuchteten Seitenfenster übersehen konnte, meinte, sie seien dunkel geworden, ehe er hätte ein Wort sagen können.«

»Und antwortete niemand auf das Klopfen?«, forschte der Richter ge­spannt.

»Ei, allerdings«, fuhr Cook fort, »ganz Opossum konnten sie doch nicht gut spielen, und ein alter Bursche kam endlich heraus und fragte, was wir wollten.1 James, der indessen neben mich getreten war, brachte jetzt unser Anliegen vor. Der Alte aber ließ ihn nicht einmal ausreden, ver­sicherte, keinen Mais und keinen Kaffee zu haben, wünschte uns einen guten Morgen und schlug uns die Tür vor der Nase zu.«

»Nun – und das Verdächtige?«, fragte der Richter.

»Ei, ich sollte denken, das wäre verdächtig genug gewesen«, meinte Cook, »doch hatten wir noch immer kein Arg, gingen wieder zu unseren Pferden zurück, die indessen auf der Straße angebunden standen, und ritten eine kurze Strecke nach Helena zu. Da – gerade als wir den offenen Fleck erreichten, wo der einzelne Reben umhangene Gumbaum neben dem Papaodickicht steht – sahen wir über dem Fluss ein paar Raketen auf­steigen, die nach nicht langer Zeit vom Grauen Bären aus erwidert wurden. Natürlich blieben wir jetzt, wo wir uns gerade befanden, um das, was hier vorging, abzuwarten, und hörten auch in kaum einer halben Stunde die regelmäßigen Ruderschläge eines Bootes, das vom anderen Ufer drüben herüberkam. Es konnte etwa von derselben Stelle losgefahren sein, wo die Raketen aufgeblitzt waren.«

»Und es landete am Grauen Bären

»Allerdings tat es das«, erwiderte Cook, »wenigstens an dem Flatboot, welches unter dem Haus am Ufer liegt. Weiter konnten wir freilich für den Augenblick nichts erkennen.«

Der Squire blickte lange Zeit nachdenklich vor sich nieder, endlich wandte er sich wieder an den Farmer und fragte ihn: »Wie viele Raketen waren es – und was für Licht hatten sie?«

»Was für Licht?«, wiederholte verwundert der Farmer, der wohl schon Raketen gesehen und davon gehört hatte, eine Lichtunterscheidung aber nicht kannte. »Wie viele? Kennen Sie etwa das Zeichen?«

»Ich? Nein«, erwiderte lächelnd der Richter, »ich meine nur, wenn es viel­leicht bloß eine, irgendeine gewöhnliche Rakete war, so konnte die auch zufällig gewesen sein. Flatboote machen sich oft den Spaß oder geben sich auch manchmal Zeichen, wenn zum Beispiel Arbeiter von ihrem Boot vorausgerudert sind und am Ufer warten, um ihnen das Fahrzeug anzu­deuten, zu dem sie gehören.«

»Ja, ja, das weiß ich wohl«, sagte Cook, »dasselbe würden wir auch gedacht haben – wozu aber dann das augenscheinliche Verborgenhalten der Leute im Haus? Weshalb ließen sie uns nicht ein und öffneten den an­deren, die später kamen, die Tür?«

»Ich weiß nicht«, meinte Squire Dayton, »Sie können sich doch auch geirrt haben.«

»Ja, Squire«, sagte der Farmer, etwas eifriger werdend, »wir können uns irren. Jetzt aber ist nicht die Zeit, solche Sachen auf die leichte Schulter zu nehmen. Dass eine gefährliche Bande auf jener Insel im Mississippi existiert, wissen wir, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass es auch in Helena ein Hehlerquartier dieser Schurken gibt. Jener Graue Bär soll noch dazu, wie mir James versichert, schon seit Langem einen mehr als zweideutigen Ruf haben, und andere Verbrechen sind ebenfalls in unserer Nähe verübt worden, deren Urheber man in Helena vermutet. Der Far­mer Howitt, der am Mittwochabend hier von Helena fortritt, ist gestern im Wald, gar nicht weit von uns entfernt, erschlagen aufgefunden worden, und einen anderen armen Teufel haben sie hinter Strongs Postoffice getötet und be­raubt. Cotton ist ebenfalls nach Helena geflohen, und wir müssen jetzt ernsthafte Maßnahmen ergreifen, dem ein Ende zu setzen.«

»Aber wo ist denn jetzt James Lively?«, fragte der Richter und blickte sinnend vor sich nieder, »ist er mit nach Helena gekommen?«

Die Tür öffnete sich, und Adele schaute herein.

»Ist es erlaubt, mein Bonnet zu holen?«, fragte das junge Mädchen lächelnd, »ich möchte zu Mrs. Smart gehen und habe es hier liegen las­sen, oder sind es Geheimnisse, bei denen ich störe? Ich gehe gleich wieder fort.«

Der Richter sah zerstreut zu ihr auf.

Cook aber erwiderte: »O bewahre, Miss, nicht für Sie, wenn auch vielleicht für andere Leute. James Lively, Sir?«, wandte er sich dann wieder, die Frage beantwortend, an den Squire, während Adele, die schon das Bonnet ergriffen hatte und eben wieder hinauswollte, fast unmerklich zusammenfuhr und fühlte, wie sie rot wurde. Das durfte sie die Männer doch nicht merken lassen, und verließ sie jetzt das Zimmer, so musste sie gerade an ihnen vorbei. Sie trat schnell an den Nähtisch, wo sie den beiden den Rücken zukehren durfte, und zog eine Lade auf, als ob sie darinnen etwas suche. Cook fuhr fort: »James Lively, als wir Zeugen der beschriebenen Vorgänge gewesen waren, traute dem Frieden nicht recht und meinte, dem geheimnisvollen Wesen läge wohl noch mehr zugrunde. Er bat mich also, hierher zu reiten und Sie von dem Vorgegangenen in Kenntnis zu setzen, während er selbst sein Pferd in dem Papaodickicht, neben dem wir hielten, befestigte und dann zurück zum Haus schleichen wollte. Von Nebel und Dunkelheit begünstigt, hofft er herauszubekommen, was dort getrieben würde, und er flüsterte mir nur zu, als ich ihn verließ, wir sollten ihn, falls wir selber herauskämen oder nach ihm schickten, in dem Kieferndickicht gleich über dem Grauen Bären droben finden.«

Adele hatte indessen ihr Sonnenbonnet aufgesetzt, zog es sich fast ganz in die Stirn und schlüpfte gleich darauf mit einem halblaut gemurmelten »Guten Morgen, Gentlemen« rasch aus dem Zimmer.

»Mein Rat ist jetzt«, sprach Cook weiter, ohne den Gruß zu erwidern, ja wahrscheinlich ohne ihn zu hören, »dass wir vor allen Dingen die Spe­lunke da oben umzingeln, den Insassen die Flucht zu Wasser und zu Land abschneiden und dann einmal sehen, was für ein Kern in der Schale steckt. Wer weiß, ob wir da nicht die Wurzel des ganzen Übels fassen und vernichten können, sodass wir nachher mit den Übrigen leichtes Spiel haben.«

»Lieber Mr. Cook«, sagte der Squire ernst, »auf einen bloßen Verdacht hin kann ich in das Privateigentum eines Bürgers der Vereinigten Staaten nicht gut eindringen. Ja, wenn Sie nur irgendeinen Beweis hätten!«

»Ei zum Henker mit Ihren Beweisen, Sir«, rief der Hinterwäldler trotzig aus, »wenn ich die hätte, brauchten wir Sie nicht. Beweise sind es ja ge­rade, zu denen uns das Gesetz verhelfen soll. Finden wir die, nachher werden wir auch wissen, wie wir zu handeln haben.«

»Mein guter Sir«, erwiderte der Richter achselzuckend, »Sie scheinen zu glauben, dass Sie noch am Fourche la fave sind und nur einen Aufruf ergehen zu lassen brauchen, um die ganze Nachbarschaft zur Ausübung des Lynchgesetzes bereitzufinden. Nicht wahr, Sie gehörten mit zu den Regulatoren?«

»Allerdings«, sagte finster der junge Mann.

»Nun sehen Sie wohl, Sie werden sich getäuscht finden. Wir leben hier in einer zivilisierten Stadt, und so sehr auch ich selbst geneigt bin, jeden Verbrecher seiner gerechten Strafe überliefert zu sehen, so werde ich mich doch andererseits sicherlich jedem willkürlichen Gerichtsverfahren widersetzen.«

»Also haben wir auf Ihre Hilfe nicht zu rechnen?«, fragte Cook scharf. »Allerdings haben Sie das«, entgegnete der Richter, »ich halte es sogar für meine Pflicht, Ihnen in jeder gerechten Sache Vorschub zu leisten, ebenso aber auch jede ungerechte zu unterdrücken. Übrigens glaube ich wirklich«, brach er plötzlich lächelnd ab, »dass Sie diese Sache mit zu schwarzen Farben malen. Ich habe jenes Haus schon seit längerer Zeit selber im Ver­dacht, bin aber ziemlich fest überzeugt, das es nichts Schlimmeres, wenn überhaupt, als eine Spielhölle ist, die allerdings auch ungesetzlich wäre und deshalb nächstens einmal ausgehoben werden soll. Nur fehlen mir noch die Beweise. Habe ich die erst, so sollen auch die Gesetze in aller Strenge ihre Ausübung finden.«

»Ja, das haben wir in Vicksburg gesehen«, sagte Cook unwillig, »was hat der Magistrat dort ausrichten können? Nichts! Die Bürger mussten sich erst selbst Hilfe verschaffen, und hätten sie nicht damals die Ver­brecher ohne weitere Umstände gehängt, so liefen sie jetzt noch zum Skandal der Menschheit und zur Schande der Stadt herum. Doch wir ver­trödeln hier die kostbare Zeit, Squire Dayton, deshalb jetzt direkt zu meinem Auftrag: Ich fordere Sie, vermöge der mir verliehenen Vollmacht, hiermit im Namen meiner Nachbarn nochmals auf, uns vor allen Dingen und ohne weiteren Aufschub Ihre Hilfe zu leihen, jene Kneipe, Zum Grauen Bären genannt, zu umstellen und durchsuchen zu lassen. Ich ver-spreche Ihnen auch noch, dass wir Farmer uns bei der ganzen Sache nicht tätlich beteiligen, sondern nur Ihre Schutzwache bilden wollen. Das Übrige mag sich nach dem richten, was wir dort finden.«

»Sir«, entgegnete ernst der Richter, »bedenken Sie, was Sie tun. Sie wollen gesetzlose Menschen bestrafen und stellen sich zu gleicher Zeit auf dieselbe Stufe mit ihnen. Sie wollen …«

Er hielt plötzlich inne und horchte auf, und auch Cook beugte sich, auf­merksam lauschend, dem Fenster zu. Fast wie das schäumende Gebraus der See vor Ausbruch eines Sturmes murmelte es in dumpfen, drohenden Tönen, und nur dann und wann scholl der einzelne gellende Schrei einer zürnenden Menschenstimme heraus aus dem Chaos des immer wachsen­den Lärms und Aufruhrs. Aus dem Fenster, an dem sie standen, konnten sie die in die Stadt hineinführende Straße übersehen. Von dorther wälzte sich ein Menschenknäuel gerade auf des Squire Haus zu und verlangte, den Konstabler an der Spitze, nach dem Friedensrichter.

»Hallo, da gärt es schon!«, rief jetzt Cook freudig, »nun, Sir, wollen wir doch einmal sehen, ob die Männer von Helena aus anderem Teig ge­knetet sind als die vom Fourche la fave.«

Er riss schnell das Fenster auf und rief mit lauter, fröhlicher Stimme auf die Straße hinunter: »Was gibt es, meine wackeren Burschen? Wo hat es eingeschlagen? Wo brennt es?«

Ein tolles Geschrei, aus dem nur manchmal die einzelnen Worte »Brei­delford – Mörder – Räuber« hervorschallten, war die Antwort, und Cook, der sich rasch zu dem Richter umwandte, sah, dass dieser leichenblass wurde und vom Fenster zurücktrat.

»Alle Wetter, Sir«, rief der Farmer und blickte ihn erstaunt an, »Sie wer­den ja käseweiß – sind Sie krank?«

»Krank? Ich? Nein – wahrhaftig nicht«, sagte Squire Dayton schnell, »aber die Nachricht überrascht mich. Ich weiß kaum, ob ich recht gehört habe – es wäre fürchterlich …«

»Was ich aus dem Geschrei heraushören kann«, sagte Cook und griff rasch nach seinem Hut, »ist, dass sie einen gewissen Breidelford ermordet haben – kenne den Menschen nicht.« Und mit wenigen Sätzen sprang er die Treppe hinunter, riss beinahe den Konstabler um, dem Cäsar eben die Tür geöffnet hatte, und sprang zwischen das Volk vor dem Haus.

»Hallo, Boys!«, rief er, als er mehrere Bekannte aus der Nachbarschaft erblickte, »seid ihr gekommen, den Richter abzuholen, oder was gibt es sonst? Keine Spur von den Mördern gefunden?«

»Noch keine, Cook«, sagte ein langer Virginier, der vortrat und dem Freund die Hand bot. »Ich denke aber, wir finden sie, haben auch noch gar nicht gesucht, denn die Burschen da wollten sich absolut erst den Rich­ter holen, damit der Magistrat vor allen Dingen die Nase in die Sache stecke. Nun, mir kann es recht sein, Zeit wär es aber, dass auch in Helena ein bisschen nachgespürt würde.«

»Schändlich ist es!«, rief ein anderer aus der Schar, »eine arme alleinstehende Frau zu überfallen. Das Haus muss versiegelt werden, bis ihre Ver­wandten kommen – so eine gute, brave Seele, wie sie war.«

»Nun, ihre Güte ließ sich allenfalls noch ertragen«, murrte ein anderer, »sie hat in letzter Zeit besonders viel mit verdächtigem Gesindel ver­kehrt. Aber, Donnerwetter, wenn das hier dem einen mitten in der Stadt passieren kann, so ist auch der andere nicht sicher, und da müssen wir doch sehen, ob wir den Mörder nicht finden können.«

»Heda, Richter!«, schrie jetzt ein Vierter aus der Menge, »macht, dass Ihr herunterkommt – die Zeit vergeht, und die Schufte gewinnen mit jeder Minute nur noch größeren Vorsprung.«

»Gentlemen«, sagte Squire Dayton, der neben dem Konstabler in der Tür erschien und die Versammelten aufmerksam und forschend ansah, mit fast tonloser Stimme, »es ist, wie ich eben höre, ein entsetzlicher Mord geschehen. Ohne Zögern sollen augenblicklich die nötigen Vorkehrun­gen …«

»… ist schon alles besorgt«, fiel ihm hier der Virginier ohne Umstände in die Rede, »der Konstabler hat gleich alles besorgt, was für den Augen­blick nötig war. Vor allen Dingen haben wir den Fluss besetzt, dass uns kein Kahn entrinnen kann. Es fehlt jetzt nur noch eine Untersuchung des Hauses selbst, ob wir dort vielleicht irgendeine Spur von den Mör­dern finden, und wir wollten Euch dazu abholen, Sir, damit die Sache doch auch ein bisschen gesetzlich aussehe und wir später keinen Ärger haben.«

Der Richter schaute wie in tiefen Gedanken die Straße hinunter und hinauf, sein Gesicht hatte eine unheimliche Blässe angenommen, und seine Augen blickten stier und glanzlos. Die Wege, die er übersehen konnte, waren menschenleer, alles schien sich dem Schauplatz des Mordes zuge­drängt zu haben. Da drang das Geräusch knarrender Riemen an sein Ohr. Sein Blick flog über den Strom hin, und er erkannte dort eins jener mächtigen Kielboote, die im Westen Amerikas gewöhnlich noch solche Flüsse befahren, auf denen Dampfer nicht gut angewandt werden konn­ten, wie sie auch manchmal auf dem Mississippi zu allerlei Zwecken be­nutzt und, mit Waren beladen, stromab geführt werden. Es trieb augen­scheinlich auf die Stadt zu, und vier Bootsleute arbeiteten langsam mit den schweren Finnen das breitbauchige Fahrzeug dem Ufer entgegen. Daytons Lippen umzuckte ein triumphierendes Lächeln, denn auf der langen Steuerfinne des Fahrzeugs flatterte ein rot-grünes Fähnchen.

»Habt Ihr die Geschworenen schon zusammengerufen, Konstabler?«, fragte er.

»Ja, Sir«, sagte der Mann, »sie werden wohl schon oben sein.«

»So kommt, Gentlemen«, entgegnete der Squire und schritt, von den anderen gefolgt, rasch dem Haus der Witwe zu.

Cook war schon ein kleines Stück voraus, und der Virginier wollte ihm gerade nachgehen, als er sich von der Hand eines jungen Burschen ge­halten fühlte, der ihn schüchtern mit einem kaum hörbaren »Sir« anredete.

Er war wie ein Hinterwäldler gekleidet, aber alles, was er trug, schien nicht für ihn gemacht und viel zu weit und groß. Der blaue grobe Rock hing ihm förmlich auf den Schultern, und die Ärmel bedeckten fast seine Hände. Besonders war ihm der alte schwarze Filz bis tief in die Augen hineingerutscht. Der Virginier lachte, als er ihn ansah.

»Sir«, sagte der Kleine und wandte sich, um den Davoneilenden nach­zusehen, halb von ihm ab, »war der eine – ich meine den mit dem Filz­hut – wirklich der Richter hier aus Helena?«

»Jawohl, mein Bursche«, bestätigte der Lange, »weshalb?«

»Und er heißt – wie heißt er denn eigentlich?«

»Dayton – Squire Dayton nennen sie ihn gewöhnlich. Der andere, der mit ihm geht, ist der Konstabler.«

»Wohnt er hier in der Stadt?«

»Wer? Der Konstabler?«

»Nein, der Richter.«

»Das versteht sich doch von selber, wo denn sonst? Aber ich muss fort. Nun, was gibt es jetzt noch?«

»Kennt Ihr ihn sonst nicht – ist er vielleicht – wisst Ihr nicht, ob …«

»Nein – kenne ihn weiter gar nicht«, rief der Virginier und machte sich von der Hand, die ihn hielt, frei. »Habe auch jetzt keine Zeit, denn ich möchte nicht gern zu weit zurückbleiben. Wollt Ihr mehr über ihn wissen, da oben am Fenster steht seine Frau, die wird Euch nähere Auskunft geben.« Und er eilte fort, blieb aber gleich darauf unwillkürlich stehen und sah sich nach dem jungen Burschen um. Die Hand, die er eben ge­halten hatte, war so weich und warm gewesen. Der Hutrand hatte ihn daran gehindert, das Gesicht des Kleinen zu sehen. Dieser musste sich indessen rasch von ihm abgewandt haben, denn er drehte ihm jetzt den Rücken zu und starrte zu dem geöffneten Fenster hinauf, aus welchem Mrs. Day­ton ängstlich der davonstürmenden Volksmenge nachschaute.

»Hallo, Ivlills !«, rief da Cook dem Virginier zu, »kommt – wir dürfen nicht die Letzten sein.«

»Ay, ay«, lautete dessen Antwort, indem er dem Ruf rasch Folge leistete, »bin gleich dort – ein merkwürdig zartes Bürschchen war das«, murmelte er dann vor sich hin, während er durch schnelleren Lauf das Versäumte wieder nachzuholen suchte. »Die Hand fühlte sich an wie Eichhornfell – muss mir ihn doch nachher einmal genauer betrachten.«

Der junge Bursche stand vor Squire Daytons Tür, und sein Blick hing stier an dem Gesicht der Frau, die sich bleich aus dem Fenster beugte.

Wenige Sekunden schien er mit sich zu kämpfen, tat ein paar schnelle Schritte, blieb nochmals stehen, wandte sich, als ob er den Platz fliehen wollte, und trat dennoch plötzlich, wie von einem raschen Entschluss bestimmt, hinein. Gleich darauf schloss sich hinter ihm die Tür.

 

Im Haus der sonst so ordentlichen Mrs. Louise Breidelford sah es wüst und unordentlich aus. Die stets fest verschlossen gehaltene Tür stand heute weit offen, und aus und ein strömten Scharen von Neugierigen – treppauf, treppab in dem kleinen Gebäude. Freilich konnten sie nur ein einziges Zimmer betreten, die übrigen hatte der Konstabler schon durch gewaltige Vorhängeschlösser verwahrt, und nur hier und da suchten die zahlreichen jungen Burschen durch Schlüssellöcher und Türspalten, wenn auch meist erfolglos, einen Blick in die geheimnisvollen Räume zu gewinnen.

Oben in dem Zimmer aber, wo man die Leiche gefunden hatte, standen in ernstem und feierlichem Schweigen die Leichenbeschauer – geschworene Bürger von Helena – und sahen auf das bleiche, krampfhaft verzerrte Antlitz der Erschlagenen nieder. Wunden hatten sich weiter nicht an ihr gefunden als am Kopf. Dort war die Haut geplatzt, und einzelne Tropfen geronnenen Blutes zeigten die Stelle an, wo sie der gewaltige Schlag ge­troffen hatte. Der Richter, der zu den Geschworenen trat, hielt ein Paket Papiere in der Hand, das man nebst einigen Schlüsseln und einem Geldtäschchen bei ihr gefunden und ihm übergeben hatte.

Der Konstabler gab jetzt Bericht, wie man heute Morgen dem Mord auf die Spur gekommen war: Die Wachen wollten, ihrer Aussage nach, in der Nacht einen Schrei gehört haben, waren jedoch später durch den Anblick der jetzt Ermordeten selbst beruhigt worden und achteten nicht weiter darauf, bis sie, und zwar erst mit grauendem Morgen, zwei Männer aus eben dieser Straße kommen und die Uferbank am Fluss hinaufgehen sahen. Nun fiel ihnen der gehörte Schrei wieder ein, und sie schritten rasch hinter den beiden her, verloren sie jedoch in Dunkelheit und Nebel bald wieder aus den Augen. Indessen war aber erst bei Sonnenaufgang das Mädchen zurückgekehrt, das Mrs. Breidelford am vorigen Abend zu ihren vor der Stadt wohnenden Eltern geschickt hatte, und fand zu ihrem Erstaunen die Haustür nicht allein nur angelehnt, sondern auch noch unten im Haus manches in höchst auffallender Unordnung. Rasch lief sie die Treppe hinauf, und ihr Hilfeschrei, als sie die Leiche entdeckte, hatte bald die Nachbarn zusammengerufen. Es konnte natürlich über den Mord – den noch überdies die wild in den Zimmern umhergestreuten Sachen als Raub­mord bestätigten – kein weiterer Zweifel bleiben. Der Ausspruch der Ge­schworenen lautete: »Durch heftigen Schlag auf den Kopf gewaltsam getötet!«

Die Aufmerksamkeit der Männer richtete sich jetzt auf das Zimmer selbst, um hier vielleicht etwas zu entdecken, was auf die Spur der Mörder führen konnte. Besonders wichtig schienen hierbei einige Gegenstände, die man, neben einem geleerten Stewtopf und der niedergebrannten Lampe, auf dem Tisch fand. Es waren dies eine kleine lederne Brieftasche, ein gewöhnliches, aber noch neues und erst wenig gebrauchtes Jagdmesser mit Holzgriff und zwei halb gerauchte und verlöschte Zigarren. Mrs. Brei­delford, obgleich das sonst im Westen von Amerika nichts Ungewöhn­liches gewesen wäre, hatte selber nie geraucht. Männer mussten sich also auf jeden Fall, und zwar eine ziemlich geraume Zeit, im Innern des Hauses und, wenn man das Zeugnis der Wache annahm, auch mit Einwilligung der Frau aufgehalten haben. Wer aber konnten diese Männer gewesen sein?

Cook, dem es grauste, in all dem wilden lauten Treiben der Gerichts­beamten die Leiche der Frau mit dem blutigen Gesicht ausgestreckt zu sehen, war mit dem Virginier wieder unten vor die Tür getreten, während indessen oben die gefundenen Sachen von Hand zu Hand gingen und genau besehen und geprüft wurden.

Unter den Leuten, die sich jetzt herzudrängten, befand sich auch ein deutscher Krämer, der in Helena mit allerhand Sachen, sie mochten Namen und Wert haben, wie sie wollten, handelte. Dieser aber hatte kaum das Messer gesehen, als er rasch danach griff, es von allen Seiten aufmerksam betrachtete und schnell hin und her wandte. Die Blicke der Umstehenden hingen an ihm, als wenn sie eine Erklärung erwarteten. Da sagte der kleine Mann, während er das Messer in die Höhe hob und die rechte Hand dabei aufs Herz legte:

»Soll mer Gott helfe – ich waiß, wem das Messerche ist.«

»Und wem gehört es, Bamberger?«, rief der Konstabler und fasste den kleinen Burschen an der Schulter. »Heraus mit der Sprache, Mann. Die Frau ist zwar mit keinem Messer getötet, aber der Mörder kann es hier vergessen haben.«

»Ein elender Mensch will ich sein«, beteuerte der Bamberger, indem er sich an den ihn scharf beobachtenden Richter wandte, »en erbärmlicher, elender Mensch, wenn’s Messerche nich ä jungem Burschen vom Lande isch – James Lively heißt er met Nomen. Hot er mer doch erscht am ver­gangena Donnerschtog ä blanken baren Silberdollar defir gegeben.«

»James Lively«, brummte der Konstabler, »nun, der hat die Frau nicht ermordet – weiß aber der Henker, wie sein Messer hier hereinkommt.«

»James Lively?«, wiederholte der Richter schnell, »das wäre seltsam. Wo ist Mr. Cook? Nach jenes Mannes Aussage will er selbst, gerade mit diesem James Lively, heute Morgen schon vor Tagesanbruch in Helena ge­wesen sein. Wachmann – Ihr habt heute Morgen zwei Männer rasch am Flussufer hinaufgehen sehen?«

»Ja, allerdings«, entgegnete der Angeredete, »aber ich kann natürlich nicht gewiss behaupten, dass es die Mörder waren.«

»Gentlemen«, sagte der Richter ernst, »die Sache verdient mehr Erwä­gung, als Sie vielleicht jetzt glauben. Dieser Cook ist ganz plötzlich, und zwar gleich nach jenem am Fourche la fave gehaltenen Regulatorengericht, von dorther hier eingetroffen.«

»Das spricht in der Tat nicht besonders für Cook«, erwiderte der Kon­stabler. »James Lively aber ist ein ehrlicher braver Mann und als solcher auch hinlänglich bekannt.«

»Sein Messer ist hier gefunden worden«, sagte ruhig der Richter.

»Ja – und zum Henker auch – wir wollen den Burschen doch erst ein­mal sprechen«, fiel hier einer der Umstehenden ein. Auf jeden Fall sind die Beweise stark genug, einen Verdacht zu erwecken. Überdies möchte ich hier noch bemerken, dass vorgestern erst, kaum über eine Meile von eben dieses Lively Haus entfernt, ein Mann erschlagen und beraubt ge­funden worden ist. Und wenn er auch des Konstablers Freund wäre …«

»Halt da, Sir«, fiel ihm der Konstabler ins Wort, »es soll niemand sagen, dass ich meine Freunde begünstige. Ich bin augenblicklich bereit, James Lively zu verhaften, desto schneller wird er seine Unschuld beweisen können.«

»Heda, wer sagt hier was gegen James Lively oder Bill Cook?«, rief in diesem Augenblick der Letztere, indem er rasch in das Zimmer trat. Ein Freund von ihm hatte ihn schnell gerufen, damit er sich gegen die An­klage verteidigen könnte. »Hier kommt Cook, und Lively ist auch nicht weit – wer hat Mut oder Unverschämtheit genug, meiner Mutter Sohn einen Mordverdacht ins Gesicht zu sagen?«

»Halt, Sir«, bedeutete ihm ernst der Squire, »nicht mit Prahlen kann solche Sache bereinigt werden. Hier – dieses Messer hat man auf dem Tisch neben der Ermordeten gefunden.«

Cook drängte sich durch die ihm bereitwillig Raum gebenden Männer zum Richter hin, erblickte aber kaum das Messer, als er auch die geballte Faust auf den Tisch schlug und ausrief: »Heilige Dreifaltigkeit! Hat dieser neunhäutige Schurke auch hier wie­der die Hand mit im Spiel? Steckt denn die blutige Bestie überall? Aber warte, du sollst uns nicht lange mehr äffen, einmal kommst du uns doch in die Hände, und dann …«

»Sir?«, unterbrach ihn der Richter ungeduldig.

»Dieses Messer«, wandte sich jetzt Cook an ihn, »kann kein anderer als der berüchtigte Cotton hierher gebracht haben. Der hat es vorgestern Abend mit noch zwei Kugeltaschen aus unserem Haus gestohlen. Jetzt dürfen wir aber auch keinen Augenblick mehr verlieren, wenn wir diesen niederträchtigen Schurken noch erreichen wollen. Kommt, Leute, hier gilt es, den Staat von einer wahren Geißel zu befreien!«

Der Konstabler vertrat ihm aber auf einen Wink des Richters den Weg, und dieser fragte jetzt, ohne des jungen Mannes Entrüstung zu beachten: »Wann sind Sie heute nach Helena gekommen, Sir?«

»Ich? Weshalb?«, rief Cook ärgerlich.

»Ich verlange meine Frage beantwortet«, lautete die ernste Entgeg­nung.

»Nun gut denn, heute Morgen.«

»Und zu welcher Zeit?«

»Ei, zum Donnerwetter, ich trage keine Taschenuhr bei mir«, sagte Cook unwillig. »Es war noch dunkel – das mag Euch genügen!«

»Und wo hält sich der junge Mann jetzt auf, der, wie Ihr sagt, mit Euch gekommen ist und dem dieses Messer hier gehört?«

»Squire Dayton, ich habe darüber schon heute Morgen …«

»Ich muss Sie bitten, Sir, meine jetzigen Fragen klar zu beantworten. Wo ist James Lively in diesem Augenblick?«

»Squire«, sagte Cook und richtete seinen Blick fest und ernst auf den Richter, »es will mir fast so vorkommen, als ob hier eine Art Spiel mit mir getrieben werden sollte. Wetter noch einmal, ich bin kein Kind mehr! Was bedeuten diese Fragen?«

»Einer Frage gebührt auch eine Antwort«, sagte in diesem Augenblick eine scharfe, schneidende Stimme, und ein langer, hagerer Mann, dem vier oder fünf andere, ebenfalls Fremde, folgten, wandte sich an den jungen Farmer. Fast aller Blicke hefteten sich verwundert auf die so plötzlich Eintretenden.

Der Richter aber fuhr mit einem freudig überraschten »Ah!« hoch, streckte dem Ersten die Hand entgegen und rief in frohem Er­staunen: »Mr. Porrel aus Sinkville. Sie kommen wie gerufen, um an unseren Verhandlungen teilzunehmen, die, wie ich fast zu fürchten anfange, gar ernster Art werden könnten.«

»Guten Morgen, Squire«, sagte Mr. Porrel, »es ist, wie ich höre, ein Mord geschehen.«

»Lassen Sie sich die Geschichte ein anderes Mal mitteilen«, rief Cook un­willig dazwischen und wandte sich der Tür zu, »wir haben jetzt keine Zeit, weder für Erzählungen noch für leere Gerichtsformen, wenn wir nicht die Schuldigen indes wollen entfliehen lassen. Hallo, meine Burschen, wer geht mit mir?«

»Ei, eine ganze Menge, denke ich«, antwortete der Virginier und sah sich dabei im Kreis um. »Vor allen Dingen müssen wir die Kneipe da oben ausheben.«

»Halt, Sir – Ihr seid mein Gefangener!«, rief in diesem Augenblick der Konstabler und legte seine Hand auf die Schulter des Farmers, »im Namen des Gesetzes!«

»Das Gesetz soll zum Teufel gehen!«, schrie der Backwoodsman, der keineswegs gesonnen schien, sich solcher Willkür geduldig zu fügen. »Zu­rück da, Mann – hierher, Mills! Hierher, meine Helena-Burschen! Das ist Gewalt!«

»Schützt das Gesetz!«, rief es aber von allen Seiten, und wenn der junge riesige Hinterwäldler auch den Konstabler wie einen Federball zurück­schleuderte und, von dem Virginier und zwei oder drei anderen unterstützt, sich zur Tür durchkämpfte, so sahen sie sich doch bald überwältigt. Trotz seines wütenden Sträubens wurde Cook mit schnell herbeigebrach­ten Stricken gefesselt.

»Die Pest über euch!«, schrie der Farmer und suchte, freilich vergebens, seine Arme freizubekommen. »Nennt ihr das Gesetz, ehrliche Männer festzuhalten, damit eure Schurken frei ausgehen? Lind Ihr da – vermaledeiter Tintenkleckser – Dayton oder Wharton, wie Ihr nun heißen mögt, Ihr sollt mir Rede stehen für dies! Hallo, Mills, sind denn keine Männer mehr da?«

»Raum da!«, schrie in diesem Augenblick der baumlange Virginier und stürzte sich mit einigen rasch geworbenen Freunden aufs Neue zwischen die Männer, die Cook gefangen hielten.

»Schützt das Gesetz«, tönte es ihm aber überall entgegen, und nur Wider­stand fand er, wo er Hilfe erwartet hatte. Es schien auch für kurze Zeit wirklich zu einem ernsten Kampf zu kommen, die Mehrheit befand sich aber aufseiten der gesetzlichen Partei. Die Übrigen waren nicht imstande, den Gefangenen zu befreien, und Dayton, der mit kaltem Lächeln dem tollen Wirrwarr zugeschaut hatte, gab jetzt ruhig den Befehl, den Gefan­genen in die Jail hinüberzuschaffen.

»Mills !«, rief Cook, als er unten in der Tür stand und den Virginier sah, der sich noch immer vergebens bemühte, bis zu ihm vorzudringen, »wollt Ihr mir einen Gefallen tun?«

»Ruhe da, Sir!«, rief der Konstabler, »kein Wort weiter, oder …«

»Ay, ay!«, rief der Lange herüber.

»Keine Verabredungen, Sir – duldet keine Verabredungen, Konstabler!«, schrie Mr. Porrel und eilte rasch herbei. »Leute, bringt die beiden ausein­ander.«

‚Warnt James Lively!«, schrie da der Farmer, so laut er schreien konnte, und sah sich im nächsten Augenblick von den Wächtern erfasst und fort­gerissen.

»Ja, aber – wo finde ich ihn?«, rief der Virginier zurück.

»Fort da – weg mit dem Burschen – habt acht – schlagt ihn zu Boden«, tobte es indessen von allen Seiten, und während die einen den Farmer mit sich auf die Straße zogen, hinderten die anderen den Virginier, ihm zu folgen, sodass, ehe er imstande war, sich Bahn zu brechen, die Tür des County-Gefängnisses hinter dem jungen Mann ins Schloss fiel.

Der Virginier schritt, da er sah, dass jeder weitere Versuch vergebens sein würde, die Straße hinunter, während sich die übrigen teils um das Haus der Witwe scharten, das der Konstabler eben verschloss, teils auf dem Platz vor dein zusammentraten und das Geschehene mit­einander besprachen. Mit seinem Auftrag war Mills aber gar nicht zu­frieden.

»Hin«, brummte er vor sich hin und schob die Hände in die Taschen, »jetzt soll ich James Lively warnen, da werde ich zu den Livelys hinauslaufen können. Zum Henker auch, ob man hier nicht irgendwo ein Pferd kriegen könnte. He, Bob!«, rief er dann einem Bekannten zu, der gerade auf der andern Seite der Straße dem eben beschriebenen Schau­platz zueilte. »Wer borgt einem wohl in der Stadt ein Pferd, wenn man keins hat?«

»Smart«, lautete die lakonische Antwort, und der Mann eilte rasch weiter. »Smart? – So«, murmelte der Virginier und sah dem Laufenden nach. »Verdammte Eile – kommt auch noch zur rechten Zeit. Smart, muss ein­mal zu Smart gehen und hören, was er sagt. Dass der Henker übrigens das Reiten hole – bin noch in meinem Leben auf keinem so vierbeinigen Ding gesessen, außer einmal, wo es mich aber schon abwarf, ehe ich nur recht aufgestiegen war.«

Und mit leise in den Bart gebrummten Flüchen schritt der Lange dem Unionhotel zu, dort sein Glück zu versuchen.

Show 1 footnote

  1. Anmerkung des Autors: Das Opossum, die amerikanische Beutelratte, stellt sich, wenn es angegriffen oder auch nur berührt wird, augenblicklich tot und lässt alles über sich ergehen. Es ist daher ein in den Backwoods sehr häufiges und allgemeines Sprichwort für jemanden, der sich verstellt, zu sagen: ›Er spielt Opossum.«