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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Achte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Achte Erzählung

Ein Verstorbener erscheint nach seiner Beerdigung und spricht und handelt wie ein Lebender.

Zur herzlichen Freude seines Vaters hatte der junge Graf von Walkenried unter Herrn Winkelmanns Leitung zu Göttingen eine Zeit lang mit Nutzen studiert. Hierauf ging er zur ferneren Ausbildung seines Geschmacks noch einige Jahre auf Reisen. Unglücklicherweise erkrankte Herr Winkelmann, der ihm auch jetzt als Freund und Ratgeber zur Seite ging, zu Straßburg und starb daselbst, nachdem sie kaum einen Monat im Ausland zugebracht hatten. In Ermangelung eines Führers, der, so wie jener, zugleich im eigentlichen Sinne des Wortes sein Freund gewesen wäre, beschloss er, die angefangene Reise allein fortzusetzen. Auch dem alten Grafen war die Nachricht von Herrn Winkelmanns plötzlichem Tod ebenso unangenehm wie unerwartet. Da er indessen seinen Sohn als einen für seine Jahre sehr gesetzten Jüngling kannte, so hatte auch er unter solchen Umständen wider des Alleinreisens nichts einzuwenden. Er schrieb ihm dies und fügte den jetzt ernstlichen wiederholten väterlichen Ermahnungen und gut gemeinten Bitten, womit er ihn entlassen hatte, einen Brief am einen berühmten Bankier zu Paris bei, dessen Bekanntschaft er in jüngeren Jahren als französischer Gesandter gemacht hatte, und von dem er sich schmeichelte, dass er sein Freund gewesen sei. In dem Brief ersuchte er den Bankier, seinem Sohn so viel Geld, wie er verlangen würde, zu geben und ihn, wenn er weiterreisen würde, mit nötigen Empfehlungen zu versehen.

Um den Bankier lebhaft an ihre ehemalige, freundschaftliche Verbindung zu erinnern, fügte er dem väterlichen Ermahnungsschreiben noch eine schöne goldene Schnupftabakdose bei, worauf sich sein sehr ähnliches Brustbild befand. Es war schon vor vielen Jahren zu Paris gemalt, mithin jugendlich, und glich jetzt auch dem Sohn ungemein. Die Dose selbst hatte er einst von dem Bankier zum Andenken erhalten. Er vermutete daher nicht ohne Grund, dass er seinem alten Freund ein Vergnügen machen werde, wenn er sie ihm durch seinen Sohn wieder zu Gesicht bringe.

Der junge Graf stieg bei seiner Ankunft in Paris fürs Erste in einem sogenannten Hotel garni ab, bis er Anstalt zu einer bequemen Wohnung getroffen haben würde. Außer verschiedenen Fremden wohnten auch zwei Engländer hier, ein Paar Brüder, die der Graf vor Jahr und Tag zu Göttingen kennengelernt hatte. Dieser zufällige Umstand sowie die überaus delikate öffentliche Mittags- und Abendtafel und die artigsten und aufgewecktesten Pariser von Stande, die sich hier täglich einfanden, trugen gemeinschaftlich dazu bei, dass der Graf die Veränderung seiner Wohnung von einer Zeit zur anderen aufschob.

Einer der Kavaliere aus der Tischgesellschaft, zu welchen des Grafen freundschaftsempfängliches Herz sich vorzüglich hingezogen fühlte, war der Freiherr von Vigny. Ungewöhnliche Kenntnisse und das beste Herz machten diesen jungen Mann von Kopf zu dem angenehmsten Gesellschafter.

Bald wurde er dem Grafen, und der Graf ihm unentbehrlich, um recht vergnügt sein zu können. Ihre übrigen Bekannten und Freunde nannten sie daher die Unzertrennlichen, und wirklich wäre auch dieser Name in jeder Hinsicht passend für sie gewesen, wenn nur der Tod, der alles trennt, sie nicht gar zu bald gewaltsam voneinander gerissen hätte.

In ihren täglichen frohen Zirkeln genossen sie fast den ganzen Tag die hitzigsten feinen Weine in Menge; besonders vergaß man des Abends alles Maß und alle Ordnung. Die ausgepichten Magen der des Trunkes gewohnten Engländer und die Bekanntschaft der Franzosen mit den Erzeugnissen ihres Vaterlandes verhinderten bei ihnen die üblen Folgen dieser Lebensweise, denen hingegen der deutsche Graf unterlag. Er war eigentlich nie ein sogenannter Trinker gewesen, und nur das Zureden der Übrigen, der gute Wille, der Gesellschaft gefällig zu sein, usw. waren schuld, dass er sich ein Entzündungsfieber zuzog, welches seinen Tod zur Folge hatte.

Der Graf, dessen Kasse sich in sehr guten Umständen befand, und der bisher in ununterbrochener Zerstreuung zu Paris lebte, hatte den alten Freund seines Vaters, den Bankier, noch gar nicht besucht und ihm bis jetzt weder des Vaters Brief ausgehändigt noch die Tabakdose gezeigt. Dieser Umstand beschäftigte sein Vorstellungsvermögen in dem letzten Augenblick seines Lebens sehr lebhaft. Davon zeugten besonders die nicht zusammenhängenden Äußerungen des Fantasierenden.

Als sein wahrer Freund scheute Herr von Vigny das Krankenbett nicht, sondern besuchte den leidenden Grafen, mit dem er die gesunden Tage so glücklich verlebt hatte, auch jetzt oft und führte mit möglichster Sorgfalt die Aufsicht über seine Pflege und Wartung. Insbesondre aber ermunterte er die angenommenen Ärzte fleißig, nichts zu versäumen, was dazu beitragen könne, die Gefahren der Krankheit abzuwenden und zu mindern. Mit Recht hielt er dies für den tätigsten, ja für den einzig wahren Beweis seiner Liebe zu dem Grafen. Aber leider waren diese Freundschaftsäußerungen und alle Kunst der Ärzte nicht hinreichend, den Kranken zu retten. Er entschlief den Todesschlaf, aus welchem man auf dieser Erde nicht wieder erwacht.

Der Besitzer des Hotels ließ den Physicien de Quartier kommen und förmlich untersuchen, ob der Verstorbene auch wirklich tot sei. Dieser erklärte nach der gründlichsten vorhergegangenen Untersuchung den Grafen für tot und stellte den Schein aus, der zu Paris erforderlich ist, um beerdigt werden zu können. Übrigens ist die Verfahrenweise mit Leichen hier weniger umständlich, als an jedem anderen Orte. Man hat beständig Särge von verschiedener Güte und alles, was man zu vornehmen und gemeinen Beerdigungen bedürfen möchte, in Menge zum Verkauf vorrätig. Daher kam es, dass der Graf kaum vierundzwanzig Stunden tot war, als man ihn des anderen Morgens früh feierlich zu Grabe trug und beerdigte.

Höchst sonderbarerweise besorgte der verstorbene Graf an diesem Tag seiner wirklichen Einscharrung in die Erde leibhaftig bei dem Bankier alles, was sein Vater ihm aufgetragen, er aber im Leben zu besorgen versäumt hatte. Völlig so angezogen, wie sich der Graf in den letzten gesunden Tagen zu Paris sehen lassen hatte, und begleitet von seinem treuen, höchst betrübten Kammerdiener, begab sich der verkörperte Geist des Verstorbenen als Graf von Walkenried zu dem Bankier, machte demselben das lange aufgeschobene Antrittskompliment, jedoch mit jener Niedergeschlagenheit, die man im Leben nie an ihm wahrgenommen hatte, und welche überhaupt keinem glücklichen jungen Herrn von Stande eigen zu sein pflegt.

Der Bankier hatte zwar den Grafen nie gesehen, würde aber, auch wenn dieser sich nicht zuvor hätte anmelden lassen, in dem Geist vielleicht auf den ersten Blick den Sohn seines alten Freundes erkannt haben. So unverkennbar groß und auffallend war die Ähnlichkeit des verstorbenen Sohnes mit dem Vater! Der Bankier empfing den Geist mit aller Artigkeit eines Parisers und komplimentierte ihn in das Visitenzimmer hinein. Hier war es, wo der Geist zuvörderst sein Beglaubigungsschreiben und des Vaters Dose mit feierlichem Ernst überreichte, und dann noch einige ihm aufgetragene Bestellungen mündlich hinzufügte.

Bankier: »So vieler Beglaubigungen, teuerster Herr Graf, bedurfte es nicht, um mich zu überzeugen, dass Sie der Sohn meines alten Freundes sind. Sein Sie mir tausendmal willkommen und verfügen Sie unbeschränkt über alles, was in meinem Vermögen ist. Besonders stehen Ihnen meine Kassen zu Befehl.«

Geist: (mit einer Verbeugung voll Ernst und Würde) »Ich danke Ihnen für so gütige Anerbietungen und bedaure um meiner Selbstwillen nichts mehr, als dass ich keinen Gebrauch davon machen kann.«

Bankier: »Desto besser, wenn Ihre Börse meiner nicht bedarf. Sie legen so einen schönen Beweis ab, dass man auch bei der ehrenvollsten Behauptung seines Standes ein guter Wirt sein kann. Indessen wird mir doch hoffentlich das Vergnügen, Ihnen dienen zu können, bei der Fortsetzung Ihrer Reise noch bevorstehen. Aber wäre es Ihnen nicht gefällig, ein kleines Frühstück bei mir einzunehmen?«

Geist: »Ich bin Ihnen auch dafür verbunden. Auf dieser Welt gebrauche ich nichts mehr. Denn schon in der gestrigen Nacht bin ich im Hotel des Herrn Michel in der St. Honore-Straße gestorben und heute früh um drei Uhr förmlich beerdigt worden.«

Bankier: (seinen Stuhl ein wenig abrückend) »Sie scherzen, liebster Herr Graf!«

Geist: »Ich scherze nicht, mein Herr! Die Absicht, warum ich Ihnen beschwerlich falle, ist unter anderem, Sie zu bitten, meinem alten Vater diese Dose, welche Sie ihm einst zum Andenken verehrten, mit der Aufforderung zurückzusenden, dass er sie zum zweiten Mal aus den Händen seines verstorbenen Sohnes zum Andenken annehmen möge.«

Bankier: (wird immer ängstlicher) »Aber mein Herr Graf, ich bitte Sie, besinnen Sie sich doch! Sie sind ja körperlich bei mir. Wie können Sie denn tot sein?«

Geist: (würdigt den Zweifelnden keiner Antwort hierauf und fährt da fort, wo er unterbrochen wurde) »Auch schreiben Sie ihm, der unerfüllt gebliebene sehnliche Wunsch, ihn noch einmal auf dieser Welt zu sehen, um für jede Vatergüte ihm herzlich danken zu können, habe mir den frühen Tod vorzüglich schmerzhaft gemacht.«

Bankier: (dem es kalt über die Haut läuft) »Aber bester Herr Graf! Ist es möglich … Sollten Sie …«

Geist: (indem er zwei goldene Uhren, einen kostbaren Brillantring und zweihundertundfünfzig Stück Louis d’or auf den Tisch legt) »Ich bedarf jetzt des irdischen Tands nicht mehr und habe das Zutrauen zu Ihnen, dass Sie auch diese Kleinigkeiten meinem Vater aushändigen lassen werden.«

Bankier: (sieht sich schüchtern nach einer Seitentür um und will antworten; die Haare stehen ihm zu Berge und sein Hasenherz klopft nicht weniger hörbar, als die beiden auf dem Tisch liegenden Taschenuhren.)

Geist: (der das bemerkt, im Weggehen) »Verzeihen Sie, meine Absicht war nicht, den Freund meines Vaters zu ängstigen. Als ein Toter wusste ich mir nicht anders zu helfen. Jetzt ist der Augenblick meiner Rückkehr in die Gruft gekommen. Leben Sie wohl.«

Mit diesen Worten schwebte der Geist zur Tür hinaus. Der Bankier war bei dem Abschied mehr tot als lebendig. Er rief die seinen herbei, um wieder unter Lebenden zu sein, und wusste nicht, was er denken oder sagen sollte. Besonders fiel ihm beim Anblick der zurückgelassenen Kostbarkeiten und des Goldes die richtige Bemerkung aufs Herz, dass das Abenteuer für einen ihm gespielten Scherz viel zu ernsthaft sei. Weil niemand mehrere Tausend Livres wegwerfen werde, um ihn einen Augenblick in einer übergroßen Verlegenheit zu erblicken. Auch würde es niemand gewagt haben, mit den Kostbarkeiten einen Sachkundigen, wie er war, täuschen zu wollen. Dass der Ring ein echter Solitär von großem Wert war, ergab sich ihm auf dem ersten Blick. Die Uhren durfte er nicht erst ans Ohr halten, um zu hören, dass sie aufgezogen waren. Er besah die Goldstücke einzeln, und alle waren gutes Gold. Die Dose, von innen und außen betrachtet, blieb immer die nämliche, welche er einst dem alten Grafen gegeben hatte. Er verglich dessen Brustbild auf der Dose mit dem Bild seines Sohnes, wie es ihm in dem Gespenst eben erst noch vor Augen gestanden hatte. Er fand auch jetzt noch, die Frisur und Kleidung, welche seit mehreren Jahren sich sehr verändert hatte, abgerechnet, zwischen Vater und Sohn die unverkennbare Ähnlichkeit.

In dieser außerordentlichen Verlegenheit fuhr der Bankier ungesäumt zu dem Hotel, worin der angebliche Tote gewohnt haben wollte. Ihm leuchtete die Möglichkeit ein, dass er hier beim Hauswirt, Herrn Michel, vielleicht einigen Aufschluss über den ihm unerklärbaren Vorgang bekommen werde.

Bankier: »Sagen Sie mir doch, lieber Herr Michel, ist Ihnen das Original des Brustbildes dieser Dose bekannt?«

Hr. Michel: »Unstreitig! Der junge Graf hat ja lange genug bei mir gewohnt. Alle meine Tischgenossen, alle, die in meinem Hotel wohnen, haben ihn gekannt.«

Bankier: Haben gekannt? Den jungen, wahnsinnigen Grafen von Walkenried?«

Hr. Michel: »Den Wahnsinnigen? Nein! Den seligen Grafen von Walkenried aus Deutschland, der gestern in meinem Hotel am hitzigen Fieber gestorben ist, und den ich heute früh, nach den Gesetzen der Polizei regelgemäß und öffentlich habe beerdigen lassen.«

Bankier: »Um Himmelswillen! Scherzen Sie? Der nämliche junge Graf, dem dieses Brustbild – die alte Tracht abgerechnet – entsprechend gleicht, war vor weniger als einer halben Stunde leibhaftig in meinem Haus, um mir Geld und Sachen, mehrere Tausend Livres an Wert …«

Noch ehe er das, was er sagen wollte, vollendet hatte, fuhr Herr Michel erschrocken zusammen. Der Bankier aber sank halb ohnmächtig auf einen Sessel, weil beide zugleich in diesem Augenblick den Geist ins Zimmer treten sahen. Diesem war der Anblick zweier so heftig Erschreckenden unerwartet und unangenehm zugleich. Nach seiner Meinung sollte seine Spukrolle mit der Entfernung aus dem Haus des Bankiers vollendet sein, indem er gehofft hatte, früher als der Bankier das Hotel zu erreichen, um die geborgten Kleider des Verstorbenen wieder abzulegen. Und doch begann die Rolle, die er nicht weiter spielen wollte, jetzt von Neuem. Er bat den Bankier dringend um Verzeihung wegen des Scherzes, wozu ihn die Natur gleichsam berechtigt habe, und versicherte ernstlich, dass er weder der verstorbene Graf von Walkenried selbst noch dessen spukende Hülle sei. Hier ist der Schlüssel zum Rätsel:

Der Seelenfreund, welchen der Graf in dem Freiherrn von Vigny gefunden hatte, war, wie schon gesagt, ein Mann von vielem Kopf und munterer Laune. Aber was das Merkwürdigste war – er hatte eine so außerordentliche Ähnlichkeit in der Bildung des Körperbaus und des Gesichts mit dem Grafen, dass ein Dritter nur an der Kleidung und Sprache zu erkennen imstande war, welcher von beiden vor ihm stand. Von diesem Spiel der Natur begünstigt, bewirkten die beiden Freunde, indem sie einander Kleidung und Namen liehen, bei männlichen und weiblichen Bekannten viele drollige Verirrungen. Aber den auffallendsten und ernsthaftesten Sinnesbetrug wurde Herr von Vigny zu spielen veranlasst, als sein Freund auf dem Sterbebett ihm jenen väterlichen Brief an den Bankier nebst Dose, Börse, Uhren und Ring mit Aufträgen übergab, von denen der Leser schon weiß, dass sie zwar scherzhaft, jedoch pünktlich besorgt wurden. Der Bediente des Verstorbenen musste ihm von den Kleidungsstücken seines seligen Herrn diejenigen leihen, die Herr von Vigny angezogen hatte, als er zum Bankier ging, und die er jetzt im Stillen wieder ablegen wollte.

Der Bankier war vermutlich einen näheren Weg oder rascher gefahren, und daher früher ins Hotel gekommen, als er selbst. Herr Michel wusste durchaus nichts von dieser Mummerei und erschrak daher selbst ein wenig, als er Herrn von Vigny, dieses Ebenbild des Verstorbenen, in dessen Kleidern ins Zimmer treten sah.

Ich will dem Leser nicht vorgreifen und die Fälle nicht aufzählen, in welchen diese Täuschung zumal in einer so weitläufigen Stadt wie Paris sehr leicht hätte unentdeckt bleiben und dem Gespensterglauben das Wort reden können. Nur daran erinnere ich auch am Schluss dieses lehrreichen Geschichtchens wieder, dass auch die rätselhaftesten, spukenden Ereignisse darum noch nicht übernatürlichen, wunderbaren Ursprungs sind, wenn uns der natürliche zufällig verborgen bleibt.