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Jacob von Molay, der letzte Templer 23

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Zweiter Teil
Herr und Knecht
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Zehntes Kapitel

Dem Wildgrafen kam der Ruf des Meisters höchst unerwartet. Der Pflicht getreu, trat er vor ihn hin. Wie hoch wuchs sein Erstaunen, als ihm der gemessene Befehl wurde, stehenden Fußes die Insel zu verlassen und ohne Aufenthalt in seine Komturei zurückzukehren. Der Deutsche wandte zwar ein, dass ihn noch ein Geschäft, auf Stunden mindestens, zurückhielt, doch Jacob von Molay erinnerte ihn an das Gelübde des Gehorsams, des blinden, unbedingten Gehorsams. Der Wildgraf musste Folge leisten, wenn er nicht sein Ordenskleid in den Händen der Brüder sehen wollte. Es leuchtete ihm ein, dass wohl schwerlich die Mehrzahl ihm das Kleid um Gotteswillen lassen würde, denn diese bestand größten Teils aus Franzosen. Selbst der Meister schien seine Entfernung, des Dauphins halber, zu heischen. So tief ihn auch der Befehl verletzte, der Wildgraf dachte zu edel, einen Bruder, mit so hoher Ordenswürde bekleidet, von so hochadligem Stamm entsprossen, beim Kapitel zu verklagen, bevor er ihm das Vergehen unter vier Augen vorgehalten hätte. Auch erfüllten wichtigere, bedeutungsvollere Gegenstände des Deutschen Kopf. Er meinte, nichts Besseres tun zu können, als die wenigen Augenblicke, welche ihm noch übrig blieben, zum Heil des ganzen Ordens zu nutzen. Nachdem er die Befehle wegen seines Anspruches erteilt hatte, trat er wieder vor Jacob von Molay hin.

»Lieber Herr und Meister«, sprach er, »Ihr wollt nach Frankreich hinüber. Gott und unsere liebe Frau mögen wissen, was mich mit einer besonderen Furcht erfüllt. Verschmäht nicht die letzten Worte eines Mannes, der von Kindesbeinen an die Furcht nur vom Hörensagen kannte. Geht nicht nach Frankreich, lieber Herr und Meister, mindestens Ihr nicht selbst. Rüstet Euch zu einem neuen Zug gegen die Ungläubigen. Ersinnt eine Ausrede, und wenn Ihr sie vom Himmel holen solltet, nur geht nicht nach Frankreich.«

»Lieber Bruder Großkomtur«, versetzte der Meister frostig, »jedes Wort, welches ich nun aus Eurem Munde gehört habe, deutet auf Misstrauen gegen meinen königlichen Freund. Doch verkenne ich Eure gute Absicht keineswegs und werde tun, wie es die Regel heischt. Denn die Brüder müssen ihre Einwilligung geben, ohne diese kann ich mich nicht von Zypern entfernen. Zu welchem Ende denn diese Warnung? Beschwert Euch nicht mit so großen Sorgen. Welches Unglück könnte mir denn in Frankreich drohen? Es ist mein Vaterland, sein Beherrscher mein Freund, und ich bin keinem untertan als Seiner Heiligkeit dem Papst.«

Der Meister wollte noch etwas hinzufügen, doch hinderte ihn Boulognes Eintritt daran.

»Herr und Meister«, rief der noch unter der Tür, »mich treibt die Angst zu Euch, und wollt Ihr vergeben, dass ich unangemeldet nahte. Es rüstet sich schon alles zur Abreise des Kardinallegaten. Ich bitte Euch, Herr, nehmt die Briefe zurück, lasst ihn mit einem anderen Bescheid zu dem Heiligen Vater gelangen.«

»Boulogne, was bewegt Euch so? Euch den ruhigen, gelassen überlegenden Mann, sehe ich hochgeröteten Gesichtes, unsteten Auges! Sagt an, Boulogne, welche Begebenheit hat solches bei Euch erzeugt?«

»Keine Begebenheit, Herr, keine. Doch ich habe den Kardinallegaten gesehen, schnöden Triumph spricht jeder seiner Züge aus, und wenn mich nicht alles täuscht, so las ich Geringschätzung in seinen Augen.«

»Das ist Eure Schuld, Herr Graf!«, zürnte der Meister. »Mit Eurem Wahn steckt Ihr mir die besten Männer an … ein Dämon hat Euch hergeführt nach Zypern …!«

»Lieber Herr und Meister, wie mögt Ihr zürnen gegen einen Mann, der vielleicht um des Ordens Wohlfahrt gar zu ängstlich wacht! Ist es nicht besser, als wenn er leichtsinnig über alles hinwegsetzte? Ich bin ein deutscher Mann, weiß recht gut, dass der feste Sinn meines Volkes mit dem flatterhaften Eurer Landsleute im Widerspruch steht …«

»Ihr zeihet Euren Herrn und Meister des Flattersinns …?«

»Gott bewahre mich davor, Meister. Ich will mich nur entschuldigen, ob dessen, was Euch mir abhold macht. Ist es meine Schuld, dass ich einem deutschen Fürstenbett entsprossen bin, dass mir die Festigkeit meines Volkes mit der Muttermilch zuteilgeworden ist? Und müsste ich darüber zugrunde gehen und risse man mir das Herz lebendig aus der Brust, bis zum letzten Pulsschlag meines Lebens würde ich Euch warnen, würde Euch zurufen: Geht nicht nach Frankreich! Ihr kommt in des Löwen Höhle, deren Eingang schlaue Füchse und listige Schlangen bewachen. Mit glatten Worten kirren sie Euch, den Eingang zu durchschreiten. Kaum habt Ihr ihn hinter Euch gelassen, so glotzen Euch die gierigen Augen an. Der König steht vor Euch mit mächtigen Pranken …«

»Keine Beleidigung ferner, Herr Graf. König Philipp ist mein Freund. Kein Ehrenmann lässt den Freund verachten.«

»Diese Lehre ist in Deutschland so alt, wie es Freunde gegeben hat. Auch sprach ich nicht vom König Philipp; vom König der Tiere sprach ich und dem Löwen.«

»Mag sein. Die Zeit ist jedoch zu kostbar, sie mit Gleichnissen zu vergeuden. Ich weiß nicht, was meine besten Ritter mit solcher Furcht erfüllt! Wäre es möglich, dass in meiner Brust Furcht erwachsen könnte, ich glaube, Ihr würdet mich damit anstecken.«

»Meister«, trat Boulogne dicht vor ihn hin.

Der Wildgraf bemerkte den vertraulichen Blick nicht.

»Meister«, sprach Boulogne noch einmal. Das Übermaß des Gefühls ließ ihn dessen beide Hände ergreifen. »Beherzigt unseres Bruders, des Großkomturs Worte. Bleibt auf Zypern zurück. Eine Gesandtschaft der edelsten Ritter wird Seiner Heiligkeit genügen, und was der Papst auch mit Euch selbst verhandeln wollte, das kann er ja mit mir, wenn Ihr mich bei ihm beglaubigt. Wie manches schwierige Geschäft hat Boulogne schon vollbracht, vor mehreren Päpsten hat er schon gestanden. So braucht sich Clemens V. auch nicht seiner zu schämen …«

»Treffe ich Euch hier, Boulogne?«, rief der kriegerische Montroyal. »Ich wollte Euch abholen, zu unserem Herrn und Meister wollten wir beide gehen. Der Prälat darf nicht fort mit der Weisung, dass Ihr, Meister, nach Frankreich kommen wollt.«

»Welche Sprache, Montroyal«, verwies Jacob von Molay heftigen Tones. »Wohl weiß ich, dass Euer kriegerischer Sinn gern des langen Wortschwalls entbehrt, auch schätze ich Euch darum. Doch heische ich Achtung von Euch wie von jedem anderen Ordensmitglied. Keine Würde, keine Auszeichnung lassen mich von dieser Achtung um Haaresbreite vergeben.«

Montroyal stand verstummt da. Der Meister aber war in Wallung geraten, und höher, immer höher schwoll der Strom seiner zürnenden Worte.

»Wer möchte da ein gutes Ende hoffen, wenn jeder Einzelne den Eingebungen seiner Leidenschaften folgt. Bin ich nicht das Oberhaupt des Ordens? Auf wen fällt die Schuld, wenn irgendein Unglück entsteht? Dem Meister legt man alles zur Last. Hundert Beweise liefert die Geschichte des Ordens, und ich sollte mich gängeln lassen, dass ich durch Nachsicht und Schwäche dem gerechten Tadel verfiele? Nein, nein, Ihr Herren, ich will sein, was ich heiße. Mich gelüstet es nicht nach dem Namen einer Würde, ich will die Würde selbst.«

»Herr und Meister«, begann Montroyal gesenkten Tones, »verzeiht, wenn ich gefehlt habe. Nicht aus böser Absicht ist es geschehen, und möget Ihr meinen Eifer für Euch und den Orden in dem Umstand erkennen, dass ich trotz Eures Zürnens fest darauf bestehe, der Kardinal dürfe nicht mit der Weisung, welche ihm gegeben worden war, die Insel verlassen. Hättet Ihr ihn gesehen, Meister, hättet Ihr den schnöden Triumph bemerkt, der über seine Züge ausgegossen ist. Ihr würdet nicht anders denken als ich. Freilich kann ich das, was ich denke, nicht in Worte kleiden. Doch klar steht es vor meiner Seele, dass dieser Prälat nichts Gutes gegen uns im Schilde führt.«

»Hat sich denn die Welt in ihrem Lauf verkehrt?« Diese Worte begleiteten des Meisters bitteres Lachen. »Montroyal, der Kühnste unter den Kühnen, der Tapferste unter den Tapferen – Montroyal fürchtet?«

»In der ganzen Christenheit«, versetzte Montroyal mit finsteren Stirnfalten, »in der ganzen Christenheit lebt nur ein Mann, der von Furcht zu mir sprechen darf, ohne dass ich ihm auf Schwertlänge begegne. Der Mann seid Ihr, Meister; und ich bin ein Knecht des Ordens. Doch die Stunde ist kostbar, in welcher ich vor Euch stehe. Was mich hergeführt hat, das will ich fest im Auge behalten.«

Montroyal trat vor dem Meister noch näher als vorhin, und beinahe flehend – die seltenste Erscheinung bei Montroyal – sprach er weiter. »Lieber Herr und Meister, gab es doch von jeher Begünstigte des Himmels, welche begeistert mehr wussten als alle Übrigen. Denkt denn, der Himmel habe jetzt ein Wunder gezeigt und mich erkoren. Noch einmal warne ich Euch. Es ist ja so leicht, dass Ihr Euren Entschluss, nach Frankreich zu gehen, ändert. Zieht aus mit dem Banner, führt uns zu Schiff. Wir wollen wie Wetterleuchten den unvorbereiteten Sarazenen aus seiner trotzigen Ruhe aufstören, und alles, was man sich von der Tapferkeit der Tempelherren erzählt, soll gegen das, was wir vollbringen, nur ein Kinderspiel gewesen sein.«

Montroyal erwartete vergebens eine Antwort von dem Meister. Der stand, das dunkle Auge fest auf Montroyal geheftet, aber stumm, und nur ein leises Kopfschütteln gab den festen Entschluss, der Brüder Rat zu verwerfen, zu erkennen.

Des Herolds lauter Ruf, dass die Ritter sich zu ihren Pferden begeben sollten, drang herauf. Der Prälat war im Begriff, nach Ninove abzugehen. Was Montroyal nur in Worten an den Tag gegeben hatte, das bot sich jetzt in seiner ganzen Gestalt, in seinen Blicken und Bewegungen dar. Des Herolds Ruf jagte das Blut aus seinem Herzen, es rötete ihm Wangen und Stirn hoch, seine Augen glänzten in einem unerklärbaren Feuer. Plötzlich vor dem Meister niedergeworfen, rief er überlaut: »Meister! Meister! Beherzigt die Warnung! Lasst den Kardinal nicht fort. Das Verderben trägt er mit sich!«

»Boulogne, auch du zu meinen Füßen!«, fuhr der Meister erstaunt zurück. »Boulogne, Du! Wie ist mir denn? Nun bei unserer lieben Frau! Das wird immer besser – auch der Großkomtur von Deutschland! Habt Ihr den Ruf nicht vernommen? Gehabt Euch wohl, lieber Herr und Bruder. Gott geleite Euch.«

Da war keines Bleibens mehr für den Deutschen, und er stürmte hinaus, schlug die Tür krachend hinter sich zu. Die Wände erdröhnten, von dem Zorn des Mannes erregt.

»Steh auf, Boulogne«, befahl der Meister, nachdem er die Bitterkeit über des Großkomturs Benehmen mit Mühe bekämpft hatte. »Auf, auf, Montroyal! Mein Entschluss steht fest. Kein Mensch auf Erden wird ihn wankend machen. Ich will allein bleiben. Das Kapitel soll sich um Mitternacht versammeln. Jetzt ruft mich die Pflicht, dem Abgesandten des Heiligen Vaters das Geleit zu geben. Wir treffen uns im Konvent.«

Ohne auf die beiden ferner Rücksicht zu nehmen, verließ der Meister die Halle. Wortlos prüften sie einander mit vielsagenden Blicken, bis endlich Montroyal seiner Empfindungen nicht mehr Herr blieb. »Das erste Mal in meinem Leben habe ich vor einem Menschen flehend gekniet. Ich schäme mich vor mir selbst ob der schnöden Behandlung – ha, stände ich jetzt auf feindlicher Erde, dass ich dem gerechten Zorn in Kampfes Getöne einen Ausweg bahnen könnte! Aber feiern muss mein Schwert, zu nichts mehr nütze, als dass ich es an König Philipps Hof gegen eine Jagdklinge vertausche, mit der ich Frösche aufspießen kann. So weit ist es also gekommen, dass selbstherrisch der Meister über eine der größten Begebenheiten beschließen könne. Er bedarf also der Zustimmung der Brüder nicht mehr!«

»Nicht so bitter, Montroyal«, mahnte Boulogne. »Was kann’s nun weiter nützen? Mag ich doch meinen Mutmaßungen nicht einmal Worte leihen. Aber gar sonderbar berührt es mich, dass der Meister so urplötzlich sich umgewandelt hat. Gott lenke es zum Guten! Doch auf dem Weg hierher begegnete mir ein Gesicht, ein Gesicht, in welchem ein ganzes Buch aufgeschlagen vor mir lag. Das Gesicht sprach nichts Gutes aus.«

»Gerade so erging es mir. Ich traf auf Peyrand, er schlich zu dem Prälaten …«

»Nicht so laut, lieber Bruder, nicht so laut.«

»Warum nicht? Ich bin gewohnt, zu sagen, was ich denke; zumal wenn es die Wohlfahrt des Ordens erheischt. Erinnert Ihr Euch wohl noch der letzten Wahl? Ich will dem ersten Sarazenen den Rücken zeigen, wenn Peyrand sie schon vergessen hat. Was konnte er mit dem Kardinal haben? Der Großmeister bedarf selbst der Bestätigung des Papstes nicht, und das Ungetüm, über welchem Peyrand brütet, wird sich wohl ganz anders gestalten, als wir meinen. Wer nur hindurchfinden könnte!«

»Stellen wir es dem Himmel anheim, Montroyal. Ihr seht ja, dass nichts auszurichten ist. Horcht! Das Tor knarrt in seinen Angeln – es ist geschehen, und was wir noch sprechen mögen, verlorene Worte sind es. Drum lasst uns schweigen und in Geduld erwarten, wie es sich erklären wird. Komme, was da will, Boulogne wird nicht zagen, wird nicht wanken. Und Montroyal?« Er reichte ihm die Hand hinüber.

Der ergriff sie feurig und rief: »Lebt und stirbt für des Ordens Ruhm und Würde!«

Obwohl noch keiner von den Tempelherren nur im Geringsten Gewissheit hatte, ob und was man gegen sie im Schilde führte, so leuchtete doch dem größten Teil derselben hier auf Zypern ein, dass etwas Unheilvolles über ihren Häuptern schwebe. Durch den Verfall des freundschaftlichen Benehmens von dieser Zeit an bekundete sich auf ganz eigene Weise die Wichtigkeit der vorgefassten Meinung eines Wildgrafen. Was aber den Großmeister zu dem selbstherrischen Benehmen veranlasst hatte, davon freilich wussten nur wenige. Der Einzige, welcher ihn am schlauesten berechnete, war Peyrand. Zwischen ihm, dem Großmeister und dem Dauphin trat ein so vertrauliches Verhältnis ein, dass Boulogne, Montroyal und mehrere andere fürchtend darüber die Köpfe schüttelten. Bei dem Dauphin hauptsächlich bemerkte man von dieser Zeit eine auffallende Geringschätzung der Ordensregeln. Und dennoch war er es allein, welcher auf die strengste Ahndung für Malhacs Vergehen gedrungen hatte. Malhac war in Fesseln, musste gleich einem niedrigen Knecht die gewöhnlichsten Arbeiten im Haus verrichten und war auf ein ganzes Jahr des Kleides verlustig erklärt. Der Dauphin war jedoch zu schlau, die Regel in ihrer ganzen Strenge gegen sich in Anwendung bringen zu lassen. Niemals blieb er zwei Nächte außer Haus, des Tages kam er den kleinsten Bedingungen nach, und der Einzige, welcher um seine nächtlichen Wanderungen wusste, der musste ja so schleunigst die Insel verlassen, dass es nicht einmal zum Vorwurf und um so weniger noch zur öffentlichen Anklage kommen konnte. Die häufigen Gespräche des Dauphins mit dem Alten, der seine sündigen Wege begünstigte, taten auch endlich ihre Wirkung. Dringt doch endlich der Tropfen, von des Daches Zinne fallend, in den festesten Granit. Warum sollte nicht eine Meinung von Trugschlüssen unterstützt, bei denen das Trügerische kaum zu erkennen ist, in das Herz eines so jungen Mannes dringen, und der überdies noch Ursache hatte, dieses Herz ob manchen Zweifels zu beschwichtigen. Wie verdrossen der Dauphin in den kleinsten Beziehungen den Ordensregeln nachleben musste, das leuchtet wohl ein. Diese Verdrossenheit, im Verein mit seinem ungebändigten Stolz, erzeugte ein beleidigendes Benehmen gegen all diejenigen, welche mit ihm zusammentrafen, nur nicht gegen den Großmeister und Peyrand. Der Großmeister war nun mit Geschäften so sehr überhäuft, dass er selten im Konvent mit den Brüdern speisen konnte, noch seltener aber hielt er Kapitel; denn einerseits gab es nur sehr wenig darin zu verhandelnde Gegenstände, andererseits ließ sich der Großmeister bei nicht gar so wichtigen Dingen von irgendeinem anderen Ritter im Kapitel vertreten. Wenn nicht das Geheimnis im Orden vorhanden gewesen wäre, hätte wohl Jacob von Molay so plötzlich sein Betragen ändern können? Dieses Geheimnis war nur den wenigsten Brüdern bekannt. Wer nicht Anwartschaft auf die Großmeisterwürde hatte, der konnte darüber hinsterben, ehe er von diesem Geheimnis etwas erfuhr. So sorgfältig man mit demselben bis jetzt auch umgegangen war, so hatte sich doch ein dunkles Gerücht über irgendein Geheimnis im Orden unter Brüdern und Laien verbreitet. Ehrgeizige Tempelherren, denen jedoch keine Aussicht blieb, die höchste Würde einst zu bekleiden, gierten nach diesem Geheimnis. Neid und Missgunst lieferten die Würze zu einer ebenso drolligen, wie für jene Zeiten passenden Erfindung. Die aufgeklärtesten Zeitalter bringen ja leider noch Beispiele, entehrend für den menschlichen Geist, von Einfalt und Dummheit erzeugt. Von Verschlagenheit und List bewertet, zumal dort, wo gar häufig Leute mit dem Namen Christ belegt wurden, welche nichts weniger als Christentum innehatten, und gar leicht, dem Drang der Umstände zufolge, Renegaten wurden; zumal dort, wo noch die Reste der Götterherrschaft der alten Griechen vorzufinden war – dort verfiel man umso eher auf Entweihung des Heiligen irgendeiner Glaubenslehre, absonderlich, wenn ein undurchdringlicher Schleier ein Geheimnis verbarg. So faselten einzelne Mitglieder des Ordens, deren Rachegefühl vielleicht durch eine strenge Pönale erregt worden war, von Götzendienst, welcher in den geheimsten Kapiteln getrieben würde, und wie Moses auf Sinai mit seinem Gott von Angesicht zu Angesicht gesprochen hatte, so sollte auch der Meister ein Götzenbild, unter dem Namen Baphomet, besitzen, durch welches er auf geradem Wege mit dem alleinigen Gott verkehren konnte. Das Geheimnis der Goldmacherei war nur eine Zugabe.

Im Umgang mit Laien, denen ein Tempelherr vielleicht nur darum schmeichelte, um dem Orden Güter zu erwerben. War dem Letzteren etwa nur ein Wort entfallen, und weiter und immer weiter spann sich dieses Wort im Kopf eines Laien aus. Diejenigen Brüder, welche beschränkten Geistes waren, erhaschten vielleicht einmal irgendeine Ansicht, welche ein aufgeklärter Mann über Religion äußerte, und plötzlich wurde sie zum Nachteil der Kirche ausgelegt. Da man nun durch die Mutmaßungen über jenes große Geheimnis die christliche Religion angetastet glaubte, so entkleidete man den ganzen Orden jener Vorzüge, denen er seine Größe, seine Macht, seinen Reichtum verdankte. Wohl nicht mit Unrecht glaubte man nicht mehr an die Keuschheit eines Tempelherren, doch unterlegte man der Übertretung dieses Ordensgelübdes ein abscheuliches Verbrechen. Die allgemeine Fleischessünde war zu alltäglich. Todeswürdig musste alles sein, was Dummheit, Missgunst und Hass erfand. Das gemeine Volk, stets nach dem Abenteuerlichsten haschend, trug sich noch mit anderen Geschichten. Wem sind nicht die Scheußlichkeiten bekannt, welche man sich von Mönchsklöstern erzählt – etwa von lebendig be­grabenen Jungfrauen, an welchen die Mönche ihren sündigen Fleischeslüsten frönten? So auch erzählte man sich von den Tempelherren dasselbe, nur fügte man noch hinzu, dass, wenn ein Kind die Frucht eines so verbrecherischen Umgangs würde, sie dasselbe verbrannten und die Asche den neu aufgenommenen Brüdern im Wein zu trinken gäben. Dergleichen Dinge nun konnten zwar den Orden nicht kümmern. In jener Ruhe, welche Macht und Reichtum begleitet, konnte er alles, was der Pöbel erdachte, mit Verachtung hören. Doch gab es auch andere, außer dem Pöbel, welche alles Nachteilige, was über den Orden verbreitet war, anders zu nutzen verstanden, als dass sie es sich nur erzählten. Zum Beispiel der Orden der Hospitaliter, stets eifersüchtig, ja, vor längerer Zeit sogar in Fehde begriffen mit seinem mächtigen Nebenbuhler, dieser Orden suchte alles zum Nachteil der Tempelherren auszudeuten und ersann sogar Dinge, durch welche die Tempelherren sogar verketzert wurden. Einer ihrer Großmeister schloss einst mit dem berühmten Sultan Saladin ein Friedensbündnis, um die Besitzungen, welche der Orden im Reich jenes Fürsten hatte, nicht zu verlieren. Seit jener Zeit hielt man die Tempelherren für heimliche Anhänger der Lehre Mohammeds und schmückte diesen Gedanken auf eine schändliche Weise aus. Man legte ihnen zur Last, dass sie den neuaufzunehmenden Bruder Jesus Christus verleugnen, ihn dreimal auf das Kreuz speien und es mit Füßen treten ließen. Einen Gürtel, welchen jeder neu Aufgenommene zum Zeichen der Keuschheit erhielt, ließ man als Sinnbild der schändlichsten Verbrechen gelten. Mit diesem Gürtel sollte die Erlaubnis zu jenen Verbrechen erteilt worden sein. Man brachte ihn und dem vorgeblichen größten Geheimnis des Ordens, mit dem Götzenbild, in die sonderbarste Berührung, und jeder Laie glaubte um so williger an diese Verirrungen des menschlichen Geistes, da ihm kein anderer Weg blieb, den übermütigen Stolz der Ritter, aas welchem manche Beleidigung entsprang, zu kränken. Die entschiedene Abgeschlossenheit, mit welcher die Tempelherren sich verwahrten, ließ sie zwar dergleichen Dinge nicht alle erfahren. Dennoch aber konnte es nicht fehlen, dass wohl hier und da, namentlich in den entfernteren Provinzen, manches davon ihnen zu Ohren kam, und die am wenigsten Eingeweihten wurden selbst von Zweifeln erfüllt. Das war hauptsächlich in Frankreich der Fall, in welcher Provinz sogar ein Tempelherr gegen einen königlichen Advokaten im Vertrauen geäußert hatte, dass im Orden ein Geheimnis walte, welches so streng bewahrt würde, dass man selbst den König ermorden müsse, wenn er es erführe. Mochte nun jeder Ritter dergleichen äußern, um seinem Zuhörer eine hohe Meinung von sich beizubringen oder was ihn sonst auch dazu veranlasste. Es wurde dem König Philipp hinterbracht, der nicht sowohl selbst all solche Märchen sammelte, doch aber treue Diener hatte, wie etwa Wilhelm von Nogaret, die alles gern zum Verderben des Ordens beitrugen.

Wie nachteilig eine plötzliche Veränderung in des Großmeisters Benehmen unter diesen Umständen für den Orden werden konnte, das ist leicht zu ermessen. Jacob von Molay, dessen biederer, gerader Charakter wohl seine Leichtgläubigkeit selbst erzeugt hatte, Jacob von Molay war von dieser Zeit an so sehr von dem Gedanken an eine Krone eingenommen, dass alles Übrige keinen Wert mehr für ihn hatte. Jede seiner Handlungen bezog sich nur auf den einen großen Zweck, den er unverrückt im Auge behielt. Aus diesem Grund ließ er sich auch durch den Dauphin verleiten, die erste Ungerechtigkeit in seinem Leben zu begehen und den Wildgrafen Hugo so schleunigst zu entfernen. Welch Wunder, dass Jacob von Molay jetzt dem Dauphin noch eifriger anhing als sonst, dass er mit ihm auf vertrauterem Fuß als mit irgendeinem von den Brüdern stand. Die Zurücksetzung musste die älteren Ritter kränken, unter ihnen am meisten Peyrand. Insgeheim wurde ein teuflischer Grund ersonnen, welchen man dem vertrauten Umgang der beiden unterschob. Die Günstlinge großer Herren sind ja stets die Zielscheibe, auf welche der Neid, die Missgunst ihre Pfeile richten. Rauschende Vergnügungen der Fürsten, Zerstreuungen aller Art können nicht einmal die geheimen Zurüstungen zu eines Günstlings Fall verhindern. Um wie viel leichter mussten dieselben hier gebaut werden können, da das klösterliche Leben, die erschlaffende Ruhe der Tempelherren auf Zypern, durch nichts anderes erregt wurde! Wohl drängte sich Boulogne noch mehrmals zu dem Großmeister, stand warnend vor ihm, erinnerte ihn an seine hohe Würde, die ihn beinahe zum unumschränkten Herrscher erhob. Doch alles war vergebens. Jacob von Molay, ein mächtiger Herr wie irgendeiner von den Königen der Christenheit, schob nur seinen Gehorsam vor, welchen er dem Papst schuldig war. Dem Superior des Ordens müsste er gehorsamen, das war alles, was er Boulogne erwiderte.