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Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern – 10. Blatt

Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern
von Johann Heinrich Ramberg, mit Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Verlag C. B. Griesbach. Gera. 1871

Eulenspiegel vermietet sich als Knecht bei einem Pfaffen und isst ein gebratenes Huhn vom Spieß.

achdem Eulenspiegel dem Dorfjunker entwischt war, kam er in ein Dorf im Stift Magdeburg, welches Buttenstätt genannt wurde. Daselbst vermietete er sich bei dem Pfaffen als Knecht. Dieser versprach ihm, dass er bei ihm gute Tage haben solle.

Essen und Trinken, was ihm nur schmecke, so gut, wie es seine Haushälterin hätte, und die Arbeit, welche er zu verrichten habe, könne er mit halber Mühe tun. Das gefiel Eulenspiegel wohl, er tat deshalb auch alle Arbeit nur halb.

Einstmals steckte die Haushälterin zwei Hühner an einen Bratspieß und hieß Eulenspiegel den Bratspieß fleißig zudrehen. Dies tat er gern, als aber die Hühner kaum halb gar wurden, dachte er an des Priesters Erlaubnis, dass er essen sollte, was ihm wohl schmecke, und was die Haushälterin äße. Eulenspiegel dachte, so wolle er jetzt gleich ein Huhn verzehren, weil der Braten noch frisch wäre, da der Priester die beiden Hühner gewiss nicht allein essen würde. Und so aß er schnell ein Huhn vom Spieß ab.

Als nun die Haushälterin, die nur ein Auge hatte, zum Feuer kam und die Hühner begießen wollte, da war nur noch ein Huhn am Spieß. Sie fragte deshalb Eulenspiegel, wo das zweite Huhn hingekommen wäre.

Er sprach zu ihr: »Seht Ihr denn das nicht?«

Sie sagte: »Nein.«

»Nun«, sprach er, »so tut Euer zweites Auge auf, so werdet Ihr das zweite Huhn auch sehen.

Dieser Spott verdross die Haushälterin und sie ging zu ihrem Herrn und sagte ihm, wie der Knecht sie mit ihrem blinden Auge verspotte, und ein Huhn vom Spieß weggegessen hätte.

Der Priester ging in die Küche und sagte zu Eulenspiegel: »Wie kannst du dich unterstehen, meine Magd zu verspotten? Sehe ich doch selbst, dass nur ein Huhn am Spieß ist, und sind doch zwei daran gewesen.«

Eulenspiegel sprach: »Seht Ihr die beiden Hühner nicht, die noch daran stecken? Wie ich zur Magd sagte, so sage ich auch zu Euch: Tut nur eure beiden Augen auf, so werdet ihr sie sehen.«

Der Priester lachte über die verkehrte Antwort und sagte: »Du wirst mich doch nicht für einäugig erklären wollen? Die Magd kann mit zwei Augen nicht sehen, denn sie hat nur eins; aber ich sehe doch noch mit zwei gesunden Augen.«

»Gut«, sagte Eulenspiegel, »wenn Ihr nur ein Huhn sehen könnt, so kann ich auch nur ein Huhn sehen, ich will’s Euch auch sagen: Das zweite Huhn ist durch meine Zähne gekrochen. Ich habe Euch gefolgt, denn Ihr habt mir gesagt, dass ich so gut essen und trinken sollte wie Ihr. Nun dachte ich, man würde mich doch bei dem Hühnerbraten vergessen, deshalb habe ich mich selbst dazu eingeladen.
Der Priester lachte und sprach: »Nun mag es darum sein, aber begehe dergleichen Possen nicht wieder.«

»Ja«, sprach Eulenspiegel, »ich will Euch folgen und alles so machen, wie Ihr mir gesagt habt, zum Beispiel dass ihr gesagt habt, ich könnte alles mit halber Mühe tun.«

»Ganz recht«, sagte der Priester.

Danach tat Eulenspiegel auch alles, was ihm die Haushälterin sagte, nur halb; denn wenn er einen vollen Eimer Wasser holen sollte, brachte er einen halben; wenn er zwei Stücke Holz ans Feuer legen sollte, legte er nur eins daran, kurz, er machte alles so, dass die Haushälterin sich darüber ärgern musste, welches sie denn ihrem Herrn endlich einmal klagte.

Der Priester sprach zu Eulenspiegel: »Was höre ich von dir, meine Magd klagt ja wieder über dich!«

Eulenspiegel antwortete: »Herr, ich habe nichts getan, als was sie mir geheißen hat. Ihr sagtet, ich könnte alle Eure Arbeit nur halb tun, aber ich tue sie ganz. Wenn Eure Magd mit zwei Augen sähe, so würde sie auch die Arbeit ganz sehen; so sie aber alles mit einem Auge sieht, sieht sie alles auch nur halb.«

Dem Priester war dies lächerlich, aber die Magd wurde sehr zornig darüber, und sprach zum Priester: »Wenn Ihr den neckischen Kerl noch länger behaltet, so gehe ich davon.«

Also musste der Pfaffe dem Eulenspiegel den Abschied geben, weil er seine Magd lieber behielt.